Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 26.07.2018, Az.: S 9 KR 76/16

Voraussetzungen für einen Anspruch des Versicherten auf Krankengeld

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
26.07.2018
Aktenzeichen
S 9 KR 76/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 29634
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 19. Mai 2015 bis zum 8. Juli 2015 zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Krankengeld.

Die H. geborene Klägerin war bis zum 30. November 2014 als medizinische Fachangestellte beschäftigt. Am 11. November 2014 stellte ihre behandelnde Ärztin bei ihr Arbeitsunfähigkeit fest bis voraussichtlich 30. November 2014. Am 24. November 2014 bescheinigte ihre Ärztin Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 11. Dezember 2014, am 10. Dezember 2014 bis 7. Januar 2015. Seit dem 1. Dezember 2014 erhielt die Klägerin Krankengeld von der Beklagten.

Am 8. Januar 2015 suchte die Klägerin ihre behandelnde Ärztin erneut auf, die ihr Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 28. Januar 2015 bescheinigte. Mit Bescheid vom 14. Januar 2015 stellte die Beklagte fest, dass der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld nur bis zum 7. Januar 2015 bestanden habe, da die Arbeitsunfähigkeit nicht lückenlos bescheinigt worden sei. Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2015 zurück.

Am 20. Januar 2015 meldet sich die Klägerin arbeitslos und erhielt von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld I. Am 7. April 2015 stellte die behandelnde Ärztin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Klägerin aus, bis voraussichtlich 28. April 2015, und kreuzte auf dem Formular "Folgebescheinigung" an. In der Folgezeit legte die Klägerin weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuletzt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 25. Juni 2015 für den Zeitraum bis 9. Juli 2015. Die Bundesagentur für Arbeit zahlte der Klägerin Arbeitslosengeld als Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall bis zum 18. Mai 2015. Die behandelnde Ärztin teilte der Beklagten auf Nachfrage mit, dass Arbeitsunfähigkeit seit 11. November 2014 bestehe. In der Zeit vom 9. Juni 2015 bis zum 25. Juni 2015 befand die Klägerin sich in stationärer Behandlung.

Mit Bescheid vom 25. Juni 2015 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld ab. Zur Begründung führte sie aus, ihre Prüfung habe ergeben, dass die Klägerin seit dem 11. November 2014 durchgehend arbeitsunfähig krank sei. In diesem Zuge verweise sie auf das damals geführte Widerspruchsverfahren. Eine Zahlung von Krankengeld sei nicht möglich. Ab dem 9. Juli 2015 bezog die Klägerin wieder Arbeitslosengeld I.

Die Klägerin legte gegen den Bescheid der Beklagten Widerspruch ein und führte aus, dass sie nicht seit 11. November 2014 durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei. Sie habe in der Zeit vom 20. Januar bis 18. Mai 2015 Arbeitslosengeld bezogen. Die behandelnde Ärztin erklärte schriftlich, dass es sich bei der Arbeitsunfähigkeit ab 7. April 2015 um eine neue Arbeitsunfähigkeit gehandelt habe. Es sei fälschlicherweise eine Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angekreuzt worden. Sie habe diese Bescheinigung korrigiert. Des Weiteren teilte sie mit, die Klägerin habe nicht mitgeteilt, dass sie sich arbeitslos gemeldet habe und Arbeitslosengeld bezogen habe. Die Klägerin habe weiter Zahlscheine bezogen, welche sie aber nicht genutzt habe. Am 7. April 2015 habe das Arbeitsamt eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangt. Da diese im Anschluss an die Zahlscheine erfolgt sei, habe sie eine Folgebescheinigung ausgestellt. Die verwirrende Sachlage lassen sich nur durch die Alkoholkrankheit der Klägerin erklären. Nachdem diese jetzt erfolgreich eine Entgiftung gemacht habe, sei der Sachverhalt geklärt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass angesichts des Sachverhalts die Ablehnung der Krankengeldzahlung zu Recht erfolgt sei.

