Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 10.05.2012, Az.: S 22 SO 74/11

Bestimmung des Anfangszeitpunktes zur Gewährung von Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
10.05.2012
Aktenzeichen
S 22 SO 74/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 36347
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2012:0510.S22SO74.11.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger erstrebt die Bewilligung von Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe auch für die Zeit vom 01. bis zum 03. November 2010.

Der H. geborene Kläger, der unter gesetzlicher Betreuung steht, bezog zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende - und wurde am 01. November 2010 in den Seniorenpark I., J., in K. aufgenommen. Mit Schreiben vom 02. November 2010, welches dem Beklagten ausweislich des Eingangsstempels am 04. November 2010 zuging, beantragte er die Übernahme der ungedeckten Heimkosten. Mit Schreiben vom 11. November teilte er mit, dass er dauerhaft im Pflegeheim verbleiben werde. Die Pflegekasse stufte ihn in Pflegestufe I ein. Der Kläger bezieht seit Mai 2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 824,12 Euro monatlich. Für die Monate Januar bis April 2011 erhielt er eine Nachzahlung in Höhe von 3.296,48 Euro.

Mit Bescheid vom 20. April 2011 bewilligte der Beklagte die ungedeckten Heimkosten aus Mitteln der Sozialhilfe ab dem 04. November 2010 und begründete dies damit, dass dies der Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Hilfefall des Klägers sei.

Dagegen legte der Kläger am 20. Mai 2011 Widerspruch ein, welchen er damit begründete, dass er seit dem 01. November 2010 im Pflegeheim lebe, was dem Beklagten auch bekannt gewesen sei. Es sei unverständlich, weshalb die Kostenübernahme erst ab dem 04. November erfolgt sei.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2011 zurück und führte zur Begründung an, dass gemäß § 18 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - Leistungen der Sozialhilfe erst ab Kenntnis des Leistungsträgers vom Hilfefall gewährt werden könnten. Der Leistungsantrag des Klägers sei dem Beklagten erst am 04. November 2010 zugegangen, und dieser habe erst zu diesem Zeitpunkt vom Hilfebedarf Kenntnis erlangt.

Dagegen hat der Kläger am 28. Juni 2011 Klage erhoben.

Er trägt vor:

Es dürfte zutreffen, dass der Beklagte den Antrag erst am 04. November 2010 erhalten habe. Der Beklagte habe aber bereits zuvor Kenntnis von der Hilfebedürftigkeit gehabt, was sich aus einem Vermerk auf Bl. 69 der Verwaltungsakte vom 20. April 2011 ergebe. Eine Kürzung um drei Monatstage sei eine reine Förmelei. Ferner sei der Rechtsgedanke des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zu beachten. Mit Schriftsatz vom 06. Januar 2012 bestreitet der Kläger, dass der Beklagte erst am 04. November 2010 Kenntnis vom Hilfebedarf erlangt habe.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2011 zu verurteilen, dem Kläger die ungedeckten Heimkosten für die Zeit vom 01. bis zum 03. November 2010 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:

Eine Kenntnis des Beklagten vor dem 04. November 2010 bestehe nachweislich nicht. Der Vermerk sei fehl interpretiert worden, weil er lediglich eine chronologische Darstellung des Sachverhalts vornehme. Der Beklagte bestreite nicht die Heimaufnahme am 01. November 2010.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 20. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2011 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten.

Auf die zutreffenden Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden wird Bezug genommen (§ 136 Absatz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zur Pflege sind gemäß §§ 61, 19 Absatz 3 SGB XII grundsätzlich gegeben, wobei die Erwerbsminderungsrente als Einkommen gemäß § 82 SGB XII einzusetzen ist.

Jedoch besteht die Leistungsverpflichtung erst ab dem 04. November 2010. Gemäß § 18 Absatz 1 SGB XII setzt die Sozialhilfe ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Ein Bekanntwerden in diesem Sinne bedeutet, dass die Notwendigkeit der Leistung dargetan oder sonst wie erkennbar ist (vgl. Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB XII, 18. Auflage 2010, § 18, Rd. 7). Der Leistungsträger muss die Umstände wahrgenommen haben, welche eine Leistungserbringung rechtfertigen (vgl. Armborst, in: LPK/SGB XII, 8. Auflage 2007, § 18. Rd. 5).

Der Beklagte ist lediglich verpflichtet, ab dem 04. November 2010 Sozialhilfe zu gewähren, weil er erstmals an diesem Tag von der Hilfebedürftigkeit des Klägers erfuhr. Dies ergibt sich aus dem Inhalt der Verwaltungsakte, nach welcher ihn das Schreiben des Klägers vom 02. November 2010 ausweislich des Eingangsstempels am 04. November 2010 auf dem Postweg erreichte und Blatt 1 der chronologisch geordneten Verwaltungsakte bildet. Eine frühere Kenntniserlangung kann der Kläger nicht nachweisen bzw. hat dies nicht unter Bezeichnung eines Beweismittels unter Beweis gestellt. Im Übrigen erscheint das Klägervorbringen an diesem Punkt als widersprüchlich, weil einerseits mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2011 eingeräumt wird, dass der Zugang am 04. November zutreffend sein dürfte. Andererseits bezieht der Kläger sich auf einen Vermerk des Beklagten vom 20. April 2011, welcher sich aber nicht dazu verhält, wann Kenntnis erlangt wurde und lediglich eine chronologische Aufstellung leistet. Der Vermerk ist somit ungeeignet, das Klagevorbringen zu stützen oder zu beweisen. Dem Beklagten kann nicht angesonnen werden, den Hilfebedarf ab dem 01. November 2010 ohne zur Kenntnis gelangte Tatsachengrundlage zu erahnen. In diesem Fall hätte es dem Heim bzw. dem gesetzlichen Betreuer oblegen, den Heimaufenthalt unverzüglich dem Sozialhilfeträger zu melden, um einen Anspruchsverlust zu vermeiden. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, an welche die Verwaltung gebunden ist, stellt sich keineswegs als "bloße Förmelei" dar, sondern ist die Grundlage rechtmäßigen Verwaltungshandelns. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Landessozialgerichtes (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 25. Februar 2008 - L 20 SO 31/07 -, welches zutreffend den rechtlichen Gehalt des § 18 SGB XII wiedergibt und dabei betont, dass Leistungen nicht vor Kenntnis des Sozialhilfeträgers zu gewähren sind, weil es sich dabei um Schulden aus der Vergangenheit handelt.

Darüber hinaus vermag sich der Kläger nicht auf § 44 SGB X zu stützen, weil ein entsprechender Antrag nicht gestellt worden ist und aufgrund der fehlenden Bestandskraft der angegriffenen Bescheide nicht zielführend gewesen wäre. Eine Umgehung des § 18 Absatz 1 SGB XII als materiell-rechtlicher Norm durch § 44 SGB X ist nicht statthaft.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.

Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer des Klägers mit 229,77 Euro unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe oder des Bundesverfassungsgerichtes abweicht sowie auf dieser Abweichung beruht.

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