Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 11.12.1996, Az.: 2 U 169/96

Erforderliche Flugbesatzung für Flüge nach Instrumentenflugregeln; Vorliegen einer Risikobegrenzung; Entbehrlichkeit der Kündigung des Versicherungsvertrages bei völliger Zerstörung der Versicherungssache; Einstehenmüssen für das Verhalten eines Dritten bei Überlassung der Obhut über die versicherte Sache; Grob fahrlässige Herbeiführung eines Versicherungsfalles; Ausschluss der Vertrauenshaftung des Versicherers

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
11.12.1996
Aktenzeichen
2 U 169/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 21399
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1996:1211.2U169.96.0A

Fundstellen

  • NJW-RR 1998, 388-389 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1998, 94-96
  • VersR 1998, 839-841 (Volltext mit amtl. LS)
  • zfs 1999, 116-117

Amtlicher Leitsatz

Kaskoversicherung von Luftfahrzeugen: § 4 (2) Ziffer 1 und 2 begründen sekundäre Risikobegrenzungen. Repräsentanteneigenschaft des einzigen Berufspiloten eines Unternehmens. § 61 VVG.

Gründe

1

1.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch aus der bei der Beklagten unterhaltenen Luftfahrt-Total-Versicherung wegen der Zerstörung des Flugzeugs Beech Duke B 60 am 20.03.1995.

2

Das Landgericht hat zutreffend auf § 4 (2) Ziff. 1 AKB-Lu abgehoben, da das versicherte Luftfahrzeug sich im Unfallzeitpunkt unstreitig nicht in einem Zustand befand, der den gesetzlichen Bestimmungen für den Betrieb von Luftfahrzeugen entsprach; denn das Flugzeug der Klägerin war bei einem Flug nach Instrumentenflugregeln entgegen § 32 Abs. 2 LuftBO nur mit einem Flugzeugführer besetzt. Wegen der Einzelheiten kann insofern auf das angefochtene Urteil verwiesen werden (§ 543 Abs. 1 ZPO).

3

2.

Darüber hinaus besaß der Führer des verunglückten Flugzeugs bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht die Berechtigung zum Führen dieses Luftfahrzeugs nach Instrumentenflugregeln. § 4 (2) Ziff. 2 AKB-Lu fordert neben der vorgeschriebenen Erlaubnis, dieses Luftfahrzeug zu führen, die der Flugzeugführer C für das verunglückte Flugzeug unstreitig besaß, die "erforderliche Berechtigung zum Führen dieses Luftfahrzeugs". Diese Berechtigung hatte C nicht; denn für Flüge nach Instrumentenflugregeln muss die Flugbesatzung mindestens aus zwei Luftfahrzeugführern mit Berechtigung für Flüge nach Instrumentenflugregeln bestehen (§ 32 Abs. 2 LuftBO). Ein solcher zweiter Luftfahrzeugführer befand sich unstreitig nicht an Bord.

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Bezüglich des Fehlens eines Ausnahmetatbestandes nach den §§ 32 Abs. 4, 55 LuftBO und der Verfassungsmäßigkeit der letztgenannten Bestimmung kann wiederum auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils verwiesen werden. Insofern wird die landgerichtliche Entscheidung auch nicht angegriffen.

5

3.

Die von der Klägerin geäußerten Bedenken gegen die Wirksamkeit von § 4 (2) Ziff. 1 und 2 AKB-Lu teilt der Senat nicht. Beide Bestimmungen sind auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich und lassen in keiner Hinsicht Zweifel über ihre Auslegung (§ 5 AGBG) aufkommen.

6

4.

Anders als das Landgericht ist der Senat allerdings der Auffassung, dass es sich bei den o.a. Regelungen um (sekundäre) Risikobeschreibungen handelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kommt es bei der Unterscheidung zwischen einer Obliegenheit und einer Risikobeschreibung nicht entscheidend auf Wortlaut und Stellung einer Versicherungsklausel an. Maßgebend ist vielmehr der materielle Inhalt der einzelnen Klausel.

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Es kommt darauf an, ob die Klausel eine individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das (allein) der Versicherer Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes vorbeugendes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Wird von vornherein nur ausschnittsweise Deckung gewährt und nicht ein angegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens wieder entzogen, so handelt es sich um eine Risikobegrenzung (vgl. BGH VersR 1990, 482 = NJW-RR 1990, 465 = VVGE § 6 VVG Nr. 16; BGH NJW 1987, 191, 192 [BGH 17.09.1986 - IVa ZR 232/84] = VVGE § 1 AVBR Nr. 1).