Am 2. März 2016 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie trägt vor, es habe entgegen der Auffassung der Beklagten keine durchgehende Arbeitsunfähigkeit seit 11. November 2014 vorgelegen. Dies folge weder aus der Aktenlage und den dort befindlichen unvollständigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, noch aus der Aufstellung ihrer behandelnden Ärztin über die Vorstellungstermine. Nachdem ihr Widerspruch von der Beklagten zurückgewiesen worden sei, habe sie sich auf Anraten des I. und nach telefonischer Rücksprache mit der Beklagten und einem Gespräch mit der Agentur für Arbeit am 20. Januar 2015 arbeitslos gemeldet, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt sowie u.a. Bewerbungskurse besucht. Sie habe sich um einen Arbeitsplatz bemüht und die von der Bundesagentur für Arbeit vorgegebenen Termine eingehalten. Die vorsorglich ausgestellten Zahlscheine habe sie bei der Beklagten nie eingereicht. Am 7. April 2015 sei sie dann erneut krankgeschrieben worden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für die Zeit vom 19. Mai 2015 bis zum 8. Juli 2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihr Vorbringen im Vorverfahren und führt ergänzend aus, dass die behandelnde Ärztin mehrfach schriftlich bestätigt habe, dass die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei. Während der laufenden Arbeitsunfähigkeit habe sie das Krankengeld aufgrund einer Lücke im Nachweis der Arbeitsunfähigkeit einstellen müssen. Es handele sich um einen durchgehenden Leistungsfall. Ihre Krankengeldablehnung stütze sich auf den damals erstellten Bescheid vom 4. Februar 2016 aufgrund der Lücke im Nachweis der Arbeitsunfähigkeit. Es komme hier zu keinem neuen Leistungsfall, der einen neuen Anspruch auf Krankengeld begründe. Der zwischenzeitliche Bezug von Arbeitslosengeld I ändere daran nichts.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärztin eingeholt sowie die Akten der Bundesagentur für Arbeit beigezogen.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Sachvortrags der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Prozess- und Beiakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Krankengeld in dem hier streitigen Zeitraum zu.

Gemäß § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden.

Nach § 46 Satz 1 SGB V in der 2015 geltenden Fassung entsteht der Anspruch auf Krankengeld 1). bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, 2). im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Die Neuregelung des § 46 Satz 2 SGB V durch das GKV Versortungsstärkungsgesetz ist erst am 23. Juli 2015 in Kraft getreten und hier noch nicht anwendbar. Wird Krankengeld wegen ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit begehrt, ist für den Umfang des Versicherungsschutzes nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich auf den Tag abzustellen, der dem Tag der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (ständ. Rspr. u.a. BSG, Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 17/13 R -, juris, Rn. 16 m.w.N.).

Das Krankengeld wird in der Praxis jeweils auf Grund der vom Vertragsarzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entsprechend der voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeit abschnittsweise gezahlt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist hierin regelmäßig die Entscheidung der Krankenkasse zu sehen, dass dem Versicherten ein Krankengeldanspruch für die laufende Zeit der vom Vertragsarzt bestätigten Arbeitsunfähigkeit zusteht, d.h. ein entsprechender Verwaltungsakt über die zeitlich befristete Bewilligung von Krankengeld vorliegt. Hat der Arzt dem Versicherten für eine bestimmte Zeit Arbeitsunfähigkeit attestiert und gewährt die Krankenkasse auf Grund einer solchen Bescheinigung Krankengeld, kann der Versicherte davon ausgehen, dass er für diese Zeit Anspruch auf Krankengeld hat, soweit die Kasse ihm gegenüber nichts Anderes zum Ausdruck bringt (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 22. März 2005 - B 1 KR 22/04 R -, juris, Rn. 29). Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit, aber abschnittsweiser Krankengeldbewilligung ist jeder Bewilligungsabschnitt eigenständig zu prüfen (BSG, Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 17/13 R -, juris, Rn. 16).

Die Klägerin war ab dem 20. Januar 2015 über den Bezug des Arbeitslosengelds gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bei der Beklagten pflichtversichert. Ob sie Arbeitslosengeld zu Recht oder zu Unrecht bezogen hat, ist für das Bestehen dieser Versicherungsplicht nicht relevant. Denn nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V gilt die Versicherungspflicht auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist.

