Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 03.05.2012, Az.: S 1 R 343/10

Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
03.05.2012
Aktenzeichen
S 1 R 343/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 36341
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2012:0503.S1R343.10.0A

Tenor:

  1. 1.)

    Der Bescheid der Beklagten vom 11.09.2009 und der Widerspruchsbescheid vom 07.07.2010 werden aufgehoben.

  2. 2.)

    Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik F., G., zu gewähren.

  3. 3.)

    Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Einrichtung und in welcher Form Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu erbringen sind.

Die am 03.09.1972 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur Kinderpflegerin und arbeitete in diesem Beruf bis zur Geburt ihres ersten Kindes im Jahr 1997. Ihr zweites Kind, ihr Sohn H., kam am 01.06.2005 zur Welt. Er ist Autist.

Die Klägerin litt in ihrer Jugend unter Magersucht. Mit circa 18 Jahren entwickelte sich eine Angstneurose, die seinerzeit in I. behandelt wurde.

Am 15.05.2008 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Beklagte vertrat seinerzeit die Auffassung, dass die Erwerbs-fähigkeit der Klägerin nicht gefährdet oder gemindert sei, und leitete den Antrag an die AOK Niedersachsen weiter, die eine Kostenübernahmeerklärung abgab. Vom 29.10.2008 bis zum 08.12.2008 wurde in der J. in K. eine stationäre medizinische Reha-Maßnahme durchgeführt. Im Entlassungsbericht vom 25.01.2009 wurde ausgeführt, dass bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung (= PTBS), Schwindel, chronische Schmerzen, Blockierungen der Hals- und Brustwirbelsäule sowie eine Angststörung bestehen würden. Neben der medikamentösen Therapie und der ambulante Psychotherapie müsse auch die in dieser Klinik begonnene Intervalltherapie im August 2009 fortgesetzt werden, wobei die Versorgung der Kinder sicherzustellen sei.

Am 15.04.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Damit verfolgte sie das Ziel, die in der Klinik F. begonnene Intervalltherapie fortzusetzen. Dabei stützte sich auf Berichte der behandelnden Ärzte Dr. L. und M., in denen Fortsetzung der Intervalltherapie in der Klinik F. befürwortet wurde. Mit dem Bescheid vom 07.05.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation zunächst ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin nicht rehabilitationsbedürftig und ihre Erwerbsfähigkeit weder gemindert noch wesentlich gefährdet sei. Zur Behandlung der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen sei eine ambulante Behandlung ausreichend.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch stützte die Klägerin im Wesentlichen auf ein Attest des behandelnden Arztes Dr. M. vom 20.05.2009. Darin wurde ausgeführt, dass die Klägerin vor dem Hintergrund frühkindlicher Erlebnisse an einer PTBS leiden würde. Von der im Jahr 2008 durchgeführten Reha-Maßnahme habe sie gut profitiert. Nunmehr habe sich der Zustand verschlechtert, da sie nicht mehr in der Lage sei, alltagspraktische Tätigkeiten adäquat zu bewältigen. Zur Distanzierung vom häuslichen Umfeld sei daher aus ärztlicher Sicht dringend die erneute Aufnahme zu Intervalltherapie erforderlich.

