Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 04.07.2013, Az.: 2 A 572/12

Antrag; Untätigkeitsklage

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
04.07.2013
Aktenzeichen
2 A 572/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64345
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Untätigkeitsklage ist unzulässig, wenn im Verwaltungsverfahren die Beteiligung im Baugenehmigungsverfahren beantragt worden war, mit der Klage aber ein bauaufsichtliches Einschreiten begehrt wird.

Tatbestand:

Die Kläger sind Eigentümer des Einfamilienhausgrundstückes M. Weg xx, Flurstück N. der Flur x in der Gemarkung O.. Der Beigeladene ist Eigentümer des Nachbargrundstückes M. Weg xx; auf diesem Grundstück befindet sich ein Zweifamilienhaus. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 01 P. /OT O. vom 10. April 1975, in der Fassung der 1. Änderung vom 2. November 2000. Dieser Bebauungsplan weist als Art der Bebauung ein reines Wohngebiet aus.

Der Beigeladene ist eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe mit differenzierten sozialpädagogischen, psychotherapeutischen und heilpädagogischen Konzepten an verschiedenen Standorten in der Gemeinde P. und der Stadt E.. Zum 15. September 2012 errichtete er auf dem Grundstück M. Weg xx eine psychotherapeutische Mädchenwohngruppe mit Schwerpunkt Traumapädagogik. Wegen der Einzelheiten des pädagogischen Konzepts wird auf den Akteninhalt, insbesondere die Betriebsgenehmigung des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie vom 12. April 2013 sowie die dieser zugrunde liegende Beschreibung des Leistungsangebots, Stand 12. Dezember 2012, Bezug genommen. Einen Bauantrag für die neue Nutzung stellte der Beigeladene in Abstimmung mit dem Beklagten nicht, nachdem man im Frühsommer 2012 zu der gemeinsamen Auffassung gelangt war, eine Nutzungsänderung läge nicht vor.

Anfang Juli 2012 wandten sich die Kläger über ihre Prozessbevollmächtigte an den Beklagten mit der Bitte um Mitteilung, ob ein Antrag auf Genehmigung der Nutzungsänderung vorliege und, falls dies der Fall sein sollte, um Beteiligung in dem laufenden Baugenehmigungsverfahren. Sie waren der Auffassung, bei der Unterbringung einer Wohngruppe handele es sich gegenüber der vorherigen Wohnnutzung um eine Nutzungsänderung. Daraufhin teilte der Beklagte den Klägern Mitte Juli 2012 mit, eines Baugenehmigungsverfahrens bedürfe es nicht, da die Nutzungsänderung durch den Beigeladenen nicht genehmigungspflichtig sei; es liege eine wesentlich andere Nutzung nicht vor; andere oder weitergehende Anforderungen an die neue Nutzung seien gegenüber der alten nicht zu stellen. Ende Juli 2012 erwiderten die Kläger darauf, dass sie die Nutzungsänderung sehr wohl für genehmigungspflichtig hielten, weil die Nutzung durch eine Wohngruppe deutlich intensiver sei als eine Wohnnutzung durch eine Familie; die Nutzung als Mädchenwohnhaus dürfe nur dann aufgenommen werden, wenn hierfür zuvor eine entsprechende Genehmigung vom Beklagten erteilt worden sei; ihre Beteiligung an diesem Verfahren mahnten die Kläger erneut an. Dem trat der Beklagte schließlich Anfang August 2012 erneut in der Sache entgegen.

Am 22. Oktober 2012 haben die Kläger (Untätigkeits-)Klage erhoben.

Mit ihrer Klage begehren sie ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die vom Beigeladenen unternommene Nutzung des Grundstücks M. Weg xx in O..

