Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 20.02.2012, Az.: S 14 R 14/12 ER

Anspruch eines Leiharbeitnehmer auf einen höheren Entgeltanspruch aufgrund des Equal-Pay-Grundsatzes auch für die Vergangenheit

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
20.02.2012
Aktenzeichen
S 14 R 14/12 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 39575
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2012:0220.S14R14.12ER.0A

Tenor:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgewiesen. Die Antragstellerin trägt die gerichtlichen Kosten des Verfahrens. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Der Streitwert wird auf EUR 55.016,63 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Bescheid, mit dem insgesamt 110.033,25 EUR im Rahmen einer Betriebsprüfung nachgefordert werden.

Die Antragstellerin - eine GmbH - betreibt ein Gewerbe im Bereich der Personaldienstleistungen. Hierzu überlässt sie Arbeitnehmer an andere Unternehmen auf Basis des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Die überlassenen Arbeitnehmer der Antragstellerin waren auf der Basis der mit der Tarifgemeinschaft E. (F). geschlossenen Tarifverträge beschäftigt. Dabei zahlte die Antragstellerin ihren Arbeitnehmern, die an andere Unternehmen überlassen wurden, geringere Löhne als die nach ihrer Tätigkeit vergleichbaren Stammmitarbeiter in den entleihenden Unternehmen erhielten.

Mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10, [...]) wies das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg vom 7.12.2009 zurück, dass in einem Verfahren nach § 97 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) die Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft E.F). festgestellt hatte.

Daraufhin führte die Antragsgegnerin in der Zeit vom 24.05.2011 bis 29.11.2011 eine Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom 01.10.2007 bis zum 31.12.2009 bei der Antragstellerin durch. Sie kam zu dem Ergebnis, dass durch die unterschiedliche Entlohnung der Leiharbeitnehmer im Verhältnis zur Stammbelegschaft der entleihenden Unternehmen § 10 Abs. 4 AÜG verletzt sei. Beiträge zur Sozialversicherung seien daher auf Grundlage der Differenz zwischen den von der Antragstellerin gemeldeten Arbeitsentgelt und dem vergleichbaren Arbeitsentgelt eines Stammarbeitnehmers in dem jeweiligen Entleiherbetrieb und Überlassungszeitraum für jeden Leiharbeitnehmer nach zu erheben.

Auf Basis dessen ermittelte die Antragsgegnerin einen Nachforderungsbetrag von insgesamt 110.033,25 EUR, den sie mit Bescheid vom 02.12.2011 nachforderte.

Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 21.12.2011 Widerspruch.

Am 11.01.2012 hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie ist der Auffassung, der Bescheid der Beklagten sei rechtswidrig. Zunächst gelte die Feststellung der Tarifunfähigkeit der F. im Beschluss des BAG ausdrücklich nur für die Gegenwart und Zukunft, nicht aber für den vorliegend relevanten - in der Vergangenheit liegenden - Zeitraum. Es fehle auch einer Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung, da ein "Equalpay" - Anspruch nach § 10 Abs. 4 AÜG erst nachträglich entstanden sein könne und nicht bereits im Zeitpunkt der Tätigkeit selbst. Ferner sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin Beiträge im Vertrauen auf eine bisherige Rechtslage mit Billigung der Sozialversicherungsträger ordnungsgemäß abgeführt hat. Schließlich bedeute die Vollziehung des Beitragsbescheides eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte, da der Antragstellerin hierdurch die Insolvenz drohe.

Die Antragstellerin hat zunächst beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 20.12.2011 gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 02.12.2011 anzuordnen.

Nachdem die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2012 zurückgewiesen hat, beantragt die Antragstellerin nunmehr,

aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 02.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2012 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Bescheid vom 02.12.2011 sei rechtmäßig. Angesichts der BAG - Entscheidung gebe es keine Argumente oder Anhaltspunkte dafür, dass die F. in der Vergangenheit tariffähig gewesen sein könnte. Die F. sei deshalb keine tariffähige Organisation, weil sich ihre Mitgliedergewerkschaften nicht im Umfang ihrer Tariffähigkeit zusammengeschlossen hätten. Die vom BAG benannten Aspekte hätten bereits von Beginn der Tätigkeit der F. vorgelegen. Es stehe daher fest, dass die F. zu keinem Zeitpunkt und speziell auch nicht während des Prüfzeitraumes tariffähig war. Auch habe die BAG - Entscheidung nicht erst die Tariffähigkeit der F. beendet, sondern die Tarifunfähigkeit lediglich deklaratorisch festgestellt. Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte durch die Vollziehung des Bescheids sei nicht glaubhaft gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Grundlage der Entscheidung des Gerichts geworden.

