Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 20.08.2013, Az.: S 16 AS 991/10

Ausschluss von Ausländern vom Leistungsbezug nach dem SGB II für die ersten drei Monate; Ausschluss von Ausländern vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II bei fehlender Beziehung zum deutschen Arbeitsmarkt

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
20.08.2013
Aktenzeichen
S 16 AS 991/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 44948
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2013:0820.S16AS991.10.0A

Fundstelle

  • NZS 2014, 77-78

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid der Beklagten vom 20.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2010 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit von August 2011 bis Februar 2012 (einschließlich) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

  3. 3.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 4. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1/3.

Tatbestand

Die Kläger begehren mit dem vorliegenden Verfahren die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende für die Zeit vom 23.07.2010 bis 29.02.2012.

Die Kläger reisten im Jahr 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wobei der Kläger zu 2) ca. zwei Monate vor der Klägerin zu 1) einreiste um bereits für Wohnraum zu sorgen. Die Kläger haben zwei Kinder, die 1998 geborene H. sowie die 2008 geborene I ...

Am 23.07.2010 beantragten die Kläger die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende bei den Beklagten. Dort erhielten die Kläger ein "Beiblatt" auf dem die vorzulegenden Unterlagen aufgelistet waren. Für den Inhalt dieses Beiblatts wird auf Bl. 2 der VA verwiesen.

Den Antrag vom 23.07.2010 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20.08.2010 ab. Dabei berief er sich auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II. Dieser Leistungsausschluss betreffe vor allem Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machten. Unionsbürger, die gem. § 2 Abs. 5 FreizügG/EU in Deutschland aufhalten könnten in dieser Zeit keine Leistungen nach dem SGB II erhalten. Dies gelte auch für Familienangehörige dieser Personen.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger mit Schreiben vom 27.08.2010 Widerspruch ein. Es sei von Anfang an mitgeteilt worden, dass, wenn die Unterlagen vollständig beigebracht würden, ein Anspruch bestehen würde.

Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2010 zurück. Bezüglich der ersten drei Monate des Aufenthalts berief sich der Beklagte erneut auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II. Ab dem vierten Monat richte sich der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Dieser Ausschluss greife auch ein. Insoweit werde auf den Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29.09.2009 (L 15 AS 905/ B ER) verwiesen.

Gegen den Bescheid vom 20.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2010 haben die Kläger am 30.11.2010 Klage erhoben. Diese Klage ist von Frau J. und Herrn K. erhoben worden. Für die Kinder der beiden Kläger wurde die Klage nicht erhoben.

Die Kläger tragen vor: Die Ablehnung sei völlig unverständlich und gar nicht nachvollziehbar. Auch werde nicht verstanden, dass man polnische Staatsangehörige mit einem langen Laufzettel versehe. Die Kläger hätten alles getan und seien von Behörde zu Behörde gerannt, um dann mitgeteilt zu bekommen, dass sie sowieso nichts bekommen würden. Der Kläger zu 2) habe sich in Deutschland ab dem 12.10.2010 selbstständig gemacht.

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2010 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 23.07.2010 bis Ende Februar 2012 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält seine Bescheide für rechtmäßig. Zu dem "Laufzettel" sei zu sagen, dass dies Standard bei der Antragstellung sei. Es handele sich um ein Beiblatt zum Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage der Klägerin zu 1) ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet (dazu unter II). Über die Klage des Klägers zu 2) wurde nicht entschieden (dazu unter I).

I. Die Kammer hat vorliegend versehentlich lediglich über den Anspruch der Klägerin zu 1) entschieden, insoweit liegt ein unvollständiges Vollurteil - kein Teilurteil - vor.

Dass lediglich hierüber entschieden wurde, ergibt sich zum einen daraus, dass der Vorsitzende den ebenfalls anwesenden Kläger zu 2) nicht als solchen ins Protokoll aufgenommen hat und auch im weiteren Protokoll die Rede vom Ex-Freund der Klägerin zu 1), und nicht dem Kläger zu 2) die Rede ist. Auch bezieht sich der Klageantrag lediglich auf die Klägerin zu 1).

