Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 04.07.2013, Az.: 2 A 439/12

nachbarliches Abwehrrecht; grenzseitiger Anbau; nachbarschützender Charakter; Nießbrauch; Schutznormtheorie; formelle Verwirkung; Verwirkung; materielle Verwirkung; Widerspruchsfrist

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
04.07.2013
Aktenzeichen
2 A 439/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64350
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Es spricht Überwiegendes gegen die Annahme, die Verpflichtung des Bauherrn zum entsprechenden Anbau an eine vorhandene Grenzbebauung des Nachbarn gem. § 8 Absatz 3 Satz 1 NBauO 2003 vermittele diesem ein nachbarliches Abwehrrecht, wenn der betroffene Nachbar lediglich zum Nießbrauch berechtigt ist.

2. Geht der Widerspruch des betroffenen Nachbarn mehr als ein Jahr nach Herstellung der Bodenplatte für einen genehmigten grenzseitigen Anbau bei der Widerspruchsbehörde ein, ist regelmäßig nicht nur das materielle Abwehrrecht dieses Nachbarn, sondern auch dessen verfahrensmäßiges Recht zur Einlegung eines Widerspruchs gegen die ihm nicht bekanntgegebene Baugenehmigung verwirkt.

Gründe

Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO über die Verfahrenskosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Damit kommt es grundsätzlich darauf an, wer die Kosten hätte tragen müssen, wenn sich die Hauptsache nicht erledigt hätte. Ausgangspunkt der Kostenverteilung ist der Erfolgsgrundsatz, sodass regelmäßig derjenige die Kosten zu tragen hat, der ohne die Erledigungserklärungen der Beteiligten voraussichtlich unterlegen wäre (BVerwG, Urteil vom 6. April 1989 - 1 C 70/86 -, BVerwGE 81, 356 (363), zit. nach juris Rn. 32; Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 17. Aufl., § 161 Rn. 16).

Dementsprechend hat vorliegend der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen, denn die Anfechtungsklage der Kläger war zulässig und begründet. Der Beklagte war nicht berechtigt, die den Klägern unter dem 15. Dezember 2009 erteilte Baugenehmigung auf den Widerspruch der Beigeladenen zu 1.) vom 13. Mai 2011 hin aufzuheben. Der Widerspruch war - soweit der Beigeladenen zu 1.) als Nießbraucherin nicht schon die Widerspruchsbefugnis im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung des § 8 Abs. 3 Satz 1 NBauO a.F. fehlte - jedenfalls aufgrund der formellen Verwirkung des Widerspruchsrechts der Beigeladenen zu 1.) unzulässig und wegen Verwirkung des materiellen Abwehrrechtes der Beigeladenen zu 1.) überdies unbegründet. Dazu im Einzelnen:

