Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 05.11.2018, Az.: 3 A 248/17

Anschluss- und Benutzungszwang; Dichtheit; Nießbrauch; Zwangsgeldandrohung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
05.11.2018
Aktenzeichen
3 A 248/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74260
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Heranziehung eines Nießbrauchberechtigten zur Kanalsanierung.
2. Für eine Sanierungsanordnung reicht nicht der bloße Verdacht einer Undichtheit aus, vielmehr muss ein Grad der Undichtigkeit nachgewiesen werden, der eine Schwelle der Geringfügigkeit übersteigt.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Verfügung der Beklagten, mit der ihm unter Fristsetzung und Zwangsgeldandrohung eine Änderung der Grundstücksentwässerungsanlage – Sanierung der Schmutzwassergrundleitung auf dem gesamten Grundstück und Dichtheitsprüfung – aufgegeben wird.

Der Kläger ist Nießbrauchberechtigter des Grundstücks I. im Ortsteil J. der Beklagten. Das Grundstück ist in offener Bauweise, anderthalbgeschossig und vollunterkellert bebaut. Im Rahmen eines genau umgrenzten Kanalsanierungsprojekts stellte die Beklagte am 17.07.2008 mittels einer Kamerabefahrung der Schmutzwasserleitung zahlreiche Mängel, insbesondere Wurzeleinwüchse, verfestigte Ablagerungen und einzelne Risse, fest. Mit Schreiben vom 19.11.2008 an den Sohn des Klägers als Grundstückseigentümer hielt das seitens der Beklagten beauftragte Ingenieurbüro K. /L. als Ergebnis eines Ortstermins unter anderem fest, dass ein neuer Schmutzwasserrevisionsschacht gesetzt werden solle; alternativ könne der vorhandene Revisionsschacht saniert werden. Vom Schacht gegen die Fließrichtung solle eine neue Leitung eingeschoben werden. Im Bereich eines Bogens müsse am Gebäude ein Kopfloch für den weiteren Leitungseinschub unter dem Haus hergestellt werden. Mit Schreiben vom 02.03.2009 hörten die M. Entsorgungsbetriebe (GEB) den Sohn des Klägers zur Herstellung der Grundstücksentwässerungsanlage nach der Abwassersatzung der Beklagten vom 06.07.2007 an. In einem Ortstermin am 18.03.2009 einigten sich die GEB und der Sohn des Klägers darauf, die Sanierung der Grundstücksentwässerungsanlage wegen des Studiums des Grundstückseigentümers auszusetzen, sofern dieser eine Verpflichtungserklärung abgebe. Daraufhin verpflichtete sich der Sohn des Klägers mit schriftlicher Erklärung vom 01.06.2009, bei gleichbleibenden Verhältnissen die geforderten Sanierungsarbeiten bis zum 30.06.2013 durchzuführen; die Stundung sei an die Person gebunden. In einem weiteren Ortstermin wurde diese Frist wegen des Alters des damaligen Hausbewohners – des Vaters des Klägers – bis 2015 verlängert. Mit Schreiben vom 15.07.2011 zog der Sohn des Klägers die Verpflichtungserklärung zurück, weil sein Vater für das Grundstück nießbrauchberechtigt und deshalb für die Abwassersituation verantwortlich sei. Die Beklagte reagierte hierauf nicht.

Mit Schreiben vom 07.09.2015 forderten die GEB den Kläger auf, sich an die zuständige Sachbearbeiterin des Ingenieurbüros K. /L. zu wenden. Am 09.10.2015 erläuterte diese dem Kläger das Sanierungskonzept. Mit Schreiben vom 14.10.2015 an die GEB teilte der Kläger mit, dass der geforderte Schmutzwasserrevisionsschacht vorhanden sei. Zwar seien die Rohre nicht mehr neuwertig; er halte es aber nicht für nachvollziehbar, dass aus dem Ergebnis der Kamerabefahrung eine Undichtigkeit hergeleitet werden solle. Nach seiner Auffassung sei die Anlage im Wesentlichen in einem ordnungsgemäßen Zustand, so dass sie keine Probleme für die Umwelt und die Kläranlage verursachen dürfte. Mit Schreiben vom 25.04.2016 hörten die GEB den Kläger zu der Absicht an, ihm die Sanierung der Grundstücksentwässerungsanlage einschließlich einer Dichtheitsprüfung aufzugeben. Mit Schreiben vom 02.05.2016 und in weiterem Schriftverkehr mit der Beklagten äußerte sich der Kläger ablehnend.

