Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 26.03.2003, Az.: 6 A 980/01
Beurlaubung; Beurteilung; Beurteilungsmaterial; Beurteilungsrichtlinien; Beurteilungsspielraum; Beurteilungsstichtag; Beurteilungszeitraum; erkrankter Vorgesetzter; Regelbeurteilung; Richtwerte; Vorgesetzter
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 26.03.2003
- Aktenzeichen
- 6 A 980/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 47975
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 21 Abs 1 BG ND
- § 101c BG ND
- § 40 Abs 1 LbV ND
- § 40 Abs 3 LbV ND
- § 40 Abs 4 LbV ND
- § 126 Abs 3 BRRG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ist der unmittelbare fachliche Vorgesetzte durch Erkrankung gehindert, einen Beurteilungsbeitrag herzugeben, darf der Erstbeurteiler sachnahe, geeignete andere Beamte um einen Beurteilungsbeitrag bitten, auch wenn diese nicht der allgemeine Vertreter des unmittelbaren Vorgesetzten sind. Ist wegen einer längeren Beurlaubung im Beurteilungszeitraum das "Beurteilungsmaterial" relativ gering, so darf gleichwohl nicht eine fiktive Fortschreibung der auf seiner Grundlage gefundenen Bewertung erfolgen.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
II.
Die zulässige allgemeine Leistungsklage, für die das nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Beamtenrechtsrahmengesetz – BRRG – erforderliche Vorverfahren durchgeführt wurde (vgl. BVerwGE 60, 245, 251 und Urteil vom 28. Juni 2001 – 2 C 48.00 – BVerwGE 114, 350 = NVwZ 2002, 97 = ZBR 2002, 93), ist nicht begründet. Das Begehren der Klägerin, die angefochtene Beurteilung zum Beurteilungsstichtag 1. Oktober 1999 dahingehend zu ändern, dass ihr im Ergebnis eine bessere Gesamtnote zuerkannt wird, ist nicht gerechtfertigt, denn die streitige Beurteilung begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Gemäß § 101 c Satz 2 des Niedersächsischen Beamtengesetzes – NBG – (i. d. F. der Bekanntmachung vom 19. Februar 2001, Nds. GVBl. S. 33, geändert durch Haushaltsbegleitgesetz vom 18. Januar 2001, Nds. GVBl. S. 806) hat der Dienstvorgesetzte dem Beamten von jeder Beurteilung Kenntnis zu geben, die in die Personalakten aufgenommen wird. Derartige dienstliche Beurteilungen hinsichtlich der Eignung und Leistung des Beamten sind nach § 40 Abs. 1 und 3 der Niedersächsischen Laufbahnverordnung – NLVO - (i. d. F. vom 25. Mai 2001, Nds. GVBl. S. 315, zuletzt geändert durch Verordnung vom 26. Juni 2002, Nds. GVBl. S. 200), die aufgrund der Ermächtigungsnorm in § 21 Abs. 1 NBG erlassen wurde, regelmäßig oder aus Anlass einer Beförderungsbewerbung zu erstellen. Die Beurteilung soll sich insbesondere auf die Merkmale geistige Veranlagung, Charakter, Bildungsstand, Arbeitsleistung, soziales Verhalten und Belastbarkeit erstrecken. Nach Absatz 4 der Norm ist die dienstliche Beurteilung mit einem Gesamturteil und einem Vorschlag für die weitere dienstliche Verwendung abzuschließen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg und der zur Entscheidung berufenen Kammer sind dienstliche Beurteilungen von den Verwaltungsgerichten jedoch nur beschränkt nachprüfbar (Lehre vom Beurteilungsspielraum: BVerfGE 39, 334; BVerwGE 61, 176, 185). Denn ausschließlich der Dienstherr oder der für ihn handelnde jeweilige Vorgesetzte soll nach dem erkennbaren Sinn der Regelungen über die dienstliche Beurteilung ein persönlichkeitsbedingtes Werturteil darüber abgeben, ob und inwieweit der Beamte den – ebenfalls grundsätzlich vom Dienstherrn zu bestimmenden – zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen seines Amtes und seiner Laufbahn entspricht (vgl. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 5. Aufl., München 2001, RdNr. 477 ff). Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich gegenüber dieser der gesetzlichen Regelung immanenten Beurteilungsermächtigung darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1980 – 2 C 8.78 – BVerwGE 60, 245 = RiA 1981, 59; Urteil vom 26. August 1993 – 2 C 37.91 – Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 15; Urteil vom 13. November 1997 – 2 A 1.97 – Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 17; OVG Lüneburg, Urteil vom 24. April 1997 – 5 L 5722/93 -; Urteil vom 13. April 1999 - 5 L 7023/96 -; Urteil vom 15. Dezember 1999 – 5 L 2270/99 -, V.n.b.; BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 2001 – 1 WB 17.01 – ZBR 2002, 133, 134).