Die Kammer neigt zu der Auffassung, dass es der Beigeladenen zu 1.) als Nießbraucherin im Hinblick auf die von ihr geltend gemachte Verletzung des § 8 Abs. 3 Satz 1 NBauO a.F. bereits an einer Widerspruchsbefugnis mangelte. Zwar ist in der Rechtsprechung bereits geklärt, dass einerseits auch der im Grundbuch eingetragene Nießbraucher Nachbarschutz aus den Vorschriften des öffentlichen Baurechts erlangen kann (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22. März 1996 - 1 L 1201/95 -, NVwZ 1996, S. 918 (919), zitiert nach juris Rn. 3 m.w.N.), und andererseits die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 NBauO a.F. grundsätzlich nachbarschützende Wirkung entfaltet (Nds. OVG, Urteil vom 26. Januar 1998 - 6 L 5342/95 -, zitiert nach juris Rn. 21). Allerdings ist für die Annahme einer Widerspruchsbefugnis der Beigeladenen zu 1.) Voraussetzung, dass (erstens) der von ihr geltend gemachte Rechtsverstoß eine nachbarschützende Rechtsnorm i.S.d. Schutznormtheorie erfasst und (zweitens) die Widerspruchsführerin als Nachbarin in den persönlichen Schutzbereich der entsprechenden Schutznorm fällt. Insbesondere im Bauordnungsrecht ist für jede einzelne Norm differenziert zu bewerten, inwiefern sie überhaupt drittschützend ist und welchen Personenkreis sie als hiervon geschützt ansieht (Seidel, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Nachbarschutz, Rn. 319, 336 m.w.N.). Sinn und Zweck der Anbauverpflichtung des § 8 Abs. 3 Satz 1 NBauO a.F. ist es, dem Bauherrn eine entsprechende Ausnutzung seines Grundstückes durch das Heranrücken an die Grundstücksgrenze zu ermöglichen, wenn der Nachbar bereits an die Grenze gebaut hat. Es soll damit eine gleichgewichtige Belastung der beiden benachbarten Grundstücke erreicht werden. Dies liegt regelmäßig nur im Interesse der Eigentümer oder Erbbauberechtigten der betroffenen Grundstücke; für sonstige dinglich Berechtigte ist die Frage der gleichgewichtigen baulichen Ausnutzbarkeit nicht von rechtlicher Relevanz. Kennzeichen des Nießbrauchs ist gem. § 1030 BGB das dingliche Recht, die Nutzungen (Früchte und Gebrauchsvorteile, vgl. § 100 BGB) aus dem belasteten Grundstück zu ziehen. Dieses Recht ist durch eine auf dem Nachbargrundstück heranrückende Grenzbebauung grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Dies gilt nach Auffassung der Kammer auch für den Fall, dass der benachbarte Bauherr nicht „entsprechend“ i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 1 NBauO a.F. an die gemeinsame Grundstücksgrenze heranbaut. Etwas anderes mag nur in den (seltenen) Fällen gelten, in denen der Anbau an die gemeinsame Grundstücksgrenze von der vorhandenen Grenzbebauung derart abweicht, dass hieraus weitergehende Beeinträchtigungen für die Nutzbarkeit des Nachbargrundstücks zum Zwecke des Gebrauchs und der Fruchtziehung durch den berechtigten Nießbraucher resultieren. Derartigen Fällen kann nach Auffassung der Kammer indes schon über die bauplanungsrechtlichen Bestimmungen zum Maß der baulichen Nutzung und der Bauweise (z.B. über das Gebot des „Einfügens“ gem. § 34 Abs. 1 BauGB, vgl. dazu Urteil der Kammer vom 2. Mai 2001 - 2 A 2206/99 -, UA S. 9) sowie über das baurechtliche Rücksichtnahmegebot Einhalt geboten werden, sodass es zum Schutz des Nießbrauchers des Rückgriffs auf § 8 Abs. 3 Satz 1 NBauO a.F. nicht bedarf. Dass die Beigeladene zu 1.) nicht befugt war, anstelle der Grundstückseigentümer - der Beigeladenen zu 2.) und 3.) - im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft die nachbarlichen Abwehrrechte des Grundstückseigentümers aus § 8 Abs. 3 Satz 1 NBauO geltend zu machen, bedarf keiner weiteren Ausführungen (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 26. Juli 2012 - 1 LC 130/09 -, RdL 2012, S. 327 ff. , zit. nach juris Rn. 58).

Jedenfalls war das verfahrensmäßige Recht der Beigeladenen zu 1.), gegen die den Klägern unter dem 15. Dezember 2009 erteilte Baugenehmigung Widerspruch einzulegen, zum Zeitpunkt des Eingangs des Widerspruches vom 13. Mai 2011 beim Beklagten am 16. Mai 2011 bereits verwirkt, der Widerspruch aus diesem Grunde unzulässig. Zu der Frage, wann ein Baunachbar sein Recht, eine ihm nicht bekanntgegebene Baugenehmigung durch Einlegung eines Widerspruchs anfechten zu können, verwirkt hat, hat das BVerwG in seinem Urteil vom 25. Januar 1974 (- IV C 2.72 -, BVerwGE 44, S. 294 ff., zitiert nach juris Rn. 25) Folgendes ausgeführt:

