Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 06.10.2004, Az.: 1 B 56/04
Alimentationsprinzip; aufschiebende Wirkung; Aufwandsentschädigung; Besoldung; besondere Leistung; Bürokosten; Bürokostenentschädigung; Gebührenanteil; Gerichtsvollzieher; Interessenabwägung; nachträgliche Festsetzung; steuerlicher Nachteil; unechte Rückwirkung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 06.10.2004
- Aktenzeichen
- 1 B 56/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50756
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 17 BBesG
- § 49 Abs 3 BBesG
- § 1 Abs 2 Nr 5 BBesG
- § 2 GVollzEntschV ND
- § 4 GVollzEntschV ND
- § 80 Abs 5 S 1 VwGO
- § 80 Abs 2 Nr 4 VwGO
- Art 80 Abs 1 S 2 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Aufwandsentschädigung eines Gerichtsvollziehers für die Unterhaltung seines Büros kann in typisierender und pauschalierender Weise nach den im Durchschnitt tatsächlich angefallenen Sach- und Personalkosten festgesetzt werden.
2. Gegen die in § 2 Abs. 2 GVEntschVO festgelegte rückwirkende Festsetzung des Gebührenanteils bestehen keine Bedenken, da eine zulässige unechte Rückwirkung vorliegt.
3. Der in der Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten im Gerichtsvollzieherdienst (GVEntschVO) in der aktuellen Fassung festgelegte Gebührenanteil ist nach summarischer Prüfung auf einer tragfähigen Grundlage ermittelt worden, so dass ein Gerichtsvollzieher voraussichtlich keinen Anspruch auf eine höhere Aufwandsentschädigung hat.
Gründe
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 1 A 295/04 des Antragstellers gegen den für sofort vollziehbar erklärten Abrechnungs- und Rückforderungsbescheid des Antragsgegners vom 6. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Oberlandesgerichtes Celle vom 26. Juli 2004 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der danach vom Gericht zu treffenden Abwägungsentscheidung sind sowohl die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, soweit sie sich schon übersehen lassen, als auch die sonstigen jeweiligen Interessen an der Aussetzung und der sofortigen Vollziehung zu berücksichtigen und mit- wie gegeneinander abzuwägen. Insoweit bilden die Erfolgsaussichten mit den anderen hier bei der Interessenabwägung relevanten Gesichtspunkte zusammengenommen ein bewegliches System (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 13. Aufl. 2003, § 80 Rdnr. 158). Die demnach vorzunehmende umfassende Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall dazu, dass die aufschiebende Wirkung der Klage nicht wiederherzustellen ist. Die Klage des Antragstellers wird aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben. Denn gegen die Rechtmäßigkeit des Abrechnungs- und Rückforderungsbescheides des Antragsgegners vom 6. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Oberlandesgerichtes Celle vom 26. Juli 2004 bestehen nach der im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Zweifel. Auch sonstige Interessen des Antragstellers, die eine andere Entscheidung rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
Rechtsgrundlage für die in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Abrechnung und Rückforderung der Gebührenanteile für den Zeitraum 4. Quartal 2002 bis 3. Quartal 2003 in Höhe von 7.678,67 EUR ist § 49 Abs. 3 BBesG i. V. m. § 4 sowie § 2 der Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten im Gerichtsvollzieherdienst (GVEntschVO) vom 1. Dezember 1998 (Nds. GVBl. S. 703) i. d. F. der Änderungsverordnung vom 30. Juli 2004 (Nds. GVBl. S. 301). Nach § 49 Abs. 3 BBesG werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Abgeltung der den Gerichtsvollziehern für die Verpflichtung zur Einrichtung und Unterhaltung eines Büros entstehenden Kosten zu regeln; die Ermächtigung kann auf das zuständige Ministerium übertragen werden. In Ausfüllung dieser Ermächtigung hat das nach § 1 Nr. 6 a der Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen aufgrund bundesgesetzlicher Vorschriften vom 28. Juni 1999 (Nds. GVBl. S. 133) zuständige Niedersächsische Justizministerium die genannte Verordnung erlassen. Ihrer Rechtsnatur nach ist diese Bürokostenabgeltung eine Aufwandsentschädigung i. S. d. § 17 BBesG; durch die Einbeziehung in die Besoldung (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 BBesG) wird aber anerkannt, dass es sich um etwas anderes als reinen Aufwand handelt, nämlich um eine besondere Leistung im Grenzbereich zwischen Besoldung und Aufwandsentschädigung (Schwegmann/Summer, BBesG, Kommentar, Stand: März 2004, § 49 Rdnr. 6 f. m. w. N.).
