Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.03.2023, Az.: 16 U 572/22

Deliktische Haftung des Fahrzeugherstellers bei bewußtem Verbau einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware unter Täuschung im EG-Typengenehmigungsverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
10.03.2023
Aktenzeichen
16 U 572/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 21900
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 21.11.2022 - AZ: 2 O 121/22

Tenor:

  1. 1.

    Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis 3.000,00 EUR festgesetzt.

  2. 2.

    Es wird erwogen, die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 21. November 2022 durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

  3. 3.

    Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme - und zur evtl. Rücknahme der Berufung aus Kostengründen - innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Der Senat beabsichtigt nach vorläufiger Beratung, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern nicht eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten. Zudem hat die Berufung nach vorläufiger Beurteilung aus folgenden Gründen offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung, die angegriffen wird, auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Zur Überzeugung des Senats liegen solche Berufungsgründe nicht vor. Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Im Einzelnen:

1. Es kommt zwar, wenn unter Täuschung im EG-Typengenehmigungsverfahren bewusst eine unzulässige Motorsteuerungssoftware verbaut wird, eine deliktische Haftung des Herstellers nach §§ 826, 31 BGB grundsätzlich in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, VI ZR 367/19, VI ZR 397/19 sowie VI ZR 5/20 und vom 19. Januar 2021 - VI ZR 8/20; jew. juris; vgl. auch OLG Celle, Urteile vom 20. November 2019 - 7 U 244/18, juris Rn. 26 ff. und vom 22. Januar 2020 - 7 U 445/18, juris).

2. Im Streitfall kann jedoch dahinstehen, ob es zu einer sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte gekommen ist. Denn jedenfalls hat der Kläger keinen Schaden (mehr).

a) Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Dabei kommt es darauf an, den Geschädigten wirtschaftlich möglichst so zu stellen, wie er ohne das schadenstiftende Ereignis stünde (BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041 Rn. 13). Nach diesen Grundsätzen kann ein Geschädigter, der durch ein deliktisches Handeln eines Dritten, das einer bewussten arglistigen Täuschung gleichsteht, zum Abschluss eines Kaufvertrags bestimmt worden ist, von diesem verlangen, so gestellt zu werden, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Die deliktische Haftung erfasst dabei nicht das Erfüllungsinteresse oder positive Interesse, weil sie nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft. Sie beschränkt sich vielmehr auf das Erhaltungsinteresse und damit das negative Interesse. Der durch eine unerlaubte Handlung Geschädigte hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, besser zu stehen, als er stünde, wenn der Schädiger die unerlaubte Handlung nicht begangen hätte (BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, aaO, Rn. 14 f.).

Liegt die Schädigung in dem Abschluss eines Kaufvertrags über ein bemakeltes Kraftfahrzeug (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44 ff.), ist der Geschädigte nicht darauf beschränkt, gegen die Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und sonstiger Vorteile die Kaufsache herauszugeben. Er kann die Kaufsache behalten. Als Schaden kann er dann den Betrag ersetzt verlangen, um den er den Kaufgegenstand - gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung - zu teuer erworben hat. Der Geschädigte wird damit so behandelt, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Da es sich hierbei nur um die Bemessung des verbliebenen Vertrauensschadens und nicht um die Frage einer Anpassung des Vertrags handelt, braucht der Geschädigte in diesem Fall entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht nachzuweisen, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte (BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, aaO Rn. 16 ff., 21).

Beim kleinen Schadensersatz wird der zu ersetzende Vertrauensschaden auf die berechtigten Erwartungen des Geschädigten reduziert, die durch den zustande gekommenen Vertrag nicht befriedigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2006 - V ZR 264/05, BGHZ 168, 35 Rn. 21 mwN). Bei einem Kaufvertrag geschieht dies durch die Herabsetzung der Leistung des Geschädigten auf das tatsächlich angemessene Maß. Der Geschädigte wird damit so behandelt, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Sein Schaden ist danach der Betrag, um den er den Kaufgegenstand zu teuer erworben hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, aaO Rn. 16). Maßgeblich für die Bemessung dieses "kleinen Schadensersatzes" ist grundsätzlich der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH, Urteile vom 6. Februar 2018 - II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 20; vom 25. September 2018 - II ZR 27/17, juris Rn. 11).