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Zwar könnte der erste Satzteil in § 4 (2) AKB-Lu - "Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei" - für eine Obliegenheit im Sinn von § 6 Abs. 1 VVG sprechen. Andererseits ist § 4 AKB-Lu insgesamt überschrieben: "Einschränkung des Versicherungsschutzes". Für eine objektive Begrenzung spricht auch der materielle Inhalt beider Absätze. Aus ihm ergibt sich, dass der Versicherer von vornherein Deckungsschutz nur bei Einhaltung der "gesetzlichen Bestimmungen und behördlichen Auflagen" (1) bzw. bei Vorliegen der "vorgeschriebenen Erlaubnisse und erforderlichen Berechtigungen" (2) gewähren will. Danach besteht vorliegend kein Versicherungsschutz, ohne dass es auf die weiteren Voraussetzungen nach § 6 Abs. 1 und 2 VVG ankommt.

9

5.

Selbst wenn man indes - mit dem Landgericht - in § 4 (2) Ziff. 1 und die Normierung von - verhüllten - Obliegenheiten sehen will, ist die Beklagte leistungsfrei. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Obliegenheitsverletzung nicht unverschuldet im Sinn von § 6 Abs. 1 VVG erfolgt ist und die Klägerin nicht den Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs. 2 VVG geführt hat. Darauf nimmt der Senat wegen aller Einzelheiten Bezug (§ 543 Abs. 1 ZPO). Das wird von der Berufung auch nicht angegriffen.

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Ob seitens der Beklagten eine Kündigung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 VVG ausgesprochen worden ist, kann dahinstehen; denn eine solche war vorliegend entbehrlich. Eine Kündigung zum Erhalt der Leistungsfreiheit ist nicht erforderlich, wenn das Interesse dauernd und vollständig weggefallen ist (BGH VersR 1981, 186 = VVGE § 6 VVG Nr. 10, m.w.N.). Das ist in der Sachversicherung vor allem der Fall, wenn die versicherte Sache - wie hier - völlig zerstört worden ist (vgl. Prölss-Martin, VVG, 25. Aufl., § 6 Anm. 10, m.w.N.).

11

6.

Die Beklagte ist weiterhin leistungsfrei, weil der Pilot C als Repräsentant der Klägerin den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat (§ 61 VVG).

12

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 122, 250 = NJW 1993, 1862 = VersR 1993, 828 = VVGE § 6 VVG Nr. 22) ist Repräsentant, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, auf Grund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Die bloße Überlassung der Obhut über die versicherte Sache reicht hierbei nicht aus. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbstständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (Risikoverwaltung). - So ist es nach Auffassung des Senats hier.

13

Zwar hat der BGH in Fällen der Überlassung von Kraftfahrzeugen an einen Fahrer ausgesprochen, dass die Überlassung der Obhut über die versicherte Sache kein allgemein gültiges Merkmal für die Frage darstelle, ob der Versicherungsnehmer für das Verhalten eines Dritten einzustehen habe (BGH VersR 1965, 149 unter IV). Andererseits hat er in dieser Entscheidung betont, dass es anders sein könne, wenn es sich um versicherte Sachen handelt, die einer ständigen Betreuung bedürfen. In diesen Fällen wird mit der Übertragung der alleinigen, nicht nur vorübergehenden Obhut auf einen Dritten diesem in der Regel auch die alleinige Risikoverwaltung anvertraut. Liegen diese Voraussetzungen vor, braucht für die Haftung des Versicherungsnehmers nicht noch hinzuzutreten, dass der Dritte auch Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag wahrzunehmen hat (BGHZ 122, 250 = NJW 1993, 1862 = VersR 1993, 828 = VVGE § 6 VVG Nr. 22).

14

Es liegt auf der Hand, dass ein Luftfahrzeug hinsichtlich des Ausmaßes der Betreuung mit einem Kraftfahrzeug nicht zu vergleichen ist. Diese Betreuung lag im Bereich der Klägerin in der Hand von C ; dieser war unstreitig der einzige bei der Klägerin angestellte Berufspilot.

15

Dem entspricht die Rechtslage, wonach ihm für die Führung des Luftfahrzeugs die Verantwortlichkeit oblag (§ 2 Abs. 3 LuftBO). Dies alles spricht dafür, dass er im Sinn der oben zitierten BGH-Rechtsprechung befugt war, in einem gewissen, nicht ganz unerheblichen Umfang hinsichtlich des versicherten Flugzeugs für die Versicherungsnehmerin - die Klägerin - zu handeln, mithin deren Repräsentant war.

16

Der Senat ist der Überzeugung, dass C den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt (§ 61 VVG). Dies folgt aus den unstreitigen Umständen und dem Bericht der Flugunfalluntersuchungsstelle beim Luftfahrt-Bundesamt vom 12.08.1996.

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Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Der Tatrichter kann dabei im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vom äußeren Geschehensablauf oder vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerter Vorwerfbarkeit schließen (BGH r + s 1969, 209 m.w.N.).