Zur Begründung tragen sie vor, ihre Klage sei zulässig, weil es der Beklagte unmissverständlich abgelehnt habe, in Bezug auf das Grundstück M. Weg xx tätig zu werden. Sie bekräftigen in der Sache ihre Auffassung, es handele sich nicht um eine Wohnnutzung, sondern um eine Nutzung für soziale Zwecke; eine solche sei in einem reinen Wohngebiet unzulässig. Im Übrigen belaste der Betrieb des Beigeladenen sie unzumutbar. Das gelte für die Parksituation im M. Weg ebenso wie für die einerseits mit dem An- und Abfahrverkehr, andererseits mit den kindertypischen Geräuschen einhergehende Lärmbelastung. Zudem befürchteten sie einen Wasserschaden auf ihrem Grundstück für den Fall, dass das unmittelbar an der Grundstücksgrenze befindliche Wasserbecken auf dem Grundstück M. Weg xx ausliefe.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, dem Beigeladenen die Nutzung des Grundstücks M. Weg 13 in 37130 P. -O. für die Zwecke einer psychotherapeutischen Wohngruppe von Kindern und Jugendlichen zu untersagen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Klage sei unzulässig, da die Kläger bei ihm einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten nicht gestellt hätten.

Unabhängig davon sei die Klage auch unbegründet, da eine Nutzungsänderung nicht vorliege. Selbst wenn von einer Nutzungsänderung auszugehen sei, sei diese baurechtlich nicht zu beanstanden, da die jetzige Nutzung ausnahmsweise in einem reinen Wohngebiet zulässig sei; § 3 Abs. 4 BauNVO 1990 habe insoweit lediglich klarstellende Funktion. Schließlich liege auch ein Verstoß gegen das baurechtliche Rücksichtnahmegebot nicht vor.

Der Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung das Betreuungskonzept für seine Einrichtung in der M. Straße xx erläutert und stellt keinen Antrag.

Das Gericht hat sich in der mündlichen Verhandlung einen Eindruck von den Liegenschaften vor Ort verschafft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die (Untätigkeits-) Klage ist unzulässig.

Die in § 75 Satz 1 VwGO für eine Untätigkeitsklage festgelegte Tatbestandsvoraussetzung, dass über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden wurde, liegt nicht vor; es fehlt an einem dem Klagebegehren entsprechenden Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber dem Beklagten. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung folgt aus § 68 Abs. 2, § 75 Satz 1 VwGO ("Antrag auf Vornahme") und zusätzlich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, nach dem es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden (vgl. BVerwG vom 28.11.2007 -6 C 42/06-, BVerwGE 130, 39). Ein solcher Antrag ist im gerichtlichen Verfahren auch nicht nachholbar, so dass das Gericht nicht gehalten war, auf die Stellung desselben hinzuwirken (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 75 Rn. 7).

Die Schreiben der Kläger vom 6. Juli und 26. Juli 2012 genügen nicht den Anforderungen an einen Antrag an die Behörde auf bauaufsichtliches Einschreiten. Die Kläger machen mit diesen Schreiben geltend, dass für die vom Beigeladenen seit September 2012 unternommene Nutzung ein Baugenehmigungsverfahren durchzuführen sei, und mahnen ihre Beteiligung in diesem Verfahren an. Dies stellt lediglich die Äußerung einer Rechtsauffassung und eine Bitte dahingehend dar, dass die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen des so durchzuführenden Baugenehmigungsverfahrens die Verfahrensrechte der Kläger beachtet, wie sie sich aus §§ 72, 73 NBauO a.F. (jetzt §§ 68, 69 NBauO) ergeben. Die anwaltlich vertretenen Kläger müssen sich am Wortlaut ihres konkreten Begehrens festhalten lassen. Eine Auslegung dieses Begehrens dahin, dass der Beklagte gegen den Beigeladenen bauaufsichtlich vorzugehen habe, wenn ein Baugenehmigungsverfahren nicht durchgeführt wird, ist von diesem Wortlaut nicht gedeckt. Die Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens ist gegenüber einem bauaufsichtlichen Einschreiten ein völlig anderes Verfahren. Die Möglichkeit, gegen eine Baugenehmigung als Nachbar rechtlich vorzugehen, die sich die Kläger mit ihren beiden Schreiben von Juli 2012 offensichtlich eröffnen wollten, ist sowohl von ihren Voraussetzungen wie von den Rechtsfolgen her grundsätzlich von einem - diesem Verfahren allenfalls nachgelagerten - bauaufsichtlichen Einschreiten zu unterscheiden. Keinem der Schreiben aus dem Juli 2012 lässt sich auch nur ansatzweise entnehmen, in welcher Form der Beklagte nach Auffassung der Kläger bauaufsichtlich hätte tätig werden sollen. Die Niedersächsische Bauordnung sieht in § 89 Abs. 1 NBauO a.F. (§ 79 NBauO) verschiedene Formen des bauaufsichtlichen Einschreitens vor. Alle Maßnahmen haben unterschiedliche Voraussetzungen und eröffnen der Bauaufsichtsbehörde eine Ermessensentscheidung. Seitens der Kläger wurde nicht dargelegt, welche Form des bauaufsichtlichen Einschreitens in ihrem Fall einschlägig sein soll oder von ihnen begehrt wird. Ferner haben die Kläger weder das Vorliegen der Voraussetzungen eines dieser Tatbestände des bauaufsichtlichen Einschreitens noch einen Anspruch aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null zu ihren Gunsten dargelegt. Es ist nicht zwingend, dass einer fehlenden Verfahrensbeteiligung der Wunsch immanent ist, sodann gegen den Bauherrn im Wege der Bauaufsicht einzuschreiten. Vielmehr hätte durchaus auch die Möglichkeit bestanden, dass die Kläger schließlich die Entscheidung des Beklagten, ein Baugenehmigungsverfahren nicht durchzuführen, akzeptiert hätten. Schließlich würde ein Automatismus im Sinne der klägerischen Rechtsauffassung der Bauaufsichtsbehörde automatisch ein zusätzliches Verwaltungsverfahren aufzwingen und damit dem vom Gesetzgeber mit der Genehmigungsfreistellung gewollten Vereinfachungseffekt zuwider laufen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 17.04. 2012 -2 ZB 10.2990-, zitiert nach juris)