Insoweit liegt kein Teilurteil vor, da ein solches nur ergangen ist, wenn die Kammer nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden wollte (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 10. Auflage 2012, § 125, Rn. 3b). Wollte das Gericht, wie hier, ein Endurteil erlassen ist diese Entscheidung auch dann ein Vollurteil, wenn es den Streitgegenstand nicht erschöpft hat (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 22.02.1994, 9 B 510/93; Keller, a. a. O., Rn. 3b). In diesem Fall ist lediglich eine Urteilsergänzung nach § 140 SGG möglich.

II. Die Klägerin zu 1) hat in der streitgegenständlichen Zeit im Zeitraum August 2011 bis Februar 2012 einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Für die davor liegende Zeit hat sie keinen Anspruch. In den ersten drei Monaten greift der Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II (dazu unter 1), der weitergehende Ausschluss beruht auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (dazu unter 2).

1. Für die Zeit vom 23.07.2010 bis 22.10.2010 ist die Klägerin von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ausgeschlossen.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 sind Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörige für die ersten drei Monate vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgenommen.

Die Klägerin war in den ersten drei Monaten nicht als Arbeitnehmerin tätig, auch eine selbstständige Tätigkeit lag hier nicht vor. Auch die Voraussetzung des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU, der für Personen gilt, denen der Status als Arbeitnehmer oder selbstständig Tätiger erhalten bleibt, lagen hier nicht vor.

Dementsprechend war die Klägerin in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ausgeschlossen.

2. Für die Zeit ab dem 23.10.2010 bis 31.07.2011 war die Klägerin von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, da sie noch keine Beziehung zum deutschen Arbeitsmarkt hatte.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind vom Leistungsbezug nach dem SGB II ebenfalls Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltszweck sich allein auf dem Zweck der Arbeitssuche ergibt sowie ihre Familienangehörigen.

Im vorliegenden Fall ergab sich der Aufenthaltszweck der Klägerin in der gesamten Zeit lediglich aus der Arbeitssuche (dazu unter a); soweit der EU-Bürger noch keinen Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt hat ist der Ausschluss mit Europarecht vereinbar (dazu unter b), vor August 2011 hatte die Klägerin nach Ansicht der Kammer noch keine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt (dazu unter c).

a) Das Aufenthaltsrecht der Klägerin ergibt sich hier aus der Arbeitssuche.

Nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörige das Recht auf Einreise und Aufenthalt. Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU solche Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche in einem anderen EU-Mitgliedsstaat aufhalten wollen. Aus dieser Vorschrift ergibt sich das Aufenthaltsrecht der Klägerin.

Ein anderweitiger Zweck ist hier nicht gegeben. Liegt ein solcher anderweitiger Zweck vor, so ist der oben genannten Anspruchsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zwar nicht anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.01.2008, L 8 SO 88/07 ER), ein solcher anderweitiger Aufenthaltszweck ist hier aber nicht gegeben. Ein solcher ergibt sich hier deshalb nicht aus einer Familienzusammenführung zu dem selbstständig Tätigen Kläger zu 2), da die Klägerin nicht über hinreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügte (dazu unter aa). Dies verstößt nicht gegen höherrangiges EU-Recht (dazu unter bb).

aa) Eine Familienzusammenführung zum Kläger zu 2) scheitert hier an den hinreichenden Existenzmitteln der Klägerin zu 1).

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU sind Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Die Voraussetzungen der §§ 3 und 4 FreizügG/EU sind bei der Klägerin nicht erfüllt, da sie im Fall der Klägerin das Vorhandensein der oben bereits genannten hinreichenden Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz voraussetzen.

Familienangehörige sind nach § 3 Abs. 2 FreizügG/EU der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in absteigender Linie des EU-Bürgers oder des Ehegatten oder Lebenspartners des EU-Bürgers, die noch nicht 21 Jahre alt sind (Nr. 1) sowie die Verwandte in aufsteigender und absteigender Linie des EU-Bürgers oder des Ehegattens oder Lebenspartner denen der EU-Bürger oder sein Ehegatte oder Lebenspartner Unterhalt gewährt (Nr. 2).

