Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.04.2004, Az.: 2 A 271/03

Rückforderung; Rücknahme; Teilanfechtung; Teilanfechtungsklage

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.04.2004
Aktenzeichen
2 A 271/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50580
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 30.09.2004 - AZ: 12 LC 201/04

Tenor:

Der Bescheid der Stadt E. vom 10. März 2003 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 16. Juni 2003 werden aufgehoben, soweit in der Zeit vom 1. Dezember 2000 bis 31. Januar 2002 ergangene Bescheide über die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt im Umfang von mehr als 4.849,00 Euro zurückgenommen werden und von der Klägerin ein Betrag von mehr als 4.849,00 Euro zurückgefordert wird.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens, die bis zum 1. Dezember 2003 entstanden sind, tragen die Klägerin zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4, die danach entstandenen Kosten trägt der Beklagte.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Jeder Beteiligte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die 1966 geborene Klägerin studierte in der Zeit vom 1. Oktober 1993 bis zum 29. November 2000 Sozialwissenschaften. Währenddessen erhielt sie Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Sie ist Mutter eines 1995 geborenen Sohnes.

2

Am 27. November 2000 beantragte sie bei der in Sozialhilfeangelegenheiten Namens und im Auftrage des Beklagten handelnden Stadt E. die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn. Mit dem Antragsformular erklärte sie, außer über die angegebenen über keine weiteren Vermögenswerte zu verfügen. Ab Dezember 2000 erhielten die Klägerin und ihr Sohn vom Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Gleichzeitig wurde pauschaliertes Wohngeld (besonderer Mietzuschuss) bewilligt.

3

Anfang März 2002 erfuhr das Sozialamt der Stadt E. über eine Kontrollmitteilung des Bundesamtes für Finanzen von Sparvermögenswerten der Klägerin und ihres Sohnes. Auf entsprechende Nachfrage teilte die Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 17. März 2002 mit, sie und ihr Sohn hätten Sparvermögen bei der Sparkasse E.. Dieses belief sich für die Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung auf 11.986,73 DM (entspricht 6.127,70 Euro) und für ihren Sohn auf ca. 5.000,00 DM (entspricht ca. 2.556,00 Euro).

4

Daraufhin nahm die Stadt E. mit Bescheid vom 3. Juli 2002 zunächst die in der Zeit vom 1. Dezember 2000 bis 31. Januar 2002 ergangenen Bescheide über die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt betreffend den Sohn der Klägerin zurück und forderte von ihr 2.052,19 Euro zurück. Diesen Betrag zahlte die Klägerin am 22. Juli 2002. Dieser Bescheid war Gegenstand des vor der Kammer anhängig gewesenen Verfahrens 2 A 456/03. Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hob der Beklagte den Bescheid auf und erstattete der Klägerin die geleistete Summe im Januar 2004.

5

Mit weiterem Bescheid vom 10. März 2003 nahm die Stadt E. die in der Zeit vom 1. Dezember 2000 bis 31. Januar 2002 ergangenen Bescheide über die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt betreffend die Klägerin zurück und forderte von ihr 6.737,21 Euro zurück. Die Bewilligungsbescheide seien rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin in der fraglichen Zeit über Vermögenswerte verfügt habe, die vorrangig vor der Leistung von Sozialhilfe einzusetzen gewesen wären. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, denn sie habe mit dem Antragsformular auf Gewährung von Sozialhilfe vom 30. November 2000 die Existenz eines Sparvermögens verneint. Das öffentliche Interesse an der Rückforderung zu Unrecht geleisteter öffentlicher Gelder sei höher zu bewerten als das Interesse der Klägerin, diese Beträge behalten zu dürfen. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2003 aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurück.

6

Ebenfalls im März 2003 nahm die Stadt E. die Bewilligungsbescheide über pauschaliertes Wohngeld für den fraglichen Zeitraum zurück und forderte von der Klägerin 2.462,04 Euro zurück. Diesen Betrag verrechnete die Stadt mit dem ( höheren ) Anspruch der Klägerin auf Tabellenwohngeld.

