Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.11.2018, Az.: 1 A 81/16

Angewiesensein; Einziehung; Erschließungsfunktion; Erschließungsinteresse; Rückwärtsfahrt; Verkehrsbedeutung; Zufahrt

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.11.2018
Aktenzeichen
1 A 81/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74039
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich als Anliegerin gegen die Einziehung einer öffentlichen Straße.

Die Klägerin hat ihren Sitz in C. und stellt Paternoster sowie Geräte und Regale für die industrielle Lagerhaltung her. Neben dem Geschäftsführer arbeiten noch zwei Gesellen und ein Lehrling für die Klägerin. Ihr Betriebsgrundstück grenzt südlich an die B. (L 487) an, nördlich an die Straße „H.“. Die Straßen laufen in West-Ost-Richtung. Die Straße „H.“ ist Gegenstand der streitgegenständlichen Einziehung.

Von beiden Straßen hat das 120 m lange Betriebsgrundstück der Klägerin Zufahrten. Diese sind in gerader Linie durch eine am östlichen Grundstücksrand verlaufende Fahrgasse verbunden, welche von der Zufahrt B. an einem Betriebsparkplatz und sodann an einem Wohnhaus und der direkt an das Wohnhaus anschließenden Produktionshalle vorbei zur Zufahrt „H.“ führt. Die Fahrgasse stößt in ihrer Breite direkt an das Wohnhaus und die Halle an und reicht bis zur Grundstücksgrenze. Das Wohnhaus wird zur Wohnnutzung vermietet.

Westlich des sieben Meter langen Betriebsparkplatzes liegt eine Brache, die mit Gras und Buschwerk bewachsen ist. Die an das Wohnhaus anschließende Produktionshalle springt gegenüber dem Wohnhaus zurück und nimmt den nördlichen Grundstücksteil zur Straße „H.“ bis zur Grundstücksgrenze ein. Sie ist im Anschluss an das Wohnhaus zunächst wie dieses eingeschossig und erreicht im hinteren Teil des Grundstücks zur Straße „H.“ dann doppelte Geschosshöhe.

Die engste Stelle der Durchfahrt über die Fahrgasse befindet sich auf der Höhe des Wohnhauses an den dortigen Lichtschächten; sie ist an der Stelle 4,085 m breit, wobei die Traufe des Haus mit der Dachrinne über den Kellerschacht hinausragt. Die Traufhöhe ab Straße beträgt 3,76 m.

Über die Fahrgasse auf dem Grundstück erfolgt An- und Ablieferungsverkehr. Im eingeschossigen Teil der Produktionshalle werden kleinere Pakete insbesondere von Postdienstleistern entgegengenommen. Im hinteren Hallenteil befindet sich ein etwa sechs bis sieben Meter breites Tor, über das Produktionsmaterial, u.a. mehrere Meter lange Stahlprofile, angeliefert und die fertigen Produkte auf LKW aufgeladen werden. Die Be- und Entladung der Lastkraftwagen erfolgt mit Gabelstaplern. Einen als Garage genehmigten Anbau unmittelbar zur Straße „H.“ nutzt die Klägerin als Teil der Produktionshalle, die Garagenausfahrt ist mit Glasbausteinen verschlossen.

Die Straße „H.“ verbindet die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straßen I. und J. und liegt auf den Flurstücken Gemarkung C., Flur 11, Flurstück K., L. und M.. Sie ist faktisch eine Stichstraße; für den öffentlichen Verkehr zugänglich ist sie lediglich von der J. aus bis zum Betriebsgelände der Klägerin und kurz danach bis zum Werkstor der Beigeladenen. Der insoweit zugängliche Teil der Straße liegt auf dem Flurstück K.. Den Straßenabschnitt jenseits der Werkstore der Beigeladenen (Flurstücke L. und M.) bis zur I. hatte die Beklagte jener bereits im Jahr 1995 verkauft, ohne ihn zuvor entwidmet zu haben. Daraufhin hatte die Beigeladene den Straßenabschnitt mit Werkstoren ausgestattet und dem öffentlichen Verkehr faktisch entzogen.

Die Beigeladene unterhält auf ihrem Grundstück westlich des Geländes der Klägerin eine Aufbereitungsanlage für Zuckerrübensaatgut und östlich davon ein Logistikcenter für Zuckerrübensaatgut. Ursprünglich wollte die Beigeladene das Betriebsgrundstück der Klägerin kaufen, um ihre Grundstücke zu verbinden; der Kauf kam indes nicht zustande. Die Beigeladene beabsichtigt nunmehr, von der Beklagten das Flurstück K. der Straße „H.“ zu kaufen und ihre Betriebsgrundstücke, die westlich und östlich des Betriebsgrundstücks der Klägerin liegen, zu verbinden.

Mit Schreiben vom Oktober 2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass es einen Kaufinteressenten für die Straße „H.“ gebe, und gab im Hinblick auf ein Verfahren zur Einziehung der Straße Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Allgemeinverfügung vom 21.03.2016, die im Amtsblatt des Landkreises Northeim sowie in örtlichen Tageszeitungen am 24.03.2016 veröffentlicht wurde, zog die Beklagte die in ihrem Gemeindegebiet liegende öffentlich gewidmete Gemeindestraße „H.“ auf ganzer Länge von der I. bis zur J. ein und bestimmte das Wirksamwerden der Einziehung zum 01.05.2016.