Mit dem Bescheid vom 18.06.2009 half die Beklagte dem Widerspruch ab und bewilligte für die Dauer von 6 Wochen eine stationäre Behandlung in der Klinik N. in O ... Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass ihr Antrag auf die Fortsetzung der im November 2008 begonnenen Intervalltherapie in der Klinik F. gerichtet gewesen sei und gab zu bedenken, dass sie bei Durchführung der Maßnahme in P. mit der Therapie vollkommen neu beginnen und ein Vertrauensverhältnis neu aufbauen müsse, was ihr sehr schwer fallen würde. Demgegenüber könne sie in der Klinik F. auf die im Jahr 2008 erzielten Fortschritte aufbauen. Außerdem habe die Beklagte auch in der Vergangenheit in anderen Fällen die Kosten für die Durchführung einer medizinischen Reha-Maßnahme in der Klinik F. übernommen. Hierbei stützte sich die Klägerin auf ein weiteres Attest von Dr. M. vom 24.07.2009. Darin wies er zunächst darauf hin, dass es sehr langer Motivationsarbeit bedurft habe, die Klägerin überhaupt für eine stationäre Maßnahme zu gewinnen. Diese sei notwendig, da der Einstieg in die psychodynamischen Hintergründe ihrer Symptome aufgrund des nachvollziehbaren Misstrauens nur in einem geschützten Rahmen möglich sei. Die stationäre Intervallbehandlung sollte daher zur Wahrung der Behandlungskontinuität und zur Vermeidung von psychischen Irritationen weitergeführt werden. In der Klinik F. sei ein Rehabilitationserfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Im Attest vom 30.07.2009 führte der behandelnde Arzt Dr. L. aus, dass nur eine Rehabilitation mit intensiver Einzelgesprächstherapie sinnvoll und erfolgversprechend sei. Mit dem Bescheid vom 11.09.2009 entschied die Beklagte, dass die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in den Q. Kliniken in R. durchgeführt würden. Der Bescheid vom 18.09.2009 wurde für gegenstandslos erklärt. Die Klägerin nahm daraufhin mit ihrem Mann die Q. Kliniken in R. in Augenschein und gelangte zu dem Schluss, dass dort die Maßnahme nicht durchgeführt werden könne. In dem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 01.04.2010 führte der ärztliche Leiter der Q. Kliniken, Dr. S., aus, dass die Durchführung der Behandlung in seiner Klinik von einer derartigen Negativerwartung der Klägerin geprägt sei, dass ein Behandlungserfolg nicht wahrscheinlich sei. Allein die Vorstellung, die Reise anzutreten, würde die Klägerin derart ängstigen, dass sie die Reise- und Rehabilitationsfähigkeit einbüßen würde. Die Vorstellung des Unbekannten sei für die traumatisierte Patientin ein riesiges Hindernis. Auch er regte an, die Maßnahme in der Klinik F. durchzuführen. In der Stellungnahme vom 19.04.2010 vertrat der beratende Arzt der Beklagten die Auffassung, dass dem Wunsch der Klägerin nicht entsprochen werden könne. Seiner Meinung nach sei auch der Bewilligungsbescheid aufzuheben, da die Klägerin nicht rehabilitationsfähig sei. Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 07.07.2007 zurückgewiesen. Darin vertrat die Beklagte die Auffassung, dass zur Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen mehrere geeignete Einrichtungen zur Verfügung stehen würden. Daher seien unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität die vorgehaltenen eigenen Vertragseinrichtungen zu bevorzugen. Im Übrigen würde eine Intervalltherapie nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Rentenversicherung gehören.

Hiergegen hat die Klägerin am 29.07.2009 beim Sozialgericht Lüneburg Klage erhoben.

Im Schriftsatz vom 16.09.2010 hat die Beklagte außerdem darauf hingewiesen, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nur in Einrichtungen erbracht werden könnten, mit denen ein Vertrag gemäß § 21 SGB IX bestehen würde und die Klinik F. von ihr nicht belegt werde. Dem Wunsch nach Durchführung von Einzeltherapien sei mit der Umstellung auf R. entsprochen worden. Nach ärztlicher Prüfung sei eine Einrichtung ausgewählt worden, die erfolgversprechend sei. Soweit der Antritt der Maßnahme nicht möglich sei, müsse von fehlender Reise- und Rehabilitationsfähigkeit ausgegangen und die Klägerin gegebenenfalls in einem Fachkrankenhaus behandelt werden.

Im Januar 2011 war aufgrund eines Zusammenbruchs der Klägerin eine akute Behandlung im Krankenhaus T. in U. geplant. Die Klägerin sah sich jedoch auch aufgrund der dort bestehenden Rahmenbedingungen nicht in der Lage, die Behandlung anzutreten. Mit dem Schriftsatz vom 23.02.2011 hat die Beklagte zur Durchführung der Reha-Maßnahme drei weitere Kliniken angeboten (die V. Klinik in W., die X. Klinik Y. in Z. und die AA. Klinik in AB.).

