Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 19.12.1996, Az.: 8 U 98/96
Bürgschaft auf erstes Anfordern; Anforderungen, die an die Erklärung zu stellen sind, welche die vorläufige Zahlungspflicht auslöst; Schranken des Rechts des Gläubigers, sofortige Zahlung verlangen zu können, ohne seine materielle Berechtigung darlegen und beweisen zu müssen; Unwirksamkeit von Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen; Umfang der Überprüfung der Bürgschaft im Ausgangsprozess bezüglich der vorläufigen Zahlungspflicht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 19.12.1996
- Aktenzeichen
- 8 U 98/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 21463
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:1219.8U98.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 AGBG
- § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG
- § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG
- § 767 Abs. 1 S. 3 BGB
- § 6 AGBG
Fundstellen
- EWiR 1997, 449 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- IBR 1997, 197 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- ZBB 1997, 276
- ZfBR 1997, 90-91 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Zur Vereinbarkeit einer Bürgschaft auf erstes Anfordern mit dem AGBG
Gründe
Nach übereinstimmender Erledigungserklärung ist gemäß § 91 a ZPOüber die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zu entscheiden; hierbei ist der das Kostenrecht der ZPO beherrschende Grundsatz zu beachten, wonach die in der Hauptsache voraussichtlich unterliegende Partei auch in die Verfahrenskosten verurteilt werden muss. Die Anwendung dieser Grundsätze führt im vorliegenden Fall dazu, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen; denn ohne die zwischen den Parteien während des Berufungsverfahrens erzielte Einigung wäre ihre Berufung zurückgewiesen worden.
Die von der Beklagten übernommenen Bürgschaften enthalten die Klausel, dass sie "für den Fall der Inanspruchnahme auf erste schriftliche Anforderung zahlen werde, ohne berechtigt und verpflichtet zu sein, die Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche des Auftraggebers zu überprüfen". Es handelt sich damit um eine so genannte Bürgschaft auf erstes Anfordern (vgl. dazu grundsätzlich BGHZ 74, 244 ff.; Horn, NJW 1980, 2153 ff.). Da die Bürgschaftserklärungen eine betragsmäßige Grenze enthalten, bis zu der die Beklagte der Klägerin äußerstenfalls haften will, sind sie gleichzeitig Höchstbetragsbürgschaften.
Durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern sollen dem Gläubiger sofort liquide Mittel zugeführt werden, wenn er den Bürgschaftsfall für eingetreten hält. Die Anforderungen an die Erklärung, welche die vorläufige Zahlungspflicht auslöst, sind deshalb streng formalisiert und beschränken sich auf das, was in der Verpflichtungserklärung als Voraussetzung der Zahlung genannt und für jeden ersichtlich ist. Der Berechtigte muss - was im vorliegenden Fall geschehen ist - das erklären, was als Voraussetzung der Zahlung auf erstes Anfordern in der Bürgschaft niedergelegt ist. Der Bürge muss sodann die geforderte Summe vorläufig zahlen, ohne Einwendungen gegen Grund und Höhe des Anspruchs aus der Bürgschaft geltend machen zu können. Einwendungen, die sich nicht gegen das Vorliegen der von den Bürgen akzeptierten formalen Voraussetzungen der Zahlungsanforderungen richten, sind in den Rückforderungsprozess verwiesen und können grundsätzlich nur dort geltend gemacht werden. In diesem Prozess ist dann über den materiellen Anspruch aus der Bürgschaft zu entscheiden, also darüber, für welche Hauptforderung und bis zu welchem Zeitpunkt sich das Kreditinstitut verbürgt hat und ob die verbürgte Hauptforderung besteht (vgl. dazu BGH NJW 1994, 380, 381 [BGH 28.10.1993 - IX ZR 141/93]; NJW-RR 1990, 1265 ff.; NJW-RR 1989, 1324, 1325 ff.; NJW 1985, 1694 f.). Die einer Garantie ähnliche Übernahme einer Bürgschaft auf erstes Anfordern gehört deshalb zu den Bankgeschäften und ist Kreditinstituten und Versicherungen vorbehalten, weil nur diese die damit verbundenen besonderen Risiken zu erkennen und abzuschätzen in der Lage sind.