Zur Begründung führte die Beklagte aus, ihr Verwaltungsausschuss habe in seiner Sitzung vom 16.03.2016 die Einziehung der Straße beschlossen. Vor diesem Beschluss sei die Absicht der Einziehung vorher ortsüblich bekannt gemacht worden. Die Straße habe keine Verkehrsbedeutung mehr. Ein Gewerbetreibender habe sich gegen die Einziehung gewandt. Im Rahmen eines Ortstermins am 04.03.2016 habe der Gewerbetreibende vorgetragen, dass die Straße „H.“ wöchentlich von ein bis zwei Lastkraftwagen im Zusammenhang mit seinem Betrieb befahren werde. Sichtbare betriebliche Arbeitsabläufe seien nicht gesehen worden. Der künftige Erwerber der Straße habe dem Gewerbetreibenden ein kontrolliertes Wegerecht angeboten, was der Gewerbetreibende aber abgelehnt habe. Die Straße habe außerdem keine innerörtliche Verkehrsbedeutung für den allgemeinen Verkehr. Der Anliegergebrauch garantierte nur die Verbindung eines Grundstücks mit dem öffentlichen Wegenetz schlechthin, aber nicht die Leichtigkeit und Bequemlichkeit des Zu- und Abgangsverkehrs. Die intendierte Ermessensentscheidung des § 8 Abs. 1 NStrG binde die Verwaltung dahingehend, dass bei offensichtlicher Erfüllung der Tatbestände die Rechtsfolge auch greife. Eine atypische Konstellation, die eine andere Entscheidung begründen könnte, liege hier nicht vor.

Die Klägerin hat am 08.04.2016 Klage erhoben. Sie verweist darauf, dass von den drei von der Entwidmung betroffenen Grundstücken seit einer Neuvermessung von Grundstücken an der Straße „H.“ im November 2006 die Flurstücke L. und M. nicht mehr öffentlich zugänglich seien, und macht geltend, die Einziehung berücksichtige ausschließlich das Kaufinteresse der Beigeladenen. Ihre eigenen Interessen seien nicht berücksichtigt worden. Die Zufahrt zu ihrem Grundstück von der Straße „H.“ werde u.a. von mehrachsigen Lastkraftwagen mit Anhängern zur Anlieferung von Material und Auslieferung benutzt. Wäre dieser Weg nicht mehr nutzbar, müssten alle Fahrzeuge 120 m rückwärtsfahrend das Gelände verlassen und über die vielbefahrene B. ausfahren. Fahrzeuge könnten nicht gleichzeitig beladen und entladen werden. Von den Speditionen würden Standzeiten berechnet werden. Außerdem würden die Arbeitsabläufe in der Produktion behindert. Der Abtransport von Schrott-Containern sei nur über die Straße „H.“ möglich. Ein vertraglich vereinbartes Wegerecht, wie von der Beigeladenen angeboten, sei nicht annehmbar, weil es bei einem Verkauf des Grundstücks an Dritte entfallen würde. Es wäre jedenfalls ein Wertausgleich für den Verlust der zweiten Zufahrt fällig.

Die Klägerin beantragt,

die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 21.03.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids, die sie wie folgt vertieft: Die Straße sei eine faktische Stichstraße, die vor dem östlichen Werkstor der Beigeladenen ende. Die Klägerin nutze die nördliche Zufahrt des Geländes nicht mehr. Sie habe das Gelände allein in der Weise genutzt, dass Lastkraftwagen, die über die B. das Gelände beführen, es auf der Rückseite über die Straße „H.“ wieder verließen. Sie könnten aber auch rückwärts wieder über die B. ausfahren. Soweit die Klägerin sich auf die Flurstücke L. und M. beziehe, habe bislang keine Entwidmung stattgefunden. Diese werde durch die Allgemeinverfügung nachgeholt. Die Klägerin sei insoweit nicht in eigenen Rechten betroffen. Es sei auch nicht streitentscheidend, dass die Straßen-Flurstücke nach Entwidmung an die Beigeladene veräußert werden sollten. Dies wäre nur dann nach § 8 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. NStrG zu berücksichtigen, wenn die Straße noch Verkehrsbedeutung hätte. Das sei aber nicht der Fall.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag und tritt der Argumentation der Beklagten bei.

Die Kammer hat im Termin am 28.11.2018 vor Ort Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme des Grundstücks der Klägerin, seiner Bebauung und der Zu- und Abfahrt sowie durch Befragung des sachverständigen Zeugen N. von der Berufsgenossenschaft Verkehr.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Niederschriften zu den mündlichen Verhandlungen vom 31. Mai 2017 und 28. November 2018 sowie der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten 001 bis 007).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage (hierzu I.) ist unbegründet (II.).

I.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt, weil sie geltend machen kann, durch die Einziehungsverfügung vom 21.03.2016 in eigenen Rechten verletzt zu sein.

Die Klägerin beruft sich auf eine Verletzung des Kernbereichs ihres Erschließungsinteresses durch die Einziehung der Straße „H.“, der als Bestandteil des Anliegergebrauchs durch Art. 14 Abs. 1 GG vor straßenrechtlichen Veränderungen schützt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.09.1990 - 1 BvR 988/90 -, NVwZ 1991, S. 358; Beschl. v. 10.06.2009 - 1 BvR 198/08 -, juris Rn. 24; BVerwG, Urt. v. 29.04.1977 - IV C 15.75 -, BVerwGE 54, 1, 3). Zum Kernbereich des Erschließungsinteresses gehört die Erreichbarkeit des Grundstücks über eine öffentliche Straße.

Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Anlieger stets eine Klagerecht gegen eine straßenrechtliche Einziehungsverfügung hat (so Nds. OVG, Urt. v. 18.07.2006 - 12 LB 116/06 - juris Rn. 41; Marschall/Schroter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998, § 7 Rn. 30 f.) oder ob es für die Zulässigkeit einer solchen Klage des Hinzutretens besonderer Umstände bedarf, die geeignet sind, das grundrechtlich geschützte Erschließungsinteresse zu begründen (so Bay. VGH, Beschl. v. 22.10.2015 - 8 ZB 13.647, 8 ZB 15.2320 -, juris Rn. 13). Derartige besondere Umstände sollen insbesondere dann vorliegen, wenn es um die Erreichbarkeit des Grundstücks des Anliegers in der Weise gehe, dass diese Erreichbarkeit durch die Einziehung wegfalle oder in schwerwiegender Weise eingeschränkt werde und der Anlieger dadurch gravierend betroffen sei.

Nach dem substantiierten Vortrag der Klägerin liegen solche besonderen Umstände hier vor. Die Klägerin macht geltend, dass die Zuwegung über die Straße „H.“ Grundlage für die seit dem Ende der 1960er Jahre bestehende Nutzung des Betriebsgrundstücks als Produktionsstätte ist und der Wegfall der Zuwegung dazu führt, dass das Grundstück nicht mehr in zumutbarer Weise als solche genutzt werden kann und der Fortbestand des Betriebs in Rede steht (vgl. VG Regensburg, Urt. v. 29.09.2016 - RO 2 K 16.514 -, juris Rn. 27). Hier sind die besondere Bebauung und die betriebliche Nutzung des Grundstücks der Klägerin dergestalt, dass die Klägerin jedenfalls nicht von vornherein auf die Grundstückszufahrt über die B. verwiesen werden kann, über die die Zufahrt zum Grundstück uneingeschränkt möglich ist. Das Grundstück ist so bebaut, dass jedes Fahrzeug, das von der B. einfahrend das Wohnhaus passiert, ab dort nicht mehr wenden kann. Die Ausfahrt ist vorwärtsfahrend über die Zufahrt „H.“ möglich, außerdem rückwärtsfahrend über die Zufahrt B.. Es ist nach dem Vortrag der Klägerin jedenfalls möglich, dass insbesondere Lastkraftwagen mit Anhängern wegen der Bebauung des Grundstücks tatsächlich nicht sicher rückwärts vom Grundstück auf die B. ausfahren können und sie deshalb die zweite Ausfahrt über die Straße „H.“ zwingend benötigt, um ihr Betriebsgrundstück weiter als solches nutzen zu können.

II.

Die Klage ist unbegründet; die Einziehungsverfügung vom 21.03.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage für die Einziehung der Straße „H.“ im Gemeindegebiet der Beklagten ist § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Niedersächsisches Straßengesetz – NStrG – in der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Rates der Beklagten über die Einziehungsverfügung geltenden Fassung des Gesetzes vom 22.10.2014 (Nds. GVBl. S. 291). Danach soll eine Straße vom Träger der Straßenbaulast eingezogen werden, wenn sie keine Verkehrsbedeutung mehr hat oder überwiegende Gründe des öffentlichen Wohles für ihre Beseitigung vorliegen.

1.

Die Allgemeinverfügung ist formell rechtmäßig.

Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 NStrG ist die Absicht der Einziehung mindestens drei Monate vorher in den Gemeinden, die die Straße berührt, ortsüblich bekanntzugeben. Die Einziehung ist nach § 8 Abs. 3 NStrG mit Angabe des Tages, an dem die Eigenschaft als Straße endet, öffentlich bekanntzumachen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Bei der Straße „H.“ handelt es sich um eine Gemeindestraße im Sinne von § 47 Nr. 1 NStrG. Die Beklagte ist gem. § 48 Satz 1 NStrG der für Gemeindestraßen zuständige Straßenbaulastträger und als solcher nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NStrG auch für deren Einziehung zuständig.

Mit dem Verwaltungsausschuss der Beklagten hat auch das zuständige Organ entschieden. Der Verwaltungsausschuss der Beklagten ist der Hauptausschuss im Sinne von §§ 74 ff. NKomVG und ist für die Entscheidung über die Einziehung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 NKomVG zuständig, weil diese Aufgabe keinem anderen kommunalen Organ im Sinne der genannten Vorschrift zugewiesen ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 31.01.2013 - 7 LA 160/11 -, juris Rn. 7; Beschl. v. 24.01.2018 - 7 ME 110/17 -, juris Rn. 23). Die Widmung und - als actus contrarius hierzu - die Einziehung sind insbesondere keine ausschließlichen Aufgaben der Vertretung als kommunalem Hauptorgan (§ 58 NKomVG). Selbst wenn man die Einziehung als Geschäft der laufenden Verwaltung betrachten wollte - wofür angesichts der weitreichenden öffentlich-rechtlichen Folgen der Einziehung wenig spricht -, wäre hier der Verwaltungsausschuss nach § 76 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 NKomVG zuständig gewesen. Er traf am 16.03.2016 einen Beschluss aufgrund einer Beschlussvorlage der Bürgermeisterin der Beklagten.