Da der eheähnliche Partner kein Familienangehöriger in diesem Sinne ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.02.1996, 1 C 41/93; Dienelt in: Renner, AuslR, 9. Auflage 2011, § 7 AufenthG, Rn. 20; siehe dazu auch BSG, Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R, [...], Rn. 33) ist die Verwandtschaft zum Kläger zu 2) hier nur über die gemeinsamen Kinder gegeben. Die Kinder sind, soweit der Kläger zu 2) sich auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV berufen kann, Familienangehörige in absteigender Linie eines nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgers. Die Klägerin wäre von diesen - den Kindern - dann eine Familienangehörige in aufsteigender Linie.

Von diesen abgeleitet ergäbe sich bei der Klägerin aber kein eigenes Aufenthaltsrecht aus dieser Familienzusammenführung. Die Kinder sind sogenannte wirtschaftlich inaktive Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU, so dass die die Klägerin nach § 3 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU einen Aufenthaltsrecht nur nach Maßgabe des § 4 FreizügG/EU hat. Danach besteht das Recht auf Aufenthalt nur dann, wenn die Person über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt. Dies geht auf die Unionsbürgerrichtlinie zurück. Nach § 7 Abs. 1 Buchst. b) EGRL 38/04 hat ein Unionsbürger das Aufenthaltsrecht von länger als drei Monaten, wenn er nicht Arbeitnehmer oder Selbstständiger ist, grundsätzlich nur unter der Voraussetzung, dass er hinreichende Existenzmittel nachweisen kann und über Krankenversicherungsschutz verfügt (vgl. dazu allgemein auch: Loose in: GK SGB II, § 7 Rn. 59, Stand 09/2012; offen gelassen von: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2012, L 3 AS 1447/11, [...] Rn. 65).

Deshalb kann dahinstehen, in wie weit eine Unterhaltsgewährung zwischen Kind und Mutter Voraussetzung ist (was § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU bei einer Verwandtschaft in aufsteigender Linie an sich fordert, offen gelassen ebenfalls: LSG Baden-Württemberg, a. a. O., Rn. 65).

bb) Eine solche Auslegung verstößt weder gegen Art. 6 Grundgesetz (GG), Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) noch Art. 7 der Europäischen Grundrechtscharta (EUGRCh).

Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind nach Abs. 2 das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Art. 7 EUGRC hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.

Das BSG hat im Falle einer eheähnlichen Gemeinschaft bereits vor der Geburt des gemeinsamen Kindes ohne Prüfung der hinreichenden Existenzmittel ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen unter Rückgriff auf Art. 6 GG angenommen (BSG, Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R). Der vom BSG entschiedene und der vorliegenden Fall sind aber insoweit nicht vergleichbar.

Im Rahmen der Rechtsprechung zu den vorgenannten Vorschriften ist es anerkannt, dass ein Verstoß gegen den Schutz von Ehe und Familie, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dann nicht gegeben ist, wenn eine Familienzusammenführung im Ausland möglich und zumutbar ist. Nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist eine solche Familienzusammenführung im Ausland grundsätzlich zumutbar, wenn das Familienleben ohne Hindernisse auch im Herkunftsland möglich ist (EGMR, Urteil vom 19.02.1996, 53/95/559/645). Der EuGH orientiert sich in seiner Auslegung von Art. 7 EUGRCH an Art. 8 EMRK und die Auslegung durch die Rechtsprechung des EGMR (vgl. EuGH, Urteil vom 15.11.2011, C 256/10). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat an diese Rechtsprechung des EGMR angeknüpft (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009, 1 C 3/08, [...], Rn. 18). Art. 8 EMRK und dementsprechend auch Art. 7 EUGRCh garantieren keine Recht auf Wahl des geeigneten Ortes für die Entwicklung des Familienlebens (vgl. EGMR, Urteil vom 28.11.1996, 73/1995/579/665).

Eine Familienzusammenführung in Polen wäre hier möglich und zumutbar gewesen. Die Kläger waren im Zeitpunkt der Antragsteller erst kürzlich in die Bundesrepublik eingereist. Zudem kommen sie beide aus dem gleichen Herkunftsland. Im vom BSG entschiedenen Fall lag eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen einer (gerade eingereisten) Bulgarin und einem bereits acht Jahre im Bundesgebiet wohnenden griechischen Staatsbürger vor. Dieser kam also einerseits nicht aus dem Herkunftsland der dortigen Klägerin und hatte zum anderen mit einem achtjährigen Aufenthalt bereits ein Daueraufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland nach § 4a FreizügG/EU. Dies ist hier beides nicht der Fall.