7

Daneben sah sich die Klägerin einer mit Bescheid vom 4. August 2003 bestandskräftig festgesetzten Rückforderung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in Höhe von 6.077,28 Euro ausgesetzt. Dieser Betrag wurde vom Vater der Klägerin am 1. September 2003 an das Studentenwerk E. überwiesen.

8

Am 4. Juli 2003 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 10. März 2003 eine zunächst nicht bezifferte (Teilanfechtungs-) Klage erhoben, der der Ausgangs- und der Widerspruchsbescheid beigefügt war.

9

Sie ist der Ansicht, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil der Beklagte weder die gegen sie gerichtete Rückforderung von BAföG-Leistungen noch die von ihr getragene Rückzahlung der ihrem Sohn gewährten Sozialhilfeleistungen berücksichtigt habe. Bereits durch diese Zahlungen sei der rechtmäßige Zustand wieder hergestellt worden. Ihr sei auch Vertrauensschutz zu gewähren, da in dem Formular auf Gewährung von Sozialhilfe nur nach Sparverträgen, nicht aber nach Sparbüchern gefragt worden sei. Da sie Sparverträge nicht abgeschlossen habe, habe sie die Frage wahrheitsgemäß beantwortet. Jedenfalls sei die Rückforderung auf den Wert ihres Vermögens (11.984,73 DM entsprechend 6.127,70 Euro) abzüglich des Vermögensfreibetrages (2.500,00 DM entsprechend 1.278,23 Euro) zu begrenzen.

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Deshalb konkretisiert die Klägerin ihr Klagebegehren, nachdem sie zwischenzeitlich die genannten Bescheide vollumfänglich anfechten wollte und beantragt nunmehr, zuerst angekündigt mit Schriftsatz vom 28. November 2003, eingegangen bei Gericht am 2. Dezember 2003,

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den Bescheid der Stadt E. vom 10. März 2003 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 16. Juni 2003 insoweit aufzuheben, als in der Zeit vom 1. Dezember 2000 bis 31. Januar 2002 ergangene Bescheide über die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt im Umfang von mehr als 4.849,00 Euro zurückgenommen werden und von der Klägerin ein Betrag von mehr als 4.849,00 Euro zurückgefordert wird.

12

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

14

Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid vom 10. März 2003 und führt ergänzend aus:

15

Der Klägerin sei Vertrauensschutz nicht zu gewähren, da sie mit ihrem Grundantrag vom 30. November 2000 grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich die Frage nach dem Bestehen von Sparverträgen mit „Nein“ angekreuzt habe. Die angefochtene Entscheidung sei auch ermessensgerecht, da der Umstand, dass die Klägerin auch einer BAföG-Rückforderung ausgesetzt sei, unbeachtlich sei. Diese Rückforderung, gegen die die Klägerin keinen Rechtsbehelf eingelegt habe, betreffe einen anderen Zeitraum als der streitgegenständliche Bescheid. Die Frage, ob er, der Beklagte, den zurückgeforderten Betrag auch tatsächlich vollstrecken könne, sei für die Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides unerheblich. Der Rückforderungsbetrag dürfe auch höher sein als die vorhandenen Vermögenswerte, da die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum fiktiven Vermögensverbrauch auch auf Rückforderungsfälle Anwendung finde. Da der Rückforderungsbetrag größer sei als das bei der Klägerin vorhandene Sparguthaben, komme die Absetzung eines Freibetrages nicht in Betracht.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

17

Die Klage ist als Teilanfechtungsklage zulässig.

18

Die Rücknahme der aus Sicht des Beklagten rechtswidrigen Bescheide und die entsprechende Rückforderung sind betragsmäßig teilbar, so dass sich die Anfechtung der streitgegenständlichen Bescheide auf einen niedrigeren Betrag als die Gesamtforderung (hier: 4.849,00 Euro) beschränken lässt.

19

Die Klage der Klägerin vom 4. Juli 2003 erfüllt auch die Mindestanforderungen, die den § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO an eine Klage stellt. Insbesondere lässt sich der Gegenstand des Klagebegehrens jedenfalls durch Auslegung ermitteln. Diesem Kriterium kommt gerade bei Teilanfechtungsklagen besondere Bedeutung zu, da der nicht angefochtene Teil genau zu bestimmen sein muss, da er in Bestandskraft erwächst.