Gegen die Gültigkeit der in § 49 Abs. 3 BBesG enthaltenen Ermächtigungsvorgaben bestehen insbesondere im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG keine Bedenken (VGH Mannheim, Urt. v. 14.12.1995 - 4 S 93/93 - <zitiert nach juris>). Der Aufwand wird nicht im Einzelfall abgerechnet, sondern - wie auch sonst bei Aufwandsentschädigungen - aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung in typisierender und pauschalierender Weise abgegolten. Zu beachten ist dabei, dass der Kostenansatz an den angefallenen notwendigen Sach- und Personalkosten auszurichten sowie realitätsnah festzusetzen ist. Ein bestimmtes Entschädigungsmodell ist gesetzlich nicht vorgegeben, fiktive Kosten dürfen entgegen der Ansicht des VGH München, auf die der Antragsteller sich beruft, jedoch nicht abgegolten werden. Möglich ist aber, dass die Aufwandsentschädigung im Ergebnis nach den im Durchschnitt tatsächlich angefallenen Sach- und Personalkosten festgesetzt wird (BVerwG, Urt. v. 19.8.2004 - 2 C 41.03 - <zitiert nach der bisher nur vorliegenden Pressemitteilung des BVerwG Nr. 50/2004 v. 19.8.2004>; VGH Mannheim, Urt. v. 5.10.1999 - 4 S 43/97 -; Urt. v. 14.12.1995 - 4 S 93/93 -, a. a. O.). Das Bundesverwaltungsgericht hat mit dem genannten Urteil vom 19. August 2004 die gegenteilige Ansicht des VGH München (Beschluss vom 5. September 2003 - 3 B 02.2263-66 -, DGVZ 2003, 170) ausdrücklich verworfen. Des Weiteren enthält § 49 Abs. 3 BBesG nicht nur eine Ermächtigung zum Verordnungserlass, sondern verpflichtet den Dienstherrn zur regelmäßigen Entschädigung der angefallenen notwendigen Kosten eines Gerichtsvollzieherbüros. Für die Richtigkeit des in der genannten Verordnung festgesetzten Gebührenanteils kommt es mithin nur darauf an, ob insgesamt - also unter Berücksichtigung der Sach- und Personalkosten - im Durchschnitt eine vollständige Deckung der für die Einrichtung und Unterhaltung eines Gerichtsvollzieherbüros entstehenden Kosten erzielt wird.
Aufgrund einer summarischen Prüfung geht die Kammer entgegen der Ansicht des Antragstellers davon aus, dass durch die in §§ 1 und 2 GVEntschVO getroffene Entschädigungsregelung im Durchschnitt eine vollständige Deckung der für die Einrichtung und Unterhaltung eines Gerichtsvollzieherbüros entstehenden Kosten erzielt wird und somit die Vorgaben und Grenzen der bundesrechtlichen Ermächtigungsnorm des § 49 Abs. 3 BBesG eingehalten werden.
Gegen die in § 2 Abs. 2 GVEntschVO festgelegte jeweilige rückwirkende Festsetzung des Gebührenanteils bestehen keine Bedenken, weil es sich insoweit um noch nicht abgeschlossene Sachverhalte handelt, so dass eine zulässige sog. unechte Rückwirkung vorliegt. Da der Antragsteller wegen der in der GVEntschVO geregelten Vorläufigkeit und auch - wie in den Vorjahren - wegen des Hinweises im Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums vom 13. März 2002 auf die Änderung hinreichend vorbereitet sein musste, ist ihm durch diese unechte Rückwirkung ein unzumutbarer Vertrauensschaden nicht entstanden. Auch der Einwand des Antragstellers, dem Alimentationsgrundsatz sei immanent, dass rückwirkende Besoldungsverschlechterungen unzulässig seien, greift nicht durch. Bei der Bürokostenentschädigung handelt es sich zwar durch die Einbeziehung in § 1 Abs. 2 Nr. 5 BBesG formal um einen Teil der Besoldung. Dieser Teil der Besoldung unterliegt aber als Sonderfall der Aufwandsentschädigung i. S. d. § 17 BBesG den besonderen Regelungen des § 49 Abs. 3 BBesG und der GVEntschVO.
Auch der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand des Antragstellers, die praktizierte rückwirkende Festsetzung der Bürokostenentschädigung führe zu steuerlichen Nachteilen, weil er die Entschädigung zunächst nur vorläufig einbehalte, im Jahr des Einbehaltes aber bereits versteuern müsse, was im Fall eines relativ hohen Einkommens in diesem Jahr gegenüber dem Folgejahr zu einem finanziellen Nachteil führe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Antragsgegner weist insoweit zu Recht darauf hin, dass angesichts der allgemeinen Einkommensentwicklung im Regelfall nicht von sinkenden Einkommen im Folgejahr ausgegangen werden kann.