Die beabsichtigte Einziehung der Straße „H.“ wurde auch ortsüblich innerhalb der Frist nach § 8 Abs. 2 Satz 1 NStrG bekannt gegeben, indem sie am 19.11.2015 durch Aushang am Schwarzen Brett des Rathauses sowie Veröffentlichung in zwei örtlichen Tageszeitungen (Einbecker Morgenpost und Gandersheimer Kreisblatt) amtlich bekannt gemacht wurde. Schließlich wurde die am 16.03.2016 vom Verwaltungsausschuss auf Vorlage der Bürgermeisterin beschlossene Einziehung auch unter Angabe des Tages, an dem die Einziehung wirksam werden sollte, öffentlich bekannt gegeben, § 8 Abs. 3 NStrG. Die Allgemeinverfügung wurde unter dem 21.03.2016 in der Einbecker Morgenpost und dem Gandersheimer Kreisblatt sowie im Amtsblatt des Landkreises Northeim sowie im Internet unter der Adresse www.einbeck.de veröffentlicht.

2.

Die Allgemeinverfügung ist auch materiell rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihrem Erschließungsinteresse an der Straße „H.“.

a.

Die Beklagte kann die Einziehung zwar nicht darauf stützen, dass überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls für die Einziehung der Straße „H.“ sprechen, § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 NStrG. Als überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls sind in der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, nur straßenbezogene – also verkehrliche und verkehrsplanerische bzw. städtebauliche – Belange (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 29.12.2015 - 7 ME 53/13 -, juris Rn. 7) anerkannt. Solche Gründe liegen hier nicht vor. Beweggrund für die Einziehung ist vielmehr das wirtschaftspolitische Interesse der Beklagten daran, der Beigeladenen eine umfangreiche Investition im Ortsgebiet zu ermöglichen und damit Arbeitsplätze und indirekt auch Steuereinnahmen zu sichern. Selbst wenn die Förderung volkswirtschaftlich bedeutsamer privater Wirtschaftsunternehmen als überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls anerkannt würden (so Marschall/Schroeter/Kastner, a.a.o., § 2 Rn. 78), läge auch unter diesem Aspekt kein solcher Grund vor. Die Beigeladene hat für die Beklagte in ihrer Gesamtheit zwar eine herausgehobene wirtschaftliche Bedeutung. Dass aber die Einziehung der Straße als Einzelmaßnahme bereits diese Bedeutung erlangt, ist hier nicht ersichtlich. Das wäre nur dann der Fall, wenn im Falle der Nichteinziehung eine Verlagerung von Betriebsstätten aus dem Gemeindegebiet der Beklagten drohte. Hierfür spricht nichts. Das öffentliche Interesse an der Förderung der Beigeladenen wäre nach alledem allenfalls auf der Ermessensebene als (nicht straßenbezogenes) öffentliches Interesse zu würdigen.

b.

Ein Einziehungsgrund liegt hier indes darin begründet, dass die Straße „H.“ zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsausschusses der Beklagten keine Verkehrsbedeutung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 NStrG mehr hatte.

Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Verkehrsbedeutung weggefallen ist (Herber, in: Kodal, a.a.O., S. 411 Rn. 17 f.; Wendrich, Niedersächsisches Straßengesetz, 4. Aufl. 2000, S. 44 Rn. 3). Wann eine Straße entbehrlich ist, muss im Einzelfall nach den gesamten Umständen beantwortet werden. Für die Feststellung eines etwaig fortbestehenden Verkehrsbedürfnisses sind in die Prüfung die Verkehrsinteressen der Anlieger einzubeziehen, ferner auch die Verkehrsinteressen der Verkehrsteilnehmer sowie das Verkehrsinteresse im Sinne des Verkehrslenkungsinteresses der betroffenen Behörden (Herber, a.a.O., S. 411 f., Rn. 16). Die Entbehrlichkeit einer Straße wegen des Wegfalls jeglichen Verkehrsbedürfnisses ist im Hinblick auf sämtliche Verkehrsarten und -zwecke sowie alle potentiellen Benutzerkreise zu prüfen (Marschall/Schroeter/Kastner, a.a.O., § 2 Rn. 77; VG Osnabrück, Urt. v. 20.02.2009 – 6 A 114/08 -, juris Rn. 15).

Ein besonderes Verkehrslenkungsinteresse in Bezug auf die Straße „H.“ ergibt sich nicht aus dem aktuellen Verkehrsentwicklungsplan 2004 der Beklagten (GA Bl. 130 ff.). Auf Seite 41 des Verkehrsentwicklungsplans ist eine Straßenkarte des Stadtgebiets der Beklagten mit farblichen Einzeichnungen der Straßen je nach ihrer Verkehrsbedeutung abgebildet. Neben Bundes- und Landesstraßen sind kommunale Hauptverkehrsstraßen in den Kategorien „Kreis- oder Stadtstraße mit hoher Verkehrsbedeutung“, „verkehrswichtige innerörtliche Straße mit wesentlichen Verbindungs- und Zubringerfunktionen“ sowie „nachgeordnete Sammel- und Erschließungsstraßen“ farbig markiert. Danach sind die B. und die J. Straßen mit hoher Verkehrsbedeutung; demgegenüber ist die Straße „H.“ nicht farbig herausgehoben. Sie wird auch sonst im Verkehrsentwicklungsplan nicht erwähnt.

Verkehrsinteressen von weiteren Verkehrsteilnehmern als der Klägerin und der Beigeladenen sind nicht zu berücksichtigen. Neben diesen gibt es keine weiteren Anlieger. Die Straße „H.“ hat auch nur eine Erschließungsfunktion für die Grundstücke der Beigeladenen und der Klägerin. Der Verkehr auf der Straße betrifft die Zu- und Abfahrt zu deren Grundstücken. Bei der Inaugenscheinnahme konnte die Kammer feststellen, dass die Straße nicht mit Gehwegen ausgestattet ist. Sie führt auch nicht zu anderen Grundstücken.

