Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 19.09.2013, Az.: S 13 KR 119/12

Prüfung der Erforderlichkeit einer stationären Behandlung im Rahmen eines Rechtsstreits über die Vergütungsansprüche eines Krankenhauses gegenüber einer Krankenkasse

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
19.09.2013
Aktenzeichen
S 13 KR 119/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 49254
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2013:0919.S13KR119.12.0A

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1.235,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Oktober 2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte zu 7/10 und die Klägerin zu 3/10. Die Berufung wird für die Klägerin nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung streitig.

Das Marienhospital H., dessen Trägerin die Klägerin ist, nahm am 25. Januar 2008 die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte I. (Versicherte) zur ambulanten Behandlung eines Kreuzbandrisses des rechten Kniegelenks mit Einblutung auf. Es erfolgte eine arthroskopische Untersuchung des Kniegelenks mit anschließender Operation. Nach der Operation erbrach die Versicherte zweimal. Das Marienhospital H. entließ die Versicherte am 27. Januar 2008 und forderte mit Rechnung vom 1. Februar 2008 unter Zugrundelegung der Fallpauschale I18B von der Beklagten 1.797,00 EUR, die die Forderung unter Vorbehalt erfüllte und mit Schreiben vom 6. Februar 2008 den Entlassungs- und Operationsbericht zur direkten Übersendung an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Prüfung der Verweildauer vom Marienhospital H. anforderte.

Der MDK gab in seiner Stellungnahme vom 3. Juni 2008 an, dass im vorliegenden Fall weder wesentliche Nebendiagnosen in der Entlassungsmitteilung gemäß § 301 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) kodiert worden seien noch aus den eingereichten Unterlagen medizinische Gründe ersichtlich seien, die eine Übernachtung der Versicherten im Krankenhaus als zwingend erforderlich haben erscheinen lassen. Somit könne abschließend festgehalten werden, dass keine Tatsachen dokumentiert seien, die gegen die Operation im Sinne des § 115b SGB V sprächen.

Hieraufhin rechnete die Beklagte den Betrag in Höhe von 1.797,00 EUR mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin am 26. September 2008 auf.

Eine Stationsärztin der Abteilung für Allgemein-, Unfall- und Handchirurgie des Marienhospitals H. begründete mit Schreiben vom 2. Oktober 2008 das Erfordernis der stationären Behandlung gegenüber der Beklagten, die mit Schreiben vom 22. Januar 2009 weitere Unterlagen zur Übersendung an den MDK anforderte und hieran am 3. März 2009 erinnerte. Das Marienhospital H. kam der Aufforderung nicht nach.

Mit der im März 2011 erhobenen Klage macht die Klägerin die Zahlung des aufgerechneten Betrages nebst Zinsen geltend.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige stellte fest, dass ab dem 26. Januar 2008 kein Erfordernis für eine stationäre Behandlung mehr bestanden habe. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 18. Juni 2012 und die ergänzende Stellungnahme vom 6. November 2012 verwiesen (Bl 85ff und 116ff der Gerichtsakte).

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte mit Einwendungen ausgeschlossen sei, da ihr nicht innerhalb der 6-Wochen-Frist nach § 275 Abs. 1c SGB V eine Prüfanzeige des MDK zugegangen sei, sondern lediglich eine von der Beklagten. Die Höhe der Forderung für die Behandlung der Versicherten bei einer Verweildauer von einem Tag gibt die Klägerin in der fiktiven Schlussrechnung vom 11. Februar 2013 mit 1.235,48 EUR an.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.797,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 25. Oktober 2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte erhebt Protest gegen eine etwaige Kostentragungslast. Aus der Entlassungsmitteilung gemäß § 301 SGB V sowie dem Entlassungs- und Operationsbericht seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich gewesen, dass ein stationärer Krankenhausaufenthalt der Versicherten notwendig gewesen sei. Nur diese Unterlagen hätten dem MDK bei der Prüfung des Behandlungsfalles vorgelegen. Die Klägerin habe trotz Aufforderung keine weiteren Unterlagen übersandt. Eine Prüfung des Behandlungsfalles, wie sie der Sachverständige durchgeführt habe, sei der Beklagten - durch den MDK - vorgerichtlich verwehrt gewesen. Sie habe mithin keinen Anlass zur Klage gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Patientenakte des Marienhospitals H. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen einem Krankenhausträger und einer Krankenkasse statthaft. Es bedurfte keines Vorverfahrens oder Einhaltung einer Klagefrist.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 1.235,48 EUR (1). Ein weitergehender Anspruch besteht nicht aufgrund eines von der Beklagten nicht ordnungsgemäß durchgeführten Prüfverfahrens nach § 275 Abs. 1c SGB V (2).