Für den Fall, dass sich die Kläger mit dem Gedanken tragen, den bisher nicht gestellten Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die vom Beigeladenen unternommene Nutzung beim Beklagten nachzuholen, merkt die Kammer, ohne dass dies in diesem Verfahren entscheidungserheblich wäre, Folgendes an:

Voraussetzung für ein bauaufsichtliches Einschreiten wäre ein baurechtswidriger Zustand auf dem Grundstück des Beigeladenen, der Rechte der Kläger als Nachbarn verletzt und diese unzumutbar beeinträchtigt.

Rechtlich umstritten zwischen den Beteiligten ist im Wesentlichen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens des Beigeladenen.

Diese Zulässigkeit richtet sich nach § 30 Abs. 1 BauGB, denn bei dem Bebauungsplan Nr. 01 P., OT O. handelt es sich um einen qualifizierten Bebauungsplan; er enthält Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen. Als Art der baulichen Nutzung ist für das streitbefangene Grundstück reines Wohngebiet festgesetzt; diese Festsetzung ist nachbarschützend. Welche Art der baulichen Nutzung konkret danach zulässig ist bestimmt sich nach § 3 BauNVO i.d.F. von 1968. Die Änderung des Bebauungsplanes im Jahr 2000 betraf nicht die Festsetzung der Gebietsart und führt daher nicht zur Anwendung der BauNVO 1990. Die bundesrechtlich nachfolgende Vorschrift des § 3 Abs. 4 BauNVO 1990, nach der zu den zulässigen Wohngebäuden auch solche gehören, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen, kann daher nur als Auslegungshilfe für den Begriff des Wohngebäudes im Sinne von § 3 BauNVO 1968 Bedeutung erlangen.

Nach § 3 Abs. 1 BauNVO 1968 dienen reine Wohngebiete ausschließlich dem Wohnen; gemäß Abs. 2 der Vorschrift sind Wohngebäude zulässig. Das Vorhaben des Beigeladenen wäre daher keine Nutzungsänderung im Sinne von § 29 BauGB, wenn es sich bei der Nutzung durch die therapeutische Wohngruppe - wie bisher auch - um eine Wohnnutzung handelte.