Da die Straße vom Grundstück der Klägerin in Richtung der westlich gelegenen I. (Gemarkung C., Flur 11, Flurstücke L. und M.) bereits seit mehr als 20 Jahren dem Verkehr faktisch entzogen ist, wird dieser Abschnitt auch nicht von anderen Verkehrsteilnehmern als der Beigeladenen selbst und Verkehrsteilnehmern genutzt, die zum Grundstück der Beigeladenen fahren und wieder abfahren. Diese können den Straßenabschnitt über die bestehenden Zufahrten wie eine Privatstraße nutzen und haben insoweit kein Verkehrsinteresse an der Straße „H.“. Für die Beigeladene würde mit der Einziehung des Straßenabschnitts lediglich der aus zivilrechtlicher Sicht mit den Grundstücken verbundene Rechtsmangel der Widmung beseitigt werden. Auch die Klägerin hat hinsichtlich dieses Straßenabschnitts kein Verkehrsinteresse, weil sie die Zuwegung über den Straßenabschnitt Richtung J. nutzt, der über einen kurzen Weg zur Ortsausfahrt führt. Insoweit ist das Verkehrsinteresse bereits vollständig entfallen.

Aber auch hinsichtlich des Straßenabschnitts in die Richtung der östlich gelegenen J. (Gemarkung C., Flur 11, Flurstück K.) besteht kein Verkehrsinteresse. Anderer Verkehr als Anliegerverkehr wird wegen des Charakters einer Stichstraße über diesen Straßenabschnitt nicht geführt. Mithin kommt es darauf an, ob sich aus dem Anliegerverkehr eine Verkehrsbedeutung ergibt. Das ist der Fall, solange die Anlieger auf die einzuziehende Straße wegen deren Erschließungsfunktion angewiesen sind (Marschall/Schroeter/Kastner, a.a.O., § 2 Rn. 68). Angewiesen ist ein Anlieger auf das Vorhandensein und die Benutzung einer Straße nur in dem für die angemessene Grundstücksnutzung auch erforderlichen Umfang, der sich danach bestimmt, ob für den Anliegergebrauch ein unabweisbares Bedürfnis und nicht nur Gelegenheit besteht (Stahlhut in: Kodal, a.a.O., S. 794 Rn. 22, m.w.N.). Aus Sicht des Eigentumsschutzes aus Art. 14 GG ist hierfür maßgeblich, ob die Benutzbarkeit des Grundstücks und der Zufahrt infolge Veränderung der Straße nachhaltig beeinträchtigt wird (Stahlhut, in: Kodal, a.a.O., S. 804 Rn. 47.3 zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Enteignungen; Bay. VGH, Beschl. v. 22.10.2015 - 8 ZB 13.647 und 8 ZB 15.2320 -, juris Rn. 13; VG Regenburg, Urt. v. 29.09.2016, a.a.O., Rn. 26). In einem solchen Fall besteht nach Auffassung der Kammer auch das Erschließungsinteresse noch. Zu berücksichtigen sind dabei bei Anlieger-Gewerbebetrieben die konkrete rechtmäßige Nutzung und Bebauung des Grundstücks unter Berücksichtigung der Qualität und Quantität des Verkehrs, der über die bisherige Zufahrt abgewickelt wird.

Nach dieser Maßgabe hat die Straße „H.“, soweit sie auf dem Flurstück K. belegen ist, für die Klägerin und die Beigeladene als einzige Anlieger keine Erschließungsfunktion. Ein Angewiesensein im genannten Sinne besteht für letztere nicht, die im Falle der Einziehung dieses Straßenabschnitts das Eigentum hieran erwerben soll. Aber auch die Klägerin ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auf die Erschließungsfunktion der Straße „H.“ angewiesen.

Zunächst ergibt sich kein rechtlich geschütztes Interesse an der Zufahrt auf die Straße „H.“ wegen des baurechtlich als Garage genehmigten Teils der Produktionshalle direkt an der Grundstücksgrenze zu dieser Straße. Nach Ziffer 33 des Bauscheins vom XX.XX.1968 (Bauakte der Beklagten, BA 007, S. 6) ist für die Garage eine Einfahrt (Überfahrt) über den Fußsteig der Straße „H.“ herzustellen. Es spricht einiges dafür, dass eine solche baurechtliche Zulässigkeit der Zufahrt ein straßenrechtlich relevantes Verkehrsinteresse begründen kann (vgl. Stahlhut, in: Kodal, a.a.O., S. 801, Rn. 40). Ob das der Fall ist, kann hier aber offenbleiben. Denn der Hallenteil wird nach Angaben des Klägervertreters seit 40 oder 50 Jahren bereits nicht mehr als Garage genutzt. Die Garagentore sind entfernt, an ihrer Stelle ist ein Fenster eingebaut. Der derzeitige Zustand ist baurechtswidrig; aus dem Bauschein kann die Klägerin daher keine Rechte herleiten.

