Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 25.02.2013, Az.: S 19 U 335/10

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
25.02.2013
Aktenzeichen
S 19 U 335/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64243
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu Voraussetzungen einer Tramalsucht im Sinne eines Abhängigkeitsyndroms nach der ICD-10

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 23. März 2008 und macht eine Verschlimmerung von Unfallfolgen geltend.

Der 1963 geborene Kläger erlitt am Unfalltag während seiner versicherten Tätigkeit als Schwimmmeister bei der H. im Rahmen einer Auseinandersetzung mit Badegästen eine Quetschung des linken Armes an einer Zwischentür. Die am 4. April 2008 durchgeführte kernspintomographische Untersuchung (MRT) des linken Ellenbogens zeigte eine entzündliche Nervus ulnaris Reaktion; es wurde der Verdacht auf eine Cubitaltunnelsyndrom geäußert.

In dem Durchgangsarztbericht vom 28. März 2008 berichtete Prof. Dr. I. über eine Schwellung sowie ein Taubheitsgefühl in den Fingern 4 und 5, einen ziehenden Schmerz vom Ellenbogen bis zu den Fingern bei regelrechter Beweglichkeit der Finger. Bei Bewegung des Handgelenkes war ein Schmerz im Bereich Unterarm provozierbar. Prof. Dr. I. diagnostizierte eine Kontusion der Unterarmmuskulatur mit Kontusion des Nervus ulnaris.

Am 23. April 2008 erfolgte eine operative Neurolyse und Dekompression des Nervus ulnaris. Am 8. Mai 2008 berichtete Prof. Dr. I., dass die Innervation des Nervurs ulnaris noch nicht zurückgekehrt sei. Die motorische Parese sei nur gering ausgeprägt. Voraussichtlich bestünde ab dem 19. Mai 2008 wieder Arbeitsfähigkeit.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12. Mai 2008 führte Dr. J. aus, dass das MRT vom 4. April 2008 für ein latentes entzündliches unfallunabhängiges Sulcus ulnaris-Syndrom links spreche, welches durch den Unfall vorübergehend verschlimmert worden sei. Eine direkte Traumatisierung erscheine unwahrscheinlich. Ggf. müsse das Ausmaß der Gewalteinwirkung abgeklärt werden.

Prof Dr. I. widersprach dieser Auffassung in seinem Bericht vom 21. Mai 2008. Es sei von einem kontusionellen Schaden auszugehen, überwiegend im sensiblen Bereich mit gering ausgeprägter motorischen Komponente, der Ausdruck einer sog. Neuropraxie, d.h. einer Schädigung des Nerven durch Dehnung oder Druck, sei. Eine Unterbrechung des Hüllgewebes sei nicht erfolgt. Mittelfristig sei von der Wiedererlangung der sensiblen Funktion des Nervus ulnaris auszugehen. Am 26. Februar 2009 berichtete er, dass keine Besserung der Symptomatik eingetreten sei. Die Neurologin Dr. K. führte in dem Bericht vom 27. Januar 2009 aus, dass klinisch und elektrophysiologisch unverändert eine sensible Schädigung des Nervus ulnaris bestünde. Differentialdiagnostisch sei ein beginnendes Sulcus-ulnaris-Syndron nicht auszuschließen.

Mit MRT des linken Ellenbogengelenkes vom 10. März 2009 konnte eine atrophe oder dysplastische Muskulatur ausgeschlossen werden. Es gelang auch kein sicherer Nachweis einer Kompression des Nervus ulnaris durch Fettbindegewebsstruktur.

Prof. Dr. I. beschrieb am 12. März 2009 ein positives Froment-Zeichen links sowie Dehnungsschmerzen im Bereich des Sulcus ulnaris links und empfahl eine Revision des Sulcus ulnaris. Daraufhin erfolgte am 3. April 2009 eine erneute Neurolyse und Dekompression. Am 27. April 2009 berichtete er über ein Taubheitsgefühl an der ellenseitigen Hohlhandhälfte sowie des 4. und 5. Fingers. Weiterhin sei davon auszugehen, dass keine Minderung der Erwerbsfähigkeit verbleibe.