20

Für die Benennung des Klagegegenstandes bedarf es keiner exakten Bezeichnung des Streitgegenstandes. Vielmehr muss sich aus der Klageschrift oder dieser beigefügten Unterlagen oder anderen genau bezeichneten Schriftstücken erkennen lassen, um was es der Klägerseite geht (Geiger in: Eyermann/Fröhler, VwGO, 11. Aufl., § 82 Rdnr. 6; Ortloff in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblattkommentar, § 82 Rdnr. 6; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 82 Rdnr. 7). Um was es der Klägerin hier geht, lässt sich der Klageschrift selbst nicht entnehmen, die sich zum Umfang der Teilanfechtung nicht verhält. Die Klägerin hat sich sogar ausdrücklich vorbehalten, zum Umfang der Teilanfechtung nach erfolgter Akteneinsicht Stellung zu nehmen. Dennoch lässt sich der Umfang durch Auslegung mit Hilfe des beigefügten Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2003 mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Darin wird auf die Widerspruchsbegründung der Klägerin eingegangen, die seinerzeit noch von einem anderen Rechtsbeistand vertreten worden war. Diese Begründung bezog sich ausweislich des Widerspruchsbescheides darauf, dass die Rückforderungssumme die Höhe des vorhandenen Vermögens übersteige und keine Freibeträge berücksichtigt worden seien. Das Klagebegehren kann daher im Wege der Auslegung derart konkretisiert werden, dass der Ausgangsbescheid der Stadt E. vom 10. März 2003 auch nur insoweit, d.h. als die Rückforderung die Summe des vorhandenen Vermögens abzüglich des gesetzlichen Freibetrages übersteigt, angegriffen wird. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Klägerin Äußerungen zum Umfang der Teilanfechtung nach erfolgter Akteneinsicht vorbehalten hat. Diese Aussage ist im Lichte des Umstandes zu betrachten, dass sich die Klägerin für die Erhebung der Klage eines anderes Prozessbevollmächtigten als im Widerspruchsverfahren bedient hat. Denn offensichtlich war der jetzige Prozessbevollmächtigte mit den Akten, insbesondere dem Widerspruchsvorbringen zum Zeitpunkt der Klageerhebung -noch- nicht vertraut und konnte deshalb auch -noch- nicht wissen, auf welchen Betrag genau die Widerspruchsbegründung begrenzt war. Die Klageschrift und die ihr beigefügten Unterlagen lassen sich daher nur so verstehen, dass die Klägerin Teilanfechtungsklage in dem Umfang erheben wollte, wie er Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewesen ist und dass sich der Vorbehalt, zum Umfang der Teilanfechtungsklage später Stellung nehmen zu wollen, darauf bezog, die Begrenzung des Umfangs antragsgemäß zu beziffern und sie rechtlich zu untermauern.

21

Dies scheint auch der Beklagte so verstanden zu haben, der den Einwand der Unzulässigkeit der Klage lediglich gegen die später erfolgte Klageerweiterung erhoben und die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der ursprünglich erhobenen Teilanfechtungsklage lediglich in den Raum gestellt hat.

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Selbst wenn man entgegen der Ansicht des Gerichts der Auffassung wäre, die Klage vom 4. Juli 2003 erfülle nicht die Mindestanforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wäre die Kammer wegen des aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gehindert, die Klage als unzulässig abzuweisen. Denn § 82 Abs. 2 VwGO sieht vor, dass der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern hat, wenn die Klage den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO nicht entspricht. Nach überwiegend in der Kommentarliteratur vertretenen Ansicht, der sich die erkennende Kammer anschließt, begründet eine Entscheidung über die Klage, die ergeht, ohne dass eine Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO erfolgte, obwohl sie geboten war, einen revisiblen Verfahrensmangel (Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnr. 17; Geiger, a.a.O., Rdnr. 15; Kuntze in: Bader, VwGO, § 82 Rdnr. 12; a.A. Ortloff, a.a.O., Rdnr. 18, allerdings mit der Begründung, der Kläger könne in der mündlichen Verhandlung noch nachbessern, um eine Abweisung der Klage als unzulässig zu verhindern, was bei der hier fraglichen Teilanfechtungsklage indes nicht möglich ist.).

