Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 01.10.2004, Az.: 1 B 69/04
aufschiebende Wirkung; Begründung; besonderes Vollziehungsinteresse; Entlassung eines Beamten; sofortige Vollziehbarkeit; Sofortvollzug
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 01.10.2004
- Aktenzeichen
- 1 B 69/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50758
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 1 VwGO
- § 80 Abs 2 Nr 4 VwGO
- § 80 Abs 3 S 1 VwGO
Gründe
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin und erstrebt im vorliegenden Verfahren die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
Er ist durch Ernennungsurkunde vom 16. Juli 2003 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Studienassessor (BesGr. A 13 BBesO) ernannt worden, nachdem er zuvor - 1995/1996 - an Privatgymnasien als Lehrer unterrichtet hatte und sodann für insgesamt 2 Jahre und 11 Monate bei der Antragsgegnerin als Lehrer im Angestelltenverhältnis („Feuerwehrverträge“) an vier verschiedenen Gymnasien tätig war (März-Juli 2000, August 2000- Jan. 2001, Febr. 2001-Juni 2001, Aug. 2001-Jan. 2002, Febr. 2002-Juni 2002, August 2002-Jan. 2003). Am Gymnasium C. wurden jedoch Mängel seines Unterrichts festgestellt, so dass ihm mit Schreiben vom 21. Juli 2004 die Entlassung wegen Nichtbewährung in der Probezeit angekündigt und diese dann mit angefochtenem Bescheid vom 11. August 2004 zum 30. September 2004 auch ausgesprochen wurde. Dagegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom 21. August 2004 Widerspruch erhoben. Die sofortige Vollziehung der Entlassungsverfügung wurde wie folgt begründet:
„Gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse besonders angeordnet wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung wird von mir bejaht. Aufgrund der massiven Elternbeschwerden und der auf die Note „ungenügend“ lautenden dienstlichen Beurteilung ist es Schülerinnen und Schülern nicht länger zuzumuten, von Ihnen unterrichtet zu werden.“
Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, gestellt bei der Antragsgegnerin, wurde nach Angaben des Antragstellers telefonisch verworfen. Am 27. September 2004 suchte der Antragsteller bei der Kammer um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung nach, durch die persönliche Abneigung des Schulleiters des Gymnasiums Tostedt gegenüber dem Antragsteller seien sachfremde Erwägungen in die Beurteilung seiner Befähigung als Lehrer eingeflossen, was an den Gymnasien vorher nicht der Fall gewesen sei. Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag unter Bezug auf Elternbeschwerden und eine aus diesem Anlass erstellte dienstliche Beurteilung vom 7. Juli 2004, die mit der Note „ungenügend“ abschließe, entgegen.
Der Antrag hat Erfolg.
Dem Ast. ist vorläufiger Rechtsschutz schon deshalb zu gewähren, weil die am 11. 8.2004 ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung formell fehlerhaft ist. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO schreibt vor, dass in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes von einer Behörde angeordnet wird, das besondere Vollzugsinteresse schriftlich zu begründen ist. An diese Vorschrift hat sich die Antragsgegnerin nicht gehalten.
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung, (§ 80 Abs. 1 VwGO). Der Gesetzgeber hat nur für besonders gelagerte Fälle der Behörde in § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Möglichkeit eingeräumt, selbst die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes - entgegen § 80 Abs. 1 VwGO - herbeiführen zu können. Wenn ein besonderes öffentliches Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten an dem Sofortvollzug besteht, kann die Behörde - bei Vorliegen eines Widerspruchs auch die Widerspruchsbehörde - die sofortige Vollziehung besonders anordnen. Hierfür ist allerdings notwendig, dass die (Widerspruchs-) Behörde - von bestehenden Notstandsmaßnahmen gem. § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO abgesehen - den Sofortvollzug ausdrücklich anordnet und das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich begründet, § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung und ihre Begründung sind mithin nicht mit dem zugrundeliegenden Verwaltungsakt und seiner Begründung etwa identisch.