Dementsprechend kann die Kammer hier dahinstehen lassen, ob der Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum schon eine selbstständige Tätigkeit von hinreichenden Umfangs ausgeübt hat und ob es in Berufung auf die Niederlassungsfreiheit entgegen stehen kann, dass er gegebenenfalls keinen niedergelassen Unternehmenssitz hat bzw. hatte (zu dieser Voraussetzung: A. Loose in: GK-SGB II, § 7 Rn. 48, Stand 09/2012; andere Ansicht insoweit: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.01.2013, L 14 AS 3133/12 B ER).

b) Soweit der EU-Bürger noch keine Beziehung zum deutschen Arbeitsmarkt hat, verstößt ein Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht gegen europäisches Primär- oder Sekundärrecht, da diese Ungleichbehandlung durch objektive, von der Staatsangehörigkeit unabhängige Gründe gerechtfertigt ist.

aa) Der Ausschluss von Arbeitssuchenden, die noch keine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt haben, verstößt nicht gegen europäisches Primärrecht, insbesondere Art. 45 Abs. 2 AEUV.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 Abs. 1 AEUV umfasst nach Abs. 2 der Vorschrift die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhender unterschiedlicher Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstigen Arbeitsbedingungen. Absatz 3 der Vorschrift ordnet für eine Beschränkung der dort genannten Rechte an, dass dies nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit möglich ist. Soweit noch keine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt besteht ist hiernach eine Beschränkung der Teilhabe an Sozialleistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, möglich.

Auch wenn eine Beschränkung der Teilhaberechte an Sozialleistungen nach den geschriebenen Schrankenvorbehalten nicht möglich sein dürfte (vgl. für die Ablehnung des EuGH, wirtschaftliche Gründe der Mitgliedsstaaten als Gründe der öffentliche Ordnung anzuerkennen: EuGH, Urteil vom 16.01.2003, C-388/01, Kommission/Italien unter Bezugnahme auf: EuGH, Urteil vom 14.01.1995, C-484/93) ist eine Rechtsfertigung ist hier jedoch nach ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen möglich. Nach herrschender Meinung ist über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe hinaus ein Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit zumindest bei einer mittelbaren Diskriminierung dann gerechtfertigt, wenn zwingende Gründe des Allgemeinwohls vorliegen (Forsthoff in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 Rn. 327 f; Brechmann in: Calliess/Ruffert, AEUV/EGV, 4. Auflage 2011, Art. 45 AEUV Rn. 48; Gunkel in: Jura 2001, 79, 82; Becker in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Auflage 2009, § 9, Rn. 50). Auch wenn die Rechtsprechung des EuGH zu den anderen Grundfreiheiten hier insoweit uneinheitlich ist (vgl. einerseits: EuGH, Urteil vom 10.01.1985, C-229/83; EuGH, Urteil vom 29.04.1999, C-224/97; EuGH, Urteil vom 16.01.2003, C-388/01 in denen ein Rechtfertigung durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe abgelehnt wird; andererseits: EuGH, Urteil vom 10.03.1993, C-111/91, Kommission/Luxemburg; EuGH, Urteil vom 26.10.1999, C-294/97, Eurowings Luftverkehr, in denen eine Rechtfertigung durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe geprüft wird; zudem: EuGH, Urteil vom 28.01.1992, C-204/90, Bachmann, wo eine solche auch bejaht wird), so erkennt der EuGH im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zumindest an, dass eine Ungleichbehandlung dann gerechtfertigt ist, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen unabhängigen Erwägung beruht und in einem angemessen Verhältnis zu einem legitimen Zweck steht, der mit der nationalen Rechtsvorschriften verfolgt wird (vgl. dazu im Rahmen der Teilhabe an Sozialleistungen: EuGH, Urteil vom 23.05.1996, C-227/98, D'Hoop; EuGH, Urteil vom 23.03.2004, C-138/02, Collins; darüber hinaus: EuGH, Urteil vom 15.01.1998, C-15/96; EuGH, Urteil vom 30.11.2000, C-195/98, Österreichischer Gewerkschaftsbund). Solche objektiven Gründe liegen vor, wenn eine Verbindung zum Arbeitsmarkt geprüft wird.