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 19.12.2011, mit dem die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2012 bezüglich einer Beitragsforderung in Höhe von 110.033,25 EUR für den Zeitraum vom 01.10.2007 bis 31.12.2009 begehrt, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

1. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86 b Abs. 3 SGG ist der Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG schon vor Klageerhebung zulässig. Hierunter fällt das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin. Eine Klage der Antragstellerin hätte nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, da der Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.12.2011 die Beitragspflicht und -höhe zur gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung feststellt und die Antragstellerin zur entsprechenden Nachzahlung verpflichtet.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Das Gericht entscheidet über den Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nach pflichtgemäßem Ermessen aufgrund einer Interessenabwägung. Voraussetzung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht ist, dass das private Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug eines Bescheides überwiegt.

Der Gesetzgeber hat dabei durch den ausdrücklichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug höher eingeschätzt als das Privatinteresse an der vorläufigen Befreiung von der Leistungspflicht.

Hat daher eine Klage nicht schon von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung, soll gemäß § 86a Abs. 3 SGG die Behörde diese bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Diese Maßstäbe gelten in gleicher Weise mit Blick auf die Abwägungsentscheidung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage durch das Gericht nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG - Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn. 12b).

a) Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) sowie mehrerer Landesarbeitsgerichte kann nach Ansicht der Kammer bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens regelmäßig nur summarischen Prüfung nicht festgestellt werden, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheides bestehen, die das Interesse der Antragstellerin gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin überwiegen lassen.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bestehen, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfes im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg (vgl. LSG Nordrhein - Westfalen, Beschl. v. 17.01.2005, L 2 B 9/03 KR ER). Ist die Rechtwidrigkeit des Verwaltungsaktes offensichtlich, überwiegt das Aussetzungsinteresse. Bei offenen Erfolgsaussichten hat eine allgemeine Abwägung der beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten stattzufinden. Hierbei haben die privaten Belange des Interesses an der Aussetzung der Vollziehung in der Regel mehr Gewicht, wenn der Klageerfolg überwiegend wahrscheinlich ist (Wehrhahn in Breitkreuz/Fichte, SGG, § 86 b, Rn 45). Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht gegeben.

aa) Nach § 28 p Absatz 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen und erlassen nach Absatz 1 Satz 5 der Vorschrift im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gegenüber den Arbeitgebern.

Die Antragsgegnerin hat durch den Beitragsbescheid vom 20.12.2011 eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die bei der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmer im Zusammenhang mit der Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft F. festgestellt und für den Zeitraum vom 01.10.2007 bis 31.12.2009 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt EUR 110.033,25 nachgefordert. Die Höhe der Forderung ergab sich aufgrund des sogenannten Equal-Pay-Grundsatzes.

Diese Feststellungen begegnen jedenfalls nach summarischer Betrachtung keinen Einwänden.

bb) Hinsichtlich der Tarifgemeinschaft der F. hat das BAG mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10) festgestellt, dass die Tariffähigkeit einer von Gewerkschaften gebildeten Spitzenorganisation im Sinne des § 2 Absatz 3 TVG voraussetzt, dass deren Organisationsbereich mit dem ihrer Mitgliedergewerkschaften übereinstimmt. Die sich zu einer Spitzenorganisation nach § 2 Absatz 2 und 3 TVG zusammenschließenden Arbeitnehmerkoalitionen müssen selbst tariffähig sein. Dies setzt die Tariffähigkeit von sämtlichen das Tarifgeschehen der Spitzenorganisation bestimmenden Gewerkschaften voraus. U.a. hat das BAG die Tariffähigkeit der C. in diesem Beschluss verneint.

Zu prüfen ist, ob die bei der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis auf einem mit der F. geschlossenen Tarifvertrages begründet wurde, (auch) für die Vergangenheit einen höheren Entgeltanspruch aufgrund des Equal-Pay-Grundsatzes nach §§ 9 Nr. 2, 10 Absatz 4 AÜG haben mit der Folge, dass, wie die Antragsgegnerin festgestellt und durch Bescheid gefordert hat, höhere Beiträge zur Sozialversicherung nach zu erheben sind. Von dem Grundsatz des Equal-Pay, der gesetzlich verankert ist, kann nur dann abgewichen werden, wenn ein entsprechender Tarifvertrag zur Anwendung kommt.