Der Zweck der Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 VwGO besteht u.a. darin, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, das besondere, ausnahmsweise überwiegende öffentliche Interesse an einer solchen Vollziehung aus den Umständen des Einzelfalles besonders zu rechtfertigen. Es muss inhaltlich klar zum Ausdruck kommen, dass und aus welchen Gründen mit der Vollziehung nicht gewartet werden kann, bis über den Rechtsbehelf (Widerspruch, Klage) gegen den zugrundeliegenden Verwaltungsakt entschieden worden ist. Daher wird eine Begründung, die etwa nur den Gesetzestext von § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wiederholt, diesem Erfordernis ebenso wenig gerecht wie nur die Begründung nach § 39 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) für den zugrundeliegenden Verwaltungsakt. Das erforderliche besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug geht naturgemäß über jenes hinaus, das den für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt selbst rechtfertigen mag. Zwischen beiden Begründungen bestehen vom Sinn und Zweck wie auch von der Zielrichtung her ganz erhebliche Unterschiede, denen die Behörde Rechnung zu tragen hat. Dabei wird die Begründung für die Vollzugsanordnung auch von ihrem Gewicht und ihren Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Betroffenen gesteuert.
Es fehlt hier an einer Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass der Antragsteller sofort und ohne Rücksicht auf ein Widerspruchsverfahren und ggf. ein Klageverfahren zu entlassen ist und dass hinter ein öffentliches Interesse an einem ordnungsgemäßen Schulbetrieb das vom Gesetz (§ 80 Abs. 1 VwGO) daneben als regelmäßig gewichtig vermutete Interesse des Antragstellers zurücktreten muss, zunächst einmal - bis zur Klärung der Frage seiner Bewährung - weiterhin als beamteter Lehrer unterrichten zu dürfen. Mit dem Hinweis darauf, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung von der Antragsgegnerin „bejaht“ werde, kann die Antragsgegnerin selbstverständlich nicht belegen, dass die Durchsetzung ihrer Entlassungsverfügung keinen Aufschub mehr dulde, sondern der Antragsteller aus seinem im Juli 2003 begründeten Statusverhältnis ohne Umschweife zu entlassen ist. Auch der Verweis auf „massive Elternbeschwerden“, die offenbar lediglich am Gymnasium Tostedt, nicht aber auch an den vier anderen Gymnasien, an denen der Antragsteller zuvor eingesetzt war, aufgetreten sind, vermag die Vollzugsanordnung und das besondere Interesse an einer umgehenden Beendigung des Gesamtstatus des Antragstellers nicht zu begründen. Schließlich ist auch der bloße Verweis auf die mit der Note „ungenügend“ abschließende dienstliche Beurteilung vom 7. Juli 2004 nicht geeignet, ein die Grundverfügung - die Entlassung - derzeit überschießendes Interesse an einem sofortigen Vollzug - etwa eine Gefahrenlage - mit seinen gravierenden Folgen für den Antragsteller nachvollziehbar zu belegen. Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO, unter denen von einer schriftlichen Begründung des Sofortvollzuges abgesehen werden kann, liegen hier ersichtlich nicht vor.
Im Fall eines solchen formellen Fehlers gem. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ist nicht die Vollziehungsanordnung der Behörde aufzuheben (so aber OVG Lüneburg, NJW 1968, 478; VGH Mannheim, DVBl 1976, 948; OVG Hamburg, NJW 1978, 2167; VGH München, NVwZ 1985, 663; Kopp, VwGO, 9. Aufl., § 80 Rdnr. 76; Schmaltz, DVBl 1992, 230 (233)), sondern der Suspensiveffekt des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs wiederherzustellen (OVG Bremen, NJW 1968, 1539 [OVG Bremen 28.02.1968 - IV V 1/68] und DVBl 1980, 420 [OVG Bremen 01.11.1979 - I B 41/79]; VGH Kassel, NJW 1983, 2404 und NVwZ-RR 1989, 627; ; OVG Magdeburg, Beschl. v. 23. 11. 1992 - 2 M 148/92; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 10. Aufl., § 80 Rdnr. 27a).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.