1. Der Anspruch der Klägerin in Höhe von 1.797,00 EUR aus einer unstreitigen Forderung der Klägerin ist durch die Aufrechnung der Beklagten lediglich in Höhe von 561,52 EUR gemäß § 69 Satz 4 SGB V i.V.m. § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erloschen. Die Beteiligten schuldeten in Höhe des Differenzbetrages von 1.235,48 EUR einander keine Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig im Sinne des § 387 BGB waren und die gefordert und bewirkt werden konnten.

Der Beklagten stand insoweit kein Rückzahlungsanspruch für die anlässlich der Behandlung der Versicherten geleistete Vergütung zu. Rechtsgrundlage des Rückzahlungsanspruchs ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind. Dabei gelten ähnliche Grundsätze wie im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 812 ff BGB).

Ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis liegt hier vor, denn die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus sind öffentlich-rechtlicher Natur, vgl. § 69 Satz 3 SGB V. Durch die Erfüllung der Forderung der Klägerin für die Behandlung der Versicherten in der Zeit vom 25. Januar 2008 bis zum 27. Januar 2008 leistete die Beklagte im Rahmen eines solchen Rechtsverhältnisses in Höhe von 1.235,48 EUR nicht ohne Rechtsgrund.

Anspruchsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m dem am 1. November 1992 in Kraft getretenen Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2, 4 und 5 SGB V zwischen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und den Landesverbänden der Krankenkassen (Niedersächsischer Landesvertrag). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser i.S des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, wenn die Versorgung i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich war.

Der Sachverständige hat nachvollziehbar die Erforderlichkeit der stationären Behandlung aufgrund des Gesundheitszustandes der Versicherten nach der Operation dargelegt. Die Beklagte hat keine Einwände gegen das Gutachten erhoben.

Der Höhe nach folgt der Anspruch aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und der Anlage 1 zu der Vereinbarung zu dem Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2008 (Fallpauschalenvereinbarung 2008 - FPV 2008) nach § 17b Abs. 1 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz - KHG). Mit den Entgelten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG werden alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen vergütet, § 7 Abs. 1 Satz 2 KHEntgG. Darüberhinausgehende Zuschläge regelt § 7 Abs. 1 Satz 3 KHEntgG.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen in den Nr. 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Einschlägig ist vorliegend die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG.

Der Fallpauschalenkatalog ist nach diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) geordnet.

Die Zuordnung des streitigen Behandlungsfalles erfolgt zu der DRG I18B, für die nach dem Fallpauschalen-Katalog bei einer Verweildauer von einem Tag ein Abschlag von der Fallpauschale vorzunehmen ist.

Zwar lag die Verweildauer im streitigen Behandlungsfall bei zwei Tagen. Ein Krankenhausträger kann jedoch die Vergütung auch im Fallpauschalensystem nur für die erforderliche Krankenhausbehandlung der Versicherten beanspruchen (Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Juni 2009, B 1 KR 24/08 R).

Ausgehend hiervon erbrachte das Marienhospital H. während der Zeit vom 25. Januar 2008 bis zum 27. Januar 2008 eine Krankenhausbehandlung, die lediglich bis zum 26. Januar 2008 erforderlich war.