Die Kriterien, nach denen zu beurteilen ist, ob es sich um eine Wohnnutzung im Sinne des § 3 BauNVO 1968 handelt, sind nach einhelliger Rechtsprechung eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts. Diese Kriterien dienen insbesondere auch der Abgrenzung von anderen Nutzungsformen, etwa der Unterbringung, des Verwahrens unter gleichzeitiger Betreuung, der bloßen Schlafstätte oder anderer Einrichtungen, die dann nicht als Wohngebäude, sondern als soziale Einrichtungen einzustufen sind (BVerwG, a.a.O.; Beschluss vom 17.12.2007 -4 B 54/07-; OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.7.2008 -1 LA 203/07-; OVG Hamburg, Beschluss vom 28.11.2012 - 2 Bs 210/12 -; VG Aachen, Urteil vom 15.03.2011 - 3 K 1085/10 -, jeweils zitiert nach Juris). Gemeint ist damit die Nutzungsform selbstbestimmt geführten privaten Lebens “in den eigenen vier Wänden“, die auf eine gewisse Dauer angelegt ist (OVG Lüneburg, a.a.O.)

Ob es sich hier um ein Wohnen in diesem Sinne handelt, beantwortet sich maßgeblich nach dem Betreuungskonzept des Beigeladenen. Danach soll in der Mädchenwohngruppe M. Weg xx in O. bis zu 7 jungen Mädchen im Alter von 6 bis 13 Jahren auf freiwilliger Basis ein sicherer Lebensort zum Wohnen geboten werden, der in der Regel auf einen langjährigen Verbleib ausgerichtet ist und der das Aufwachsen in möglichst familienähnlichen Verhältnissen bieten soll; ein Platz ist für Kriseninterventionen nach § 8 a SGB VIII gedacht; insgesamt handelt es sich um Opfer von psychischem, körperlichem und/oder sexuellem Missbrauch oder extremer Vernachlässigung; es solle ein “sicherer Ort“ im Sinne einer “Schutzraum WG“ geschaffen werden; die elf Mitarbeiterinnen des Beigeladenen, (und nur weibliche Kräfte werden eingesetzt), so heißt es weiter in der Beschreibung des Leistungsangebots, stellen sich mit ihrer gesamten Persönlichkeit und beruflichen Erfahrung als Beziehungs- und Bindungspartner zur Verfügung; es erfolgt, soweit nötig, Psychotherapie vor Ort; zu den Grundleistungen gehört eine 24 Stunden Betreuung mit Doppeldiensten in der Zeit von 12:00 bis 22:00 Uhr; danach findet täglich, sieben Tage die Woche eine Nachtbetreuung durch eine Betreuungskraft statt. Aufgrund der individuellen Biografien der Kinder ist nach Aussage der Leiterin der Einrichtung in der mündlichen Verhandlung in der Regel eine Rückkehr in die Familie ausgeschlossen.

Danach handelt es sich bei der hier zu beurteilenden therapeutischen Einrichtung um eine sonstige betreute Wohnform im Sinne von §§ 34 S. 2 Nr. 3, 48 a SGB VIII. Eine derartige Form der Erziehung wird in der Rechtsprechung ihrer Ausgestaltung nach als bewusst häuslich geprägt und auf Dauer angelegt angesehen (OVG Hamburg, a.a.O.).

Problematisch könnte das Kriterium der eigengestalteten Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises durch die Gruppenangehörigen sein. Zwar ist nach dem Nutzungskonzept - als Regelfall - davon auszugehen, dass die Gruppenangehörigen als Mädchen im Alter von 6 bis 12 Jahren aufgenommen werden und sie aufgrund ihres Vorlebens bedeutsame Probleme in der Persönlichkeitsentwicklung aufweisen, die eine Betreuung in Pflegefamilien oder eine Rückkehr in die eigene Familie voraussichtlich ausschließen. Allerdings spricht einiges dafür, dass die Kinder in der Mädchenwohngruppe eine familienanaloge Betreuung durch verschieden ausgebildete Fachkräfte erhalten, von denen in unterschiedlicher Besetzung eine stets auf dem Grundstück mit den Kindern lebt. Der Tagesablauf der Kinder entspricht mit Schulbesuch am Morgen, Freizeit am Nachmittag und Übernachtung dem beim Wohnen Üblichen. Es mag ferner zu bedenken sein, dass auch entsprechend alte Kinder in Familien der Betreuung bedürfen und zur eigengestalteten Haushaltsführung ohne Unterstützung von erwachsenen Elternteilen nicht in der Lage sind. Hier wie dort ist das Handeln darauf gerichtet, die lebenspraktischen Fähigkeiten der Kinder (Haushaltsführung, Übernahme von Verantwortung für die Gemeinschaft) zu fördern.

