Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.10.2008, Az.: 4 LA 612/07

Kindergeld als sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen für die das Kindergeld erhaltende Person; Zurechnung des Kindergelds dem Einkommen eines Kindes aufgrund der Zuwendung des Kindergelds dem Kind durch den das Geld erhaltenden Elternteil

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.10.2008
Aktenzeichen
4 LA 612/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 25632
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2008:1014.4LA612.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 26.04.2007 - AZ: 4 A 465/04

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz:

Anrechnung von Kindergeld als Einkommen im Sozialhilferecht

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Vorbehaltlich einer besonderen rechtlichen Zuordnung ist Kindergeld sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen desjenigen, der es erhält.

  2. 2.

    Der Elternteil, der Kindergeld erhält, kann im Sozialhilferecht Kindergeld dem Kind nicht mit der Wirkung zuwenden, dass es nicht mehr Einkommen des Elternteils, sondern Einkommen des Kindes ist.

Gründe

1

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil hat keinen Erfolg, weil die von ihr geltend gemachten Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 VwGO nicht vorliegen.

2

Entgegen der Annahme der Klägerin bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, mit dem das Verwaltungsgericht die auf die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung von Kindergeld für die Zeit vom 2. August bis zum 29. Oktober 2004 gerichtete Klage abgewiesen hat. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das an die Klägerin ausgezahlte Kindergeld sozialhilferechtlich als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen und daher bei der Gewährung der Sozialhilfe anzurechnen ist. Die von der Klägerin dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.

3

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. Dezember 2003 (- 5 C 25.02 -, NJW 2004 S. 2541), bestätigt durch Urteil vom 21. Oktober 2004 (- 5 C 30/03 -, BVerwGE 122, 128), erkannt, dass Kindergeld vorbehaltlich einer besonderen rechtlichen Zuordnung sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen desjenigen ist, der es erhält. Das nicht an das Kind, sondern ein Elternteil ausgezahlte Kindergeld stellt daher nicht Einkommen des Kindes, sondern des Elternteils dar. Im vorliegenden Fall ist das Kindergeld in dem hier relevanten Zeitraum nicht an den Sohn der Klägerin, sondern die Klägerin ausgezahlt worden. Da eine besondere rechtliche Zuordnung des Kindergeldes nicht vorlag, war das Kindergeld demnach als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen. Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Direktauszahlung des Kindergeldes an das Kind, von dem hier auszugehen sei, eine besondere rechtliche Zuordnung des Kindergeldes bestehe. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Auszahlung des Kindergeldes direkt an das Kind begründet nämlich keine besondere rechtliche Zuordnung des Kindergeldes im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Eltern, die wollen, dass nicht sie, sondern ihr Kind das Kindergeld als Einkommen erhält, nach § 74 EStG bzw. § 48 SGB I eine Auszahlung direkt an das Kind veranlassen können.

4

Unbegründet ist auch der Einwand der Klägerin, sie habe das Kindergeld bzw. einen gleich hohen Betrag an ihren Sohn weitergeleitet und damit einen besonderen rechtlichen Zuwendungsakt geschaffen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Dezember 2003 (a.a.O.) nämlich ausdrücklich betont, dass es dem Elternteil, der das Kindergeld erhält, im Rahmen des Sozialhilferechts nicht zusteht, Kindergeld dem Kind mit der Wirkung zuzuwenden, dass es insoweit nicht mehr Einkommen des Elternteils, sondern Einkommen des Kindes selbst wäre, und zugleich festgestellt, dass es an seiner früheren Rechtsprechung, die eine solche familieninterne Einkommenszuordnung des Kindergeldes nach der Rechtslage vor der Neuregelung des Kindergeldrechts durch das Jahressteuergesetz 1996 für zulässig erachtet hat, für das jetzt geltende Kindergeldrecht nicht mehr festhält. Daraus ergibt sich, dass die Weiterleitung des an einen Elternteil ausgezahlten Kindergeldes an das Kind keine rechtliche Zuordnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes zur Folge hat. Ob das Kind selbst hilfebedürftig ist, ist unerheblich.

5

Die Klägerin kann sich für die von ihr vertretene Rechtsauffassung auch nicht auf das von ihr zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. April 2005 (- 5 C 28.04 -, NJW 2005 S. 2873) berufen. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Kindergeld ebenso wie es sozialhilferechtlich Einkommen dessen ist, an den es ausgezahlt wird, nach § 3 Abs. 2 des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch im Grundsicherungsrecht Einkommen dessen ist, an den es ausgezahlt wird. Außerdem bieten die Entscheidungsgründe dieses Urteils entgegen der Annahme der Klägerin keinen Hinweis darauf, dass Kindergeld als Einkommen des Kindes auf Sozialhilfe oder Grundsicherungsleistungen in dem hier relevanten Zeitraum anzurechnen war, wenn das Kindergeld von den Eltern an das Kind weitergereicht worden ist. Die Klägerin kann ihre diesbezügliche Auffassung schließlich auch nicht auf das Urteil des 12. Senats des beschließenden Gerichts vom 30. September 2004 (- 12 LC 144/04 -) stützen, in dem ausgeführt worden ist, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Möglichkeit, Kindergeld bzw. einen ihm entsprechenden Betrag als Einkommen auf die gewährte Sozialhilfeleistung anzurechnen, davon abhänge, ob im Einzelfall das zweckorientierte, mit Rücksicht auf das Kind dem jeweils Anspruchsberechtigten gewährte Kindergeld an das Kind weitergereicht, ihm also zugewendet werde. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat - wie bereits erwähnt - in seinem Urteil vom 17. Dezember 2003 (a.a.O.) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es an dieser vom 12. Senat in Bezug genommenen früheren Rechtsprechung nicht mehr festhält. Daher lassen sich mit dem Hinweis auf das Urteil des 12. Senats vom 30. September 2004 keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung begründen.

6

Die Berufung kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden, weil die entscheidungserheblichen Rechtsfragen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt sind und daher keiner Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfen.

7

Schließlich kommt auch eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen Divergenz nicht in Betracht, weil das Verwaltungsgericht keinen Rechtssatz aufgestellt hat, der von den in den o. g. Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts formulierten Rechtssätzen abweicht. Soweit sich die Klägerin auf eine Divergenz des erstinstanzlichen Urteils zum Urteil des 12. Senats des beschließenden Gerichts vom 30. September 2004 (- 12 LC 144/04 -) beruft, ist zur Klarstellung nochmals darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung überholt ist, weil sie sich auf die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezieht, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. Dezember 2003 (a.a.O.) ausdrücklich aufgegeben hat. Daher rechtfertigt eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils vom Urteil des 12. Senats vom 30. September 2004 die Zulassung der Berufung wegen Divergenz nicht. Entsprechendes gilt für die von der Klägerin geltend gemachte Divergenz zum Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. November 2003 (- L 7 SO 2073/06 -), weil die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nur bei einer Abweichung von Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts zuzulassen ist.

8

Da die Rechtsverfolgung der Klägerin im Zeitpunkt der Entscheidungsreife ihres Prozesskostenhilfeantrags aus den eingangs aufgeführten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hat, kommt die von der Klägerin beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO nicht in Betracht.