Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 05.04.2004, Az.: 4 B 35/04

Beistandsgemeinschaft; familiäre Lebensgemeinschaft; Folgenbeseitigungsanspruch; Lebensgemeinschaft; Zurückschiebung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
05.04.2004
Aktenzeichen
4 B 35/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50583
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine funktionierende familiäre Lebensgemeinschaft von Eltern mit minderjährigen Kindern im Sinne einer Beistandsgemeinschaft genießt den verfassungsrechtlichen Schutz nach Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 des Grundgesetzes (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59).

Tenor:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die Zurückschiebung der Antragsteller zu 1. und 2. nach H. rückgängig zu machen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Den Antragstellern wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K. aus J. bewilligt.

Gründe

1

I. Die Antragsteller begehren die Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Zurückschiebung der Antragsteller zu 1. und 2. nach H. rückgängig zu machen.

2

Die am . .1975 geborene Antragstellerin zu 1. ist Staatsangehörige Bosnien und Herzegowinas. Sie hielt sich bereits zwischen 1994 und 1998 geduldet im Bundesgebiet auf und verließ dieses am 30.08.1998. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt beantragte sie in H. die Gewährung politischen Asyls. Dieser Asylantrag wurde abgelehnt und die Antragstellerin zu 1. wurde zur Ausreise aus H. bis zum 04.09.2002 aufgefordert.

3

Am 30.08.2002 reiste die Antragstellerin zu 1. erneut in das Bundesgebiet ein, um - nach ihrem Vortrag - in ihr Heimatland weiter zu reisen. Sie unterbrach die Reise jedoch in J. und stellte dort bei der Antragsgegnerin am 02.09.2002 einen Antrag auf Erteilung einer Duldung. Zur Begründung trug sie vor, während der Zugfahrt seien bezüglich der bei ihr bestehenden Schwangerschaft Komplikationen aufgetreten. Sie habe sich daher entschlossen, sich zum Antragsteller zu 3. - dem Vater ihres ungeborenen Kindes - nach J. zu begeben, um sich dort zu erholen. Der Antragsteller zu 3. ist serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger und im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis.

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Am 14.11.2002 wurde der Antragsteller zu 2. in J. geboren. Der Antragsteller zu 3. erkannte die Vaterschaft an. Beide Eltern hatten bereits am 08.11.2002 beim Jugendamt der Antragsgegnerin urkundlich ihre Absicht erklärt, die elterliche Sorge für den Antragsteller zu 2. gemeinsam auszuüben. Die Antragsteller zu 1. und 2. wurden in der Folgezeit durch die Antragsgegnerin geduldet. Die Duldung wurde am 11.03.2004 letztmalig bis zum 23.03.2004 verlängert. An diesem Tag veranlasste die Antragsgegnerin nach Abstimmung mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen und dem Q. die Überstellung der Antragsteller zu 1. und 2. nach H..

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Am 23.03.2004 haben die Antragsteller zu 1. und 2. bei Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Am 24.03.2004 trat der Antragsteller zu 3. in das Verfahren ein. Die Antragsteller tragen vor, die Antragsteller zu 1. und 2. hätten am fraglichen Tag wegen der fortgeltenden Duldung nicht abgeschoben werden dürfen. Sie seien auch nicht reisefähig gewesen. Die Rechte des Antragstellers zu 3. auf Wahrung der Familieneinheit würden durch die aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt.

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Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die am 23.03.2004 erfolgte Zurückschiebung der Antragsteller zu 1. und 2. rückgängig zu machen

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sowie ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K. aus J. zu bewilligen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie ist der Auffassung, die Interessen der Antragsteller auf Wahrung ihrer Familieneinheit in Deutschland seien nicht verletzt, da diese Familieneinheit auch in den Herkunftsstaaten der Antragsteller zu 1. und 3. aufrecht erhalten werde könne. Der Antragsteller zu 3. könne sein Sorgerecht ausüben, da ihm als Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis das Recht zustehe, sich zu Kurzaufenthalten nach H. zu begeben, um sein Kind zu sehen. Auch der Gesundheitszustand der Antragsteller zu 1. und 2. habe ihrer Zurückschiebung nicht entgegengestanden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und auf die Akten der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

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II. Die Anträge haben Erfolg.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn sie nötig erscheint, um u. a. wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Ihr Erlass setzt die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

