Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.04.2004, Az.: 2 A 311/03
Asylbewerberleistungen; Kompensationstheorie; Rahmengebühr
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 28.04.2004
- Aktenzeichen
- 2 A 311/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50581
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 118 Abs 1 Nr 1 BRAGebO
- § 12 Abs 1 BRAGebO
Tatbestand:
Der Kläger begehrt aus abgeleitetem Recht die Erstattung von Kosten von Vorverfahren.
Anfang 2003 vertrat der Kläger im Rahmen der Beratungshilfe mehrere, ethnischen Minderheiten angehörende serbisch-montenegrinische Staatsangehörige in Verfahren nach dem Asylbewerberleistungsgesetz -AsylbLG-. Die Beklagte gewährte diesen Personen seinerzeit nur Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Hiergegen legten die Betroffenen Widerspruch ein und suchten gleichzeitig um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nach. Nachdem die Kammer die Beklagte in diesen Verfahren zur Zahlung von Leistungen nach § 2 AsylbLG entsprechend dem Bundessozialhilfegesetz verpflichtet hatte, half die Beklagte den Widersprüchen jeweils ab. Daraufhin beantragte der Kläger jeweils die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren für notwendig zu erklären und Kostenerstattung auf der Basis einer 8/10 Geschäftsgebühr.
Mit den jeweils angefochtenen Bescheiden erklärte die Beklagte die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren für notwendig, setzte aber die zu erstattenden Kosten im Wesentlichen auf der Basis einer 6/10, in einem Verfahren auf der Basis einer 5/10 Geschäftsgebühr fest. Zur Begründung gab sie an, die vom Kläger begehrte Rahmengebühr entspreche nicht der Billigkeit. Lediglich die Bedeutung der Sache für die Betroffenen sei überdurchschnittlich. Demgegenüber rechtfertigten der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, die Schwierigkeit der Angelegenheit und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Mandanten lediglich die Festsetzung einer unterdurchschnittlichen Gebühr. Denn es handele sich um Massenverfahren, bei denen der Kläger im Wesentlichen mit Textbausteinen gearbeitet habe und auf die zuvor, nämlich mit Beschluss der Kammer vom 5. Februar 2003 (2 B 36/03), ergangene Rechtsprechung des erkennenden Gerichts habe zurückgreifen können. Lediglich in der ersten Phase dieser gleichgelagerten Fälle, die mit dem genannten Beschluss abgeschlossen gewesen sei, habe es einer überdurchschnittlichen Recherchearbeit bedurft. Die wirtschaftliche Situation der Mandantschaft liege unter dem Durchschnitt der Bevölkerung, da sie Bezieher von Sozialhilfeleistungen seien.
Die hiergegen vom Kläger jeweils fristgerecht erhobenen Widersprüche wies die Bezirksregierung Braunschweig jeweils mit Widerspruchsbescheiden vom 1., 2., 17. und 18. Juli 2003 zurück.
Gegen die jeweiligen Widerspruchsbescheide hat der Kläger jeweils fristgerecht Klage erhoben.
Er meint, er habe mindestens Anspruch auf Kostenerstattung auf der Basis einer 7,5/10 Anwaltsgebühr, worauf sich sein Klagebegehren auch beschränke. Sowohl die Bedeutung der Sache für seine Mandanten als auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und die Schwierigkeit der Rechtssache seien als überdurchschnittlich zu bewerten. Die Beklagte habe die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschlüsse der Kammer erst auf Mahnung und Androhung der Zwangsvollstreckung umgesetzt. Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich die im Widerspruchsverfahren anhängigen Verfahren quasi von selbst erledigt hätten. Zudem seien die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs für die Bemessung der anwaltlichen Gebühren unbeachtlich. Bei niedrigen Gegenstandswerten, wie hier, sei darüber hinaus eine den zeitlichen Aufwand kostendeckende Gebühr gerechtfertigt. Ferner habe die Beantwortung der für den Erfolg des jeweiligen Rechtsbehelfs maßgeblichen Frage, ob seinen Mandanten eine Rückkehr in ihren Heimatstaat zumutbar gewesen sei, umfangreiche Recherchearbeiten erfordert. Soweit die wirtschaftliche Situation seiner Mandanten in den Blick zu nehmen sei, dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass sich diese durch seine Tätigkeit wesentlich verbessert habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 15.5.2003 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 1.7.2003 (betr. J., K.), ihres Bescheides vom 23.5.2003 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 1.7.2003 (betr. L., M.), ihres Bescheides vom 15.5.2003 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 1.7.2003 (betr. N., O.), ihres Bescheides vom 15.5.2003 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 1.7.2003 (betr. P., Q.), ihres Bescheides vom 22.4.2003 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 1.7.2003 (betr. R., S.) und ihres Bescheides vom 3.4.2003 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 1.7.2003 (betr. P., T.) zu verpflichten, an den Kläger 164,90 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Kläger müsse vortragen und nachweisen, dass die von ihm ermittelte Gebühr billigem Ermessen entspreche. Dies sei - auch hinsichtlich einer 7,5/10 Gebühr - nicht der Fall. Denn Beratungsgespräche hätten zwischen dem Kläger und seinen Mandanten nicht stattgefunden und ein nennenswerter Arbeitsaufwand sei nicht festzustellen. Nach dem Beschluss der erkennenden Kammer vom 5. Februar 2003 habe festgestanden, dass sich die Beklagte dieser Rechtsprechung beugen würde. Die Rechtsangelegenheiten seien daher einfachst gelagert gewesen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Insbesondere ist der Kläger gemäß § 9 Satz 2 des Gesetzes über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen -Beratungshilfegesetz- vom 18.6.1980 (BGBl I S. 689) aus eigenem Recht klagebefugt. Unwidersprochen ist er für seine Mandanten im Wege der Beratungshilfe nach diesem Gesetz tätig gewesen. Der Anspruch auf Kostenersatz, der gemäß § 9 Satz 1 Beratungshilfegesetz dem Rechtssuchenden zusteht, geht gemäß Satz 2 der Vorschrift auf den Rechtsanwalt über.