Hat der Grenznachbar von der dem Bauwilligen erteilten Baugenehmigung, obschon sie ihm nicht amtlich bekanntgegeben worden ist, auf andere Weise zuverlässig Kenntnis erlangt, so muss er sich in aller Regel nach Treu und Glauben bezüglich der Widerspruchseinlegung so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung amtlich bekanntgegeben worden. Denn mit Rücksicht auf das bezeichnete Nachbarschaftsverhältnis muss ihn diese Kenntniserlangung nach Treu und Glauben in aller Regel in gleicher Weise wie eine amtliche Bekanntmachung der Genehmigung zur Geltendmachung seiner Einwendungen in angemessener Frist veranlassen. Die Frist zur Einlegung des Widerspruchs richtet sich deshalb für ihn vom Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung an regelmäßig nach den Fristvorschriften der §§ 70 Abs. 1 und 58 Abs. 2 VwGO. Sofern ihm - wie fast immer - mit der anderweitigen Kenntniserlangung von der Genehmigung nicht zugleich eine amtliche Rechtsmittelbelehrung erteilt wird, muss er also seinen Widerspruch regelmäßig innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einlegen; ein später eingelegter Widerspruch ist unzulässig. Gleiches gilt nach Treu und Glauben regelmäßig für den Fall, dass der Nachbar von der Baugenehmigung zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm das Vorliegen der Baugenehmigung aufdrängen musste und es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber - etwa durch Anfrage bei dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde - Gewissheit zu verschaffen. Dann läuft für ihn die Frist des § 70 Abs. 1 in Verbindung mit § 58 Abs. 2 VwGO für die Einlegung des Widerspruchs von dem Zeitpunkt ab, in dem er zuverlässige Kenntnis von der Genehmigung hätte erlangen müssen.

Anlass, der Frage nachzugehen, ob eine Baugenehmigung erteilt worden ist, geben spätestens deutlich wahrnehmbare Bauarbeiten. Dabei kommt es nicht auf den Zeitpunkt an, in dem der Nachbar von solchen Bauarbeiten tatsächlich Kenntnis genommen hat, sondern auf denjenigen, in dem er von diesen Arbeiten hätte Kenntnis nehmen können. Maßgeblich ist mit anderen Worten nicht das Erkennen, sondern die Erkennbarkeit der geltend gemachten Beeinträchtigung. Allein das Abstellen auf die Erkennbarkeit wird dem zwischen dem Bauherrn und dem Nachbarn bestehenden nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis gerecht, das dem Nachbarn die Obliegenheit auferlegt, durch ein zumutbares aktives Handeln mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst niedrig zu halten, und der er dadurch nachzukommen hat, dass er nach Erkennen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend macht (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Dezember 2005 - OVG 10 B 10.05 -, zitiert nach juris Rn. 23 f. m.w.N. aus der Rspr.). Dementsprechend kommt es, anders als der Beklagte vertritt, für den Beginn der Jahresfrist der §§ 70 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO von vorn herein nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Beigeladene zu 1.) anhand des Baufortschritts die Auswirkungen der Baumaßnahme (erstmals) erkannt hat oder erkennen konnte, auf die sie die Beeinträchtigung ihrer nachbarlichen Belange konkret zurückführt.  

Die Kammer geht davon aus, dass die Beigeladene zu 1.) zwar erst im April 2011 im Wege der Gewährung von Akteneinsicht in die Bauakten des Beklagten an ihren Prozessbevollmächtigten erstmals positive Kenntnis vom Inhalt der den Klägern erteilten Baugenehmigung erlangt hat. Für die Beigeladene zu 1.) war indes - ebenso wie für die Beigeladenen zu 2.) und 3.) - spätestens im April 2010 erkennbar, dass den Klägern vom Beklagten für die streitgegenständliche Baumaßnahme eine Baugenehmigung erteilt worden sein muss, zumal die Beigeladene zu 1.) seit Juni 2009 und die Beigeladenen zu 2.) und 3.) seit Mitte Oktober 2009 von einem bevorstehenden bzw. laufenden Baugenehmigungsverfahren im Zuge der von den Klägern veranlassten Nachbarbeteiligung positiv wussten. Die Kläger haben nachvollziehbar unter Vorlage von Lichtbildern vorgetragen, dass sie im März 2010 mit den Vorbereitungen der genehmigten Baumaßnahme begonnen haben, indem sie für die Bodenplatte des Anbaus Leitungen und Fundamente der Gartenstützmauer freigelegt haben. Insbesondere haben sie durch Vorlage der Lichtbilder, Anlage K6 und K7 zur Klageschrift (Bl. 46 f der GA), nachvollziehbar dargelegt, dass am 19. April 2010 ein Minibagger zum Abtrag des Erdreichs für das Fundament des Anbaus mittels eines Krans angeliefert wurde (vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. April 2010 - OVG 10 S 5.10 -, BRS 76 Nr. 172, zitiert nach juris Rn. 17, das in der Aufstellung eines Krans einen deutlich sichtbaren Hinweis auf bevorstehende umfangreiche Bautätigkeit auf einem Nachbargrundstück festmacht). Die Beigeladene zu 1.) hat diesen Vortrag in der mündlichen Verhandlung dahingehend bestätigt, dass sie sich an das Kranfahrzeug noch gut erinnere; dieser Tag sei - zutreffend - ein Montag gewesen. Ferner haben die Kläger nachvollziehbar dargelegt, dass am 30. April 2010 das Fundament für den Anbau betoniert wurde. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 5. Juli 2011 (- 1 LA 207/08 -, NVwZ - RR 2011, S. 807 ff., zitiert nach juris Rn. 24) hierzu ausgeführt, die Herstellung einer Bodenplatte gehe zwangsläufig mit Geräuschen einher, welche auf einem unmittelbar angrenzendem Nachbargrundstück wahrgenommen werden können und den Nachbarn daher Anlass sein müssen, einen Blick auf das Grundstück der Bauherren - gegebenenfalls auch durch eine Barriere aus Koniferen - zu werfen. Danach geht die Kammer davon aus, dass die im April 2010 von den Klägern unternommenen Bauarbeiten bei objektiver Betrachtungsweise für die unmittelbare Nachbarschaft deutlich wahrnehmbare Bauarbeiten i.S.d. vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung sind, die den Beigeladenen spätestens Ende April 2010 Anlass gaben, sich bei den Klägern oder dem Beklagten nach der Erteilung der im Herbst 2009 beantragten Baugenehmigung zu erkundigen und deren konkreten Inhalt zu erfragen. Ab diesem Zeitpunkt lief für sie die Jahresfrist der §§ 70 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO mit der Folge, dass der erst am 16. Mai 2011 beim Beklagten eingegangene Widerspruch verfristet war.

