Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.01.1997, Az.: VI 148/93

Berichtigung nach § 129 Abgabenordnung (AO 1977); Fehlende Angabe über den Gewerbeverlust aus Vorjahren; Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
24.01.1997
Aktenzeichen
VI 148/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 17878
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0124.VI148.93.0A

Verfahrensgegenstand

ges. Feststellung des vorstragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1990

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
durch
den Richter am Finanzgericht ... als Einzelrichter
ohne mündliche Verhandlung
am 24. Januar 1997
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Ablehnungsbescheid vom 29. Oktober 1992 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 1993 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1990 vom 20. Februar 1992 zu berichtigen und den Gewerbeverlust auf 55.747 DM festzustellen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Beklagten den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1990 gemäß § 129 Abgabenordnung (AO) zu berichtigen.

2

Die mit Gesellschaftsvertrag vom 25. Juli 1989 in der Rechtsform einer GmbH gegründete Klägerin, die ihren Geschäftsbetrieb im Oktober 1989 aufnahm, hat die Übernahme und Durchführung von Planung, Bauleitung und Abrechnung haustechnischer Anlagen zum Unternehmensgegenstand. Das zur Hälfte eingezahlte Stammkapital in Höhe von 50.000 DM wird zu 90 v.H. von dem Gesellschafter H. B. und zu 10 v.H. von der Gesellschafterin I. B. gehalten. Der Beklagte veranlagte die Klägerin für 1989 erklärungsgemäß mit einem zu versteuernden Einkommen von ./. 25.5 82 DM. Bei der Ermittlung des Gewerbeertrages für 1989 legte es den o.g. Verlust zugrunde und führte die erklärten Hinzurechnungen in Höhe von 147 DM durch.

3

In der Körperschaftsteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1990 wies die Klägerin einen Steuerbilanzgewinn in Höhe von ./. 31.375 DM aus. Entsprechend veranlagte der Beklagte die Klägerin mit Körperschaftsteuerbescheid 1990 und Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zum 31. Dezember 1990 vom 24. Februar 1992. Der verbleibende Verlustabzug aus dem Jahre 1985 bis 1989 wurde entsprechend der Erklärung der Steuerpflichtigen darin mit 25.282 DM ermittelt.

4

In der Gewerbesteuererklärung 1990 wies die Klägerin entsprechend der Körperschaftsteuererklärung einen Verlust in Höhe von 31.375 DM aus. Die Entgelte für Dauerschulden wurden mit 2.127 DM angegeben. Die Zeile 42 der Gewerbesteuererklärung "Gewerbeverlust (§ 10 a Gewerbesteuergesetz - GewStG) aus den Erhebungszeiträumen 1985 bis 1989" blieb unausgefüllt.

5

Mit Gewerbesteuerbescheid 1990 vom 20. Februar 1992 veranlagte der Beklagte die Klägerin erklärungsgemäß und setzte den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf 0 DM fest. Entsprechend stellte der Beklagte mit Bescheid vom gleichen Datum den vortragsfähigen Verlust auf den 31. Dezember 1990 auf 30.312 DM fest. Die Bescheide wurden bestandskräftig.

6

Mit Schreiben vom 15. Oktober 1992 beantragte die Klägerin die Berichtigung des Gewerbeverlust-Feststellungsbescheides 1990 vom 20. Februar 1992 mit der Begründung, daß eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO vorliege. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 29. Oktober 1992 abgelehnt. Der dagegen erhobene Einspruch ist mit Einspruchsbescheid vom 9. Februar 1993 als unbegründet zurückgewiesen worden.

7

Die Klägerin verfolgt im Klageverfahren ihr Einspruchsbegehren weiter. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, da der Beklagte den Verlustabzug 1989 im Körperschaftsteuerbescheid 1990 berücksichtigt habe, könne das Unterlassen des korrespondierenden Ansatzes bei der Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes lediglich auf einem offensichtlichen Versehen des Sachbearbeiters des Beklagten beruhen. Aus den Akten sei eindeutig und ohne Schwierigkeiten der Gewerbeverlust 1989 zu erkennen gewesen. Der Nichtansatz des Gewerbeverlustes beruhe damit auf der Übernahme des Fehlers in der Gewerbesteuererklärung. Unter den gegebenen Umständen sei auszuschließen, daß der für die Veranlagung zuständige Bearbeiter durch rechtliche Überlegungen zum Nichtansatz des Verlustes bewogen worden sein könnte.

8

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1990 vom 20. Februar 1992 zu ändern und den Gewerbeverlust auf 55.747 DM festzustellen.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid.