Folglich kann der Geschädigte den Schaden ersetzt verlangen, der dadurch entstanden ist, dass er infolge des vorsätzlichen sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten einen Kaufvertrag über das Fahrzeug geschlossen hat, bei dem der objektive Wert der Gegenleistung (des Fahrzeugs) den objektiven Wert ihrer Leistung (des Kaufpreises) nicht erreicht. Abweichend von der allgemeinen Regel, dass es für die Berechnung des konkreten Schadens - sofern der Schuldner nicht bereits vorher seine Ersatzpflicht erfüllt - grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ankommt, ist für die Bemessung des sogenannten kleinen Schadensersatzes dabei grundsätzlich zunächst der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Dies schließt eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Rahmen der Vorteilsausgleichung nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2018 - II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 21).

Dabei können nach den im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten diejenigen Vorteile anzurechnen sein, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Dass der Geschädigte in diesem Fall, anders als im Falle der Geltendmachung des großen Schadensersatzes, nicht einen ungünstigen Vertrag rückabwickeln, sondern die Differenz zwischen dem Wert seiner Leistung und der Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liquidieren will, ändert an der Rechnungseinheit zwischen einerseits dem von ihm gezahlten Kaufpreis und andererseits dem Nutzungswert und tatsächlichen Restwert des Kraftfahrzeugs nichts. Denn bei der Bemessung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist insbesondere das Risiko der Betriebsuntersagung oder -beschränkung einzubeziehen. Hat sich dieses wertbestimmende Risiko bis zum Ende der Gesamtlaufzeit des Fahrzeugs nicht verwirklicht, muss dieser Umstand im Wege der Vorteilsausgleichung Berücksichtigung finden (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21, juris 20).

Allerdings sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs auf den Anspruch auf kleinen Schadensersatz erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21, aaO Rn. 22).

b) Als tatsächlicher Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags kann die Annahme des Klägers unterstellt werden, das Fahrzeug habe einen Minderwert von 25% aufgewiesen. Das ergibt einen tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags in Höhe von 7.125 EUR.

Hiervon sind zunächst die Nutzungsvorteile in Höhe von 1.140,14 EUR abzuziehen (9.500 EUR [Kaufpreis] x 27.725 km [Laufleistung: 50.878 km - 23.153 km]: 226.847 km [Erwartete Restlaufleistung: 250.000 km - 23.153 km). Außerdem ist ein Restwert des Fahrzeugs in Höhe von ca. 8.500,00 EUR in Abzug zu bringen. Bei seiner Schätzung (§ 287 ZPO) stützt sich der Senat auf die internetbasierte Wertermittlung der Deutschen Automobil Treuhand GmbH (DAT), die anhand von konkreten individualen Faktoren (Standort; Fahrzeugdaten [Erstzulassung; Laufleistung; Modell; Fahrzeugtyp; Motor und Antrieb; Ausführung und Version]) für das streitgegenständliche Fahrzeug einen Fahrzeugwert von 8.500,00 EUR angibt. Soweit man die Nutzungsvorteile (1.140,14 EUR) und den Restwert (8.500,00 EUR) von dem tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (7.125,00 EUR) abzieht, ergibt dies einen überschießenden Betrag von 2.515,14 EUR, der auf den kleinen Schadensersatz (2.375,00 EUR) anzurechnen ist, so dass kein Schaden verbleibt.

3. Mangels Schadens kann der Kläger auch nicht die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen.

4. Nach alledem hat die Berufung des Klägers keine Aussicht auf Erfolg. Er sollte deshalb erwägen, seine Berufung zurückzunehmen.