Auch aus der Nutzung als Betriebsgrundstück folgt kein Erschließungsinteresse in Bezug auf die streitgegenständliche Straße, soweit sie auf dem Flurstück K. belegen ist. Beim Ortstermin konnte sich die Kammer zunächst davon überzeugen, dass die Klägerin abweichend von der Einschätzung der Beklagten im Verwaltungsverfahren den Geschäftsbetrieb nicht eingestellt hat. Aufgrund eines eigenen Ortstermins am 02.11.2015 war die Beklagte noch zur Einschätzung gelangt, dass keine betrieblichen Arbeitsabläufe sichtbar gewesen seien; auch die Container, die auf dem Grundstücksteil der Klägerin zur Straße „H.“ stehen und nach Angaben der Klägerin von dort auch geleert würden, waren ausweislich des Protokolls über einen Außentermin von Mitarbeitern der Beklagten am 02.11.2015 von Birken eingewachsen (BA 001, nicht foliert). Die Kammer konnte in der Produktionshalle Material aus Metall, darunter auch mehrere Meter lange Metallrohre, sehen; ein Arbeiter war anwesend. Nach Angaben des Klägervertreters beschäftigt die Klägerin neben ihm als geschäftsführendem Gesellschafter zwei Gesellen und einen Lehrling. Auch wenn die Klägerin nach dem Eindruck von der Produktionsstätte nur eine geringe Konstruktionstätigkeit aufweist und ihre wirtschaftliche Hochzeit als überregional bekannte Herstellerin von Paternostern in der Vergangenheit liegt, decken sich diese Beobachtungen mit den Angeboten auf der eigenen Internetseite der Klägerin, nach der diese noch eine Produktion betreibt. Das Grundstück der Klägerin wird damit noch überwiegend zu gewerblichen Zwecken genutzt. Die Wohnnutzung – die Klägerin vermietet das auf dem Grundstück befindliche Wohnhaus zum Teil an eine Familie – tritt demgegenüber in den Hintergrund.

Soweit die Klägerin zur Begründung ihres Erschließungsinteresses an der Straße „H.“ geltend macht, ohne die Zufahrt auf die Straße die Produktion von Industriegütern einstellen zu müssen, folgt dem die Kammer allerdings nicht. Die gewerbliche Nutzung kann im vorliegenden Fall weitergeführt werden, auch wenn das Grundstück der Klägerin nur noch die Zufahrt zur B. und nicht mehr zur Straße „H.“ hat. Maßgeblich hierfür ist, dass auch Lastkraftwagen rückwärtsfahrend das Grundstück über die Zufahrt B. verlassen können. Das Gericht hat Beweis erhoben über die Tatsache, dass ein Fahrzeug vom Grundstück der Klägerin rückwärts auf die B. ausfahren kann. Sie hat hierzu das Betriebsgrundstück der Klägerin mit seinen Zufahrten in Augenschein genommen und hierzu den sachverständigen Zeugen N. von der Berufsgenossenschaft Verkehr hinzugezogen.

Die Inaugenscheinnahme des Grundstücks hat ergeben, dass die Fahrgasse an ihrer engsten Stelle auf der Höhe des Wohnhauses 4,085 m breit ist. Für Lastkraftwagen, die 4 m hoch sind, wird diese Stelle noch weiter verengt durch den Überstand der Dachrinne des Wohnhauses auf 3,76 m Höhe. Lastkraftwagen, die von der Zufahrt B. kommend Material für die Produktion an der Produktionshalle abliefern und dort Produkte der Klägerin aufnehmen, müssen diese 10,30 m lange Engstelle auf der Rückwärtsfahrt zur Zufahrt B. passieren, wenn die Zufahrt zur Straße „H.“ entfällt.

Der Zeuge wurde nach erfolgter Inaugenscheinnahme zu der Frage befragt, ob durch den Entzug der zweiten Zufahrt zum Grundstück der Klägerin eine unfallversicherungsrechtlich unzumutbare Gefahr von Eigen- und Fremdschäden bei Verkehrsvorgängen auf dem Grundstück entsteht. Die Kammer hält im vorliegenden Fall die unfallversicherungsrechtliche Perspektive für aussagekräftig im Hinblick auf die Beweisfrage, ob ein Fahrzeug rückwärts von dem Grundstück der Klägerin auf die B. ausfahren kann. Soweit ihr vertretungsberechtigter Gesellschafter im Fall eines Unfalls eines rückwärtsfahrenden Lastkraftwagens nämlich wegen der Unfallverursachung haften würde, würde die Klägerin nach § 111 i.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ihrerseits gegenüber dem Sozialversicherungsträger in Höhe dessen Aufwendungen bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs haften. Das Haftungsrisiko könnte damit den wirtschaftlichen Wert der Klägerin unter Umständen sogar aushöhlen, jedenfalls aber die Weiterführung des Betriebs in Frage stellen. Die Klägerin wäre zum Ausschluss dieser Risiken gehalten, das Rückwärtsfahren auf dem Grundstück zu unterbinden.

