Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.03.2003, Az.: 7 B 575/03

angemessene Frist; Fristverlängerung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
12.03.2003
Aktenzeichen
7 B 575/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 47930
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Entzug einer Fahrerlaubnis auf Probe nach § 2a III StVG kommt nicht in Betracht, wenn der Fahrerlaubnisinhaber zwar die behördliche Frist versäumt hat, aber die Fahrerlaubnisbehörde die gesetzte Frist (hier: 3 Monate) ermessensfehlerhaft nicht verlängert hat.
Der Fahrerlaubnisinhaber ist berechtigt, sich nach Erhalt der Anordnung zum Besuch eines Aufbauseminars, anwaltlichen Rat einzuholen.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 18. Februar 2003 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 10. Februar 2003 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ( § 80 Abs. 5 VwGO) hat Erfolg, denn der Bescheid des Antragsgegners vom 10. Februar 2003, mit dem er der Antragstellerin die Fahrerlaubnis auf Probe entzogen hat, erweist sich unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtswidrig.

2

Der Antragsgegner war nicht berechtigt, der Antragstellerin die Fahrerlaubnis nach § 2 a Abs. 3 iVm § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG zu entziehen. Der Antragsgegner hat zwar zu Recht festgestellt, dass die Antragstellerin ihm eine Bescheinigung über die Teilnahme an einem Aufbauseminar (vgl. § 37 FeV) nicht bis zum 07. Februar 2003 vorgelegt hat. Diese Frist hatte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 07. November 2002 gesetzt. Der Antragsgegner hat die 3-Monatsfrist jedoch ermessensfehlerhaft nicht (z.B. bis zum 25. Februar 2003) verlängert mit der Folge, dass eine schuldhafte Fristversäumnis i.S. des § 2 a Abs. 3 iVm § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG nicht festgestellt werden kann.

3

Nach § 31 Abs. 7 VwVfG war der Antragsgegner berechtigt, die behördliche Frist zu verlängern. Die Antragstellerin hatte auch einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt und zwar erstmals am 23. Januar 2003. Diesem Antrag hätte der Antragsgegner bei sachgerechter Abwägung aller Umstände entsprechen müssen. Der Antragsgegner hat seine ablehnende Entscheidung zunächst damit begründet, dass der Widerspruch und die Klage gegen die Anordnung vom 07. November 2002 keine aufschiebende Wirkung hätten und das Aufbauseminar, für das sich die Antragstellerin angemeldet hatte, erst am 08. Februar 2002 beginne (s. Schreiben vom 27. Januar 2003). Diese Begründung lässt nicht erkennen, dass sich der Antragsgegner mit dem Vorbringen der Antragstellerin auseinandergesetzt und die entscheidungserheblichen Umstände berücksichtigt hat. Zudem wird die Ablehnung des Antrags mit dem Argument, dass das Aufbauseminar erst einen Tag nach Fristablauf beginnen werde, anders ausgedrückt, dass durch dieses Aufbauseminar die behördliche Frist nicht eingehalten werde, dem Gesetzeszweck des § 31 Abs. 7 VwVfG nicht gerecht. Die Möglichkeit einer Fristverlängerung besteht gerade für den Fall, dass eine behördliche Frist nicht eingehalten werden kann. Entscheidend für die Frage, ob einem solchen Antrag zu entsprechen ist oder nicht, ist lediglich, weshalb die Frist nicht eingehalten werden kann. Diesbezüglich hat der Antragsgegner keine erkennbaren Erwägungen angestellt. Der Hinweis auf § 2a Abs. 6 StVG legt im Übrigen nahe, dass sich der Antragsteller an einer Fristverlängerung prinzipiell gehindert wähnte. Im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens hat der Antragsgegner seine Ermessenserwägungen  dahingehend ergänzt, dass im Falle der Antragstellerin kein Härtefall vorgelegen habe. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar oder der darin festgesetzten Frist hätte sie durch einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ausräumen können. Zudem habe sie objektiv die Möglichkeit gehabt, innerhalb der 3-Monatsfrist an Aufbauseminaren teilzunehmen. Es habe in der Zeit vom 07. November 2002 bis zum 07. Februar 2003 im näheren Bereich der Antragstellerin  vier Aufbauseminare gegeben (Fahrschule Graepel: 08. - 23.11.02), Fahrschule Bartz: 13.11. - 27.11.02, Fahrschule Welle: 23.11. - 10.12.02 und Fahrschule Dreesmann: 04.01. - 18.01.03). Auch im Rahmen dieser Argumentation gewichtet der Antragsgegner die widerstreitenden Interessen und Umstände fehlerhaft. So verkennt der Antragsgegner, dass die Antragstellerin an dem Aufbauseminar bei der Fahrschule Graepel, welches am 08. November 2002 begann, bereits deshalb nicht teilnehmen konnte, weil sie am ersten Tag des Seminars überhaupt noch nicht wusste, dass sie an einem Aufbauseminar teilzunehmen hatte. Der Bescheid des Antragsgegners vom 07. November 2002  wurde der Antragstellerin nämlich erst am 09. November 2002 zugestellt. In der Folgezeit war die Antragstellerin durchaus berechtigt, die Rechtmäßigkeit des Bescheides zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Teilnahme an einem Aufbauseminar kostenpflichtig ist. Eine solche Prüfung nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch und zwar unabhängig davon, ob die Prüfung durch einen Rechtsanwalt oder ein Gericht erfolgt. Vor diesem Hintergrund kann der Antragsgegner die Antragstellerin auch nicht darauf verweisen, sie hätte sich bereits 4 Tage nach dem Erhalt seiner Verfügung für das Aufbauseminar bei der Fahrschule Bartz (Beginn: 13. November 2002) anmelden und daran teilnehmen müssen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann der Antragstellerin auch nicht entgegengehalten werden, sie hätte sich um gerichtlichen Rechtsschutz bemühen müssen, anstelle einen Rechtsanwalt mit der Prüfung zu beauftragen. Dies ist eine von der Rechtsordnung durchaus gewollte Verfahrensweise.