Der Widerspruch der Beigeladenen zu 1.) vom 13. Mai 2011 war daneben auch unbegründet. Das materielle Abwehrrecht der Beigeladenen zu 1.) - hier unterstellt, sie als Nießbraucherin könne aus § 8 Abs. 3 Satz 1 NBauO a.F. für sich Nachbarschutz herleiten - ist zum Zeitpunkt des Eingangs des Widerspruchs beim Beklagten am 16. Mai 2011 ebenfalls verwirkt gewesen. In der Rechtsprechung der Kammer ist im Anschluss an die vom Nds. OVG in seinem Beschluss vom 5. Juli 2011 (a.a.O.) aufgezeigten Grundsätze zur materiellen Verwirkung geklärt, dass zwischen Grundstücksnachbarn ein nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis besteht, welches verlangt, dass ein Nachbar, der eine Baumaßnahme wegen Verletzung seiner Nachbarrechte für rechtswidrig hält, alsbald gegenüber dem Bauherrn oder der Bauaufsichtsbehörde tätig wird und seine Einwendungen vorbringt, damit ein wirtschaftlicher Schaden des Bauherrn möglichst vermieden wird. Lässt der Nachbar die Bauarbeiten ungerügt über einen längeren Zeitraum geschehen, so muss der Bauherr nicht mehr mit rechtlichen Schritten des Nachbarn rechnen. Der darin liegende Verstoß des Nachbarn gegen seine Pflichten aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis führt dann dazu, dass ein möglicher Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Baugenehmigung oder Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treue und Glauben verwirkt ist. Einen festen Zeitraum für den Eintritt der Verwirkung gibt es nicht, vielmehr muss der Nachbar seine Einwendungen „ungesäumt“ gegenüber dem Bauherrn und / oder der Bauaufsichtsbehörde geltend machen (Beschlüsse der Kammer vom 30. April 2013 - 2 B 310/13 und 324/13 -, n.v.b.).