Durch den Beschluss des BAG war die Tariffähigkeit der F. verneint worden, mit der Folge, dass mit dem in dem Beschluss festgestellten gegenwärtigen Zeitpunkt der zugrunde liegende Tarifvertrag unwirksam war. Damit hängt der Nachforderungsanspruch der Antragsgegnerin davon ab, ob dies auch für die Vergangenheit gilt, also die von der C. geschlossenen Tarifverträge auch für die Vergangenheit wegen einer rechtskräftig festgestellten Tarifunfähigkeit der C. unwirksam wären.

Diese Frage, ob die von der F. geschlossenen Tarifverträge auch für die Vergangenheit wegen einer rechtskräftig festgestellten Tarifunfähigkeit der F. unwirksam sind, ist bislang nicht rechtskräftig geklärt. Das BAG hat in dem Beschluss vom 14.12.2010 (a.a.O.) ausdrücklich festgestellt, dass die C. keine tariffähige Arbeitnehmervereinigung und auch keine tariffähige Spitzenorganisation ist (vgl. dazu Urteil des BAG, a.a.O., Rn 93,94). Inwieweit diese Grundsätze jedoch auch für den Zeitraum vor dem Beschluss vom 14.12.2010 bzw. dem Zeitpunkt der Satzung aus dem Jahr 2009 gelten, hat das BAG bislang nicht entschieden.

Die landesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung ist hierzu unterschiedlich; die entsprechenden Verfahren sind bereits beim BAG anhängig.

Für die Kammer überzeugend hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 20.09.2011, 7 SA 1318/11) und das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 02.11.2011, 4 Ta 130/11) die Auffassung vertreten, dass nach den Feststellungen des BAG die fehlende Tariffähigkeit der F. auf Satzungsmängeln beruht. Dies hat, so das LArbG Sachsen-Anhalt (a.a.O.) zur Folge, dass sämtliche im zeitlichen Geltungsbereich der für unwirksam erachteten Verbandssatzung abgeschlossenen Tarifverträge unwirksam sind (Rn 13), mithin auch für einen dem Beschluss des BAG vorhergehenden Zeitraum.

Das LArbG Berlin-Brandenburg (a.a.O.) führt des Weiteren aus, dass sich die tragenden Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts, mit welchen die fehlende Gewerkschaftseigenschaft der C. und ihre Tariffähigkeit begründet worden sind, in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht auf die Rechtslage beziehen, wie sie seit dem 05.12.2005 bestanden hat (s. hierzu auch Urteil des LArbG Hamm vom 30.06.2011, 8 Sa 387/11).

Folgt man diesen Erwägungen, wären die Verträge der bei der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmer, soweit diese auf dem Tarifvertrag der C. beruhen, unwirksam. In der Folge wären dann die Feststellungen der Antragsgegnerin im Nachforderungsbescheid jedenfalls dem Grunde nach zutreffend; aufgrund des Equal-Pay-Grundsatzes bestünde ein Anspruch auf höhere Entgelte, die wiederum der Beitragspflicht unterliegen würden.

Allerdings hat die Antragstellerin zutreffend darauf verwiesen, dass das BAG ausdrücklich (a.a.O., Rn 33) die rechtliche Beurteilung nur für die Gegenwart festgestellt hat. Bezüglich der Beurteilung der Tariffähigkeit für die Vergangenheit sind, wie oben ausgeführt, mehrere Verfahren beim BAG anhängig.

Nach dem derzeitigen Sachstand kann daher nicht abschließend beurteilt werden, ob die Tariffähigkeit der C. auch für die Vergangenheit verneint wird und daher die den Beschäftigungsverhältnissen der Arbeitnehmer der Antragstellerin zugrunde liegenden Tarifverträge unwirksam sind.

Die Kammer hat allerdings in Anbetracht der Ausführungen des BAG sowie der Erwägungen in den Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Berlin-Brandenburg und Sachsen-Anhalt keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide der Antragsgegnerin, sondern schließt sich in der Beurteilung den überzeugenden Ausführungen des LArbG Berlin-Brandenburg und Sachsen-Anhalt (a.a.O.) an.

Da allenfalls Zweifel, nicht aber erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide der Antragsgegnerin bestehen, kann daher auch ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht festgestellt werden.

cc) Die Forderungen sind auch entstanden. Die Ausführungen der Antragstellerin überzeugen nicht. Für eine nachträgliche Entstehung des "Equal-pay" - Anspruchs nach § 10 Abs. 4 AÜG sind keine durchgreifenden Argumente ersichtlich. Insbesondere der Wortlaut des Gesetzes legt dies nicht nahe. Werden die o.g. Ausführungen der Landesarbeitsgerichte Berlin-Brandenburg und Sachsen-Anhalt zugrunde gelegt, sind die Forderungen unter Berücksichtigung des Entstehungsgrundsatzes auch in der Vergangenheit entstanden, denn die bei der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmer hätten, da der ihren Beschäftigungsverhältnissen zugrunde liegende Tarifvertrag ungültig gewesen ist, auch einen höheren Entgeltanspruch gehabt, mit der Folge auch höherer Beitragsleistungen zur Gesamtsozialversicherung.