In dem neurologischer Befundbericht vom 4. Juni 2009 berichtete Prof. Dr. L., dass der Kläger weiterhin über Schmerzen im Bereich des linken Ellenbogens klage. Der Kläger habe Vorerkrankungen bis auf Vormedikation mit Trevilor (Antidepressivum) aufgrund einer vor 6 Jahren eingetretenen psychosozialen Belastungssituation verneint. Es bestünde ein Erhalt der groben Kraft ohne muskuläre Atrophien, die Muskeleigenreflexe seien mittellebhaft auslösbar und das Hoffmann-Tinel-Zeichen links positiv. Er gelangte daher zu dem Ergebnis, dass ein vollständig regelhafter Befund reflexologisch und motorisch vorläge. Die Sensibilitätsstörungen seien am ehesten einer Läsion des Nervus cutaneus und des Nervus ulnaris entsprechend ohne Schädigung motorischer Fasern.

Im Auftrag der Beklagten erstattete am 27. Juni 2009 PD Dr. M. ein Erstes Rentengutachten. Er führte aus, dass der Kläger bei dem Unfall eine Kontusion des Nervus ulnaris und Nervus cutaneus antebrachii medialis in Höhe des linken Ellenbogengelenkes erlitten habe mit der Folge eines vollständigen Sensibilitätsausfalls im Versorgungsgebiet des Nervus cutaneus und Ausfall der sensiblen Fasern des Nervus ulnaris. Da kein Ausfall der motorischen Anteile vorläge, schlug er eine MdE von 10 vom Hundert (v.H.) vor.

Mit Bescheid vom 27. August 2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab und erkannte als Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. März 2008 eine eingeschränkte Gebrauchs- und Belastbarkeit des linken Armes, eine leichte Muskelminderung des linken Unterarmes, eine Kraftminderung der linken Hand, Narbenbildungen im Ellbogenbereich mit Sensibilitätsstörung sowie Beschwerden nach Quetschung des linken Armes mit Nervenschädigung an.

Im September beantragte der Kläger die Genehmigung einer stationären BGSW-Maßnahme unter Berücksichtigung schmerztherapeutischer Gesichtspunkte.

In dem fachorthopädischen Gutachten bestätigte Frau Dr. N. aufgrund der Untersuchung vom 5. Februar 2010 das Vorgutachten und führte aus, dass zwar eine aktive Streckung der Finger 4 und 5 möglich sei, in Ruhestellung würden dies jedoch in die Beugung zurückfallen. Sie empfahl eine ergotherapeutisches Behandlung.

Dr. O. führte in dem neurologischen Gutachten vom 6. April 2010 aus, dass der Kläger angegeben habe, seit zehn Jahren trockener Alkoholiker sei. Er habe 1 ½ Jahre an einer ambulanten Suchttherapie teilgenommen. Er nehme 1 bis 2 Tabletten Tramal täglich ein. Dr. O. diagnostizierte eine Schädigung des linken Nervus cutatneus antebrachii medialis und des Nervus ulnaris in Höhe des Ellenbogenabschnittes ohne Nachweis einer axionalen motorischen Schädigung. Es bestünde ferner eine leichte depressive Episode, aufgrund derer er eine psychosomatische stationäre Rehabilitation empfahl.

Vom 19. April 2010 bis 8. Mai 2010 erfolgte eine stationäre Rehabilitation in der Fachklinik St. P. in Q. zu Lasten der R.. In dem Entlassungsbericht vom 18. Mai 2010 wurde eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig, diagnostiziert und die Fortsetzung der Therapie mit Tramadol 50 mg aufgrund der weiterhin bestehenden starken Schmerzen im Versorgungsgebiet des Nervus ulnaris empfohlen.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 29. Juni 2010 führte der Neurologe und Psychiater Dr. S. aus, dass keine wesentlichen Unfallfolgen feststellbar seien. Die unfallbedingte Quetschung des proximalen Unterarmes begründe keine Schädigung des Nervus ulnaris im Ellenbogenbereich, zumal keine Verletzungsbefunde beschrieben worden seien. Eine Schädigung des Nervus cutaneus seien nicht als Primärschaden, sondern erstmals im Juni 2009 festgestellt worden. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der depressiven Erkrankung bestünde nicht. Vielmehr sei wohl die ehemalige Alkoholabhängigkeit Ursache.

Mit Bescheid vom 26. Juli 2010 lehnte die Beklagte weiterhin einen Anspruch auf Rente ab. Die schleichende Nervenschädigung am linken Unterarm durch die frühere Suchterkrankung sowie die depressive Verstimmungslage seien unfallunabhängig.