Für den hier zu beurteilenden Zeitraum hatte die behandelnde Ärztin der Klägerin Arbeitsunfähigkeit attestiert. Entsprechende Bescheinigungen hat die Klägerin der Beklagten zeitnah vorgelegt. Bis zum 18. Mai 2015 hatte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin Arbeitslosengeld gem. § 146 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - SGB III gezahlt. Die der Beklagten vorliegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung umfasste den Zeitraum vom 13. Mai 2015 bis 3. Juni 2015. Für die Zeit bis zum 8. Juli 2015 legte die Klägerin nahtlos weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, unterbrochen durch eine stationäre Behandlung.

Nach der dargelegten Rechtsprechung des BSG ist jeder Bewilligungsabschnitt gesondert zu prüfen. Der Anwendungsbereich des § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit entsteht, erstreckt sich deshalb auf jeden weiteren Bewilligungsabschnitt. Neben den Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs muss daher für jeden Bewilligungsabschnitt das Mitgliedschaftsverhältnis geprüft werden und vorliegen. Durch die Aufteilung in Bewilligungsabschnitte entsteht damit auch bei ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit und Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen der Anspruch auf Krankengeld immer wieder von neuem. Das Prinzip der Einheit des Versicherungsfalls, auf das sich die Beklagte beruft, hat das BSG bereits in seinem Urteil vom 19. September 2002 aufgegeben und klargestellt, dass diese Rechtsprechung seit dem 1. Januar 1989 durch das SGB V überholt ist, denn unter Geltung des SGB V wird der Umfang des Versicherungsfalles aus dem jeweils konkret bestehenden Versicherungsverhältnis abgeleitet (BSG, Urteil vom 19. September 2002 - B 1 KR 11/02 R; Urteil vom 22. März 2005 - B 1 KR 22/04 R -, Rn. 26, juris).

Durch die nicht nahtlose Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hatte die Klägerin ihren Anspruch auf Krankengeld im Januar 2015 verloren hat, weil sie bei der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 8. Januar 2015 nicht mehr in einem Versicherungsverhältnis stand, das einen Anspruch auf Krankengeld vermitteln konnte. Ihre Mitgliedschaft wegen des Beschäftigungsverhältnisses war beendet, die dann eingreifende Familienversicherung schließt gem. § 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V einen Anspruch auf Krankengeld aus. In dem hier zu beurteilenden Bewilligungsabschnitt war die Klägerin jedoch wieder mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert. Bei einer Versicherungspflicht wegen Arbeitslosengeld ist ein Anspruch auf Krankengeld nicht nach § 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V ausgeschlossen, so dass ihr nach Beendigung der Entgeltfortzahlung durch die Bundesagentur wieder Krankengeld zu gewähren ist.

Abgesehen davon, ist zu bezweifeln, dass die Klägerin auch während des Bezugs von Arbeitslosengeld fortwährend arbeitsunfähig gewesen ist. Nach der Rechtsprechung des BSG ist ein in der Krankenversicherung der Arbeitslosen versicherter Arbeitsloser arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung, wenn er krankheitsbedingt Arbeiten nicht mehr in dem zeitlichen Umfang verrichten kann, für den er sich der Arbeitsverwaltung zuvor zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hat (BSG, Urteil vom 07. Dezember 2004 - B 1 KR 5/03 R -, juris).

Die Klägerin hatte sich in ihrer Arbeitslosmeldung bei der Bundesagentur ausdrücklich im Rahmen ihrer gesundheitlichen Fähigkeiten als arbeitssuchend gemeldet und auf ihre gesundheitlichen Einschränkungen in ihrem Antrag hingewiesen. Unter diesen Voraussetzungen hatte ihr die Bundesagentur Arbeitslosengeld bewilligt. Diese Bewilligung hat sie auch im Nachhinein nicht in Frage gestellt und ausweislich der vorliegenden Akten keine Leistungen zurückgefordert Die behandelnde Ärztin hat mitgeteilt, dass ihr die Arbeitslosigkeit der Klägerin nicht bekannt gewesen sei, so dass sie bei der fortwährenden Attestierung der Arbeitsunfähigkeit offensichtlich von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Erst bei der Bescheinigung vom 7. April 2015, die sie ihrer Aussage nach auf Verlangen der Bundesagentur erstellt hab, wusste sie von der Arbeitslosigkeit der Klägerin und konnte den zutreffenden Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit anlegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Bei ihr war zu berücksichtigen, dass das Klagebegehren erfolgreich war.