Der gesetzlich verankerte Equal-Pay-Grundsatz bestand bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages. Beim Abschluss von Tarifverträgen, die unterhalb der damals üblichen Entgeltgrenze lagen, hätte die Antragstellerin diese Folgen zumindest beachten können.

dd) Auch unter dem Gerichtspunkt des Vertrauensschutzes hat die Kammer keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide der Antragsgegnerin. Die Berücksichtigung der von der Antragstellerin insoweit vorgetragenen Gesichtspunkte ist im Gesetz im Rahmen der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht vorgesehen. Zwar kann eine nachträgliche Forderung von noch nicht verjährten Beiträgen nach dem auch im Beitragsrecht der Sozialversicherung geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. BSGE 17,173, 175 f. [BSG 04.07.1962 - 3 RK 53/58]; 21, 52, 55; 47, 194, 196) ausgeschlossen sein (BSG, Urteil vom 18.11.1980 - 12 RK 59/79, zitiert nach [...]; vgl. auch LSG NRW, Urteil v. 28.01.2003, L 5 KR 197/01, zitiert nach [...]). Dies setzt jedoch voraus, dass ein entsprechender Vertrauenstatbestand gegeben ist. Einen solchen sieht die Kammer vorliegend nicht.

In dem Urteil vom 18.11.1980 (a.a.O.) hat das BSG es für ein Gebot von Treu und Glauben gehalten, dass die Beitragspflichtigen nicht für eine zurückliegende Zeit mit einer Beitragsnachforderung überrascht werden dürften, die im Widerspruch stehe zu dem vorangegangenen Verhalten der Verwaltung, auf dessen Rechtmäßigkeit sie vertraut hätten und hätten vertrauen dürfen (a.a.O., Seite 36). Das BSG geht dabei von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aus, nach der im Steuerrecht Vertrauensschutz dann bestehen kann, wenn die Verwaltung über einen längeren Zeitraum ein Verhalten gezeigt hat, durch das beim Steuerpflichtigen der Glauben erweckt worden ist, die Behandlung des Steuerfalles entspreche dem Recht (vgl. BFHE 77, 535; 81, 153; 84, 483; 99, 293). Eine Nachforderung verstößt nach dieser Rechtsprechung dann gegen Treu und Glauben, wenn sie in Widerspruch zu einem vorangegangenen nachhaltigen und einen Vertrauensschutz für den Steuerpflichtigen schaffenden Verhalten der Verwaltung steht. Vertrauensschutz hat der BFH dann bejaht, wenn die Verwaltung über einen längeren Zeitraum eine bestimmte Auffassung vertreten (BFHE 81, 353) oder in Kenntnis der tatsächlichen Umstände von der Geltendmachung einer Steuer- oder Abgabenforderung abgesehen hatte (BFHE 77, 535). Gleichzeitig hat der BFH in der letztgenannten Entscheidung aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Vertrauensschutz nicht allein dadurch begründet werden könne, dass der "Steueraufsichtsdienst" nicht sorgfältig geprüft habe. Auch nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung reicht eine bloße Untätigkeit der zuständigen Behörde als Verwirkungsverhalten grundsätzlich nicht aus (vgl. BSGE 47, 194, 197 [BSG 30.11.1978 - 12 RK 6/76]; BSG USK 80292; BSG SozR 2200 § 520 Nr. 3; BSG Breithaupt 1987, 948; LSG Celle KVRS A-3200/6). Das bloße "Nichts tun", also ein Unterlassen, kann schutzwürdiges Vertrauen des Schuldners nur begründen, wenn er das Nichtstun des Gläubigers nach den Umständen als bewusst und planmäßig betrachten darf (BSGE 45, 38, 48 [BSG 06.10.1977 - 7 RAr 55/76]; 45, 195, 198; LSG Celle RV 1991, 95).