Unter dem 16.11.2011 erstattete Prof. Dr. AC. ein Gutachten. Darin führte er zunächst aus, dass die Klägerin an einer agoraphobischen Angstproblematik, an Schmerzen sowie an dem psychischen Folgezustand sexueller Missbrauchserlebnisse leiden würde. Dabei sei fraglich, ob eine PTBS im engeren Sinn vorliegen würde. Es sei aber deutlich geworden, wie die angstbesetzte Klägerin auf unbekannte Situationen reagieren würde und dass die Missbrauchsthematik noch nicht abschließend bearbeitet sei. Ihre Erwerbsfähigkeit sei gemindert, da sie im erlernten Beruf nicht mehr einsetzbar sei und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten täglich nur im Umfang von 3 bis unter 6 Stunden verrichten könne. Eine stationäre Reha-Maßnahme im üblichen Sinne sei nicht sinnvoll, da die spezifisch therapeutischen Belange der Klägerin die Möglichkeiten einer solchen Maßnahme überschreiten würden. Als hilfreich bei Personen mit sexueller Missbrauchserfahrung habe sich demgegenüber eine Intervalltherapie bewährt. Der Aufenthalt in der Klinik F. wäre daher die richtige Entscheidung.

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 11.09.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 07.07.2010 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik F., G., zu gewähren,

    hilfsweise,

    die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Umwidmung der Reha-Einrichtung erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Entscheidung wurden die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde gelegt. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Entscheidung ist rechtswidrig, weil die Klägerin einen Anspruch auf die Durchführung der medizinischen Rehabilitationsleistung in der Klinik F. hat.

Gem. § 9 Abs. 2 SGB VI können Teilhabeleistungen erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Die persönlichen Voraussetzungen für Teilhabeleistungen haben gem. § 10 SGB VI u. a. diejenigen Versicherten erfüllt,

1.) deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und

2.) bei denen voraussichtlich a) bei einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben - wesentlich gebessert - oder wiederhergestellt - oder hiermit deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann.

Diese Voraussetzungen sind hier unstreitig erfüllt. Zwischen den Beteiligten ist lediglich streitig, in welcher Einrichtung eine Maßnahme durchgeführt werden soll. Zwar bestimmt gem. § 13 Abs. 1 SGB VI der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Art, Dauer und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei die Ermessensausübung gerichtlich nur in eingeschränktem Umfang überprüfbar ist, da das Gericht lediglich feststellen kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens über- bzw. unterschritten sind oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (§ 54 Abs. 2 S. 2 SGG). Allerdings ist die Verurteilung zu einer konkreten Maßnahme dann möglich, wenn ein sog. atypischer bzw. seltener Ausnahmefall vorliegt und der Ermessensspielraum "auf null" reduziert ist, d. h. wenn nach dem festgestellten Sachverhalt keine Umstände vorliegen, die eine anderweitige Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei zuließen (vgl. Bundessozialgericht (= BSG), Urt. v. 04.02. 1988 - 11 RAr 26/87; BSG, Urt. v. 11.04.2002 - B 3 P 8/01 R, Rz. 24 m. w. N.; Landessozialgericht (= LSG) Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 07.11.2005 - L 10 RI 345/04; vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. Rz. 29). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, da die Klinik F. die einzige Einrichtung ist, in der eine medizinische Reha-Maßnahme erfolgreich durchgeführt werden kann. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Zunächst ist zu beachten, dass gesetzlich ausdrücklich festgelegt ist, dass bei der Auswahl der Einrichtung den berechtigten Wünschen des Leistungsberechtigten entsprochen werden muss (§ 9 Abs. 1 S. 1/2 SGB IX). Zwar ist anerkannt, dass die Nichtberücksichtigung von Wünschen eines Versicherten i. d. R. keinen Ermessenfehler begründet (Kater, Kasseler Kommentar, § 15 SGB VI, Rz. 32. m. w. N.). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Wünsche des Versicherten bei der Ermessensausübung gänzlich unberücksichtigt bleiben können. Die Vorschrift geht nämlich von der Vorstellung aus, dass die Realisierung des Wunschrechts die Motivation und die Wirksamkeit der Maßnahme derart befördert, dass sie "zur lohnenden Investition" wird. Je aufgeschlossener eine rehabilitationsbedürftige Person dem, was ihr angeboten wird und was sie lernen sollte, gegenübersteht, je motivierter sie in dieser Hinsicht ist, desto eher und besser wird sie ihr Rehabilitationsziel erreichen. Daher kann das Wunschrecht des § 9 Abs. 1 SGB IX grundsätzlich weder in Opposition zur Belegungshoheit der Leistungsträger noch zu den Geboten sparsamen Wirtschaftens treten. Seine Umsetzung ist vielmehr - entsprechend dem Leitbild des SGB IX - per se wirtschaftlich (Dr. S. Fuhrmann/ Dr. W. Heine: Das Wunschrecht nach § 9 Abs. 1 SGB IX und der Leistungserfüllungsort - am Beispiel der medizinischen Rehabilitation, SGb 2009, 516, 518). Ein stereotypes Vorbringen, dass eine Vertragseinrichtung stets wirtschaftlicher sei, als die vom Versicherten bevorzugte Nichtvertragseinrichtung kann daher keine sachgerechte Ermessensausübung darstellen. Eine solche erfordert vielmehr, dass bei einer Entscheidung gegen die Wunscheinrichtung deren o. g. psychologisch-wirtschaftlichen Effekte sorgfältig mit den jeweiligen wirtschaftlichen Vorteilen der angebotenen Vertragseinrichtungen abzuwägen sind und dieser Abwägungsvorgang in einer ausführlichen Begründung darzustellen ist. Auch dies war bei der angefochtenen Entscheidung der Beklagten nicht der Fall, so dass diese schon aus diesem Grund ermessensfehlerhaft ist.