Zwar stellen rein wirtschaftliche Gründe grundsätzlich weder zwingende Gründe des Allgemeininteresses noch einen "objektiven Grund" im obigen Sinne dar (zum zwingenden Allgemeinwohlgrund: EuGH, Urteil vom 05.06.1997, C-398/95; zum objektiven Grund: EuGH, Urteil vom 16.02.2006, C-185/04), allerdings hat es der EuGH dennoch im Rahmen dieser Formel von den objektiven Gründen anerkannt, dass es den Mitgliedsstaaten möglich ist, eine Verbindung zum heimischen Arbeitsmarkt zu fordern (EuGH-Urteil vom 23.05.1996, C-237/94, O'Flynn; EuGH, Urteil vom 11.06.2002, C-224/98, D'Hoop, EuGH, Urteil vom 23.03.2004, C-138/02, Collins; siehe dazu zudem EuGH, Urteil vom 04.06.2009, C-22/08, C-23/08, Vatsouras/Koupatanze; siehe dazu ausführlich: Greiser in: jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2011, Vorbemerkung in der Fassung vom 06.08.2013, Rn. 26 ff.).

bb) Der vorherige Ausschluss von den Leistungen verstößt auch nicht gegen europäisches Sekundärrecht, hier insbesondere Art. 4 EGVO 883/04.

Nach dieser Vorschrift haben Personen, soweit die Verordnung gilt und soweit in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Zwar dürfte die Verordnung für die Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende sachlich Anwendung finden, aus dem genannten Diskriminierungsverbot ergibt sich jedoch kein engerer Maßstab als zu Art. 45 Abs. 2 AEUV.

Die Verordnung 883/04 ist nach Art. 3 EGVO 883/04 neben den klassischen Sozialleistungen auch auf sogenannte beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art. 70 EGVO 883/04 anwendbar. Dass das SGB II eine solche Leistung darstellt ist mittlerweile weithin anerkannt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 14/10 R; Kador in: jurisPK-SGB II, 2. Auflage 2011, Art. 70 EGVO, 883/2004, Rn. 27; Greiser in: Eicher/Schlegel, SGB III, Art. 61,Rn 32, Stand 02/2013).

Ob der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung hier eröffnet ist kann die Kammer dahinstehen lassen. Nach Art. 2 Abs. 1 EGVO 883/04 gilt die Verordnung unter anderem für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats, Staatenlosen und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedsstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten gelten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen. Danach sind von persönlichen Anwendungsbereich sämtliche Unionsbürger umfasst, wenn für sie die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten gelten oder galten (vgl. Hofmann/Kummer in: ZESAR 2013, 199/206). Rechtsvorschriften in diesem Sinne sind nach Art. 1 Buchst. l EGVO 883/04 für jeden Mitgliedsstaaten die Gesetzte, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften, die sich auf die in Art. 3 Abs. 1 EGVO 883/04 genannten Zweige der sozialen Sicherheit beziehen. Hierunter fallen die beitragsunabhängigen Geldleistungen gerade nicht (vgl. dazu: Schreiber in: NZS 2012, 647, 649). Ob ein Bezug zu einem Zweig der Sozialversicherung in Deutschland lediglich abstrakt vorliegen muss (so Eichenhofer, Sozialrecht der EU, 4. Auflage, Rn. 101) oder ob ein solcher Bezug konkret vorliegen muss (so: Schulte in: ZESAR 2010, 202, 205) kann hier dahinstehen.

Zumindest ist Art. 4 EGVO 883/04 nicht enger auszulegen als Art. 45 Abs. 2 AEUV (siehe zur Übertragung der Formel von den "objektiven Gründen" auf Art. 4 EGVO 883/04 auch: Otting in: Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, K Art 4 EGVO 883/04, Rn. 11, Stand 3/2013, andere Ansicht: Schreiber, a. a. O., Seite 650).