Der Zeuge bekundete, dass Lastkraftwagen mit Auflieger eine Länge von 15,5 m hätten, wobei solche, die mit zwei Gelenken ausgestattet seien (Gliederzüge), noch länger seien. Zwar gibt es für das Rückwärtsfahren von Lastkraftwagen keine sicherheitstechnischen Anforderungen, wie sie für Müllfahrzeuge mit den Sicherheitstechnischen Anforderungen an Straßen und Fahrwege für die Sammlung von Abfällen (DGUV Information 214-033 von Mai 2012) vorliegen. Danach erfordert eine unvermeidbare Rückwärtsfahrt in Straßen, dass beiderseits des Abfallsammelfahrzeugs ein Sicherheitsabstand zu ortsfesten Einrichtungen oder abgestellten Fahrzeugen von mindestens 0,5 m über die gesamte Rückfahrtstrecke gewährleistet ist, die zurückzulegende Strecke nicht länger als 150 m ist, die Sicht durch die Rückspiegel nach hinten nicht behindert wird und sich im Gefahrbereich des Fahrzeugs keine Personen aufhalten (DGUV Information 214-033, Ziff. 6.3, S. 17). Diese Regeln sind auf die verkehrliche Situation auf dem Grundstück der Klägerin auch nicht übertragbar, weil sie nach der Erläuterung des Zeugen darauf Rücksicht nehmen, dass an den Müllfahrzeugen noch Passanten vorbeigehen. Da auf dem Betriebsgrundstück der Klägerin keine Fußgänger mit Ausnahme der Mitarbeiter sowie – im Grundstücksteil des Wohnhauses – die Mieter der Klägerin laufen, die die Gefahrensituation durch rückwärtsfahrende Lastkraftwagen übersehen können, ist insbesondere ein seitlicher Abstand zum rückwärtsfahrenden Fahrzeug hier nicht zwingend. Der Zeuge bekundete aber nachvollziehbar, dass Lastkraftwagen mit zwei Gelenken (Gliederzüge) beim Rückwärtsfahren zur Seite auslaufen und der Fahrer jeweils gegenlenken muss. Nach seiner fachlichen Einschätzung ist der seitliche Abstand auf der Höhe des Wohnhauses für einen Lastkraftwagen mit einem Auflieger (Sattelzug) zu bewältigen, für Gliederzüge „sehr grenzwertig“. Auch wenn damit keine Aussage dahingehend verbunden werden kann, dass im Fall eines Unfalls beim Rückwärtsfahren eines solche Lastkraftwagens ein Haftungsfall nach § 111 SGB VII für die Klägerin zwangsläufig eintreten würde, ist eine solche Haftung nicht von vornherein ausgeschlossen.

Daraus folgt allerdings noch nicht, dass die Klägerin auf die zweite Zufahrt zur Straße „H.“ straßenrechtlich angewiesen wäre. Zu berücksichtigen ist nämlich zum einen, dass die Anzahl der Gliederzüge, die das Grundstück der Klägerin anfahren, auch nach deren eigenen Angaben „gering“ ist. Zum anderen kann die Klägerin gerade mit Blick auf die geringe Anzahl langer Lastkraftwagen die Gefahr durch eigene Maßnahmen maßgeblich verringern. Der Zeuge wies darauf hin, dass nach den Unfallverhütungsvorschriften §§ 45, 46 DGU Vorschrift 70 Unfallverhütungsvorschrift Fahrzeuge und nach § 3 Betriebssicherheitsverordnung sowie nach den technischen Regeln Betriebssicherheit 2111 und 2111 Teil 1 bei der Verwendung von mobilen Arbeitsmitteln einschließlich Lastkraftwagen die mechanische Gefährdung von Personen durch Anfahren, Überfahren und Quetschen insbesondere beim Rückwärtsfahren zu minimieren ist, und zwar durch technische, organisatorische und persönliche Maßnahmen. Solche Maßnahmen, die das Unfallrisiko beim Rückwärtsfahren verringern, können von der Klägerin vorliegend verlangt werden. Der damit verbundene Aufwand ist nach Überzeugung auch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht so hoch, dass der Unternehmenswert der Klägerin ausgehöhlt würde und eine Weiterführung der Produktion auf dem Betriebsgrundstück in Rede stünde. Im Einzelnen können Unfallrisiken dadurch verhindert werden, dass an der Engstelle der Fahrgasse auf der Höhe des Wohnhauses Spiegel angebracht werden. Auch ist es zumutbar, die Be- und Entladung von Lastkraftwagen mit Gabelstaplern nicht direkt vor dem Tor der Produktionshalle vorzunehmen, sondern die Lastkraftwagen bereits nach ihrer Einfahrt auf das Grundstück von der B. kommend auf der Höhe des Betriebsparkplatzes zu entladen. Das gilt insbesondere für etwaige Lastkraftwagen, die mit zwei Gelenken ausgestattet sind. Nach Angaben der Klägerin, die im Termin nicht überprüft werden konnten, wird sie jedenfalls gelegentlich auch von Gliederzügen angefahren, die insbesondere lange Metallprofile lieferten. Dies wird von der Kammer als wahr unterstellt, weil es wegen der Art der Produktion nicht auszuschließen ist; in der Halle waren bei der Inaugenscheinnahme derartige Profile auch auf dem Boden liegend zu sehen. Für diese Einzelfälle ist es der Klägerin zuzumuten, die Sattelzüge bereits beim Betriebsparkplatz anzuhalten und dort die gelieferte Ware abzuladen. Die Rückwärtsfahrt an der Engstelle entlang würde damit vollständig vermieden. Der Umstand, dass lange Profile nicht mit dem Gabelstaplertransportiert werden können, steht dem nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass sie nicht getragen werden können. Zur Absicherung der Mieter des Wohnhauses kann ein Zaun am Haus angebracht werden. Bei der Ausfahrt auf de B. ist ein Einweiser einzusetzen (vgl. § 46 DGUV Vorschrift 70); auch das ist von der Klägerin, die mehrere Beschäftigte hat, für die geringe Anzahl von in Betracht kommenden Gelegenheiten zu leisten.

Damit kommt es auch nicht auf die Frage an, ob die Klägerin durch eine – deutlich teurere – bauliche Umgestaltung des Grundstücksteils an der B. einen Wendeplatz für Lastkraftwagen einrichten könnte. Die Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung ein in ihrem Auftrag erstelltes Privatgutachten eines Ingenieurbüros vom 17.05.2018 (GA Bl. 171 ff.) zur Frage vorgelegt, ob die Möglichkeit der Ein- und Ausfahrt über die B. sowie eine Wendemöglichkeit auf dem Grundstück auf dem Grundstück der Klägerin gegeben sind. Als Bemessungsfahrzeug wurde ein Sattelzug mit einer „üblichen Länge von 16,5 m“ angenommen. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass ein Sattelzug rückwärts in den unbebauten Bereich des Grundstücks zurücksetzen kann, um von dort in Vorwärtsfahrt das Grundstück zu verlassen. Zu der Frage, ob es der Klägerin zumutbar ist, eine Rückwärtsfahrt an der Engstelle des Wohnhauses vorbei zuzulassen, verhält sich das Gutachten nicht.