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Das Durchführen des Fluges nach Instrumentenflugregeln ohne Anwesenheit eines zweiten Luftfahrzeugführers mit Berechtigung für Flüge nach Instrumentenflugregeln stellt einen objektiv schweren Verstoß gegen die im konkreten Fall gebotene Sorgfalt dar. Dieser Maßstab war ohne weiteres § 32 Abs. 2 LuftBO zu entnehmen.

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Mangels entlastender besonderer persönlicher Umstände ist im vorliegenden Fall auf Grund des objektiv äußerst schwer wiegenden Verstoßes der Schluss gerechtfertigt, dass C auch subjektiv unentschuldbar handelte, als er - entgegen der o.a. Bestimmung - den Flug nach Instrumentflugregeln allein durchführte. Subjektiv kam zudem erschwerend hinzu, dass er nach dem von der Klägerin vorgelegten und vorgetragenen Bericht der Fluguntersuchungsstelle beim LBA nur über geringe Erfahrung bei Flügen nach Instrumentenflugregeln auf dem betreffenden Flugzeug verfügte.

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Auf diesen Ursachen beruht nach dem o.a. Bericht auch der Flugunfall, wenn auch eine "unzweckmäßige" Radarkontrolle mitgewirkt hat. Jedenfalls ist der Senat nach den Feststellungen des Luftfahrt-Bundesamts der Überzeugung, dass der Unfall durch Mitwirkung eines zweiten Luftfahrzeugführers mit der Berechtigung nach § 32 Abs. 2 Luft-BU vermieden worden wäre. - Gegenteiligen Beweis tritt die Klägerin nicht an.

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7.

Schließlich steht der Klägerin auch kein Schadensersatzanspruch zu. Bevor auf den von ihr geltend gemachten Anspruch aus culpa in contrahendo einzugehen ist, ist daran zu denken, ob die Beklagte nicht nach den Grundsätzen über die Vertrauenshaftung für den Versicherungsagenten haftet. Eine solche Haftung kommt dann in Betracht, wenn der Versicherungsagent, der erkennt, dass sich der Versicherungsnehmer über einen wesentlichen Punkt des Versicherungsvertrages unrichtige Vorstellungen macht, nicht seiner Verpflichtung nachkommt, diese richtig zu stellen (BGHZ 40, 22, 24) [BGH 20.06.1963 - II ZR 199/61]. Die Vertrauenshaftung des Versicherers ist aber ausgeschlossen, wenn den Versicherungsnehmer ein erhebliches eigenes Verschulden trifft (BGHZ a.a.O., 26; BGH VersR 1972, 530, 531). So ist es hier. Es geht nicht um die Aufklärung über bestimmte Versicherungsbedingungen, sondern um die Kenntnis verordnungsrechtlicher Bestimmungen über die Zusammensetzung der Flugbesatzung, speziell § 32 Abs. 2 LuftBO. Als Halterin des Luftfahrtgeräts trug die Klägerin die Verantwortung für die Einhaltung der Vorschriften der LuftBO und der zu ihrer Durchführung erlassenen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 LuftBO). Dass ihr diese - wie sie selbst einräumt - jedenfalls in dem hier einschlägigen Teil nicht bekannt waren, rechtfertigt den Vorwurf einer erheblichen Sorgfaltsverletzung.

22

Im Ergebnis gilt nichts anderes für einen Anspruch aus culpa in contrahendo, auch wenn insoweit eine eigene Pflichtverletzung nicht zum Ausschluss der Haftung, sondern zu einer Abwägung nach den Grundsätzen des § 254 BGB führt. Die Klägerin sieht ein haftungsbegründendes Fehlverhalten des Agenten der Beklagten darin, dass er erkannt habe, dass bei der Klägerin nie jemand daran gedacht habe, dass das Flugzeug - von gewissen Ausnahmeregelungen abgesehen - mit zwei Piloten besetzt werden musste. Das ist unzutreffend, jedenfalls aber im Hinblick auf die Angaben im Versicherungsantrag und Versicherungsschein nicht hinreichend substantiiert. Im Versicherungsantrag ist angegeben: "3 namentlich genannte Piloten, davon 1 Berufspilot"; in der nächsten Zeile sind die Namen der Piloten mit C , H und B aufgeführt. Diese Namen sind auch in den Versicherungsschein aufgenommen worden. Aus diesen Angaben im Versicherungsantrag konnte und musste auch der Agent der Beklagten entnehmen, dass der Klägerin neben dem Berufspiloten C zwei weitere Piloten - gleich welcher Qualifikation - zur Verfügung standen. Unter diesen Umständen musste der Agent nicht erkennen, dass das versicherte Flugzeug nur von einem Piloten geführt werden sollte. Zudem war dies unter Sichtflugbedingungen auch zulässig, und es nichts dafür dargetan oder ersichtlich, dass der Agent irgendwelche Kenntnisse über Art und Ausmaß des Einsatzes des Flugzeuges nach Instrumentenflugregeln hatte.