Unter Berücksichtigung des dargestellten Konzepts und des § 3 Abs. 4 BauNVO 1990 als Auslegungshilfe für den Begriff des Wohnens, neigt die Kammer zu der Auffassung, dass es sich bei der Nutzung des M. Weges xx durch den Beigeladenen um Wohnen im Sinne von § 3 Abs. 1 BauNVO 1968 handelt. Dies steht der den Beteiligten übersandten Entscheidung der Kammer vom 23.06.2010 - 2 A 147/09 - nicht entgegen. Die dort behandelte Jugendhilfeeinrichtung sah eine Übernachtung, die für ein Wohnen unabdingbar ist, nicht vor.

Das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot könnte zu folgenden Überlegungen Anlass geben:

Nach § 15 Abs. 1 BauNVO sind die in den §§ 2 - 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind insbesondere unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die für die Umgebung nach der Eigenart des Gebiets unzumutbar sind. Das Maß der nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO den Nachbarn geschuldeten Rücksichtnahme hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab. Es sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen. In die Betrachtung einzubeziehen ist dabei, dass über das Gebot der Rücksichtnahme nicht die von einer nach dem Willen des Gesetzgebers gebietsverträglichen Nutzung ausgehenden typischen Auswirkungen verhindert werden können. So sind solche Beeinträchtigungen und Belästigungen, die üblicherweise mit Wohngebäuden i.S.v. § 3 Abs. 2 BauNVO verbunden sind, vom Nachbarn hinzunehmen; vorausgesetzt, es handelt sich um Wohnen, betrifft das hier vor allem die übliche Parksituation. Die Tätigkeit des Beigeladenen auf dem Grundstück M. Weg xx verursacht einen zeitlich eng begrenzten Zu- und Abfahrtsverkehr in der Mittags- und der späten Nachmittagszeit. Da die Kinder in einem Kleinbus morgens von der Einrichtung zur Schule und wieder zurück gefahren werden und die Betreuungskräfte überwiegend mittags anfahren, sind in der Regel kaum mehr Fahrzeugbewegungen feststellbar, als sie bei einem Zweifamilienhaus vorkommen können. Es mag sich anders verhalten mit der Parksituation jeweils mittwochs, wenn in dem Haus des Beigeladenen Teambesprechungen für die Wohngruppe abgehalten werden. Der hiermit verbundene erhöhte Fahrzeugverkehr steht möglicherweise nicht mehr im Zusammenhang mit der Wohnnutzung.

Voraussichtlich dürfte sich auch die vom Grundstück des Beigeladenen ausgehende Lärmbeeinträchtigung auf ein Maß beschränken, das sonst bei einer intensiven Wohnnutzung, etwa durch zwei Familien, üblich und hinzunehmen ist. Soweit sich die Kläger über von den Bewohnern des M. Weges xx ausgehenden Sachbeschädigungen beklagen oder Wassereinwirkungen auf ihr Grundstück befürchten, dürfte dies im Rahmen von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO wohl rechtlich unerheblich sein. Die Auswirkungen im Rahmen dieser Vorschrift müssen einen Bezug zur Bodenordnung im Sinne der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung haben (BVerwG, Urteil vom 25.1.2007 -4 C 1/06-, zitiert nach juris). Ein individuelles Fehlverhalten vermag generell keine bodenrechtlich relevante Gefahrerhöhung zu bewirken. Eventuellen Gefährdungen der Nachbarn kann nicht mit den Mitteln des Baurechts begegnet werden; denn ein so genannter “Millieuschutz“ ist dem Baurecht fremd. Es dient nicht der Bewahrung der sozialen Zusammensetzung des Wohnumfeldes (vgl. das den Beteiligten bekannte Urteil der Kammer vom 23.06.2010 - 2 A 147/09-).

In Anbetracht der Parkraumsituation am Mittwoch und der Tatsache, dass es sich bei dem Gebäude des Beigeladenen wohl um einen Sonderbau im Sinne von § 2 Abs. 5 Nr. 9 i.V.m. § 51 NBauO n.F. handelt, dürfte es erforderlich sein, ein Baugenehmigungsverfahren auch für den Fall durchzuführen, dass das Vorhaben des Beigeladenen bauplanungsrechtlich unbedenklich sein sollte.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.