Durch Bescheid vom 27.10.2016 gaben die GEB für die Beklagte dem Kläger als Nießbrauchberechtigten für den Betrieb der Grundstücksentwässerungsanlage auf dem Grundstück I. Folgendes auf:

1. Die Schmutzwassergrundleitung von der Grundstücksgrenze bis zu den Fallleitungen unter dem Gebäude dicht gegen Wasser und das Eindringen von Wurzeln zu sanieren,

2. die sanierte Schmutzwassergrundleitung und den Schmutzwasserschacht anschließend durch die GEB abnehmen zu lassen,

3. die Dichtheit der Schmutzwassergrundleitung und des Schmutzwasserschachtes durch eine Dichtheitsprüfung mittels Wasser oder Luft nachzuweisen und

4. die geforderten Maßnahmen bis zum 31.05.2017 umzusetzen.

5. Für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs wurden dem Kläger für jeden Verstoß gegen die Ziffern 1. bis 3. Zwangsgelder in Höhe von jeweils 500,00 € angedroht.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der durch die Kamerabefahrung festgestellte Zustand der Leitung verstoße gegen § 9 Abs. 2 Satz 2 der Abwasserbeseitigungssatzung. Den entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 27.10. 2016 eingelegten Widerspruch vom 07.11.2016 wies die Beklagte mit Widerspruchbescheid vom 20.02.2017 zurück. Durch gesonderten Kostenfestsetzungsbescheid vom 24.02.2017 setzten die GEB für die Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Kläger auf 105,60 € fest.

Am 17.03.2017 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt, die Beklagte habe eine Kompetenz zum Erlass von Satzungsrecht nur, soweit ein unmittelbarer Bezug zur Benutzung der öffentlichen Einrichtung bestehe. Konsequenzen aus einer Überprüfung einer privaten Grundstücksentwässerungsanlage dürften nur verlangt werden, wenn und soweit Auswirkungen auf die öffentliche Einrichtung vorlägen. Deshalb müssten Undichtigkeiten eine Wesentlichkeitsschwelle überschreiten, um eine Maßnahme zu rechtfertigen. Dafür sei eine konkrete satzungsrechtliche Ermächtigung erforderlich, die vorliegend fehle. Die Beklagte vermische ihre Aufgabe des Grundwasserschutzes als untere Wasserbehörde im übertragenen Wirkungskreis mit derjenigen als Einrichtungsbetreiberin im eigenen Wirkungskreis. Auch § 9 Abs. 2 der Abwasserbeseitigungssatzung fordere nach dem Verständnis der Beklagten jedenfalls für bestehende private Leistungssysteme eine Dichtigkeit, die weit über die einschlägigen Regeln der Technik hinausgingen. Den einschlägigen technischen Normen sei nicht zu entnehmen, dass bestehende Anlagen ständig überwacht und entsprechend saniert werden müssten. Insbesondere bei Wurzeleinwüchsen stehe nicht fest, dass die Leitung dadurch undicht werde; diese Annahme der Beklagten werde nicht durch Tatsachen belegt. Die Beklagte behandele einheimische und auswärtige Grundstückseigentümer ungleich. Die Einbeziehung der DIN EN 752, 12056 und der DIN 1986 Teile 3, 4, 30 und 100 in die Abwasserbeseitigungssatzung sei rechtlich zweifelhaft. Der Widerspruchsbescheid sei rechtswidrig, weil in Niedersachsen für kommunalrechtliche Verwaltungsakte das Widerspruchsverfahren abgeschafft worden sei; der Kostenforderung fehle daher die Grundlage.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 27.10.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.02.2017 aufzuheben,

hilfsweise die Kostengrundentscheidung des Widerspruchsbescheids vom 20.02.2017 aufzuheben,