Das Recht des Gläubigers, sofortige Zahlung verlangen zu können, ohne seine materielle Berechtigung darlegen und beweisen zu müssen, findet nur im Falle des Missbrauchs seine Schranken. Missbraucht der Gläubiger seine durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern erlangte formale Rechtstellung und ist dies offensichtlich oder liquide beweisbar, so steht dem Bürgen der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zu (vgl. BGH, NJW 1994, 380, 381 [BGH 28.10.1993 - IX ZR 141/93]; NJW - RR 1989,1324, 1325, jeweils m.w.N.). Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist darauf beschränkt, dass die materielle Berechtigung des Gläubigers aus der Bürgschaft nach deren Bedingungen oder wegen Nichtbestehens der Hauptschuld offensichtlich fehlt. Das trifft nur zu, wenn die missbräuchliche Ausnutzung der formalen Rechtstellung für jedermann klar ersichtlich ist (BGH, Urteil vom 17. Oktober1996 - IX ZR 325/95; mitgeteilt in ZIP 48/96, A 115). Streitfragen tatsächlicher und rechtlicher Natur, deren Beantwortung sich nicht von selbst ergibt, sind nicht im Ausgangsprozess zu entscheiden und können die Zuerkennung des Anspruchs auf vorläufige Zahlung nicht aufhalten (vgl. BGH, a.a.O.).
Schon nach diesen Grundsätzen ist die Beklagte mit der Einwendung, die von ihr übernommenen Bürgschaften seien wegen Verstoßes gegen die §§ 3, 9 AGBG unwirksam, im vorliegenden Rechtstreit, bei dem es nur um die vorläufige Zahlungspflicht geht, ausgeschlossen. Zwar betreffen die zu diesem Problem ergangenen Entscheidungen weitgehend die Frage des Bestehens der Hauptschuld. Jedoch ist auch anerkannt, dass der Streit darüber, ob oder bis wann eine Bürgschaft zeitlich begrenzt ist und deshalb die materielle Bürgschaftsverpflichtung entstanden oder nicht entstanden ist, nicht in den Ausgangsprozess gehört, wenn sich diese Frage nicht ohne weiteres beantworten lässt (BGH, NJW 1985, 1694 f.). Der Streit darüber, ob eine Bürgschaftsverpflichtung aus rechtlichen Gründen nicht entstanden ist, ist genauso zu behandeln wie die Frage, ob die Bürgschaft nicht mehr besteht, weil sie zeitlich begrenzt ist. In beiden Fällen wird der Zweck der Bürgschaft auf erstes Anfordern, dem Gläubiger sofort liquide Mittel zuzuführen, gleichermaßen vereitelt, wenn dieser Streit schon im Ausgangsprozess ausgetragen wird. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern wäre ihrer Funktion beraubt, was nur im Fall eines offensichtlichen und für jedermann klar erkennbaren Rechtsmissbrauchs in Kauf genommen werden kann. Ein derartiger Fall unzulässiger Rechtsausübung liegt hier aber, wovon ohne weiteres auszugehen ist, nicht vor. Die Beantwortung der Frage, ob die Bürgschaftsverpflichtungen wegen Verstoßes gegen die §§ 3 und 9 AGBG unwirksam sind, liegt nicht auf der Hand (vgl. dazu sogleich unter 2.) Ist danach die Unwirksamkeit der Bürgschaftsverpflichtungen nicht offensichtlich, so ist diese Frage erst in einem sich eventuell anschließenden Rückforderungsprozess auszutragen.
Nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AGBG sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (hier hat die Klägerin die fraglichen Bürgschaftserklärungen vorformuliert) dann unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteiligen, weil die Bestimmung mit dem gesetzlichen Leitbild nicht zu vereinbaren ist oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, in einer den Vertragszweck gefährdenden Weise eingeschränkt werden. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor; die Übernahme einer summenmäßig begrenzten Bürgschaft auf erstes Anfordern für alle Ansprüche aus den Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin als Gläubigerin und dem Hauptschuldner lässt sich mit dem Wesen der Bürgschaft vereinbaren und beeinträchtigt die Belange der Klägerin als Gläubigerin nicht unzumutbar.