Das Vertrauen der Kläger in die Annahme, die Beigeladenen würden keine rechtlichen Schritte gegen die ihnen erteilte Baugenehmigung mehr einleiten, kann vorliegend zwar nicht allein schon damit begründet werden, dass die Kläger der Beigeladenen zu 1.) im Juni 2009 und den übrigen Beigeladenen im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens im Oktober 2009 die Bauvorlagen zugänglich gemacht haben, die später Gegenstand der vom Beklagten erteilten Baugenehmigung wurden. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass allein das (vorherige) Zeigen der Baupläne keinen besonderen Umstand darstelle, der das spätere Geltendmachen des nachbarlichen Abwehrrechts als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erscheinen lässt (BVerwG, Beschluss vom 7. August 1996 - 4 B 147/96 -, BRS 58 Nr. 186, zit. nach juris LS 1). Allerdings waren die Beigeladenen hierdurch gleichsam vorgewarnt und mussten damit rechnen, dass den Klägern vom Beklagten in nächster Zeit eine auf den zugänglich gemachten Planungen basierende Baugenehmigung erteilt wird. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Nds. OVG in seinem Beschluss vom 5. Juli 2011 (a.a.O.), wonach schon Erdarbeiten im Bereich des Bauwichs für den betroffenen Nachbarn bereits einen gewissen Vorwarneffekt entfalteten, und das genannte Gemeinschaftsverhältnis es dem Nachbarn verbiete, sich gegenüber solchen Bauarbeiten taub zu stellen, d.h. gleichsam mit verschränkten Armen ohne jede Vorbereitung abzuwarten und erst dann mit Überlegungen der eigenen Interessen zu beginnen, wenn die Verletzung von Nachbarrechten sozusagen mit den Händen zu greifen sei (a.a.O., Rn. 20), waren die Beigeladenen hier umso mehr - weil zweifach vorgewarnt - gehalten, spätestens Ende April 2010 zur Vermeidung einer fortschreitenden Bautätigkeit der Kläger ihre konkreten Einwendungen gegen das Bauvorhaben gegenüber den Klägern zum Ausdruck zu bringen. Zur Rechtswahrung nicht ausreichend erachtet die Kammer den Verweis des Beklagten auf das Schreiben der Beigeladenen vom 8. Juli 2009, mit dem diese vorsorglich Einspruch gegen jegliche Baugenehmigung einlegten. Der zuständige Sachbearbeiter des Beklagten hat diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung zutreffend darauf hingewiesen, dass jedenfalls nach Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens unter Beteiligung der Beigeladenen zu 2.) und 3.), die im ständigen Informationsaustausch mit der Beigeladenen zu 1.) standen, zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung am 15. Dezember 2009 nicht mehr davon ausgegangen werden konnte, dass die seinerzeit pauschal erhobenen Einwände der Beigeladenen fortbestanden.

Selbst wenn man zur Rechtswahrung auf das Schreiben der Beigeladenen zu 2.) und 3.) vom 13. Mai 2010 abstellt, mit dem diese die Kläger u.a. aufforderten, alle Bestimmungen des Nachbarrechts zu beachten, und daneben ankündigten, die Sachlage von Fachleuten überprüfen zu lassen, muss in diesem Kontext die Antwort der Kläger mit Schreiben vom 28. Mai 2010 gewürdigt werden. Die Kläger haben darin mitgeteilt, der von den Beigeladenen zu 2.) und 3.) angekündigten Prüfung ihres Bauvorhabens durch Fachleute mit Interesse entgegenzusehen. Spätestens der Zugang dieses Schreibens Ende Mai 2010 hätte die Beigeladenen veranlassen müssen, nunmehr schnellstmöglich zur Vermeidung eines weiteren Baufortschritts und damit eines größeren wirtschaftlichen Schadens der Kläger ihren Widerspruch gegen die erteilte Baugenehmigung beim Beklagten anzubringen. Da die Beigeladenen jedoch nach dem Zugang des Schreibens vom 28. Mai 2010 über Monate – offenbar bis April 2011 – wegen der streitigen Baumaßnahme nicht mehr an die Kläger herangetreten sind, durften diese schon während der weiteren Errichtung des Rohbaus im Sommer 2010 füglich den Eindruck gewinnen, die Beigeladenen würden sich gegen ihre Baumaßnahme nicht mehr zur Wehr setzen. Anders als der Beklagte meint, ist deshalb das Fortschreiten der Baumaßnahme im Sommer 2010 bis zu deren Vollendung Anfang November 2010 nicht nur im Vertrauen auf den Bestand der erteilten Baugenehmigung, sondern auch im Vertrauen auf die weitere Untätigkeit der Beigeladenen erfolgt, ein Vertrauenstatbestand damit geschaffen und dieses Vertrauen im weiteren Verlauf der Baumaßnahme von den Klägern auch betätigt worden.

Den Beigeladenen waren gem. § 154 Abs. 3 VwGO keine Kosten aufzuerlegen, weil sie keine eigenen Anträge gestellt haben. Sie haben deshalb auch ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, vgl. § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten der Kläger im Vorverfahren beruht auf § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO und berücksichtigt den Umfang und die Schwierigkeit des vorliegenden Verfahrens.