Vor diesem Hintergrund ist nun zu beachten, dass zur medizinischen Rehabilitation die erforderlichen Leistungen erbracht werden, um Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu vermeiden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten " (§ 15 Abs. 1 S. 1 SGB VI i. V. m. § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX). Bezogen auf den konkreten Fall hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. AC. überzeugend dargelegt, dass eine medizinische Reha-Maßnahme der üblichen Art hier nicht ausreichend ist, da die spezifischen therapeutischen Belange der Klägerin die Möglichkeiten einer solchen Reha-Maßnahme überschreiten. Demgegenüber hat sich die von der Klägerin begonnene und angestrebte Intervalltherapie gerade bei Personen mit sexueller Missbrauchserfahrung bewährt, so dass der Aufenthalt in der Klinik F. nach der Auffassung von Prof. Dr. AC. die richtige Entscheidung ist. Auch die behandelnden Ärzte der Klägerin, die Dres. L. und M., sowie der Leiter der Klinik R. haben schlüssig dargelegt, dass nur die in der Klinik F. angebotene Therapie für einen Rehabilitationserfolg geeignet und erforderlich ist. Die in der Akte der Beklagten enthaltenen ärztlichen Stellungnahmen lassen demgegenüber eine Auseinandersetzung mit den spezifischen Belangen der Klägerin nicht erkennen. Es wird noch nicht einmal deutlich, ob der beratende Arzt der Beklagten eine ausreichende Fachkompetenz auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet besitzt. Aus den vorliegenden medizinisch-sachverständigen Expertisen kann die Kammer daher nur den Schluss ziehen, dass nur die Durchführung bzw. Fortsetzung der Intervalltherapie als erforderliche Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Frage kommt. In Bezug auf die Frage der Ermessensreduzierung auf null ist nun besonders zu berücksichtigen, dass die Beklagte in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid ausdrücklich ausgeführt hat, dass die von der Klägerin erstrebte Intervalltherapie von den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung nicht angeboten wird. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Intervalltherapie auch nicht in den im Schriftsatz der Beklagten vom 23.01.2011 genannten Einrichtungen durchgeführt wird. Die Aussage der Beklagten, dass die Intervall-therapie nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Rentenversicherung gehört, lässt sich allerdings in dieser allgemeinen Form mit dem Gesetz nicht in Übereinstimmung bringen, da eine Beschränkung auf bestimmte Therapieformen hieraus nicht abzuleiten ist. Vielmehr sind - wie bereits ausgeführt - die erforderlichen Leistungen zu erbringen, wobei bspw. gem. § 26 Abs. 3 Nr. 1, 5 SGB IX diese Leistungen auch medizinische und psychologische Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung und zur seelischen Stabilisierung einschließen. Das Gesetz geht daher nicht von einer schematischen, sondern einer flexiblen, auf die Bedürfnisse des Leistungsberechtigten abgestimmten Durchführung der Reha-Maßnahmen aus. Die Intervalltherapie lässt sich dabei unschwer unter die genannte Vorschriften subsumieren.

