Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.01.1997, Az.: V 141/96

Rechtmäßigkeit der Ablehnung eines Erlassantrages für Ansprüche aus den Steuerschuldverhältnissen hinsichtlich eines Ermessensfehlers; Gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit von Ermessensentscheidungen der Finanzbehörde; Vorliegen oder Nichtvorliegen von Ermessensfehlgebrauch oder eines Ermessensmissbrauchs; Frage des Vorliegens von sachlichen Billigkeitsgründen für die Notwendigkeit des Erlasses von Zinsen auf Steuernachforderungen; Zweck der in der Abgabenordnung geregelten Nachzahlungszinsen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.01.1997
Aktenzeichen
V 141/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 17865
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0116.V141.96.0A

Verfahrensgegenstand

Umsatzsteuer 1990

In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 16. Januar 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsidentin des Finanzgerichts ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin betreibt eine Viehversteigerungshalle in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (e.G.). Im Streitjahr 1990 ließ sie die Halle sanieren und erhielt hierfür von deren Nutzern sogenannte Zuschüsse in Höhe von 450.000 DM. Die Klägerin behandelte diesen Betrag in ihrer Umsatzsteuererklärung als steuerfreien Zuschuß. Im Anschluß an eine steuerliche Außenprüfung änderte der Beklagte den unter dem Vorbehalt der Machprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheid 1990 und unterwarf die Zuschüsse der Umsatzsteuer. Außerdem setzte er Nachzahlungszinsen in Höhe von 9.749 DM fest, die er auf der Grundlage eines Entgeltes in Höhe von 450.000 DM berechnete. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

2

Daraufhin beantragte die Klägerin den Erlaß der Nachzahlungszinsen. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. Dezember 1995 ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies er mit Einspruchsbescheid vom 7. März 1996 als unbegründet zurück.

3

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Nachzahlungszinsen seien ihr aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen setze sowohl einen Zinsnachteil beim Fiskus, als auch einen Liquiditätsvorteil beim Steuerpflichtigen voraus. Beide Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt.

4

Bei der Umsatzsteuer sei deren Wechselwirkung mit Vorsteuererstattungsansprüchen zu berücksichtigen. Daraus ergebe sich, daß dem Fiskus kein Zinsnachteil erwachsen sei. Sie, die Klägerin, habe ihren Zuschußgebern nachträglich Rechnungen erstellt, aus denen diesen jeweils ein Vorsteuererstattungsanspruch erwachsen sei. Wenn ihr bereits 1990 bekannt gewesen wäre, daß die Sanierung der Halle gegen Zahlung von Entgelten einen steuerpflichtigen Leistungsaustausch dargestellt hätte, hätte sie ihre Leistungen an die Zuschußgeber diesen bereits 1990 in Rechnung gestellt. In diesem Fall wäre deren Vorsteuererstattungsanspruch auch bereits 1990 entstanden.

5

Außerdem habe sie, die Klägerin, keinen Liquiditätsvorteil gehabt. Auch im Falle der rechtzeitigen Versteuerung wäre ihr ein Entgelt in Höhe von 450.000 DM netto verblieben. Das ergebe sich daraus, daß sie ihren Zuschußgebern nachträglich nicht die in 450.000 DM enthaltenen Umsatzsteuern, sondern die auf das Entgelt von 450.000 DM entfallenden Umsatzsteuern in Rechnung gestellt habe. Eine entsprechende Entgeltserhöhung wäre auch bei einer Versteuerung der Sanierungsleistungen im Jahr 1990 erfolgt.

6

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, die im Bescheid vom 7. November 1994 über Umsatzsteuer 1990 festgesetzten Nachzahlungszinsen in Höhe von 9.749 DM aus Billigkeitsgründen zu erlassen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er vertritt die Auffassung, bei der Beurteilung der Voraussetzungen einer Festsetzung von Nachzahlungszinsen sei auf die einzelnen Veranlagungszeiträume und den jeweiligen Steuerpflichtigen abzustellen. Wechselwirkungen mit anderen Besteuerungszeiträumen und anderen Steuerpflichtigen dürften nicht berücksichtigt werden. Im übrigen setze die Festsetzung von Nachzahlungszinsen keinen tatsächlichen Zinsnachteil bei der Finanzverwaltung voraus.

9

Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird auf die Steuerakten zu Steuer-Nr. ... sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist unbegründet.

11

Die Ablehnung des Erlaßantrages nach § 227 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) stellt weder einen Ermessensmißbrauch noch einen Ermessensfehlgebrauch dar.

12

Da die Regelungen über den Erlaß von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis in § 227 Abs. 1 AO dem Finanzamt einen Ermessensspielraum einräumen, kann das Gericht gemäß § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) grundsätzlich nur überprüfen, ob die Ablehnung des Verwaltungsaktes deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind (Ermessensmißbrauch) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (Ermessensfehlgebrauch). Allerdings bestimmt der Begriff der Unbilligkeit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluß vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603, 607). Die gerichtliche Nachprüfbarkeit erstreckt sich deshalb auf die Vereinbarkeit der Ermessensentscheidung mit den Grundsätzen der Billigkeit.

13

Die Ablehnung des Antrags auf Erlaß der streitigen Nachzahlungszinsen durch den Beklagten hat schon deshalb keinen Ermessensmißbrauch dargestellt, weil die gewählte Rechtsfolge im Rahmen der Ermessensvorschrift des § 227 AO liegt.