Im Widerspruchsverfahren verwies der Kläger auf ärztliche Bescheinigungen seines Hausarztes Dr. T. vom 29. Juli 2010 sowie des Allgemeinmediziner U. vom 4. August 2009, die ausführten, dass die unfallbedingte Schmerzsituation bei vorbestehender Suchtanamnese durch die Schmerzbehandlung eine eigenständige Abhängigkeit mit Entzugssymptomatik erzeugt habe. Die Gesamtsituation mit Verlust seines Berufes habe zu einer depressiven Erkrankung mit erheblichen körperlichen Symptomen geführt, so dass eine Erhöhung der antidepressiven Medikation erforderlich gewesen sei. Es bestünde eine posttraumatische Wahrnehmungsstörung im linken Arm mit subjektiv dauerhaft empfundenem Engegefühl im Oberarmbereich und Schmerzen im Verlauf des Unterarmes einerseits, sowie andererseits flächenhaftem Taubheitsgefühl, ferner auch ein besonderer Leidensdruck durch deutlich gestörte Motorik des 4. und 5. Fingers. Dr. V. berichtete, dass er Tramal ab 10. Juli 2009 rezeptiert habe.

Dr. S. schloss in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10. November 2010 weiterhin einen Kausalzusammenhang aus. Eine Tramalsucht sei im Übrigen nicht belegt; zudem wäre bei kunstfehlerhafter Langzeitbehandlung die primäre Suchtpersönlichkeit hauptsächliche Ursache der Abhängigkeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit der am 23. Dezember 2010 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte habe mit Bescheid vom 27. August 2009 einen Nervenschaden als Unfallfolge bindend anerkannt. Die Entwicklung der Tramalsucht sei mittelbare Unfallfolge. Er habe seine Tätigkeit als Bademeister wegen der massiven Schmerzen aufgeben müssen.

Vom 25. Juli 2011 bis 2. August 2011 ist eine stationäre Entzugsbehandlung in den W. -Kliniken mit medikamentöser Entgiftung erfolgt. Die Schmerztherapie ist anschließend auf suchtmedizinisch unkritische Präparate umgestellt worden.

Zum Nachweis seiner Tramalsucht und dessen Folgen hat der Kläger Bericht einen Bericht der Dr. X. – LWL-Klinik vorgelegt, der von einer gesicherten Diagnose einer sonstigen opiadbedingten psychischen und Verhaltensstörung (F11.6) ausgeht. Dr. K. berichtet am 3. Dezember 2012, dass der Kläger zwar inzwischen schmerztherapeutisch gut eingestellt sei, nach den anamnestischen Angaben jedoch ein weiter bestehendes Verlangen nach Tramal vorläge. Am 17. Januar 2013 hat sich der Kläger bei dem Neurologen Y. vorgestellt, der berichtet, dass eigenanamnestisch eine abstinente Alkohol- und Opiatabhängigkeit vorläge. Der Kläger habe über erhebliche narzistische Kränkungen berichtet. Vor dem Unfall habe wohl eine ungestörte Persönlichkeitsstruktur bestanden. Aktuell läge eine schwergradige depressive Episode mit Hinweisen auf psychotischen Symptomen vor.

Der Kläger beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2010 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 27. August 2008 eine Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 v.H. der Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt.

die Klage abzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf die Gründe ihrer Bescheide. Es sei nur die ulnare Schädigung als Unfallfolge anerkannt, nicht die depressive Stimmung.

Die Kammer hat ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. Z. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung am 9. Mai 2012 erstattet hat.

Der Kläger hat Einwände hiergegen erhoben und verweist auf eine Stellungnahme des Dipl.-Psychologen AA. vom 15. Juli 2012. Der Sachverständige hat auf die Einwände des Klägers sowie des Herrn AA. am 20. Juli 2012 eine schriftliche Stellungnahme abgegeben und schließlich sein Gutachten im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2013 mündlich erläutert. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Gutachten, die ergänzende Stellungnahme sowie die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch Zahlung einer Verletztenrente aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. März 2008.

Aufgrund der Folgen eines Versicherungsfalls haben Versicherte Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach den §§ 26 ff. Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII). Verletztenrente erhalten dabei gem. § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist.