sowie die Zuziehung des Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid und tritt den Ausführungen des Klägers im Einzelnen entgegen. Ihre Regelungskompetenz ergebe sich aus § 10 NKomVG; diese Ermächtigung enthalte grundsätzlich auch die Aufgaben der Abwasserbeseitigung gemäß §§ 56 Satz 1 WHG, 96 Abs. 1 NWG, so dass diese zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden gehörten und deren Satzungsbefugnis unterfielen. Die zu treffenden Be-stimmungen hätten das Ziel zu verfolgen, die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der öffentlichen Abwasserbeseitigung zu gewährleisten und der Pflicht zur Behandlung und schadlosen Ableitung des Abwassers nachzukommen. Dazu gehöre, die Reinigungsleistung der Kläranlage vor Verdünnung durch Fremdwasser und hydraulischer Überlastung zu schützen. Die Kläranlage habe einen Trockenwetterzufluss von ca. 30.000 m³/Tag; bei Regen werde die doppelte, bei Starkregen auch die dreifache Abwassermenge erreicht. Die in § 9 Abs. 2 der Abwasserbeseitigungssatzung angeordnete Orientierung an verschiedenen DIN-Vorschriften sei nach der Rechtsprechung des Nds. OVG mit höherrangigem Recht vereinbar. Im Stadtgebiet bestehe generell eine hohe Fremdwasserproblematik aufgrund undichter Schmutzwasserkanäle. Das klägerische Grundstück liege in einem Gebiet mit hohem Schichtwasseraufkommen. Im I. seien der Schmutz- und der Niederschlagswasserkanal wegen massiver Schäden saniert worden. Durch die Kamerauntersuchung lägen Hinweise auf ähnliche Verhältnisse bei den privaten Anschlusskanälen vor. Die Frage nach dem Überschreiten einer Wesentlichkeitsschwelle könne angesichts der massiven Schäden an der klägerischen Anschlussleitung dahinstehen; es lägen konkrete Anhaltspunkte für das Eindringen von Fremdwasser in die Abwasserleitung vor, das nicht mengenmäßig konkretisiert werden müsse. Aus dem Benutzungszwang folge die Pflicht, die Dichtheit der Schmutzwasserleitung dauerhaft zu erhalten und bei begründetem Verdacht mit Wasser oder Luft nachzuweisen. Gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz werde nicht verstoßen. Auch die Zwangsgeldandrohung sei rechtmäßig. Da es sich um ein Verfahren zur Anfechtung von Verwaltungsakten des WHG und des NWG handele, sei das Widerspruchsverfahren nach § 80 Abs. 3 Nr. 4f NJG weiterhin zulässig.

Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.10.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 20.02.2017 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 25.09.1996 – 3 A 3321/94 –, UA S. 5, unter Hinweis auf Nds. OVG, Urteil vom 23.11.1994 – 9 L 1548/93 –, UA S. 11 f.) zu Unrecht gemäß § 13 Satz 1 Nrn. 1a und 2a des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes – NKomVG – i. V. m. den Vorschriften ihrer Abwasserbeseitigungssatzung vom 26.06.2013 – ABS – unter Fristsetzung und Zwangsgeldandrohung aufgegeben, die Schmutzwassergrundleitung zu sanieren, abnehmen und auf Dichtheit prüfen zu lassen.

