Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.05.2014, Az.: L 11 AL 109/11

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.05.2014
Aktenzeichen
L 11 AL 109/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42409
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 01.04.2011 - AZ: S 9 AL 363/09

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 1. April 2011 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Förderung ihrer Weiterbildung zur Altenpflegerin  auch für das 3. Ausbildungsjahr.

Die 1976 geborene Klägerin übte bis zum 17. Januar 2006 eine Beschäftigung als Gesundheits- und Krankenpflegeschülerin aus. Zum 18. Januar 2006 meldete sie sich arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld (Alg) von der Beklagten.

Auf ihren Antrag bewilligte ihr die Beklagte einen Bildungsgutschein vom 4. September 2006 mit dem Bildungsziel „Altenpflegerin“. Darin erklärte sich die Beklagte zur Übernahme der Lehrgangskosten für bis zu 24 Monate einschließlich eines notwendigen Betriebspraktikums bereit. Bedingung für die Förderung sei, dass die Finanzierung des dritten Drittels der Ausbildung zu Beginn der Weiterbildungsmaßnahme sichergestellt und durch den Schulträger zu bestätigen sei.

Die Klägerin schloss daraufhin mit der G. Pflegeheim H. GmbH einen Vertrag über die praktische Ausbildung zur Altenpflegerin für die Zeit vom 1. August 2006 bis 31. Juli 2009. Ausweislich des Vertrages erhielt die Klägerin in den ersten beiden Ausbildungsjahren wegen der Förderung der Umschulung durch die Beklagte keine Vergütung. Im dritten Ausbildungsjahr betrug die Vergütung 720,00 € brutto / Monat. Zudem schloss die Klägerin einen Schulausbildungsvertrag mit der I. J. aus K.. Hiernach betrugen die Kosten der Ausbildung monatlich 250,00 €. Die I. bestätigte der Beklagten in der vorgelegten Ausfertigung des Bildungsgutscheines, dass die Finanzierung des dritten Drittels der Maßnahme gesichert sei. Ergänzend teilte sie mit Schreiben vom 7. September 2006 mit, dass die Vergütung für das dritte Ausbildungsjahr über den fachpraktischen Ausbildungsvertrag geregelt sei. Im Ausbildungsvertrag sei das Schulgeld mit enthalten.

Mit Bewilligungsbescheid vom 22. September 2006 übernahm die Beklagte für die Zeit vom 5. September 2006 (tatsächliche Aufnahme der Weiterbildung durch die Klägerin) bis 31. Juli 2008 u. a. die Lehrgangskosten. Zudem bewilligte sie der Klägerin mit weiterem Bescheid von diesem Tag für die Zeit vom 5. September 2006 bis 31. Juli 2008 Alg bei beruflicher Weiterbildung.

Nachdem die Förderung durch die Beklagte beendet war, wandte sich die Klägerin am 29. September 2008 erneut an die Beklagte und beantragte die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe für das dritte Ausbildungsjahr. Dies lehnte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2008 ab.

Den ebenfalls gestellten Antrag auf Übernahme der Schulkosten in Höhe von 250,00 € monatlich für die Zeit von August 2008 bis Juli 2009 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. April 2009 ab. Die Klägerin habe die Umschulung am 5. September 2006 begonnen und eine Förderung der beruflichen Weiterbildung über 2 Jahre erhalten. Eine nachträgliche Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres sei nicht möglich. Die Förderung einer dreijährigen Ausbildung sei erst ab der zum 1. Februar 2009 erfolgten Gesetzesänderung möglich (§ 421t Abs 6 Sozialgesetzbuch Drittes Buch -SGB III-).

Der Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, dass die gesetzliche Neuregelung auch für Altverträge anwendbar sei, die zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch nicht beendet gewesen seien, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2009).