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Die somit zulässige Klage ist auch begründet.

24

Der Bescheid der Stadt E. vom 10. März 2003 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 16. Juni 2003 sind rechtswidrig, soweit mit ihnen Bescheide über die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt an die Klägerin im Umfang von mehr als 4.849.00 Euro zurückgenommen werden und von der Klägerin ein Betrag von mehr als 4.849,00 Euro zurückgefordert wird; hierdurch wird die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Die Aufhebung von sozialhilferechtlichen Verwaltungsakten ist in §§ 44 – 49 SGB X geregelt. Es wird danach unterschieden, ob es sich um belastende oder begünstigende, rechtmäßige oder rechtswidrige Verwaltungsakte handelt. Der angefochtene Bescheid kann nur auf § 45 SGB X gestützt werden. Danach darf ein – wie vorliegend – begünstigender Verwaltungsakt, der rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstige erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

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er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

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der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder

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er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

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Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 SGB X). Nur wenn eine der in den vorgenannten Nummern 1. – 3. genannten Voraussetzungen erfüllt ist, wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X).

30

Die jeweiligen Leistungsbescheide sind dem Grunde nach rechtswidrig, weil die Klägerin zum jeweiligen Leistungszeitpunkt unstreitig über einzusetzendes Vermögen verfügte.

31

Die Klägerin kann sich gegen die angefochtenen Bescheide gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn sie hat bei Abgabe ihres Sozialhilfegrundantrages am 30. November 2000 zur Niederschrift erklärt, dass außer den in diesem Antrag genannten keine weiteren Einkommens- und Vermögenswerte vorhanden seien. Damit hat sie mindestens grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht, denn sie verfügte, wie dargelegt, über Sparvermögen. Auf die Frage, ob die im Grundantrag gewählte Formulierung der Frage nach Sparverträgen auch Sparbuchvermögen umfasst, kommt es deshalb nicht an.