4

Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin gelangte, nachdem ihm kurz vor den Weihnachtstagen die Verwaltungsvorgänge übersandt worden waren, zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin die Anordnung des Antragsgegners zur Teilnahme an einem Aufbauseminar befolgen müsse. Zu diesem Zeitpunkt war das Aufbauseminar bei der Fahrschule Welle (23.11.-10.12.02) bereits beendet, so dass sich die Antragstellerin dafür auch nicht mehr anmelden konnte. Wegen der sich anschließenden Weihnachts- und Silvesterfeiertage kam es zu weiteren zeitlichen Verzögerungen. Aus diesem, der Antragstellerin nicht vorwerfbaren Grund, meldete sich die Antragstellerin auch nicht für das Aufbauseminar bei der Fahrschule Dreesmann (Beginn: 04. Januar 2003) an. In der Folgezeit gab es nur noch ein Aufbauseminar, nämlich dasjenige bei der Fahrschule Wocken vom 08. - 24. Februar 2003, für das sich die Antragstellerin im Januar 2003 angemeldet und an dem sie schließlich auch teilgenommen hat. Vor diesem Hintergrund spricht gegen die von der Antragstellerin beantragte Fristverlängerung lediglich, dass sie erst spät, nämlich knapp einen Monat nach Erhalt der Verfügung vom 07. November 2002 einen Anwalt mit der rechtlichen Überprüfung des Bescheides beauftragt hat. Hätte sie schnell gehandelt und zügig ihren Prozessbevollmächtigten eingeschaltet, so hätte innerhalb der vom Antragsgegner gesetzten Frist zumindest an dem Aufbauseminar bei der Fahrschule Dreesmann teilnehmen können. Zugunsten der Antragstellerin ist insoweit jedoch zu berücksichtigen, dass sie nach Erhalt des Bescheides nicht in der Absicht, die Angelegenheit zu verschleppen, untätig blieb, sondern zunächst selbst versuchte, ihre rechtlichen Bedenken bei dem Antragsgegner vorzutragen (s. „Einspruch“ vom 29. November 2002). Als das gescheitert war, beauftragte sie umgehend einen Fachmann, nämlich ihren Prozessbevollmächtigten, mit der rechtlichen Prüfung. Der Antragstellerin kann deshalb nicht vorgeworfen werden, sie sei bis kurz vor Ablauf der Frist tatenlos geblieben. Für die beantragte Fristverlängerung spricht auch, dass die Antragstellerin noch innerhalb der vom Antragsgegner gesetzten Frist der rechtlichen Einschätzung ihres Prozessbevollmächtigten folgte und sich um die Teilnahme an einem Aufbauseminar bemühte. Dass sie innerhalb der gesetzten Frist dennoch nicht an einem Aufbauseminar teilnahm, hat seine Ursache folglich weder in einem mangelnden Willen noch in einem mangelnden Bemühen der Antragstellerin, sondern schlicht und ergreifend darin, dass ein Aufbauseminar im näheren Umkreis der Antragstellerin nach dem 04. Januar 2003 nicht mehr angeboten wurde. Diesen Umstand hat die Antragstellerin nicht zu vertreten. Für die beantragte Fristverlängerung spricht schließlich auch, dass es - was der Antragsgegner aufgrund eigener Ermittlungen bei der Fahrschule Schomaker auch wusste - lediglich um eine Fristverlängerung von knapp zwei Wochen ging.

5

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

6

Rechtsmittelbelehrung:

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Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieses Beschlusses bei dem

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Verwaltungsgericht Oldenburg, Schloßplatz 10, 26122 Oldenburg,

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schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eingeht.

10

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.