Die Klage ist auch begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind im angefochtenen Umfang rechtswidrig und der Kläger hat Anspruch auf Erstattung derjenigen Kosten des Vorverfahrens, die er - rechnerisch richtig - auf der Basis einer 7,5/10 Anwaltsgebühr ermittelt hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 80 Abs. 2 VwVfG i.V.m. §§ 118 Abs. 1, 12 Abs. 1 BRAGO.
Die Beklagte hat die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren mit den insoweit jeweils nicht angefochtenen und deshalb bestandskräftigen Bescheiden für notwendig erklärt. Hieraus folgt, dass die gesetzlich vorgesehenen Gebühren und Auslagen des Klägers erstattungsfähig sind. Für das Betreiben des Geschäfts, um eine solche Gebühr wird hier gestritten, steht dem Kläger gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO fünf Zehntel bis zehn Zehntel der vollen Gebühr zu. Es handelt sich mithin um eine Rahmengebühr, deren Bestimmung sich nach § 12 BRAGO richtet.
Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten, wie hier von der Beklagten, zu ersetzen so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Die vom Kläger aufgrund einer eigenständig ausgeübten Ermessensentscheidung bestimmte Mittelgebühr von 7,5/10 entspricht der Billigkeit.
Nach der auch auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 8.5.1981 -6 C 153.80-, BVerwGE 62 196) zurückgehenden sog. Kompensationstheorie (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 15. Aufl., § 12 Rdnr. 8) ist für die Ermittlung, welche Gebührenfestsetzung „billig“ im Sinne von § 12 Abs. 1 BRAGO ist, zur Erreichung einer einigermaßen gleichmäßigen praktischen Übung grundsätzlich vom Mittelwert der Rahmengebühr auszugehen (BVerwG, a.a.O., S. 200; zuletzt Beschluss vom 18.9.2001 -1 WB 28.01-, DÖV 2002, 83). Jedes einzelne der in § 12 Abs. 1 BRAGO genannten Bemessungskriterien vermag ein Abweichen von der Mittelgebühr, sei es nach oben oder nach unten, zu rechtfertigen. Insoweit ist im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Kürzung der den Mandanten des Klägers zustehenden Asylbewerberleistungen ging, von einer grundrechtsrelevanten Rechtsbeeinträchtigung (Existenzminimum) und damit von einer überdurchschnittlich hohen Bedeutung der Rechtssache für die Rechtssuchenden auszugehen. Eine derartige Grundrechtsrelevanz - sie ergab sich in der zitierten Entscheidung aus Art. 4 Abs. 3 GG - lag auch dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1981 zugrunde. Diese Grundrechtsrelevanz verlangt vom Rechtsanwalt häufig eine verantwortungsvolle Tätigkeit, weshalb regelmäßig keine niedrigere Gebühr als der Mittelwert billig erscheint, wenn der Rechtsanwalt, wie hier der Kläger, seiner Verantwortung gerecht geworden ist. Eine Ausnahme von dieser Regel vermag die Kammer nicht zu erkennen.
Eine geringere Gebühr als die Mittelgebühr rechtfertigt sich hier allenfalls aus dem Umstand, dass die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Mandanten des Klägers als Bezieher von Sozialleistungen, gemessen am Durchschnitt der Bevölkerung unterdurchschnittlich sind (vgl. Madert, a.a.O. Rdnr. 14; Beschluss der Kammer vom 10.2.2004 -2 A 189/03-). Dies wird indes durch die Bedeutung der Sache für die Betroffenen, die hier quasi die Kehrseite dieses Aspekts ist, mehr als aufgewogen.
Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit schätzt die Kammer mit der Beklagten nicht als überdurchschnittlich ein, beurteilt sie jedoch als von durchschnittlichem Gewicht. Die Benutzung von Textbausteinen gehört zu einer effektiven Büroorganisation eines Anwalts und kann nicht gebührenmindernd berücksichtigt werden. Der Umstand, dass der Kläger bei der Interessenwahrnehmung für seine Mandanten auf Rechtsprechung der Kammer zurückgreifen konnte, führt ebenfalls nicht zu einem unterdurchschnittlichen Umfang oder Schwierigkeitsgrad der Arbeit. Denn auch diese Rechtsprechung musste der Kläger, wie in anderen Rechtsstreitigkeiten auch, auswerten und auf die individuellen Verhältnisse seiner Mandanten anwenden. Unter Würdigung all dieser Umstände hält die Kammer eine 7,5/10 Gebühr als Grundlage für die Kostenerstattung durch die Beklagte, wie vom Kläger mit seiner Klage erstrebt, für angemessen und billig.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, weil es sich um eine Annexentscheidung zu dem gerichtskostenfreien Verfahren auf Gewährung von Asylbewerberleistungen handelt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.