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Die angefochtenen Bescheide sind jedoch insoweit rechtswidrig, als mit Ihnen das insgesamt vorhandene Vermögen der Klägerin ohne Abzug des einschlägigen Freibetrages abgeschöpft wird. Denn bei der Rückforderung von Sozialhilfeleistungen nach §§ 45, 50 SGB X, die ihren Anlass in einem grob fahrlässigen Verschweigen anrechenbaren Vermögens hat, ist der Sozialhilfeempfänger so zu stellen, wie wenn er sein Vermögen ordnungsgemäß angegeben hätte. Dies bedeutet, dass bei der Überprüfung, inwieweit ergangene Bewilligungsbescheide wegen einer Anrechnung von Vermögen zurückzunehmen sind, der Sozialhilfeempfänger so zu behandeln ist, wie wenn er das auf einen bestimmten Bewilligungszeitraum anzurechnende Vermögen auch für seinen Lebensunterhalt tatsächlich aufgewendet hätte. Bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden ist anders als bei der Bewilligung selbst von der Behörde rückschauend zu überprüfen, wie für bestimmte, in der Vergangenheit liegende Bewilligungszeiträume die Sozialhilfe bemessen hätte werden müssen, wenn der Sozialhilfeempfänger seiner Mitwirkungspflicht aus § 60 Abs. 1 SGB X nachgekommen wäre. Dabei kann nicht unterstellt werden, dass der Sozialhilfeempfänger das Vermögen, das in einem bestimmten Zeitpunkt hätte angerechnet werden müssen, nicht für seinen Lebensunterhalt aufgewendet hätte, so dass es in der darauf folgenden Zeit zur Verfügung gestanden hätte und deshalb erneut anzurechnen gewesen wäre. Sinn und Zweck des § 45 SGB X ist es, im öffentlichen Interesse den rechtmäßigen Zustand wieder herzustellen. Bei rechtswidrigem Verschweigen von Vermögen sind die öffentlichen Interessen daher nur in dem Maß beeinträchtigt, in dem der Sozialhilfeempfänger durch die bewilligten und ausgezahlten Sozialleistungen, die ihm bei zutreffender Angabe seines Vermögens nicht hätten gewährt werden dürfen, davor bewahrt worden ist, entsprechendes Vermögen einzusetzen (BVerwG, Beschluss vom 18.07.1986 - 5 B 10.85 -, Buchholz 436.36 § 28 BAföG Nr. 1 zum Ausbildungsförderungsrecht). Diese Ausführungen lassen sich vom Recht der Ausbildungsförderung auf das Sozialhilferecht übertragen, da für beide Bereiche im Fall der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden § 45 SGB X einschlägig ist (vgl. Urteil der Kammer vom 25.2.2004 -2 A 268/03-; Beschluss der Kammer vom 18.07.2002 - 2 B 2143/02 -; a. A. im Sinne eines bloßen Ermessensgesichtspunktes wohl VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.11.1997 - 6 S 1137/96 -, FEVS 48, 178; Brühl in LPK-BSHG, § 88 Rn. 25). Ergänzend bleibt anzumerken, dass die Abschöpfung von über den tatsächlichen Vermögensbeträgen liegenden Summen Bußgeldcharakter hätte. Hierfür fehlt indes die gesetzliche Grundlage, so dass die abweichende Rechtsansicht des Beklagten gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstößt. Der Beklagte beruft sich für seinen Rechtsstandpunkt zu Unrecht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.1997 (- 5 C 7.96 -, BVerwGE 106, 105). Denn diese Entscheidung befasst sich allein mit der Leistungsbewilligung und nicht mit der Rückforderung geleisteter Sozialhilfe. Auch das aus anderem Zusammenhang bekannte Argument des Beklagten, es könne dann sein, dass die Rücknahme rechtswidriger Bewilligungsbescheide ausgeschlossen sei, wenn der Sozialhilfeempfänger im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung über kein oder unter den gesetzlichen Freibeträgen liegendes Vermögen verfüge, verfängt nicht. Denn maßgeblich ist nach dem Dargelegten dasjenige Vermögen, das der Sozialhilfeempfänger im jeweiligen Leistungszeitpunkt gehabt hat, nicht aber das im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung aktuelle.

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Es ergibt sich danach folgende Berechnung für den zu Recht von der Klägerin zurückgeforderten Betrag:

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Höchster Vermögensstand im Bewilligungszeitraum11.984,73 DM
abzüglich Vermögensfreibetrag nach § 88 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 4 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1b der Durchführungsverordnung zu § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG 2.500,00 DM
 9.484,73 DM
entspricht 4.849,47 Euro
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Auf diesen, ermessensfehlerfrei festgesetzten Betrag hat die Klägerin ihr Klagebegehren beschränkt.

36

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO. Die Klägerin hatte ihre Klage mit Schriftsatz vom 16. September 2003 unzulässiger Weise auf eine Vollanfechtung erweitert, diese Erweiterung jedoch mit bei Gericht am 2. Dezember 2003 eingegangenen Schriftsatz vom 28. November 2003 zurückgenommen. Soweit die Klage damit zurückgenommen wurde, ist die Klägerin an den Kosten zu beteiligen.

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Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig, da die klagende Partei der rechtskundigen Unterstützung bedurfte, um ihre Rechte und Ansichten gegenüber der staatlichen Verwaltung ausreichend zu vertreten.

38

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708, Nr. 11, 711 ZPO.

39

Die Berufung ist gemäß §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Frage, ob die Rücknahme rechtswidriger Bescheide über die Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt und die entsprechende Rückforderung zuviel gezahlter Leistung im Falle des Verschweigens von Vermögenswerten auf die Summe dieser Werte abzüglich des gesetzlichen Freibetrages begrenzt ist, der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleiht.

Sonstiger Langtext

40

Beschluss:

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Der Gegenstandswert wird gemäß §§ 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 BRAGO i.V.m. § 13 Abs. 2 GKG für die Zeit bis zum 1. Dezember 2003 auf 6.737,21 Euro und für die Zeit danach auf 4.849,00 Euro festgesetzt.