14

Auch einen Ermessensfehlgebrauch seitens des Beklagten hat der Senat nicht feststellen können. Insbesondere liegen keine sachlichen Billigkeitsgründe vor, die den Erlaß der Nachzahlungszinsen als geboten erscheinen lassen. Sachliche Billigkeitsgründe liegen vor, wenn die Besteuerung eines Sachverhaltes zwar dem gesetzlichen Tatbestand, nicht aber dem Zweck der Besteuerungsnorm entspricht (Urteile des BFH vom 21. Februar 1991 V R 105/84, BStBl II 1991, 498; vom 29. August 1991 V R 78/86, BStBl II 1991, 906). Diese Voraussetzung gilt auch für den Erlaß von Zinsen auf Steuernachforderungen gemäß § 233 a AO (FG Münster, Urteil vom 31. Mai 1994 15 K 482/94 U, EFG 1994, 909).

15

Die im Anschluß an die bei der Klägerin durchgeführte steuerliche Außenprüfung festgesetzte Umsatzsteuer hat zu einer Steuernachforderung geführt, weil die im Änderungsbescheid festgesetzte Steuer die im Ursprungsbescheid festgesetzte Steuer um 63.000 DM übersteigt. Damit ist der Besteuerungstatbestand des § 233 a AO erfüllt.

16

Unerheblich ist dabei, daß der Beklagte die Umsatzsteuer für 1990 zu hoch festgesetzt hat, in dem er die Bemessungsgrundlage um 450.000 DM erhöht hat. Die Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer für 1990 hätte vielmehr unter Herausrechnung der Umsatzsteuer aus den der Klägerin zugeflossenen Beträgen erfolgen müssen und damit nur 394.736 DM betragen dürfen. Der Umstand, daß die Klägerin in ihren Abrechnungen gegenüber ihren Leistungspartnern selbst die Umsatzsteuer auf 450.000 DM berechnet hat, hat lediglich zu einer Entgeltserhöhung geführt. Diese hätte gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) aber erst in dem Besteuerungszeitraum, in dem die Änderung eingetreten ist, berücksichtigt werden dürfen. Die unzutreffende Festsetzung der Steuer im Änderungsbescheid hat aber keine Auswirkungen auf die Bemessungsgrundlage des Zinsbetrages, weil § 233 a Abs. 5 AO ausdrücklich auf die jeweils festgesetzte Steuer abstellt.

17

Ein Widerspruch zwischen der Erfüllung des Besteuerungstatbestandes des § 233 a AO und dem Zweck dieser Norm ist vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere ist in der unzutreffend hohen Bemessungsgrundlage des Zinsbetrages kein sachlicher Billigkeitsgrund zu sehen, weil rechtlich unzutreffende Besteuerungen grundsätzlich keine Fälle für Billigkeitsmaßnahmen darstellen. Die Klägerin hätte sich insoweit im Festsetzungsverfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid und den Zinsbescheid wehren müssen (vgl. Klein/Orlopp, AO, 5. Auflage, § 227 Anm. 12).

18

Die Zinsfestsetzung steht auch nicht im Widerspruch zum Zweck der in § 233 a AO geregelten Nachzahlungszinsen. Dieser besteht darin, die nach Ablauf von 15 Monaten nach Entstehung der Steuer entstandenen Liquiditätsvorteile abzuschöpfen (Urteil des BFH vom 8. September 1993 I R 30/93, BStBl II 1994, 81). Ein solcher Liquiditätsvorteil ist der Klägerin vorliegend entstanden. Da die Klägerin der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten unterliegt, ist die Steuer auf die von ihr im Zusammenhang mit der Sanierung der Viehversteigerungshalle ausgeführten Leistungen gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 a UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes entstanden, in dem sie die Leistungen an die Empfänger ausgeführt hat. Da die Umsatzsteuer insoweit erst mit Bescheid vom 17. November 1994 festgesetzt worden ist, ist der Klägerin diesbezüglich ein Liquiditätsvorteil entstanden.

19

Dieser wird auch nicht dadurch beseitigt, daß bei ordnungsgemäßer Abrechnung der Leistungen durch die Klägerin den Leistungsempfängern im Zeitpunkt der Abrechnung ein Vorsteuererstattungsanspruch entstanden wäre. Zum einen sind bei der Beurteilung der Frage, ob ein zur sachlichen Unbilligkeit führender Regelungsüberhang der Besteuerungsnorm vorliegt, die Verhältnisse anderer Steuerpflichtiger außer acht zu lassen (FG Münster, Urteil vom 31. Mai 1994 15 K 482/94 U, EFG 1994, 909). Im übrigen ist der Vorsteuererstattungsanspruch für die Leistungsempfänger erst mit Erhalt der von der Klägerin erstellten Rechnungen entstanden. Die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug hätte bei zeitnaher Abrechnung zwar möglicherweise bereits 1990 bestanden. Hierbei handelt es sich aber um einen fiktiven Sachverhalt, der bei der Ermittlung des tatsächlich entstandenen Liquiditätsvorteils für die Klägerin keine Berücksichtigung finden kann.

20

Das Schreiben des BMF vom 1. April 1996 (BStBl I 1996, 370), auf das sich die Klägerin bezieht, findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Bei dem vom BMF behandelten Sachverhalt handelt es sich um die Auswirkungen der Berichtigung unzutreffender Rechnungen durch einen Steuerpflichtigen bei vorheriger Vereinnahmung von Teilentgelten. Die Frage des Erlasses von Nachzahlungszinsen wird dabei ausschließlich auf der Grundlage der Verhältnisse des Steuerpflichtigen selbst beurteilt, ohne daß dabei Verhältnisse Dritter in die Betrachtung einfließen.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

22

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.