Versicherte haben gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

Die stationäre Behandlung der Versicherten über den 26. Januar 2008 hinaus war nicht aus medizinischen Gründen erforderlich. Der Sachverständige hat hierzu zutreffend festgestellt, dass Aufzeichnungen am 26. Januar 2008 nach 10:45 Uhr über den weiteren Blutdruckverlauf im Verlauf des Tages sich nicht in den vorliegenden Unterlagen fänden, aus welchen hypothetisch ein stationärer Aufenthalt mit notwendiger Überwachung hervorgehe. Vermerke über eine ärztliche Visite am 26. Januar 2008 seien nicht ersichtlich. Aufzeichnungen hinsichtlich der postoperativen Mobilisation durch die krangengymnastische Abteilung am 26. Januar 2008 oder 27. Januar 2008, welche hypothetisch eine medizinische Begründung für das Verweilen am Wochenende unter stationären Bedingungen bedingen würden, lägen nicht vor. Besondere Schmerzmittel, welche über das Normalmaß hinausgingen oder kreislaufunterstützende Medikamente seien am 26. Januar 2008 nicht angeordnet worden.

2. Die Klägerin kann keinen weitergehenden Anspruch daraus ableiten, dass die Beklagte entgegen der Regelung in § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V die Prüfung gegenüber dem Marienhospital H. selbst angezeigt hat, obwohl die Prüfung vom MDK anzuzeigen ist. Denn dem Einwand der Klägerin steht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Der Rechtsgedanke des § 242 BGB wirkt auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkasse ein und es ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammenarbeiten und ihnen die gegenseitigen Interessestrukturen geläufig sind (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 8. September 2009 - B 1 KR 11/09 R - und vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 12/08 R -). Ausgehend hiervon sind keine Interessen des Krankenhauses berührt, wenn die Krankenkasse selbst die Prüfung anzeigt. Dagegen kann es für die Krankenkasse von Interesse sein, die Prüfung selbst anzuzeigen, um eventuellen Versäumnissen des MDK vorzubeugen, die sie sich zurechnen lassen müsste. Sind keine Interessen des Krankenhauses berührt, kann es sich nicht auf eine gesetzliche Regelung berufen, die das Prüfverfahren formell ausgestaltet und keinen darüber hinausgehenden materiellen Inhalt hat, der Rechte der Beteiligten begründet oder schützt.

Der Zinsanspruch folgt dem Grunde nach aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Der Höhe nach folgt der Anspruch aus § 13 Abs. 7 des Niedersächsischen Landesvertrages.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten waren die Kosten nicht der Klägerin in voller Höhe aufzuerlegen. Denn nach § 197a SGG i.V.m. § 156 VwGO fallen dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben hat und den Anspruch sofort anerkennt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben hat, denn sie hat den Anspruch der Klägerin, soweit er besteht, nicht sofort anerkannt. Die Beklagte hat Einsicht in die Patientenakte genommen und hieraus nicht den Schluss gezogen, dass die stationäre Behandlung zumindest für einen Tag erforderlich war und ein sofortiges Teilanerkenntnis abgegeben. Die Beklagte hat auch nicht das Sachverständigengutachten zum Anlass für ein sofortiges Teilanerkenntnis genutzt und damit Anlass für die Fortführung des Rechtsstreits gegeben. Die klägerische Behauptung, dass wenn das Marienhospital H. ihr vor Klageerhebung die angeforderten Unterlagen zur Verfügung gestellt hätte, sie die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen durch den MDK hätten vornehmen lassen können, vermag angesichts des prozessualen Verhaltens der Beklagten nicht zu überzeugen.

Die Berufung war für die Klägerin nicht zuzulassen, da kein Berufungszulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG vorliegt.

Der Streitwert wird auf 1.797,00 EUR festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 3 Abs. 1, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).