Der Kläger ist als Nießbrauchberechtigter bereits nicht der richtige Inhaltsadressat der streitbefangenen Sanierungsverfügung, vielmehr ist dies sein Sohn als Grundstückseigentümer. Die Unterhaltungspflichten aus § 9 Abs. 2 ABS, die Überwachungspflicht aus § 12 Abs. 1 ABS und die Duldungspflicht aus § 14 ABS sind grundsätzlich dem Grundstückseigentümer als Inhaber der Entwässerungsgenehmigung (vgl. § 2 Abs. 12 Satz 1 und § 6 ABS) auferlegt. Dies ist vorliegend der Sohn des Klägers. Zwar stellt § 2 Abs. 12 Satz 2 ABS den Nießbrauchberechtigten dem Grundstückseigentümer gleich und Satz 4 dieser Norm stellt klar, dass Nießbrauchberechtigte ebenfalls gemeint sind, wenn die Satzung den Grundstückseigentümer anspricht. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass die Entwässerungsgenehmigung vom 12.06.1964 dem damaligen Grundstückseigentümer erteilt worden ist und damit – mangels anderslautender Regelungen in der Satzung (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 2 ABS) oder durch Verwaltungsakt zu dieser Frage – auch nur diesen bzw. seinen Rechtsnachfolger im Eigentum im Sinne von §§ 9, 12 und 14 ABS berechtigen oder verpflichten kann. Aus §§ 1041 und 1047 BGB folgt nichts Anderes; sie regeln lediglich das Innenverhältnis zwischen Eigentümer und Nießbrauchberechtigtem (Palandt-Herrler, BGB, 77. Aufl. 2018, § 1047 Rn 2); außerdem ist die Komplettsanierung einer Grundstücksentwässerungsanlage mit anschließender Abnahme -  ebenso wie der Austausch von Dach oder Heizungsanlage - zum außergewöhnlichen Aufwand zu zählen, der beim Eigentümer des Grundstücks verbleibt. Für den von § 2 Abs. 12 ABS vermittels der Gleichstellung von Eigentümern und dinglich Berechtigten offenbar vorausgesetzten vollständigem Übergang der Unterhaltungspflicht vom Eigentümer auf den Nießbrauchberechtigten sind daher keine Anhaltspunkte zu erkennen. Auch eine so bezeichnete „gesamtschuldnerische Haftung“ von Eigentümer und Nießbrauchberechtigtem nach § 12 Abs. 2 Satz 3 ABS für die Unterhaltung der Schmutzwassergrundstücksleitung ist offenkundig nicht geeignet, die Adressateneigenschaft des Klägers zu begründen. Selbst wenn diese Norm über den Regelungsgehalt von §§ 421ff BGB hinaus so auszulegen sein sollte, dass der Nießbrauchberechtigte in allen aus der ABS erwachsenen Pflichten und Rechten im Außenverhältnis gegenüber der Beklagten gleichrangig neben den Eigentümer (oder gar an dessen Stelle) treten solle, so wäre der Nießbraucher im Innenverhältnis gegenüber dem Eigentümer gar nicht berechtigt, ohne dessen Zustimmung die von ihm geforderte Komplettsanierung der Schmutzwassergrundstücksleitung mit umfangreichen Erdarbeiten, die über gewöhnliche Unterhaltungsmaßnahmen weit hinausgehen, durchführen zu lassen, oder die Abnahme der gesamten Grundstücksleitungen zu beantragen. Unter diesem Verständnis würde § 12 Abs. 2 Satz 3 ABS dem Nießbraucher eine subjektiv unmögliche Verpflichtung auferlegen und wäre daher rechtswidrig (und die auferlegte Verpflichtung wäre mindestens nicht vollziehbar, vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1972 – IV C 42.69 –, juris, Rn. 31). Eine derartige Gleichrangigkeit könnte deshalb allenfalls angenommen werden, wenn der Eigentümer durch bestandkräftigen Verwaltungsakt verpflichtet worden wäre, die Ausführung der erforderlichen Baumaßnahmen auf seinem Grundstück durch den Nießbraucher zu dulden; für die Existenz einer derartigen Duldungsanordnung ist jedoch nichts ersichtlich.

Davon abgesehen und die Entscheidung selbständig tragend, sind auch die Voraussetzungen der geforderten Maßnahmen nicht erfüllt. Rechtliche Grundlage für die von der Beklagten geforderten Sanierung und Dichtheitsprüfung der privaten Schmutzwasserleitung ist der Anschluss- und Benutzungszwang (§§ 10 Abs. 1, 13 Satz 1 Nr. 1a und 2a NKomVG; früher §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 8 Nr. 2 NGO) in Verbindung mit der auf dieser Grundlage erlassenen ABS, nicht aber das Wasserrecht (Nds. OVG, Urteil vom 10.01. 2012 - 9 KN 162/10 -, juris, Rn 71). Die erstgenannte Vorschrift begründet die allgemeine Befugnis der Gemeinde, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze durch Satzung zu regeln. Die Aufgabe der Abwasserbeseitigung gehört gemäß § 96 Abs. 1 NWG zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden. In diesem Bereich können sie die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen durch den Erlass von Satzungen regeln und nach § 13 Satz 1 Nr. 1a und 2a NKomVG für die Grundstücke ihres Gebiets den Anschluss an die Abwasserbeseitigung anordnen sowie deren Benutzung vorschreiben (Anschluss- und Benutzungszwang). Insbesondere dürfen sie im Rahmen der ihnen so verliehenen Rechtsetzungsbefugnis Bestimmungen erlassen, welche die Art und Weise des Anschlusses an den Abwasserkanal festlegen. Der gemeindlichen Regelungsbefugnis unterfallen aber nicht nur die Geschehensabläufe im öffentlichen Abwasserbeseitigungssystem. Als eine Art „Annexkompetenz“ können die Gemeinden vielmehr auch Regelungen bezüglich der Einleitung von Abwasser über die private Grundstücksentwässerungsanlage in das öffentliche System treffen. Zulässig sind insoweit alle Bestimmungen, die im Interesse einer ordnungsgemäßen und störungsfreien Erfüllung der Abwasserbeseitigungspflicht, insbesondere einer schadlosen Ableitung und Behandlung des Abwassers, erforderlich sind. In diesem Rahmen dürfen auch Vorschriften mit dem Ziel erlassen werden, eine widerrechtliche Abwasserbeseitigung durch Versickern in den Untergrund zu vermeiden und so der in § 96 Abs. 9 NWG geschaffenen Verpflichtung des Verfügungsberechtigten, sein Abwasser der beseitigungspflichtigen Gemeinde zu überlassen, gerecht zu werden. (Nds. OVG, Urteil vom 10.01.2012 - 9 KN 162/10 -, juris, Rn 71f; Beschluss vom 17.11.2015 - 9 LA 313/14 -, S. 3; Beschluss vom 07.04.2017 - 9 ME 179/16 -).