Zwar ist die formularmäßige Ausdehnung der Bürgenhaftung über die Forderung hinaus, die Anlass der Verbürgung war, auf alle gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners mit der gesetzlichen Leitentscheidung des § 767 Abs. 1 S. 3 BGB nicht zu vereinbaren, weil den Bürgen mit einer derart weiten Zweckerklärung zugemutet wird, ein unkalkulierbares Risiko zu übernehmen, das er zudem nicht beeinflussen kann (vgl. BGH, NJW 1996, 1470,1472 f. [BGH 07.03.1996 - IX ZR 43/95]; NJW 1996, 924 f.; NJW 1995, 2553, 2556 f.) [BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94]. Die Bürgschaftserklärungen ("alle Ansprüche aus den Geschäftsbeziehungen ") wird auch so zu verstehen sein, dass damit nicht nur die den Anlass der Verbürgung bildenden Ansprüche und bestehende Ansprüche gemeint sind, sondern darüber hinaus künftige und bedingte Verbindlichkeiten des Hauptschuldners. Unwirksam ist aber nur eine formularmäßige Ausdehnung der Bürgschaft auf Forderungen auskünftigen Verträgen und nachträglichen Vertragsänderungen (BGH, a.a.O.). Darum geht es hier nicht. Die Bürgschaftsverpflichtungen, die Gegenstand der Klage sind, hat die Beklagte zeitlich nach derjenigen für das Bauvorhaben in M. übernommen. Bei Abgabe der Bürgschaftserklärungen wusste sie mithin, dass der Klägerin aus der Geschäftsbeziehung zum Hauptschuldner noch andere Forderungen zustehen konnten, die nicht unmittelbarer Anlass der Verbürgung waren. Von einer - unzulässigen - generellen Haftung des Bürgen über den aktuellen Vertragsrahmen zwischen Gläubiger und Hauptschuldner hinaus kann danach nicht gesprochen werden.
Der Umstand, dass die Vereinbarungen in der Bürgschaftserklärung dahingehend auszulegen sind, dass auch künftige und bedingte Ansprüche sowie nachträgliche Vertragserweiterungen erfasst sind, führt nicht zur Unwirksamkeit der Bürgschaft. Die Zweckerklärung ist vielmehr in der Form aufrechtzuerhalten, dass sie alle bestehenden, auch bedingten und befristeten Forderungen der Klägerin aus der Geschäftsbeziehung mit dem Hauptschuldner sichert, wie sie bei Abgabe der Bürgschaftserklärung bestanden. Dies stellt keine gegen § 6 AGBG verstoßende geltungserhaltende Reduktion der vertraglichen Vereinbarungen dar, sondern sichert, dass der Vertrag einen Leistungsinhalt behält (vgl. BGH, NJW1995, 2553, 2556 f.).
Die Erstreckung der Bürgschaft auf alle Ansprüche aus den Geschäftsbeziehungen zwischen Klägerin und Hauptschuldner ist weiterhin nicht überraschend im Sinne des § 3 AGBG. Überraschenden Charakter hat eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen dann, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr nach den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Die Erwartungen des Vertragspartners werden dabei von allgemeinen und von individuellen Begleitumständen des Vertragsschlusses bestimmt (vgl. BGHZ 126, 174, 176 ff. [BGH 01.06.1994 - XI ZR 133/93]; BGH NJW 1995, 2553, 2554 ff.) [BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94]. Zu berücksichtigen sind dabei der Grad der Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht und die für den Geschäftskreis übliche Gestaltung, weiterhin der Gang und der Inhalt der Vertragsverhandlungen sowie der äußere Zuschnitt des Vertrages. Maßstab ist wiederum das gesetzliche Leitbild des § 767 Abs. 1 S. 3BGB.
Die Beklagte ist von der formularmäßigen Ausdehnung der Bürgschaft auf alle Ansprüche aus der Geschäftsbeziehung nicht überrascht worden. Dafür ist wiederum von Bedeutung, dass es hier nur um eine bei der Übernahme der Bürgschaften schon bestehende Verbindlichkeit des Hauptschuldners gegenüber der Klägerin geht. Die Bürgschaftsverpflichtungen waren zudem sämtlich summenmäßig begrenzt, sodass das Risiko überschaubar blieb. Auch zeitlich war das Bürgschaftsrisiko begrenzt; denn die Klägerin hatte, wie sich aus den vertraglichen Vereinbarungen ergibt, spätestens nach Wegfall des Sicherungszwecks die Bürgschaftsurkunden an die Beklagte oder den Hauptschuldner zurückzugeben. Als Kreditinstitut ist die Beklagte zudem mit der praktischen Handhabung von Gewährleistungsbürgschaften vertraut und kann die für sie daraus resultierenden Folgen überschauen. Der von der Klägerin vorformulierte Text der Bürgschaftserklärung ist knapp und übersichtlich, seine Bedeutung ist unschwer zu verstehen.