11

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist begründet.

13

Der Beklagte ist verpflichtet, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1990 nach § 129 AO zu berichtigen und den Gewerbeverlust 1989 in Höhe von 25.435 DM in die Feststellung einzubeziehen.

14

Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

15

Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten müssen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, d.h. es muß sich um mechanische Fehler handeln, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 14. August 1975 IV R 150/71, BStBl II 1976, 746; BFH-Urteil vom 1. April 1977 VI R 153/76, BStBl II 1977, 853). Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn sie auf der Hand liegt, also durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juni 1972, I R 115/70, BStBl II 1972, 743; BFH-Beschluß vom 4. September 1984 VIII B 157/83, BStBl II 1984, 834). Bereits die Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung schließt eine Berichtigung nach § 129 AO aus (BFH-Urteil vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BStBl II 1972, 550).

16

Dabei ist allerdings davon auszugehen, daß ein Fehler in der Steuererklärung für sich allein eine Berichtigung nach § 129 AO nicht rechtfertigen kann. Denn § 129 AO geht nach seinem Wortlaut und Sinn nicht für das Versehen des Steuerpflichtigen, sondern für solche des Finanzamtes (BFH-Urteil vom 17. April 1969 V R 21/66, BStBl II 1969, 474). Ist allerdings die Fehlerhaftigkeit der Angaben für das Finanzamt als offenbare Unrichtigkeit erkennbar, hat also das Finanzamt eine offenbare Unrichtigkeit der Steuererklärung als eigene übernommen, so kommt eine Berichtigung nach § 129 AO in Betracht (BFH-Urteil vom 25. Februar 1972 VIII R 144/71; BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BStBl II 1984, 785). Ein solcher Fall der Übernahme einer erkennbar offenbaren Unrichtigkeit des Steuerpflichtigen durch das Finanzamt ist immer dann anzunehmen, wenn aus der Erklärung selbst oder den beigefügten Unterlagen für das Finanzamt ein solcher Fehler ohne weiteres erkennbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BStBl II 1984, 785).

17

Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nach dem unstreitigen Sachverhalt gegeben.

18

Die Körperschaftsteuererklärung 1990 läßt erkennen, daß der Sachbearbeiter des Beklagten den verbleibenden Verlustabzug aus 1989 eindeutig wahrgenommen hat. Neben der Bestätigung des Betrages durch Abhaken ist das vom Sachgebietsleiter angebrachte Fragezeichen durchgestrichen worden. Mit diesem Wissen ist es für den Sachbearbeiter ohne weiteres erkennbar gewesen, daß die Angabe des fehlenden Verlustabzuges der Zeile 42 der Gewerbesteuererklärung nur auf einem Fehler des Erklärenden beruhen konnte. Der Beklagte hat mit Erlaß des Bescheides über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf 31. Dezember 1990 den Fehler des Steuerpflichtigen als eigenen übernommen.

19

Es spricht letztlich nichts dafür, daß der Sachbearbeiter den Ansatz des verbleibenden Verlustabzuges für Gewerbesteuerzwecke aufgrund rechtlicher Überlegungen unterlassen hat. Der Steuerfall weist als solcher keinerlei rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten auf, die eine besondere Prüfung erforderlich gemacht hätten. Dies gilt auch in bezug auf die unterschiedliche Höhe des zu berücksichtigenden Verlustes für Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerzwecke. Zwar ist der Gewerbeverlust 1989 geringfügig kleiner als der Verlustabzug im Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustes auf den 31. Dezember 1990 zu Körperschaftsteuerzwecke. Doch mußte dem Sachbearbeiter aus den Angaben in der Gewerbesteuererklärung 1990, wonach die Entgelte für Dauerschulden lediglich 2.127 DM betragen haben, klar sein, daß für 1989 ebenfalls ein erheblicher Gewerbeverlust verblieben sein mußte. Im Gewerbesteuermeßbescheid 1990 sind die Angaben zu den Hinzurechnungen schließlich auch ohne Beanstandungen übernommen worden. Zudem hätte ein Blick in den wenige Seiten vor der Erklärung abgehefteten Gewerbesteuermeßbescheid 1989 genügt, um festzustellen, daß für 1989, dem Jahr der erstmaligen Veranlagung, ein Gewerbeverlust angefallen war.

20

Die Klägerin hat gemäß § 129 Satz 2 AO einen Anspruch auf Berichtigung des Bescheides über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1990. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Berichtigung, da die Verlustfeststellung für die künftige Verlustberücksichtigung für die Folgejahre bindend ist.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.