Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 08.10.2004, Az.: 1 A 179/04

Aufstiegsausbildung; Beförderungssperre; Bewährung; Disziplinarmaßnahme; Eignung; Geldbuße; persönliche Eignung; Verweis; Zulassung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
08.10.2004
Aktenzeichen
1 A 179/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50759
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eignung und Bewährung iSv § 17 Abs. 5 PolNLVO werden nicht generell schon dadurch ausgeschlossen, dass ein Polizeibeamter in einem Disziplinarverfahren mit einer Geldbuße belegt worden ist.

2. Ein Erlass, der das Fehlen der erforderlichen Eignung bei Belegung "mit einer härteren Disziplinarmaßnahme als einem Verweis" für die Dauer der Verwertbarkeit der Maßnahme bindend vorgibt, steht im Widerspruch zum Gesetzeszweck des § 8 NDO.

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Zulassung zum Aufstieg in den gehobenen Dienst der Schutzpolizei.

2

Er wurde durch Verfügung vom 25. Oktober 1996 gem. § 17 a Abs. 1 PolNLVO zum Aufstieg in den gehobenen Dienst der Schutzpolizei zugelassen, da er die in der Verordnung genannten Voraussetzungen - u.a. die Eignung nach seinen fachlichen Leistungen, seinen Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit - erfüllte. Mit Erlass vom 30. Oktober 2003 wurde gegen ihn aus disziplinarischen Gründen eine Geldbuße von 200 EUR verhängt. Aus diesem Grunde beschloss die Auswahlkommission für den Lehrgangsaufstieg am 23. Januar 2004, „in Anwendung des Erlasses MI 22.3-03040/LA vom 09.08.1996 gem. Ziff. III Abs. 2“ die erfolgte Zulassung zu widerrufen, was dem Kläger mit Bescheid vom 27. Januar 2004 mitgeteilt wurde.

3

Sein dagegen gerichteter Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 9. März 2004 mit der Begründung zurückgewiesen, nach dem Schnellbrief-Erlass des MI vom 9. August 1996 sei festgelegt, dass bei abgeschlossenen Disziplinarverfahren „mit einer härteren Disziplinarmaßnahme als einem Verweis nach Einzelfallprüfung“ die Eignung in der Regel nicht bestehe und die Bewerbung in solchen Fällen abzulehnen sei. Die bei der Bezirksregierung eingesetzte Auswahlkommission habe daher am 23. Januar 2004 entschieden, die Zulassung des Klägers zu widerrufen, was durch den angefochtenen Bescheid geschehen sei.

4

Zur Begründung seiner nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren am 6. April 2004 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, der gegen ihn ursprünglich einmal erhobene Betrugsverdacht habe sich nicht erhärten lassen, weshalb das Vorermittlungsverfahren nur noch wegen Ausweitung einer genehmigten Nebentätigkeit fortgeführt worden sei. Die deshalb verhängte Gehaltskürzung von 1/20 für 6 Monate sei auf seine Beschwerde hin aufgehoben und durch die bestandskräftige Beschwerdeverfügung des Nds.Ministerium zu einer Geldbuße von 200 EUR abgeändert worden. Der Widerruf seiner Zulassung lasse sich bei dieser Lage der Dinge nicht halten, u.zw. deshalb, weil § 8 NDO ausdrücklich regele, dass Verweis und Geldbuße bei Bewährung einer Beförderung nicht entgegenstehen dürften. Der Schnellbrief-Erlass stehe dazu im Widerspruch und enthalte eine allgemeine, absolut wirkende Beförderungssperre, da nach seinen Regelungen eine Geldbuße unabhängig von der sonstigen Bewährung der Eignung entgegen stehe. Da die Aufstiegszulassung ein notwendiges Durchgangsstadium für eine Beförderung sei, komme dem Widerruf der Zulassung die Wirkung einer Beförderungssperre zu. Die erforderliche Einzelfallbetrachtung sei nicht erfolgt. Allein die Tatsache der Verhängung einer Geldbuße sei hier für den Widerruf der Zulassung bestimmend gewesen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2004 und den Widerspruchsbescheid vom 9. März 2004 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er meint unter Bezug auf die angefochtenen Bescheide, der Widerruf der Zulassung sei rechtmäßig.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Über die zulässige Klage kann im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) durch den Vorsitzenden als Einzelrichter entschieden werden.

12

Die Klage hat Erfolg.

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Denn der angefochtene Bescheid ist in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, rechtswidrig. Der Kläger wird dadurch in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 VwGO.