Mit ihrer hiergegen am 29. Juli 2009 beim Sozialgericht (SG) Hannover erhobenen Klage hat die Klägerin einen Anspruch auf Förderung für die Zeit ab August 2008, hilfsweise ab Dezember 2008 weiterverfolgt. Sie hat geltend gemacht, sie habe den Ausbildungsbetrieb auf Zahlung des monatlichen Schulgeldes verklagt. Dieses Verfahren vor dem Arbeitsgericht K. sei durch Klagerücknahme beendet worden, nachdem das Gericht im Sitzungstermin darauf hingewiesen habe, dass kein Zahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber bestehe. Zum 12. Dezember 2008 sei eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, wonach auch das Altenpflegegesetz in den Katalog des § 60 SGB III mit aufgenommen worden sei. Es ergebe sich zumindest ab Dezember 2008 ein Anspruch auf Zahlung des Schulgeldes gegen die Beklagte.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, § 421t Abs 6 SGB III entfalte keine Rückwirkung auf bereits laufende Weiterbildungsmaßnahmen.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 1. April 2011 unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung verurteilt, der Klägerin ab dem 1. Dezember 2008 die beantragten Weiterbildungskosten bis zum Ende des dritten Ausbildungsjahres zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 421t Abs 6 SGB III seien erfüllt, so dass vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bis zum Ende der Ausbildung auch für das dritte Ausbildungsjahr die Kosten von der Beklagten zu übernehmen seien. Den gesetzlichen Bestimmungen könne nicht entnommen werden, dass die Bildungsmaßnahme erst nach der Gesetzesänderung begonnen werden müsse.

Gegen das ihr am 12. Juli 2011 zugestellte Urteil richtet sich die Beklagte mit ihrer am 10. August 2011 eingelegten Berufung. Sie ist der Auffassung, die Sonderregelung des § 421t Abs 6 SGB III komme nicht zur Anwendung. Diese sei zum 1. Februar 2009 in Kraft getreten und gelte für bis zum 31. Dezember 2010 beginnende Umschulungen zum Altenpfleger. Zum Zeitpunkt der Bewilligung und des Beginns der Maßnahme im September 2006 habe diese Vorschrift noch nicht existiert. Vielmehr gelte für die Maßnahme das alte Recht fort (§ 422 SGB III).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 1. April 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend und ist der Auffassung, aus der gesetzlichen Formulierung in § 421t Abs 6 SGB III ergebe sich nur, dass die Umschulung irgendwann vor dem 31. Dezember 2010 begonnen haben müsse. Für Altfälle existiere keine Übergangsregelung mit der Folge, dass die Vorschrift auch in ihrem Fall anzuwenden sei. Durch Urteil des Amtsgerichts K. sei sie zur Zahlung des Schulgeldes an die I. verurteilt worden.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2009 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 1. Dezember 2008 die beantragten Weiterbildungskosten bis zum Ende des dritten Ausbildungsjahres zu gewähren. Ein solcher Anspruch besteht nicht.

Gemäß § 77 Abs 1 Nr 3 SGB III (in der bis 31. März 2012 geltenden Fassung - im Folgenden: a.F; nunmehr seit dem 1. April 2012: § 81 Abs 1 Nr 3 SGB III n.F.) können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn die Maßnahme für die Förderung zugelassen ist. Einzelheiten hierzu regelt § 85 SGB III a.F. (nunmehr geregelt in §§ 179ff. SGB III n.F.). Nach § 85 Abs. 2 SGB III a.F. ist die Dauer der Maßnahme angemessen, wenn sie sich auf den für das Erreichen des Bildungsziels erforderlichen Umfang beschränkt (Satz 1). Die Dauer einer Vollzeitmaßnahme, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führt, ist angemessen, wenn sie gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit verkürzt ist (Satz 2). Ist eine Verkürzung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit auf Grund bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen ausgeschlossen, so ist die Förderung eines Maßnahmeteils von bis zu zwei Dritteln der Maßnahme nicht ausgeschlossen, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme die Finanzierung für die gesamte Dauer der Maßnahme gesichert ist (Satz 3).