Wenn der Dienstherr – wie dies hier durch die Beurteilungsrichtlinien vom 30. Oktober 1989 (abgedr. in der Personalkartei der Beklagten unter P 11 –50) geschehen ist – Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, kann das Gericht nur überprüfen, ob die Richtlinien eingehalten wurden und ob sie mit den Regelungen der NLVO und sonst mit den gesetzlichen Vorschriften in Einklang stehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 2001, aaO). Diese Beschränkung begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Mai 2002 – 2 BvR 723/99 – PersVertr 2002, 470 = DVBl. 2002, 1203).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze rechtfertigen die von der Klägerin gegen die dienstliche Beurteilung erhobenen Einwände und die im übrigen zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalles nicht die Annahme, die Änderung der streitigen Beurteilung sei geboten.
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es nicht zu beanstanden, dass bei den amtsinternen Beurteilungsvorbesprechungen zunächst nicht ihr unmittelbarer fachlicher Vorgesetzter – hier als Sachgebietsleiter der Steueroberamtsrat ... – mitgewirkt hat. Es liegt auf der Hand, dass bei einer länger andauernden Erkrankung eines unmittelbaren Vorgesetzten dieser bei den Vorbereitungen von Beurteilungen vertreten werden muss. Dabei ist zu bedenken, dass der unmittelbare Vorgesetzte nicht selbst der Erstbeurteiler ist, sondern lediglich nach Teil B Abschnitt V Ziff. 2 der Beurteilungsrichtlinien Gelegenheit haben soll, bezüglich der verschiedenen geforderten Angaben eine Äußerung abzugeben. Das kann mündlich oder schriftlich geschehen, wobei der Vorsteher diese Äußerung mit dem fachlichen Vorgesetzten erörtern soll. Weiterhin ist dann dem fachlichen Vorgesetzten die Möglichkeit eingeräumt, im Falle einer Abweichung vom Beurteilungsvorschlag seine abweichende Meinung im Beurteilungsbogen zum Ausdruck zu bringen. Ist der fachliche Vorgesetzte erkrankt, so muss ein Vertreter für ihn tätig werden. Dass dieser hier vom Vorsteher des Finanzamtes falsch ausgewählt worden ist, ist nicht ersichtlich. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die betreffenden Beamten in jedweder Hinsicht als Vertreter des erkrankten Sachgebietsleiters eingesetzt waren. Vielmehr ist beim Beurteilungsverfahren von entscheidender Bedeutung, ob sie vom Fachgebiet und der Kenntnis der Verhältnisse her in der Lage sind, zu den fachlichen Grundlagen der Beurteilung authentische Äußerungen abzugeben. Im vorliegenden Falle mag es zwar sein, dass der betreffende unmittelbare fachliche Vorgesetzte, wäre er nicht erkrankt gewesen, sich sicherlich noch fundierter über die Arbeitsweise der Klägerin hätte äußern können. War er aber nun einmal langfristig erkrankt, so begegnet es keinen Bedenken, wenn andere Sachgebietsleiter aus dem betreffenden Bereich, die mit der Klägerin fachlichen Kontakt hatten, für diesen Teil zur Gewinnung der Beurteilungsgrundlagen herangezogen werden. Gegen dieses Verfahren ist um so weniger einzuwenden, als – wie hier – bei der späteren endgültigen Erstellung der Beurteilung dem fachlichen Vorgesetzten die Möglichkeit gegeben wurde, sich abweichend zu äußern. Davon hat er hier bei der Mitzeichnung keinen Gebrauch gemacht. Es sind keine Gesichtspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, der Steueramtsrat ... sei bei dieser Zeichnung nicht „urteilsfähig“ gewesen. Dass ihm die betreffenden Beurteilungsbeiträge ins Krankenhaus gebracht wurden, damit er sie dort abzeichnet, lässt nicht vermuten, er sei zu einer klaren Willensbildung nicht in der Lage gewesen. Hinzu kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt: Die Stellungnahme des unmittelbaren fachlichen Vorgesetzten ist zwar von Bedeutung, jedoch wird die eigentliche Beurteilung nicht durch diesen, sondern durch die Beurteilungsgruppe, in der der betreffende Vorsteher des Finanzamtes ein Mitglied ist, gefunden. Der Vorsteher des betreffenden Finanzamtes, der hier auch die früheren Beurteilungen der Klägerin gefertigt hat, kennt also durchaus auch die Leistung der Klägerin und die Art und Weise, wie die betreffenden Sachgebietsleiter ihre verschiedenen Betriebsprüfer und sonstigen Mitarbeiter einordnen. Der Vorsteher darf sich auf die Berichte von dritter Seite stützen, um zu dem von ihm vorzuschlagenden Werturteil zu kommen. Ein Verfahrensverstoß ist daher nicht erkennbar.