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1. Zunächst einmal ist es so, dass der von der Beklagten in Anspruch genommene, unveröffentlichte Schnellbrief-Erlass vom 9. August 1996 - 22.3-03040/LA (VORIS 20411011603013) offensichtlich ungültig ist. Denn der Automatik gemäß 5.1 GemRdErl. d. StK u. d. übrg. Min. vom 1. Februar 2004 (Nds.MBl. S. 109 / Nds. Rpfl. S. 121) zufolge ist er inzwischen außer Kraft getreten. Das gilt auch für den nachfolgenden Erlass vom 18. August 1997 (VORIS 20411011603014), PolNBl. 1997, S. 83.

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2. Hiervon abgesehen hat sich der Kläger nicht iSv § 17 Abs. 5 PolNLVO als ungeeignet „erwiesen“, so dass seine Zulassung auch nicht widerrufen werden konnte.

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Eignung und Bewährung des Klägers werden nicht schon generell dadurch ausgeschlossen, dass er disziplinar mit einer Geldbuße belegt worden ist. Auch die im angefochtenen Bescheid angenommene Beschränkung solcher Nichteignung auf die 3-jährige Tilgungszeit (§ 119 Abs. 1 NDO) schließt die Annahme nicht aus, der Kläger habe sich bewährt und sei weiterhin für einen Aufstieg geeignet.

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Ohne das Persönlichkeitsbild des Klägers auch nur annähernd zu würdigen, ist der Kläger allein deshalb für ungeeignet befunden worden, weil er „aus disziplinarischen Gründen mit einer Geldbuße in Höhe von 200 € belegt worden“ ist (so der Bescheid v. 27.1.2004, Abs. 2). Soweit sich die Beklagte dafür im Widerspruchsbescheid und im Klageverfahren auf den gen. Schnellbrief-Erlass beruft, geht das fehl. Schon die durch den Erlass vorgegebene und von der Beklagten infolgedessen im vorliegenden Verfahren befolgte Nichtbetätigung des Ermessens stellt einen „schweren Rechtsfehler“ dar (so Köhler/Ratz, BDO-Kommentar, 2. Aufl., § 8 Rdn. 1). Denn gerade bei Verweis und Geldbuße ist eine Bewährung und Eignung weiterhin in Betracht zu ziehen, ohne dass diese disziplinaren Maßnahmen schon generell entgegen stehen.

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Die Regelungen des gen. Erlasses stehen - wie der Kläger zu Recht darlegt - im Widerspruch zu § 8 NDO (ebenso § 8 BDO) und seinem Sinn und Zweck. Sie sind in ihrer abstrakt-verbindlichen Form einer Anweisung daher rechtswidrig. In Abschnitt III des Erlasses heißt es:

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4. Verfahren bei Zweifeln an der persönlichen Eignung

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Der Begriff der Eignung ist das umfassendste Qualifikationsmerkmal, das die ganze Persönlichkeit der Bewerberinnen oder des Bewerbers über rein fachliche Gesichtspunkte hinaus erfaßt. Die Eignung für die Wahrnehmung der Ämter des gehobenen Polizeivollzugsdienstes kann nach Einzelfallprüfung in der Regel nicht bei laufendem Straf- bzw. Disziplinarverfahren nachgewiesen werden. Eine abschließende Entscheidung über die Bewerbung erfolgt daher in diesen Fällen in der Regel erst nach Abschluß des Straf- bzw. Disziplinarverfahrens.

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Von einer fehlenden Eignung kann in der Regel ausgegangen werden, wenn die Beamtin oder der Beamte z.B. in einem rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens verurteilt wurde oder in einem rechtskräftig abgeschlossen Disziplinarverfahren mit einer härteren Disziplinarmaßnahme als einem Verweis belegt wurde. Die Beamtin oder der Beamte ist für die Dauer der Verwertbarkeit der Maßnahme zum Aufstieg ungeeignet. Die Bewerbung um Zulassung zum Aufstieg ist abzulehnen.

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Wenn eine Aufstiegsbewerberin oder ein Aufstiegsbewerber bereits zum Aufstieg zugelassen ist und gegen die Beamtin oder den Beamten ein Straf- oder Disziplinarverfahren anhängig ist, wird die Entsendung zum nächsten Ausbildungsabschnitt bis zum Abschluß des Verfahrens aufgeschoben. In schwerwiegenden Fällen, d.h. wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Zulassung gemäß § 17 Abs. 5 PolNLVO zu widerrufen ist, ist die Abordnung zum Lehrgang aufzuheben bzw. die Fortsetzung der Ausbildung auszusetzen.