Danach kann die Gemeinde - wie im vorliegenden Fall – eine Rohrsanierung mit nachfolgender Abnahme und Dichtheitsprüfung nur anordnen, soweit ein konkreter Bezug zur Erfüllung der eigenen Aufgabe Abwasserbeseitigung besteht. Kommunale Satzungen dürfen daher Anforderungen an Grundstücksentwässerungsanlagen lediglich aufstellen, um zu vermeiden, dass der Betrieb des öffentlichen Abwasserbeseitigungssystems erschwert oder beeinträchtigt wird, und um sicherzustellen, dass der bestehende Benutzungszwang und die Überlassungspflicht nach § 96 Abs. 9 NWG eingehalten werden. Über die Grundstücksentwässerungsanlage eindringendes Grund- und Niederschlagswasser (Fremdwasser) kann dazu führen, dass die Reinigungsleistung der Kläranlage infolge Verdünnung und hydraulischer Überlastung negativ beeinflusst wird. Die streitbefangenen Maßnahmen dürfen deshalb mit dem Ziel vorgesehen werden, das Eindringen von Fremdwasser in das Abwasserbeseitigungssystem zu verhindern oder das Versickern von Schmutzwasser zu unterbinden. Nicht von der Satzungsermächtigung in den §§ 10 Abs. 1, 13 Satz 1 Nr. 1a und 2a NKomVG gedeckt sind Regelungen, die allein auf die Einhaltung eines wasserrechtlich ordnungsgemäßen Zustands abzielen. Gegenstand des Wasserrechts ist unter anderem der Grundwasserschutz (siehe §§ 46 ff. WHG). Undichte Leitungen bringen die Gefahr mit sich, dass das Grundwasser durch den Eintritt von Schadstoffen beeinträchtigt wird. Wegen des hinsichtlich des Grundwasserschutzes abschließenden Charakters des Wasserrechts sind kommunale Satzungsregelungen, insbesondere auch die Anordnung einer Dichtheitsprüfung, mit dem Ziel, das Grundwasser vor Beeinträchtigungen zu bewahren, nicht zulässig (Nds. OVG, aaO).

Aus diesen Grundsätzen folgt, dass die Beklagte im rechtlichen Rahmen der Abwasserbeseitigung nicht berechtigt ist, eine absolute Dichtheit der privaten Grundstücksentwässerungsanlagen zu fordern. Denn weder bewirken geringfügige Mengen eindringenden Fremdwassers eine negative Beeinflussung der Abwasserreinigungsleistung, noch führen Kleinmengen nicht abgeleiteten Schmutzwassers zu einem Verstoß gegen den Benutzungszwang.

Hinsichtlich des Fremdwassers trägt die Beklagte vor, bei Regen bzw. Starkregen verdoppele bzw. verdreifache sich die durchschnittliche Abwassermenge von ca. 30.000 m³/Tag. Wie viel der Mehrmengen erlaubte Einleitungen aus den Entwässerungsbereichen mit Mischkanalisation sind, wie viel aus anderen Gemeinden zugeleitet wird, die die Kläranlage der Beklagten mitbenutzen, wie viel in die zur öffentlichen Einrichtung gehörenden Kanäle eindringt, und wie groß die Abwassermengen sind, die derzeit noch aus Fehleinleitungen von Niederschlags- und Grundwasser in die Schmutzwasserkanalisation resultieren, gibt die Beklagte nicht an. Die Menge des durch private Grundstücksleitungen eindringenden Fremdwassers ist damit nicht spezifiziert, so dass die bloße Mengenerhöhung durch Niederschlag nicht als Argument für die Notwendigkeit umfassender Sanierungen der privaten Anschlussleitungen taugt.

