Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.01.1997, Az.: I 195/93

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
21.01.1997
Aktenzeichen
I 195/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 27906
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0121.I195.93.0A

In dem Rechtsstreit

wegen Einheitsbewertung auf den 01.01.1987

hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 21. Januar 1997, an der mitgewirkt haben:

Vorsitzender Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

ehrenamtlicher Richter Arzt .

ehrenamtlicher Richter Bauingenieur .

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Unter Änderung des Einheitswertbescheides vom 25. Febr. 1987 und Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 9. Juli 1993 wird der Einheitswert auf den 01.01.1987 auf 4. 800 DM herabgesetzt. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

    Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der an die Klägerin zu erstattenden Kosten abwenden, sofern diese nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Umstritten ist die Höhe des Einheitswertes für eine Eigentumswohnung.

2

Es handelt sich um die Eigentumswohnung Nr. 56 auf dem Grundstück B., O. straße 8. Das Grundstück ist mit einem Haus bebaut, das etwa im Jahre 1908 errichtet wurde. Es handelt sich um das frühere Hotel "W.". Dieses Haus gehörte zusammen mit zwei weiteren Gebäuden ("W." und "W.") zu einem aufwendigen Hotelkomplex. Im Februar 1984 erwarb die Klägerin (Kl.) diese Grundstücke im Wege der Zwangsversteigerung. In dem ehemaligen Haus "W." errichtete sie etwa 35 Eigentumswohnungen, die im Jahre 1986 fertiggestellt wurden. Dazu nahm die Kl. umfangreiche Umbauarbeiten vor. Die Fenster des Hauses wurden durch Thermopanefenster ersetzt. Die frühere Eingangshalle des Hotels wurde weitgehend verändert. Die Kl. ließ insbesondere eine Vielzahl neuer Wände ziehen, durch die die innere Aufteilung des Hauses neu gestaltet wurde. Heute besitzt das Haus einen relativ kleinen Eingangs-Vorbau und mehrere Flure, von denen die verschiedenen Wohnungen abgehen. Die Außenmauern des Hauses sowie die übrigen tragenden Wände wurden ganz überwiegend nicht erneuert oder wesentlich verändert. Nach dem Gesamteindruck des Hauses ist sowohl von außen als auch von innen deutlich erkennbar, daß es sich um einen -; sehr solide gebauten -; Altbau handelt.

3

Die Eigentumswohnung Nr. 56 liegt im Erdgeschoß. Sie ist 40 qm groß. Die bauliche Gestaltung und die Ausstattung sind normal und an keiner Stelle besonders aufwendig. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll über den Beweis- und Erörterungstermin vom 29. Okt. 1996 (Bl. 37-;39 FG-Akte) Bezug genommen.

4

Durch den angefochtenen Einheitswertbescheid bewertete der Beklagte (Finanzamt -; FA -;) die Eigentumwohnung Nr. 56 auf den 01.01.1987 als Einfamilienhaus und stellte den Einheitswert auf 12. 100 DM fest. Dabei ging das FA von einer üblichen Miete von 4,05 DM/qm aus, ferner wandte es den Vervielfältiger 5,6 (Altbau 1908) an. Die Miete von 4,05 DM/qm hatte das FA seinem Mietspiegel entnommen (Klasse IV g, gute Ausstattung, freifinanziert). Es handelt sich um den Mietspiegel für die Gemeindegrößenklasse 10.000 bis 50.000 Einwohner. Allerdings hatte die Stadt B. . zu keinem Zeitpunkt mehr als 10.000 Einwohner; am Hauptfeststellungsstichtag 01.01.1964 betrug die Einwohnerzahl ca. 6.000 Einwohner. Bei der Anwendung des Mietspiegels beruft sich das FA darauf, daß die Stadt B. aufgrund einer Verordnung zu § 80 Abs. 2 Bewertungsgesetz (BewG) vom 31.03.1967 (BStBl II 1967, 166) für die Anwendung des Vervielfältigers der Gemeindegrößenklasse über 10.000 bis 50.000 Einwohner zugeordnet wurde. Nach einer Verfügung der Oberfinanzdirektion Hannover (OFD) vom 20.03.1967 (Bl. 17 ff. FG-Akte) wendet das FA diese Zuordnung auch für den Mietspiegel an. Das führte im Ergebnis dazu, daß das FA bei der Ermittlung der üblichen Miete die Eigentumswohnung Nr. 56 als "Nachkriegsbau nach 1963" einstufte. Für Altbauten, die vor dem 21.06.1948 bezugsfertig wurden, weist der Mietspiegel eine übliche Miete von 1,45 DM/qm aus. Das gilt sowohl für die Klassen IV und V (gute und sehr gute Ausstattung) als auch für Mieten mit und ohne Preisbindung (Gruppe "a" und "b"). Genau genommen weist der Mietspiegel zwar nur eine Miete der Gruppe "a" (bei Preisbindung) aus und enthält in der Gruppe "b" (ohne Preisbindung) keine Eintragung. Das FA hat jedoch mitgeteilt, daß bei der Aufstellung dieses Mietspiegels bei Altbauten Mieten ohne Preisbindung nicht ermittelt worden sind und daß es deshalb bei Altbauten stets die unter Gruppe "a" ausgewiesenen Mieten ansetzen würde.

5

Im Jahre 1987 hat die Kl. die Eigentumswohnung Nr. 56 verkauft an die Beigeladenen I. und K. S. Diese haben die Wohnung im Dezember 1993 weiterverkauft an die Beigeladenen R. und E. K.