Das Ermessen der Beklagten wird jedoch durch weitere Aspekte eingeschränkt, da sich die Klägerin aufgrund ihrer Gesundheitsstörungen - insbesondere der Angststörung - schwer umstellen kann und die Vorstellungen des Unbekannten für sie ein riesiges Hindernis darstellt. Die Kammer kann daher nicht nachvollziehen, dass die Beklagte noch an der Durchführung der Maßnahme in Bad Camberg festgehalten hat, nachdem ihr sogar der dortige ärztliche Lei-ter, AD., schriftlich mitgeteilt hat, dass dort ein Behandlungserfolg gerade nicht wahrscheinlich ist und für die Weiterführung der Therapie in der Klinik F. votiert hat. Schließlich spricht für die Durchführung der Maßnahme in der Klinik F., dass die Klägerin zu den dortigen Therapeuten bereits ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, was andernorts erst neu begründet werden müsste, wenn dies überhaupt möglich ist. Dies ist nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Vielmehr hat Dr. M. zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade im Fall der Klägerin der Behandlungskontinuität eine zentrale medizinische Dimension zukommt, da andernfalls psychische Irritationen kaum zu vermeiden sind. Bei Abwägung aller Aspekte kann die Kammer keinen Raum erkennen, in welcher anderen Einrichtung die hier erforderliche Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation erfolgreich und wirtschaftlich durchgeführt werden könnte. Auch der Vertreter der Beklagten konnte in der mündlichen Verhandlung keine Einrichtung benennen, in der alternativ zur Klinik F. der Klägerin die Fortführung der Intervalltherapie hätte angeboten werden können.

Der Durchführung der Maßnahme in der Klinik F. steht weiterhin auch nicht das sog. Vertragserfordernis des § 15 Abs. 2 SGB VI entgegen, nach dem die stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation entweder in einer vom Rentenversicherungsträger selbst betriebenen Einrichtung oder in einer Einrichtung, mit der ein Vertrag gem. § 21 SGB XI besteht, erbracht werden. Vielmehr steht es der Beklagten frei, einen solchen Vertrag auch nur speziell für die Behandlung der Klägerin abzuschließen. So wird in der juristischen Literatur spätestens in der tatsächlichen Belegung der Abschluss eines Vertrages mit der Einrichtung erblickt, der je nach Bedarf auch erneut abgeschlossen werden kann. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang schlüssig vorgetragen, dass die Beklagte in der Vergangenheit in Einzelfällen Verträge mit der Klinik F. abgeschlossen hat. Zwar kann aus einer Billigung kein Anspruch auf eine nochmalige Belegung einer Einrichtung abgeleitet werden (Kater, Kasseler Kommentar, § 15 SGB VI, Rz. 31). Es erschließt sich der Kammer daher nicht, aus welchen Gründen die Beklagte in Ansehung der extrem spezifischen Situation der Klägerin hier nicht zu einem erneuten Konsens mit der Klinik F. gelangen konnte.

Die Gewährung der Maßnahme steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin akut behandlungsbedürftig wäre (§ 13 SGB VI). Vielmehr hat Prof. Dr. AC. ausgeführt, dass sich gegenüber der Situation im Herbst 2008 eine gewisse Besserung eingestellt hat, sie offensichtlich für die Reha-Maßnahme eine ausreichende Durchhaltefähigkeit besitzt (S. 30 des Gutachtens) und die Durchführung der Intervalltherapie auf die Beseitigung bzw. Verminderung der Grunderkrankungen abzielt.

Weiterhin steht der Durchführung der Therapie auch nicht § 12 Abs. 4 SGB VI entgegen, nach dem Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht vor Ablauf von 4 Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht worden sind. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. AC. und den Attesten der behandelnden Ärzte ergibt sich zwanglos, dass diese Maßnahme aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich ist (§ 12 Abs. 2 S. 2 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kammer teilt allerdings die Auffassung, dass eine sachgerechte Auseinandersetzung mit den ärztlichen Attesten der Klägerin durch die Beklagte nicht erfolgt ist und ein Großteil der Ermittlungstätigkeit, insbesondere die Einholung des entsprechenden und erforderlichen fachärztlichen Gutachtens, auf das Sozialgericht abgewälzt wurde. In künftigen Fällen dieser Art wird die Kammer daher verstärkt die Vorschrift des § 192 Abs. 4 SGG in den Focus rücken, nach der das Gericht der Behörde ganz oder teil-weise die Kosten auferlegen kann, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden.

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