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Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist vorliegend nicht gemäß § 123 Abs. 5 VwGO deshalb unzulässig, weil die Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz in einem Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anstreben müssten. Die Antragsgegnerin hat sich zum Zwecke der Beendigung des Aufenthalts der Antragsteller zu 1. und 2. einer sog. Zurückschiebung gemäß § 61 des Ausländergesetzes (AuslG) bedient. Die Zurückschiebung ist eine spezialgesetzlich geregelte Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung in Form des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung einer vollziehbaren Ausreisepflicht, ohne dass zuvor in jedem Fall zwingend ein Grundverwaltungsakt erlassen werden müsste (GK-Ausländerrecht, Stand: November 2003, § 61 AuslG Rn. 17). Die Antragsgegnerin hat davon abgesehen, einen Verwaltungsakt zu erlassen, gegen den um vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nachgesucht werden könnte.

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Ein rechtlich geschütztes Interesse der Antragsteller, sich gegen die Zurückschiebung im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes zur Wehr zu setzen, ist nicht deshalb zu verneinen, weil die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bereits am 23.03.2004 abgeschlossen waren. Für einen derartigen Fall hält es die Rechtsprechung für möglich, die Ausländerbehörde durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, die Vollziehung der Maßnahme rückgängig zu machen. Für Vollstreckungsmaßnahmen, die vollzogen worden sind, ergibt sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ein Folgenbeseitigungsanspruch, wenn durch den hoheitlichen Eingriff ein subjektives Recht des Betroffenen verletzt wird und infolgedessen ein andauernder rechtswidriger Zustand entstanden ist. Dieser Anspruch kann zur Hauptsache mit einer auf Folgenbeseitigung gerichteten Klage geltend gemacht und vorläufig über § 123 VwGO gesichert werden (BVerwG, Urt. v. 19.07.1984 - 3 C 81.82 -, BVerwGE 69, 366; Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschl. v. 24.01.2003 - 9 W 50/02 -, juris). Einen derartigen Antrag haben die Antragsteller im vorliegenden Fall gestellt.

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Dem Antrag bleibt auch nicht deshalb der Erfolg versagt, weil die Antragsteller mit ihm eine Vorwegnahme der Hauptsache begehren. Zwar kommt eine solche Vorwegnahme im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO grundsätzlich nicht in Betracht. Vorliegend gilt jedoch Abweichendes, weil eine Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes und insbesondere zur Verwirklichung von Grundrechten der Antragsteller notwendig ist. Die andernfalls zu erwartenden Nachteile sind den Antragstellern nicht zumutbar und es spricht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache.

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Gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AuslG soll ein Ausländer, der unerlaubt eingereist ist, innerhalb von sechs Monaten nach dem Grenzübertritt zurückgeschoben werden. Ist ein anderer Staat aufgrund einer zwischenstaatlichen Übernahmevereinbarung zur Rückübernahme des Ausländers verpflichtet, so ist die Zurückschiebung gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 AuslG zulässig, solange die Rückübernahmeverpflichtung besteht.

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Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen der genannten Vorschrift in der Person der Antragsteller zu 1. und 2. vorlagen, war die Entscheidung der Antragsgegnerin, ihnen gegenüber mit Wirkung zum 23.03.2004 aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen, bereits deshalb rechtswidrig, weil die Antragsteller zu 1. und 2. an diesem Tag noch im Besitz einer fortgeltenden Duldung waren. Zwar ist die am 11.03.2004 letztmalig erteilte Duldung nur auf den Namen der Antragstellerin zu 1. ausgestellt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie sich auch auf den Antragsteller zu 2. beziehen sollte, der in die der Antragstellerin zu 1. zuvor ausgestellten Duldungen regelmäßig mit aufgenommen worden ist und dessen Aufenthaltsstatus ansonsten ungeregelt geblieben wäre. Solange eine erteilte Duldung noch nicht abgelaufen oder wirksam widerrufen bzw. zurückgenommen worden ist, ist die Vollziehung einer Zurückschiebung unzulässig (GK-Ausländergesetz, a.a.O., § 61 AuslG Rn. 32; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.04.2001 - 11 S 1327/00 -, AuAS 2001, 146). Diese Frage kann jedoch letztlich ebenso wie diejenige nach der Reisefähigkeit der Antragsteller zu 1. und 2. am 23.03.2004 dahinstehen, da eine hieraus begründete Rechtswidrigkeit der Zurückschiebung allein nicht zum Erfolg des Antrages führen könnte. Die Antragsteller zu 1. und 2. sind jedenfalls seit dem 24.03.2004 nicht mehr in Besitz einer Duldung und es ist zu ihren Gunsten - ihr Antrag wäre sonst unschlüssig - davon auszugehen, dass sie derzeit auch reisefähig sind. Ihrem Antrag auf Beseitigung der Folgen der Zurückschiebung wird nur deshalb entsprochen, weil überwiegende Anhaltspunkte dafür sprechen, dass sich die Beendigung ihres Aufenthalts auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts als rechtswidrig darstellt.