6

Zur mündlichen Verhandlung am 21. Jan. 1997 ist für die Kl. und für die Beigeladenen niemand erschienen.

7

Die Kl. beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

8

bei der Ermittlung des Einheitswerts auf den 01.01.1987 von einer Quadratmetermiete von 1,45 DM auszugehen und den Einheitswert entsprechend herabzusetzen.

9

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

11

Das FA trägt vor, es sei nicht zu beanstanden, daß es bei der Anwendung des Vervielfältigers vom Baujahr 1908 ausgegangen sei, bei der Ermittlung der üblichen Miete aber von einem im Jahre 1986 fertiggestellten Neubau. Denn der Vervielfältiger solle die Lebensdauer des Gebäudes ausdrücken, die Miete aber den tatsächlichen Verkaufswert der Wohnung. Im übrigen sei zu berücksichtigen, daß in einem anderen Haus der Wohnungseigentumsanlage, in der sich die Wohnung Nr. 56 befindet -; nämlich in dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen ehemaligen Hotel W. -; ein Schwimmbad mit Sauna vorhanden ist, das Bestandteil des gemeinschaftlichen Eigentums der Wohnungseigentümer ist.

12

Im übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.

Gründe

13

Die Klage ist begründet.

14

Der Einheitswert der streitigen Eigentumswohnung ist auf der Grundlage einer üblichen Miete von 1,45 DM/qm zu ermitteln.

15

Bei der Höhe dieser Miete richtet sich der Senat nach dem vom FA angewandten Mietspiegel. Es ist kein Grund ersichtlich, diesen Mietspiegel nicht anzuwenden. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das FA die Stadt B. in eine größere Gemeindeklasse eingeordnet und diese Einordnung nicht nur bei der Anwendung des Vervielfältigers zugrundegelegt hat, sondern auch bei der Ermittlung der Miete. Die Mietspiegel der Finanzverwaltung sind in der Regel geeignete Schätzungsgrundlagen für die Ermittlung der üblichen Miete (vgl. BFH, Urteil vom 10.08.1984 III R 41/75, BStBl II 1985, 36). Zwar hat der Senat Bedenken, ob dies auch für die Anwendung der Mietspiegelgruppe "g" gilt (vgl. Senatsurteil vom 27.08.1996 I 119/90, EFG 1997 S. 8). Darauf kommt es im Streitfall jedoch nicht an, weil die Miete nicht der Mietspiegelgruppe "g" zu entnehmen ist. Die Miete ist im Streitfall vielmehr im Prinzip der Mietspiegelgruppe "b" zu entnehmen und -; da diese im Mietspiegel nicht ausgewiesen ist -; statt dessen der Gruppe "a" (Altbauten vor 21.06.1948). Das ergibt sich aus folgendem:

16

Wie der Senat bereits im Urteil vom 20. April 1993 (I 156/90) ausgeführt hat, ist es nicht sachgerecht, bei der Feststellung von Einheitswerten unterschiedliche Herstellungsjahre zugrundezulegen einerseits bei der Anwendung des Vervielfältigers und andererseits bei der Ermittlung der üblichen Miete nach dem Mietspiegel. Das bietet sich schon grundsätzlich an, um bei der Festsetzung der Einheitswerte des Grundvermögens den unverzichtbaren Gesichtspunkten der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Praktikabilität gerecht zu werden. Auch materiell kann der Senat für eine solche Differenzierung keine Rechtfertigung erkennen. Insbesondere trifft es nicht zu, daß der Vervielfältiger in erster Linie die Lebensdauer des Gebäudes ausdrücken will und die Miete den Verkehrswert. Vervielfältiger, § 80 BewG, und Mietwert beziehen sich auch auf gemeinsame Kriterien wie z. B. die Lebensdauer und den Wert eines Gebäudes und sollten deshalb möglichst auf denselben Ausgangspunkten aufbauen. Hiervon geht offenbar auch die Finanzverwaltung selbst aus. Denn anders ist nicht zu erklären, daß sie -; z. B. nach der OFD-Verfügung vom 20.03.1967 -; die Regelung des § 80 Abs. 2 BewG, die sich nur auf den Vervielfältiger bezieht, auf die Anwendung des Mietspiegels erweitert hat. Der Senat hält diese Regelung für sachgerecht. Sie muß dann jedoch konsequent durchgehalten werden.

17

Ein höherer Mietwert läßt sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, daß das Eigentum an der Wohnung Nr. 56 verbunden ist mit einem Miteigentumsanteil an bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen, z. B. einem Schwimmbad. Denn dieser Miteigentumsanteil ist im Einheitswertbescheid "Bauteil II" gesondert berücksichtigt und bewertet worden.

18

Der Einheitswert errechnet sich damit wie folgt:

Bauteil I

40 qm × 1,45 DM × 12 Monate

696,00 DM

+ 5 v. H. Zuschlag wegen Schönheitsreparaturen

34,80 DM

Jahresrohmiete

730,80 DM

× Vervielfältiger 5,6

4.092,48 DM.

Bauteil II

anteilige Miete für gemeinschaftliches Eigentum

82,00 DM

× Vervielfältiger 9,2

754,40 DM

Grundstückswert

4.846,88 DM

Einheitswert

4.800,00 DM

19

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

21

Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 151 Abs. 3 und 155 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.

22

Da die Beigeladenen keine Anträge gestellt und damit kein Kostenrisiko getragen haben, entspricht es der Billigkeit, daß sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.