Nach diesen Grundsätzen ist Vertrauenstatbestand nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, worauf sich das Vertrauen der Antragstellerin erstreckt haben soll. Hatte sie keine Kenntnis von der Unwirksamkeit der einschlägigen Tarifverträge, wusste sie auch nicht, dass sie rechtlich einen höheren Lohn als den gezahlten schuldete. Die Frage der Beitragsentrichtung aus entstandenen, aber nicht erfüllten Entgeltansprüchen konnte sich für sie damit nicht stellen. Folglich konnte sie schon mangels Kenntnis des höheren Entgeltanspruchs nicht den Schluss ziehen, die Einzugsstelle billige die Beitragsentrichtung nach dem gezahlten statt nach dem geschuldeten Arbeitsentgelt. Kannte sie dagegen die Unwirksamkeit der Tarifverträge und wusste sie somit, dass sie einen geringeren als den geschuldeten Lohn zahlte, würde sich ihr Vertrauen nur auf die Aufrechterhaltung einer fehlerhaften Verwaltungspraxis und das weitere Unterbleiben der Durchsetzung entstandener Beitragsansprüche beziehen (siehe dazu unten III.2 b). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die spätere Feststellung eines höheren Entgeltanspruchs als Bemessungsgrundlage für Beiträge für vergangene Zeiträume nicht eine nachträgliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entrichtung von Beiträgen begründet, sondern lediglich - wie oben ausgeführt - eine bereits in der Vergangenheit entstandene Beitragsforderung geltend gemacht wird. Die Antragstellerin konnte somit allenfalls darauf vertrauen, die für die Betriebsprüfungen zuständigen Rentenversicherungsträger würden es weiterhin unterlassen, entstandene Beitragsforderungen durchzusetzen. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Insbesondere ist ein dahingehendes Verhalten der Antragsgegnerin nicht ersichtlich.

ee) Etwas anderes ergibt sich letztlich auch nicht unter Berücksichtigung einer unbilligen Härte. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für den Antragsteller verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind. Aus demselben Grund begründet auch die Höhe einer Beitragsforderung allein und auch im Abgleich mit dem derzeitigen offensichtlich relativ geringen Einkommen des Antragstellers keine unbillige Härte.

Darüber hinausgehende, nicht oder nur schwer wieder gut zu machende Nachteile durch eine Zahlung hat die Antragstellerin schließlich nicht dargelegt. Diese müssten im Weiteren auch noch das Interesse der Antragsgegnerin an der aktuellen Durchsetzung der Forderung überwiegen. Die Antragstellerin hat zwar dargelegt, eine sofortige Zahlung der Gesamtsumme würde zu einer Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens führen. Das Interesse der Antragsgegnerin an einer zeitnahen Durchsetzbarkeit der Beitragsforderung wird aber gerade dann hoch sein, wenn der Antragsteller behauptet, dass Zahlungsunfähigkeit drohe. (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.07.2011 - L 8 R 287/11 B ER) Gerade in einer solchen Situation ist die Antragsgegnerin gehalten, die Beiträge rasch einzutreiben, um die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung sicherzustellen (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.07.2011 - L 8 R 287/11 B ER). Eine beachtliche Härte in diesem Sinne ist also regelmäßig nur dann denkbar, wenn es dem Beitragsschuldner gelänge darzustellen, dass das Beitreiben der Forderung aktuell die Insolvenz und/oder die Zerschlagung seines Geschäftsbetriebes und damit den Entzug seiner Lebensgrundlage zur Folge hätte, die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache aber zumindest nicht weiter gefährdet wäre als zurzeit. Dies hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Insbesondere hat sie weder eine drohende Zahlungsunfähigkeit noch eine drohende Überschuldung dargetan.

Im Übrigen ist bezüglich einer Abwägung der Interessen auch zu berücksichtigen, dass - da die Kammer die Erfolgsaussicht der Klage nicht abschließend feststellen kann, jedoch keine erheblichen Zweifel an der Entscheidung der Antragsgegnerin bestehen, mithin der Nachforderungsbescheid nach summarischer Prüfung nicht rechtswidrig ist, das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Beitragszahlung überwiegt, da eine spätere Vollstreckbarkeit der Forderung nicht ohne jeden Zweifel gesichert ist.

Insgesamt ist daher in Anbetracht der summarischen Prüfung davon auszugehen, dass die Erfolgsaussicht der Klage nicht überwiegt.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzuweisen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

3. Bei der aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 und 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) folgenden Streitwertfestsetzung ist auf die sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebende Bedeutung der Sache Bezug zu nehmen. Dabei war der mit dem Bescheid geforderte Betrag (110.033,25 EUR) zur Grundlage der Wertfestsetzung zu machen. Der Betrag war im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung angemessen auf die Hälfte (55.016,63 EUR) zu reduzieren.

Dr. D