20

Im Fall des Antragstellers zu 2. war und ist eine Zurückschiebung bereits deshalb unzulässig, weil diese die unerlaubte Einreise eines Ausländers voraussetzt. Der Antragsteller zu 2. ist jedoch nicht unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist, sondern im Bundesgebiet geboren. Die Antragsgegnerin hätte den Aufenthalt des Antragstellers zu 2. daher nicht unter den erleichterten Voraussetzungen einer Zurückschiebung beenden dürfen. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine andere aufenthaltsbeendende Maßnahme zulässig gewesen wäre, kann dahinstehen, weil eine solche Maßnahme (wie z. B. die Abschiebung) weitergehenden rechtlichen Anforderungen unterlegen hätte als die vorgenommene Zurückschiebung. Diese war somit bereits aus diesem Grund rechtswidrig und die Antragsgegnerin hat ihre Folgen rückgängig zu machen.

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Im Fall der Antragstellerin zu 1. scheitert die Zurückschiebung nicht - wie beim Antragsteller zu 2. - daran, dass die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 nicht vorliegen. Die Antragstellerin zu 1. ist ohne das gemäß § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 AuslG erforderliche Visum und damit unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist und war daher gemäß § 42 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG vollziehbar ausreisepflichtig. Der Staat H. war nach Durchführung eines Asylverfahrens gemäß Art. 10 Abs. 1 e) des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (Dubliner Übereinkommen; DÜ) vom 15.06.1990 (BGBl. II 1994 S. 791) verpflichtet, sie wieder aufzunehmen, und diese Pflicht ist auch nicht gemäß Art. 10 Abs. 3 oder Abs. 4 DÜ erloschen (die durch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 31.03.2004 in Bezug genommene „Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist“ - ABl. EG Nr. L 050 S. 1 -, die am 17.03.2003 in Kraft getreten ist, ist im Verfahren der Antragstellerin zu 1. nicht anwendbar, da ihr Asylverfahren in H. im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits abgeschlossen war - vgl. Art. 29 der Verordnung - und die Verordnung im Übrigen im Verhältnis zum Vertragsstaat H. gar nicht anwendbar ist - vgl. Nr. 18 und 19 der Begründungserwägungen zur Verordnung -).