Bei einer solchen europarechtskonformen Auslegung, die prüft, ob der EU-Bürger bereits eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt hat, verstößt die Regelung auch nicht deshalb gegen EU-Recht, da sie an die Staatsangehörigkeit anknüpft. Zwar ist diese Differenzierung zu weitgehend, jedoch hat der EuGH in der Überprüfung des ebenfalls an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden Art. 24 Abs. 2 EGRL 38/04 (Unionsbürgerrichtlinie) nur eine Auslegung im Lichte der Arbeitnehmerfreizügigkeit gefordert und die Vorschrift nicht für primärrechtswidrig erklärt (vgl. dazu: EuGH, Urteil vom 04.06.2009, C-22/08, C-23/08, Vatsouras/Koupatanze; siehe zur teleologischen Reduktion im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung ausführlich: Greiser in: jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2011, Vorbemerkung in der Fassung vom 06.08.2013, Rn. 37 ff.).

c) In der Zeit vom 23.10.2010 bis 31.07.2011 hatte die Klägerin nach Ansicht der Kammer noch keine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt. Anschließend sieht die Kammer eine solche Verbindung allerdings als gegeben an.

Im erstgenannten Zeitraum stand die Klägerin noch nicht im einen Beschäftigungsverhältnis. In einem solchen Fall ist zunächst entscheidend, ob der Betroffene während eines angemessenes Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedsstaat, hier die Bundesrepublik Deutschland, gesucht hat (vgl. dazu: EuGH, Urteil vom 04.06.2009, C-22/08, C-23/08, Vatsouras/Koupatanze; EuGH, Urteil vom 23.03.2004, C-138/02, Collins). Wann ein solcher angemessener Zeitraum vorliegt, hat der EuGH offen gelassen (EuGH, a. a. O.). Für die Frage, wann Bewerbungsbemühungen ausreichend sind, kann auf die Maßstäbe zurückgegriffen werden, die in der Rechtsprechung dazu entwickelt wurden, was in einer Eingliederungsvereinbarung verlangt werden kann (vgl. zu dieser Rechtsprechung: Kador in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 15, Rn. 40 ff.). Solche Bemühungen über einen angemessenen Zeitraum hinaus sah die Kammer hier, nicht zuletzt aus Nachweisschwierigkeiten der Klägerin, als nicht gegeben an.

Ab August 2011 sieht die Kammer eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt aber als gegeben an. Für eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt ab diesem Zeitraum spricht die spätere Arbeitsaufnahme im März 2012. Steht der Unionsbürger in einem weisungsabhängigen Beschäftigungsverhältnis wird die Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt zunächst unterstellt. Dies gilt auch bei geringfügigen Beschäftigungen. Vor diesem Hintergrund sah es die Kammer als realistisch an, dass auch eine gewisse Zeit vor der Arbeitsaufnahme bereits eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt bestand. Die Klägerin konnte zudem in der mündlichen Verhandlung darstellen, dass es viele mündliche Bewerbungen gegeben habe, bei denen der Kläger zu 2) anfangs noch als Dolmetscher fungierte.

Hinzu kommt folgende Überlegung: Der EuGH hat es über die Beschäftigungssuche und die Aufnahme einer tatsächlichen Beschäftigung auch anerkannt, dass eine Verbindung zum Arbeitsmarkt sich auch aus dem familiären Kontext ergeben kann. Dabei ist das Bestehen enger, insbesondere persönlicher Bedingung zum Aufnahmemitgliedsstaat, in dem sich der Betroffene längerfristig gewöhnlich aufhält, geeignet, zur Entstehung einer dauerhaften Bindung zwischen dem Betroffenen und dem Aufnahmemitgliedsstaat, einschließlich dessen Arbeitsmarkt, beizutragen (vgl. EuGH, Urteil vom 25.10.2012, C-367/11 unter Verweis auf: EuGH, Urteil vom 22.09.1988, 236/87, Bergmann). Unter Berücksichtigung der oben erläuterten familiären Bindung zu ihren Kindern und darüber hinaus auch zu ihrem Ex-Freund hat die Kammer hier eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt ab August 2011 als gegeben angesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.