Des Weiteren ist nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich, dass der in der GVEntschV in der aktuellen Fassung festgelegte prozentuale Gebührenanteil für den hier streitigen Zeitraum nicht auf einer tragfähigen Grundlage ermittelt worden wäre, so dass die der GVEntschVO zugrundeliegenden Durchschnittswerte keine sachgerechte Basis für die Entschädigungsansprüche des Antragstellers bildeten. Die streitgegenständlichen Durchschnittswerte sind aus einer repräsentativen bundesweiten Erhebung gewonnen worden. Es ist weder vom Antragsteller im vorliegenden Verfahren oder im Klageverfahren 1 A 9/03, auf das er sich hinsichtlich seines Vorbringens bezieht, hinreichend dargelegt noch aber sonst ersichtlich, dass die für den streitgegenständlichen Zeitraum festgesetzte Entschädigung nicht an den angefallenen notwendigen Sach- und Personalkosten ausgerichtet und realitätsnah festgesetzt wäre. Vielmehr übt der Antragsteller nur pauschal Kritik an der vorgenommenen Absenkung der Gebührenanteile, ohne durch Darlegung und Vorlage entsprechender Berechnungen und Unterlagen aufzuzeigen, dass ein „durchschnittlicher Gerichtsvollzieher“ auch angesichts des pauschal vorgetragenen größeren Büroaufwandes aus den ihm zugestandenen Gebührenanteilen seinen tatsächlich entstandenen Aufwand nicht angemessen decken kann. Der Antragsgegner hat im Klageverfahren 1 A 9/03, auf das auch er sich hinsichtlich seines Vorbringens bezieht, nachvollziehbar dargelegt, dass das zum 1. Mai 2001 in Kraft getretene neue Gerichtsvollzieherkostengesetz vom 17. April 2001 (BGBl. I S. 623) gegenüber den Vorjahren zu erheblichen Mehreinnahmen geführt hat (35.226,225 DM im Jahr 2001 gegenüber 28.727.639 DM im Jahr 2000 und 28.939.490 DM im Jahr 1999). Die vorgenommene Reduzierung des den Gerichtsvollziehern zustehenden Gebührenanteils führt angesichts dieser deutlich gestiegenen Gebühreneinnahmen bei einem nur geringfügig geänderten Pensum im Ergebnis nicht dazu, dass sich die Bürokostenentschädigung für ein durchschnittliches Büro im Verhältnis zu den Vorjahren absolut gesehen reduziert. Die durchschnittlichen Gebühreneinnahmen eines Gerichtsvollziehers betrugen nach den unbestrittenen Darlegungen des Antragsgegners in Niedersachsen im Jahr 2001 85.918 DM, während sich die durchschnittlichen Schreibauslagen auf 8.986 DM beliefen. Auf der Grundlage eines Gebührenanteiles für das Jahr 1991 von 67,91 v. H. ergibt sich nach der vom Antragsgegner nachvollziehbar dargelegten Berechnung ein Gesamtbetrag der durchschnittlich gewährten Bürokostenentschädigung in Höhe von 67.332,91DM für das Jahr 2001. Eine im Jahr 2001 durchgeführte bundesweite Erhebung hat hingegen ergeben, dass die durchschnittlichen Ausgaben eines Gerichtsvollziehers für Bürokosten insgesamt, d. h. für Sach- und Personalkosten, lediglich bei 32.641 DM lagen. Mithin lag für ein durchschnittliches Gerichtsvollzieherbüro sogar eine erhebliche Überentschädigung vor. Dass diese Zahlen nicht zur Grundlage auch für den hier streitigen Zeitraum genommen werden können, ist nicht ersichtlich.
Etwas anderes folgt insbesondere nicht aus dem von den Beteiligten vorgelegten und im Auftrag des Deutschen Gerichtsvollzieherbundes e. V. erstellten Gutachten der „Roland Berger - Strategy Consultants“ vom Juli 2001. Denn dieses Gutachten hat zum einen Zahlen aus dem Jahr 2000 zur Grundlage und basiert zum zweiten auf der Annahme eines idealtypisch eingerichteten Büros eines Gerichtsvollziehers, während die - nach dem oben Gesagten allein maßgebliche - tatsächliche Ausstattung eines durchschnittlich eingerichteten Büros vielfach hinter diesen Annahmen zurückbleibt.
Da der Antragsteller nicht hinreichend dargelegt hat, dass die ihm im streitgegenständlichen Zeitraum verbliebene individuelle Entschädigung entgegen diesen Annahmen zur Unterhaltung seines Büros nicht ausreichend gewesen ist, bedurfte es auch keiner Härtefallregelung nach § 3 Abs. 7 GVEntschVO.
Auch sonst sind durchgreifende Interessen des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides verschont zu bleiben, nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht dargelegt, dass die Einziehung des den Streitgegenstand dieses Verfahrens bildenden Rückforderungsbetrages sowie die Einziehung des Rückforderungsbetrages des Parallelverfahrens 1 B 57/04 in Höhe von 5.791,87 EUR für den Antragsteller zu einer existenzbedrohenden Situation führen würde.
Schließlich hat das Oberlandesgericht Celle als Widerspruchsbehörde die sofortige Vollziehung des angefochtenen Abrechnungs- und Rückforderungsbescheides des Antragsgegners vom 6. Januar 2004 in einer den Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise hinreichend unter Hinweis auf die Erfordernisse eines geordneten Haushaltsvollzuges begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 1, 52 Abs. 3 GKG. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt der Streitwert in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 2004 (dort Ziffer 1.5) bei auf bezifferte Geldleistungen gerichteten Verwaltungsakten ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes, hier mithin ein Viertel von 7.678,67 EUR.