Auch kann die Klägerin nicht mit der Behauptung durchdringen, ihre Beurteilung sei lediglich deshalb mit „befriedigend“ festgesetzt worden, weil ihre früheren Prüfungsnoten der Laufbahnprüfung aus der Sicht der Beurteiler nicht gut genug gewesen seien. Die Klägerin verkennt dabei, dass eine dienstliche Beurteilung das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses ist, in den die für die Beurteilung verantwortlichen Bediensteten mit bestimmten Vorstellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der zu Beurteilenden eintreten können, ohne dass die Tragfähigkeit dieser Vorstellungen davon abhängt, dass sie sich bereits zu einem Beurteilungsentwurf oder gar einer feststehenden Meinung verfestigt haben. Es entspricht daher in typischer Weise dem Wesen der Besprechung in einer Beurteilungsgruppe, dass sich erst in einem notwendigen Quervergleich innerhalb der Behörde und darüber hinaus innerhalb eines Bezirks für die betreffende statusrechtliche Gruppen der jeweiligen Beamten eine endgültige Zuordnung der zu Beurteilenden zur jeweiligen Benotung herausbildet. Daher ist es für das Gericht nicht erheblich, ob zunächst in den Beurteilungsbesprechungen bei den Vorberatungen oder später bei der betreffenden Beurteilergruppe damit begonnen wurde, die Klägerin in einen besseren Gesamtnotenbereich einzuordnen. Dass im vorliegenden Falle allein oder ausschlaggebend auf die Prüfungsnote ihrer Laufbahnprüfung abgestellt worden sei, ist eine nicht belegte Behauptung der Klägerin. Wenn demgegenüber in der Beurteilungsgruppe eine Einordnung im Vergleich mit anderen Steueroberinspektoren erfolgte, von denen zahlreiche andere ebenfalls auf höherwertigen Dienstposten – sei es im Innenbereich, sei es im Außenbereich – tätig sind, so ist dagegen nichts zu erinnern. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang rügt, der Vorsteher des Finanzamtes habe sich an Richtwerte gebunden gefühlt, kommt es darauf nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob die betreffende Beurteilergruppe und in Übereinstimmung mit ihr der Oberfinanzpräsident letztlich die Überzeugung gewonnen haben, die Klägerin sei in dem Bereich derjenigen Steueroberinspektoren und Oberinspektorinnen einzuordnen, die mit der Gesamtnote „befriedigend“ zu bewerten sind. Nur ergänzend sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass in der Rechtsprechung durchaus die Bildung von Richtwerten für die Vergabe von Beurteilungsgesamtnoten gebilligt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1980 - 2 C 13.79 – Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 18; VGH Kassel DÖV 2000, 605; BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 2001, ZBR 2002, 133).
Auch im Übrigen begegnen die in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Feststellungen unter Beachtung des Vorbringens der Klägerin keinen durchgreifenden Zweifeln. Zutreffend wurde nämlich in den Bescheiden ausgeführt, dass allein der bei einer Betriebsprüfung eventuell anfallende Mehrbetrag keinesfalls zum Maßstab für Beurteilungen gemacht werden kann. Denn allein dieser Einzelaspekt, der zwar für die öffentliche Hand zur Gewinnung von Einnahmen positiv sein mag, besagt nichts über die Arbeitsgüte, Qualität oder Intensität der Bearbeitung eines Steuervorgangs bei einer Betriebsprüfung aus. Vielmehr wurde in dieser Hinsicht von dem fachlichen Vorgesetzten gerügt, dass die Klägerin zeitweise etwas mehr Prüfungszeit als üblich gebraucht habe.
Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hinweist, sie habe lediglich nur in einem relativ kurzen Zeitraum als Betriebsprüferin gewirkt, so führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Es liegt auf der Hand, dass es mit längerer Erfahrung im Bereich der Betriebsprüfung einem damit befassten Beamten möglich sein wird, normale Vorgänge mit einem geringeren Zeitaufwand als ein Anfänger zu bewältigen. Aber gerade ein derartiger Vorgang darf selbstverständlich in einer Beurteilung seinen Niederschlag finden. Allein die hypothetische Annahme, die Klägerin hätte – wäre sie nicht in den Erziehungsurlaub gegangen – mit größerer Erfahrung im Laufe der Zeit schnellere Bearbeitungszeiten erlangen können, kann nicht dazu führen, ihr gleichsam fiktiv eine bessere Beurteilung zuzuerkennen. Denn in einer Beurteilung können lediglich die tatsächlich gezeigten Leistungen bewertet werden. Ist aufgrund von Beurlaubungen oder Erkrankungen das tatsächliche Material für die Beurteilungsgrundlagen relativ schmal oder gering, so kann gleichwohl nur dies als Grundlage für die betreffende Beurteilung dienen. Wenn die Klägerin wegen ihres Erziehungsurlaubes nicht die Chance hatte, ihre Leistungen zu verbessern, so kann bei einer Beurteilung nicht angenommen werden, sie hätte tatsächlich bei einem anderen Verlauf ihrer Diensttätigkeit diese Chance in bessere Leistungen umgesetzt.
Die Klage war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nicht nach § 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen, da keiner der Gründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO vorlag.