In der Rechtsprechung ist anerkannt (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 24.03.2014 – 9 LC 191/11 –, juris, Rn. 43 mwN.), dass sich das Eindringen von Grund- und Niederschlagswasser in die Schmutzwasserkanäle und die übrigen Einrichtungen zur Abwasserbeseitigung aus technischen Gründen niemals ganz vermeiden lässt, weshalb sie in angemessenem Umfang als betriebsbedingte (Mehr-) Kosten gebührenfähig sind. Den seitens der Beklagten und der GEB propagierten „dichten Kanal“ (https://www.geb-N..de/index.php?id=30) gibt es deshalb nicht. Ebenso, wie die Beklagte nicht in Erfüllung ihrer Abwasserbeseitigungspflicht gehalten ist, bereits bei einem Verdacht auf eine Undichtheit (z.B. bei Wurzeleinwuchs in einer Muffe oder einem Haarriss) zu sanieren, jede noch so geringfügige Undichtigkeit der zur öffentlichen Einrichtung gehörenden Kanäle unverzüglich zu beheben und sie zu diesem Zweck permanent und flächendeckend (auch die in einigen Bundesländern ergangenen Selbstkontrollvorschriften sehen regelmäßig Untersuchungsintervalle von 5 bis 10 Jahren vor) auf Verdachtsstellen zu untersuchen, ist sie nicht berechtigt, höhere Anforderungen an die Dichtigkeit der privaten Grundstücksentwässerungseinrichtungen zu stellen, als für ihre öffentliche Einrichtung gelten. Denn ob eine Undichtheit im öffentlichen oder privaten Kanal besteht, macht für die Reinigungsleistung der Kläranlage bezüglich Verdünnung und hydraulischer Überlastung keinen Unterschied.

Hinsichtlich nicht an die Kanalisation abgeführten Schmutzwassers (vgl. die gegenüber § 54 Abs. 1 Nr. 1 WHG rechtswidrig einschränkende Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 2 ABS) liegt auf der Hand, dass der Benutzungszwang für geringfügige Mengen nicht gilt. Wird beispielsweise das Kochwasser von Kartoffeln, Gemüse, Reis oder Nudeln, das Spülwasser vom Abwaschen von Gartengeräten (ohne Reinigungszusätze), ebenso wie Getränkereste, zum Gießen von Pflanzen eingesetzt, so hat die Beklagte keine rechtliche Handhabe, dies zu verhindern und die Einleitung in die Schmutzwasserkanalisation zu erzwingen, obwohl es sich zweifelsfrei um Schmutzwasser handelt. Selbst wenn z.B. beim Fensterputzen oder Wischen des Trittsteins haushaltsübliche Reinigungsmittel im verwendeten Wasser enthalten sind, besteht keine Rechtspflicht, ablaufende Wasserreste vollständig aufzufangen und in den Schmutzwasserkanal einzuleiten. Hieraus folgt, dass nach der Verkehrsanschauung (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 2 KrWG) der Benutzungszwang nicht für geringe Schmutzwassermengen mit ökologisch unbedenklichen, weil im Boden abbaubaren Verunreinigungen gilt. Es wird auch nicht als Verstoß gegen die kommunale Abwasserbeseitigungspflicht angesehen, wenn geringe Mengen Abwassers – unabhängig von ihrer Schmutzfracht – durch Undichtigkeiten aus dem öffentlichen Leitungsnetz versickern; vielmehr ist dies der Normalzustand. Wenn auch in Ausnahmefällen – z.B. in Wasserschutzgebieten – höhere Anforderungen an die Dichtheit von Abwasserleitungen gelten können, so ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, nach der die privaten Anschlussleitungen anderen Anforderungen in Bezug auf ihre Dichtheit unterliegen als die zu einer öffentlichen Einrichtung gehörenden Leitungen.