Soweit sich die Klägerin darauf beruft, zusätzlichen Kosten für Standzeiten ausgesetzt zu sein, handelt es sich hierbei ebenso um bloße Erschwernisse wie der Umstand, dass die Klägerin die Abfallcontainer in den Grundstücksbereich an der B. wird versetzen müssen. Diese Umstände begründen kein Angewiesensein auf die Zufahrt zur Straße „H.“.

c.

Ermessensfehler der Beklagten liegen nicht vor. Der Wortlaut des § 8 Abs. 1 NStrG spricht dafür, dass die privaten Interessen der Anlieger nur in besonderen Fallkonstellationen durchschlagen; denn danach „soll“ die Straße eingezogen werden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. § 8 Abs. 1 Satz 1 NStrG statuiert damit eine strikte Bindung der Behörde für den Regelfall, so dass Abweichungen nur in atypischen Fällen gestattet sind. Die Behörde darf danach von der Regel nur in Fällen abweichen, in denen die für den Normalfall geltende Regelung von deren ratio legis offenbar nicht mehr gefordert wird (Nds. OVG, Urt. v. 18.07.2006, a.a.O., Rn. 52). Besondere Umstände, die hier dafürsprechen würden, von der Einziehung ausnahmsweise abzusehen, liegen nicht vor. Die Interessen der Klägerin, weiterhin eine leicht zu befahrende Ausfahrt vom Grundstück zu haben und auf die Sicherungsmechanismen verzichten zu können, die beim Wegfall der Ausfahrt zu treffen sind, schlagen hier ebenso wenig durch wie ihre Interessen an einem Grundstückswert, der nicht gemindert wird durch eine für die betrieblichere Nutzung schwierigere Ausfahrt.

Nach alledem erweist sich die streitgegenständliche Einziehungsverfügung als rechtmäßig.

3.

Aber selbst wenn die Einziehungsverfügung rechtswidrig wäre, weil die Straße „H.“ noch eine (geringe) Verkehrsbedeutung hätte, könnte sich die Klägerin hierauf nicht berufen.

Wie oben unter I. ausgeführt, wird nur der Kernbereich der Erschließungsinteressen der Grundstückseigentümer von Art. 14 GG vor straßenrechtlichen Veränderungen geschützt. Diese Gewährleistung der Zugänglichkeit bedeutet jedoch keine Bestandsgarantie hinsichtlich der Ausgestaltung und des Umfangs der Grundstücksverbindung mit der Straße. Auch vermittelt sie keinen Anspruch auf die Beibehaltung vorteilhafter Verkehrsverbindungen sowie der Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zugangs und Abgangs (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.10.1974 - IV C 4.72 -, NJW 1975, S. 357, 358 zu § 21 StrG BW; Urt. v. 29.04.1977, ebd.; OVG NRW, Urt. v. 04.08.1994 - 23 A 1518/92 -, juris 8, m. w. N.; VG Aachen, Urt. v. 19.08.2015 - 6 K 2819/12 -, juris Rn. 38, zur vergleichbaren Rechtslage nach nordrhein-westfälischem Straßenrecht; Stahlhut, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, S. 794 Rn. 22). Dies ergibt sich für die niedersächsische Rechtslage auch aus der Regelung des § 20 Abs. 7 NStrG. Danach kann die Straßenbaubehörde nach Anhörung der Betroffenen anordnen, dass Zufahrten oder Zugänge geändert oder verlegt oder, wenn das Grundstück eine anderweitige ausreichende Verbindung zu dem öffentlichen Straßennetz besitzt, geschlossen werden, soweit es die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs erfordert.

Dieser Kernbereich ist hier nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2018 nicht verletzt, wenn die Straße „H.“ eingezogen und damit dem öffentlichen Verkehr entzogen wird. Das Grundstück kann weiter betrieblich genutzt werden, wenn es nur über die Zufahrt B. an das öffentliche Straßennetz angeschlossen ist. Die zweite Zufahrt auf die Straße „H.“ stellt sich als lediglich für die Betriebsabläufe günstige Anbindung an den öffentlichen Straßenraum dar, die aber, wie ausgeführt, nicht zum grundrechtlich geschützten Kernbereich des Erschließungsinteresses gehört. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass im Fall der Entwidmung der Grundstückswert sinken würde, ist dieses Argument straßenrechtlich unerheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3 Hs. 1 VwGO. Danach waren die Kosten des Verfahrens der Klägerin als der unterlegenen Partei aufzuerlegen; die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und damit nicht am Prozessrisiko der Parteien teilgenommen, ihr können keine Kosten auferlegt werden.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, über die die Kammer in den Urteilsgründen entscheiden kann (Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 162 Rn. 143), sind nicht erstattungsfähig, § 162 Abs. 3 VwGO. Gründe, ihre Kosten aus Billigkeit der Klägerin als unterliegender Partei oder der Staatskasse aufzuerlegen, liegen nicht vor. Sie hat keinen Antrag gestellt und das Verfahren auch sonst nicht wesentlich gefördert.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen. Insbesondere hat die Entscheidung keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil die Reichweite des Anliegergebrauchs in der Rechtsprechung – wie ausgeführt – geklärt ist.