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Kann eine sichere Feststellung über den nachträglichen Wegfall der Eignung getroffen werden, z.B. für den Fall, daß die Beamtin oder der Beamte in einem rechtskräftig abgeschlossen Strafverfahrens wegen eines Vergehens oder Verbrechens verurteilt oder in einem rechtskräftig abgeschlossenen Disziplinarverfahren mit einer härteren Disziplinarmaßnahme als einem Verweis belegt wurde, ist die Zulassung zum Aufstieg gemäß § 17 Abs. 5 PolNLVO zu widerrufen, da sich die Beamtin oder der Beamte als ungeeignet erwiesen hat. In jedem Fall ist nach Abschluß der Verfahren nach Abwägung aller Gesichtspunkte über die persönliche Eignung zu entscheiden.

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Die vorgenannten Regelungen messen sich eine Verbindlichkeit und Geltung zu („ist ... zu widerrufen, da sich... erwiesen hat„), die mit der Rechtsordnung (Schuldprinzip / Verhältnismäßigkeitsgrundsatz / Übermaßverbot, vgl. dazu BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 19.2.2003 - 2 BvR 1413/01 -) und speziell mit § 8 NDO nicht im Einklang stehen. Die durch den Erlass festgelegte und zu befolgende Regel, dass jeder Beamte, der mit einer „härteren Disziplinarmaßnahme als einem Verweis“ belegt wurde, ungeeignet sei und diese Ungeeignetheit „für die Dauer der Verwertbarkeit der Maßnahme“ ohne jede Einschränkung Geltung haben soll, widerspricht § 8 NDO, der seinerseits nicht nur den Verweis, sondern auch die Geldbuße als Disziplinarmaßnahme bei Bagatellverfehlungen hinsichtlich einer Beförderung regelt und ausdrücklich privilegiert. Im Kommentar von Claussen/Janzen zur BDO, 7. Aufl., § 8 Rdn. 1, heißt es:

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„Die Dienstvorgesetzten dürfen mithin allgemeine, absolut wirkende oder - gestaffelt - zeitlich begrenzte Beförderungssperren als Nebenfolgen von Verweis und Geldbuße nicht mehr verhängen.“

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Mit der bindend vorgegebenen Ungeeignetheit eines jeden Beamten für die Dauer der Verwertbarkeit der Maßnahme (so der gen. Erlass), der nicht mit einem Verweis, aber mit einer Geldbuße belegt worden ist, wird jedoch eine Beförderungssperre verhängt und so die gesetzliche Bestimmung des § 8 NDO unterlaufen und ausgehöhlt, u.zw. durch einen im Range unter dem Gesetz stehenden Erlass. Das ist rechtsstaatlich nicht möglich.

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Dabei ist davon auszugehen, dass sich schon die Versagung der Aufstiegsausbildung als Beförderungssperre darstellt, die nach § 8 NDO unzulässig ist. Denn gem. § 3 Abs. 2 PolNLVO ergänzen sich der gehobene und der höhere Dienst (überwiegend) durch Aufstiegsbeamte, die allein nach dem Leistungsgrundsatz (§ 8 NBG, § 3 Abs. 1 PolNLVO) unter Zurückstellung der Tatsache sog. Bagatellverfehlungen, wie sie Verweis und Geldbuße regelmäßig darstellen (Köhler/Ratz, aaO., Rdn. 3), ausgewählt werden sollen. Dem Kläger die Aufstiegsausbildung pauschal vorzuenthalten, bedeutet zugleich, ihn von jeder weiteren Beförderung auszuschließen.

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Soweit der Beklagte in seiner ergänzenden, in Klammern gesetzten Widerspruchsbegründung (unter Bezug auf ein wenig einschlägiges Urteil des BVerwG, NVwZ-RR 1989, 32 [BVerwG 13.05.1987 - BVerwG 6 C 32.85]) ganz allgemein darauf verweist, dass auch auf der Grundlage des § 8 NDO die einer Geldbuße zugrundeliegenden Verhaltensweisen Auswirkungen auf eine Beförderungsentscheidung nach allgemeinem Beamtenrecht - unter dem Gesichtspunkt des Leistungsgrundsatzes - haben können, ist für den vorliegenden Rechtsstreit zu unterstreichen, dass derartige Erwägungen hier gerade unterblieben sind. Maßgebend war hier allein eine durch den o.a. Erlass vorgegebene - rechtlich unzulässige - Bindung an die Tatsache der Disziplinarmaßnahme in Form einer Geldbuße.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.