Hieraus folgt, dass für eine Sanierungsanordnung nicht der bloße Verdacht auf eine Undichtigkeit der Anschlussleitung – gestützt auf eine inzwischen mehr als 10 Jahre alte Kamerauntersuchung – ausreicht. Vielmehr muss der Betreiber der öffentlichen Einrichtung im Streitfall einen Grad der Undichtigkeit nachweisen, der über minimale Versickerungsverluste oder geringfügiges Eindringen von Fremdwasser hinausgeht; die Menge muss – hochgerechnet auf das gesamte Einrichtungsgebiet – groß genug sein, um die Aufgabenerfüllung der Einrichtung beeinträchtigen zu können. Unter dieser Schwelle verbleibende Undichtheiten fallen in den Aufgabenbereich der unteren Wasserbehörde. Sofern nicht im Einzelfall durch die Kamerauntersuchung massive Rohrschäden nachgewiesen werden, bei denen aufgrund der örtlichen Boden- und Grundwasserverhältnisse das Eindringen erheblicher Grundwassermengen bzw. das Versickern erheblicher Schmutzwassermengen auf der Hand liegen, wird der Einrichtungsbetreiber den Verdacht auf Undichtheit von Amts wegen (§§ 1 Abs. 1 NVwVfG, 24 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwVfG) durch eine Dichtheitsprüfung aufzuklären haben, um eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Entscheidung zu erhalten, ob eine Sanierungsanordnung erlassen werden darf. Hieran fehlt es vorliegend.

Soweit sich die Klage schließlich gegen die in Ziffer 5 des Bescheides vom 27.10.2016 ausgesprochene Zwangsgeldandrohung richtet, ist sie ebenfalls begründet. Die Zwangsgeldandrohung (§ 70 NVwVG i.V.m. §§ 65 Abs. 1 Nr. 2, 67, 70 NSOG) ist ein aufschiebend bedingter Leistungsbescheid, der bereits eine Zahlungsanordnung trifft. Sie setzt voraus, dass jedenfalls zum Zeitpunkt des Ablaufs der in Nr. 4 des Bescheides genannten Frist alle Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sind. Zu den Vollstreckungsvoraussetzungen gehört, dass die zu vollstreckende Anordnung gemäß § 64 Abs. 1 und 4 NSOG vollstreckbar ist. Dies würde im vorliegenden Fall voraussetzen, dass für die Anordnung in Ziffern 1 bis 3 des angefochtenen Bescheides die sofortige Vollziehung angeordnet wurde (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) oder aber diese Anordnung nicht mehr mit einem Rechtsbehelf angefochten werden kann (§§ 70, 74 VwGO). Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Klage gegen den Bescheid vom 27.10.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2017 hat gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Es war daher beim Erlass des angefochtenen Bescheides nicht sichergestellt, dass die Anordnungen in Ziffern 1 bis 3 mit dem Ablauf der Frist in Ziffer 4 vollstreckbar sind (vgl. VG München, Urteil vom 30.01.2012 – M 10 K 11.1103 –, juris, Rn. 16ff m.w.N.). Darüber hinaus fehlt auch bezüglich der Ziffern 1 und 2 eine Duldungsverfügung gegen den Grundstückseigentümer.

Nach dem Vorstehenden kommt es nicht mehr darauf an, ob im vorliegenden Fall gemäß § 80 NJG ein Vorverfahren statthaft war (offenbar befürwortend: Nds. OVG, Beschluss vom 23.02.2012 - 9 LA 113/11 -, S. 3; VG Lüneburg, Urteil vom 13.02.2014 - 6 A 173/11 -, und Urteil vom 20.01.2016 - 3 A 120/14 -; VG Hannover, Urteil vom 16.04.2018 - 1 A 3738/16 -; VG Stade, Urteil vom 19.04.2016 - 1 A 2113/14 -). Dagegen könnte allerdings sprechen, dass die generelle Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in gebundenen Entscheidungen des eigenen Wirkungskreises der Kommunen vom Gesetzgeber beabsichtigt war und die Rechtsgrundlage der angegriffenen Maßnahmen im Anschluss- und Benutzungszwang, also im Kommunalrecht und nicht im Wasserrecht, liegt (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 10.01.2012, aaO., Rn 71), und das Kommunalrecht im Ausnahmekatalog des § 80 Abs. 2 NJG nicht genannt ist.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig, da die klagende Partei der rechtskundigen Unterstützung bedurfte, um ihre Rechte und Ansichten gegenüber der staatlichen Verwaltung ausreichend zu vertreten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.