Bereits im Bildungsgutschein vom 4. September 2006 ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass eine Verkürzung der Vollzeitmaßnahme um ein Drittel der Ausbildungszeit aufgrund der gesetzlichen Vorschriften ausgeschlossen ist und die Förderung auf einen Maßnahmeteil von zwei Dritteln der Maßnahme begrenzt wird. Auch hat die Beklagte gegenüber der Klägerin deutlich gemacht, dass Bedingung für eine Förderung ist, dass die Finanzierung des nicht geförderten Teils bereits sichergestellt ist. Die I. hat der Beklagten mit der vorgelegten Ausfertigung des Bildungsgutscheines vom 7. September 2006 bestätigt, das diese Voraussetzungen erfüllt sind. Andernfalls wäre eine Förderung der Weiterbildung gar nicht in Betracht gekommen. Zutreffend hat die Beklagte daher mit dem Bewilligungsbescheid vom 22. September 2006 lediglich eine Förderung bis zum 31. Juli 2008 gewährt. Darüber hinaus besteht kein Anspruch.

Etwas anderes folgt auch nicht aus § 421t Abs 6 SGB III a.F. Diese Vorschrift ist durch das Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland vom 2. März 2009 (BGBl I, S. 416) erst mit Wirkung vom 1. Februar 2009 in Kraft getreten (vgl zum Inkrafttreten: Art 19 Abs 2). Abweichend von § 85 Abs 2 Satz 2 ist die Dauer einer Vollzeitmaßnahme der beruflichen Weiterbildung, die bis zum 31. Dezember 2010 beginnt, danach auch dann angemessen, wenn sie nach dem Alten- oder Krankenpflegegesetz nicht um mindestens ein Drittel verkürzt werden kann (Abs 6 Satz 1). Insoweit ist § 85 Absatz 2 Satz 3 nicht anzuwenden (Abs 6 Satz 2).

Diese befristete Ausnahmeregelung zur Förderung der Weiterbildung im Pflegebereich findet nur auf seit Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1. Februar 2009 neu beginnende Weiterbildungsmaßnahmen Anwendung (vgl auch Bieback in: Gagel, SGB III, § 421t Rn 43; derselbe in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, Edition 19 - September 2010, § 421t SGB III Rn 4). Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung, wonach die Beklagte in den Jahren 2009 und 2010 bei neu geförderten Umschulungen zu Alten- und Krankenpflegern die vollständige Finanzierung übernimmt (BT-Drs. 16/11740, Seite 22). Ziel der befristeten Regelung war es, mehr auszubilden und umzuschulen, um den wachsenden Bedarf nach Fachkräften im Bereich Pflege mittel- und langfristig zu decken. Die Umschulungsförderung für den Pflegebereich sollte durch die befristete Ausnahmeregelung erleichtert werden, damit mehr Menschen eine Beschäftigungschance im Pflegebereich eröffnet werden konnte (BT-Drs. 16/11740, Seite 33). Dieser Zweck würde mit der zusätzlichen Förderung des dritten Ausbildungsjahres bereits laufender Maßnahmen, deren Finanzierung von Anfang an sichergestellt war, nicht erreicht werden. Bei Übernahme der Finanzierung würden sich lediglich die der Klägerin zur Verfügung stehenden Mittel erhöhen.

Zudem ergibt sich aus § 422 Abs 1 SGB III, dass - soweit wie vorliegend nichts anderes bestimmt ist - bei Gesetzesänderungen für Leistungen der aktiven Arbeitsförderung das Recht maßgebend bleibt, das zu dem Zeitpunkt gilt, in dem der Anspruch entstanden, die Leistung zuerkannt worden ist oder die Maßnahme begonnen hat. Hiervon ist auch nicht nach § 422 Abs 2 SGB III abzuweichen, da sich die Bewilligungsentscheidung der Beklagten nicht lediglich auf einen begrenzten Zeitraum bezog und nunmehr über eine Verlängerung zu entscheiden war. Vielmehr hat die Beklagte gegenüber der Klägerin von Anfang an deutlich gemacht, dass die Finanzierung des dritten Drittels nicht übernommen werden kann und anderweitig sichergestellt werden muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.