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Jedoch zieht die Rechtswidrigkeit der Zurückschiebung des Antragstellers zu 2. auch die Rechtswidrigkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegenüber der Antragstellerin zu 1. nach sich. Sowohl die Antragstellerin zu 1. als auch der Antragsteller zu 2. haben einen wechselseitigen Anspruch aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG auf Wahrung ihrer familiären Lebensgemeinschaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z. B. Beschl. v. 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59) genießt eine funktionierende familiäre Lebensgemeinschaft von Eltern mit minderjährigen Kindern im Sinne einer Beistandsgemeinschaft den verfassungsrechtlichen Schutz nach Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Zwar stellt sich nicht jede vorübergehende Trennung eines Elternteils von seinem Kind als unverhältnismäßig und damit unzumutbar dar. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass gerade bei kleinen Kindern die persönliche Entwicklung sehr schnell voranschreitet, so dass bereits eine kurze Trennungszeit im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 GG unzumutbar lang sein kann. Zwischen den Antragstellern zu 1. bis 3. bestand im Bundesgebiet eine familiäre Lebensgemeinschaft, die durch die Zurückschiebung durchbrochen worden ist; zwischen den Antragstellern zu 1. und 2. besteht eine solche Gemeinschaft auch derzeit noch. Die Kammer geht davon aus, dass es im Fall der alleinigen Rückführung des Antragstellers zu 2. in das Bundesgebiet und in die Obhut des Antragstellers zu 3. zu einer unter Umständen mehrmonatigen oder noch längerfristigen Trennung des nicht einmal 1 1/2 Jahre alten Antragstellers zu 2. von seiner Mutter kommen würde. Eine derart lange Trennung sieht das Gericht als unverhältnismäßig im oben genannten Sinne an. Es berücksichtigt dabei, dass Art. 6 GG in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht den Zusammenhalt der Eltern zu ihren noch beistandsbedürftigen Kindern und damit den Zusammenhalt der Familie insgesamt als Lebens-, Erziehungs- und Beistandsgemeinschaft schützt. Diese Gemeinschaft prägt die kindliche Entwicklung entscheidend und stellt daher einen existenziellen Belang jeder Familie dar. Wird eine derartige Gemeinschaft durch eine längerfristige Trennung auch nur vorübergehend gestört, drohen irreparable oder nur schwer ausgleichbare Nachteile für die Erziehung und Entwicklung der Kinder. Es ist nach Auffassung der Kammer überwiegend wahrscheinlich, dass sich derartige Nachteile auch in der Entwicklung des Antragstellers zu 2. ergeben werden, sofern er über eine Zeit von mehreren Monaten von seiner Mutter getrennt wird. Es nicht zu erwarten, dass allein die Herstellung einer Beistandsgemeinschaft zum Vater die zu befürchtenden Nachteile auch nur annähernd aufwiegen würde. Letztlich ist der Antragsteller zu 2. auch für die Rückführung auf die Begleitung durch die Antragstellerin zu 1. angewiesen.

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Unter den gegebenen Umständen überwiegen die Interessen insbesondere des Antragstellers zu 2. gegenüber dem öffentlichen Interesse der Antragsgegnerin daran, dass die Antragsteller zu 1. und 2. das Bundesgebiet auf Dauer verlassen. Auch der Antrag des Antragstellers zu 3. hat Erfolg. Die Antragsgegnerin hat es unterlassen, die auch ihm als leiblichem und nach § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB sorgeberechtigtem Vater des Antragstellers zu 2. zustehenden Rechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bei ihrer Entscheidung, gegenüber den Antragstellern zu 1. und 2. aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen, zu berücksichtigen. Ihre nachgeschobenen Erwägungen, der Antragsteller zu 3. sei berechtigt, das Staatsgebiet H. s vorübergehend zu betreten und so sein Sorgerecht auszuüben, reichen nach Auffassung der Kammer nicht aus, um eine die Rechte des Antragstellers zu 3. wahrende Entscheidung über die Trennung der Familie zu begründen. Es liegt auf der Hand, dass das oben angeführte Interesse eines Elternteils, den familiären Kontakt insbesondere zu einem Kleinkind wie dem Antragsteller zu 2. aufrecht zu erhalten, durch derartige Kurzbesuche nicht hinreichend gewahrt werden kann. Da der Antragsteller zu 3. berufstätig ist und die notwendigen Reisen zudem einen erheblichen Teil seiner Einkünfte verschlingen würden, würden sich solche Besuche notwendigerweise auf wenige Tage im Monat beschränken. Schließlich kann sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren auch nicht darauf berufen, die Antragsteller könnten die familiäre Lebensgemeinschaft in den Heimatstaaten der Antragsteller zu 1. oder 3. fortführen, nachdem sie die Antragsteller zu 1. und 2. nicht in einen dieser Staaten, sondern nach H. überstellt hat, wo die Lebensgemeinschaft zwischen allen drei Antragstellern gerade nicht fortgeführt werden kann.

24

Die Antragsgegnerin wird nach Rückführung der Antragsteller zu 1. und 2. unter Berücksichtigung der vom Gericht genannten, in die Ermessenerwägungen einzustellenden Rechte der Antragsteller erneut über die Frage ihres weiteren Aufenthalts zu entscheiden haben.

25

Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, denn angesichts der zu befürchtenden Grundrechtsbeeinträchtigungen ist es ihnen nicht zuzumuten, den rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

27

Die Streitwertfestsetzung ergeht nach §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 1 GKG und berücksichtigt die Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605 ff., Tz. 6.3).

28

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K. aus J. gewährt, da ihre Rechtsverfolgung die notwendige Aussicht auf Erfolg bietet und die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung vorliegen (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 f. ZPO).