Versicherungsfälle sind gem. § 7 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Unfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VI zeitlich von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), dass die Verrichtung zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper wirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und letzteres einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (Unfallkausalität). Bleibt das Ereignis im Rechtssinne folgenlos, so liegt schon kein Unfall vor (vgl. im Einzelnen Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 8 SGB VII Rdnr. 19 ff). Sind allerdings die Merkmale eines Arbeitsunfalls erfüllt, so sind unter den jeweiligen Voraussetzungen der einzelnen Leistungsfälle als Folgeschäden auch solche Unfallfolgen zu entschädigen, die ihrerseits wesentlich mitursächlich auf eingetretene Primärschäden zurückzuführen sind (vgl. Kasseler Kommentar, a.a.O., § 26 Rdnr. 3).

Um einen Versicherungsfall feststellen und dem Versicherten darüber hinaus gegebenenfalls bestimmte Leistungen zusprechen zu können, muss das Gericht die anspruchsbegründenden Umstände und Ereignisse aufgrund seiner freien Überzeugungsbildung als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zutreffend feststellen können. Die für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Beim vernünftigen Abwägen aller Umstände müssen die auf eine unfallbedingte Verursachung hinweisenden Faktoren so stark überwiegen, dass hierauf die Entscheidung gestützt werden kann; nicht ausreichend ist die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs (siehe hierzu nur BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – Az.: B 2 U 1/05 R mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris). Ebenso wenig reicht für die Annahme des Kausalzusammenhangs das bloße zeitnahe Auftreten von Gesundheitsstörungen nach einem Unfall auch dann nicht aus, wenn andere – konkurrierende – Ursachen als Erklärung für die Entstehung der Gesundheitsstörungen nicht erkennbar sind (BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 – Az.: B 2 U 26/04 R und B 2 U 40/05 R, jeweils zitiert nach juris). Als wesentliche Ursache oder Mitursache für einen Körperschaden kann vielmehr ein Arbeitsunfall nur dann anerkannt werden, wenn anhand der geltenden naturwissenschaftlichen Lehrmeinung im individuellen Einzelfall ein konkreter Wirkungsmechanismus nachvollzogen werden kann, über den der Arbeitsunfall den Körperschaden herbeigeführt hat, und wenn dabei aus naturwissenschaftlicher Sicht die Gründe, die für den Ablauf gerade dieser Ursachenkette sprechen, gegenüber den eventuell hiergegen sprechenden Gründen, die namentlich auch in möglichen konkurrierenden Ursachen liegen können, überwiegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Kommentar zur Gesetzlichen Unfallversicherung, § 8 SGB VII Rdnr. 10.1 m.w.N.; Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26. Mai 2009, Az.: L 9 U 167/05). Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung auch evtl. konkurrierenden Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes sowie der zeitliche Ablauf des Geschehens - wobei zu beachten ist, dass eine Ursache nicht deswegen wesentlich, weil sie die Letzte war - und weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte (BSG vom 9. Mai 2006, a.a.O., juris Rdnr. 16 m.w.N.). Die Kausalitätsbeurteilung hat weiter auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG vom 9. Mai 2006, a.a.O., juris Rdnr. 17 m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze kann nur festgestellt werden, dass der Arbeitsunfall vom 23. März 2008 zu einer Kontusion des linken Ellenbogengelenkes geführt hat, die folgenlos ausgeheilt ist und keine dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung in rentenberechtigendem Grad verursacht. Es kann nicht festgestellt werden, dass darüber hinaus dauerhafte Unfallfolgen verblieben sind. Insbesondere kann weder eine dauerhafte Schädigung des Nervus ulnaris mit eingeschränkter Beweglichkeit des 4. und 5. Fingers, noch eine Tramalsucht mit hieraus resultierender depressiven Symptomatik festgestellt und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 23. März 2008 zurückgeführt werden.

Die Kammer stützt sich bei der Beurteilung der Zusammenhangsfrage auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen Dr. Z. vom 9. Mai 2012, dessen ergänzende Stellungnahme vom 20. Juli 2012 sowie seine Erläuterungen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2013.

Ob die Beklagte zu Recht mit eine Nervenschädigung nach Quetschverletzung des linken Armes mit Bescheid vom 27. August 2009 als Unfallfolge anerkannt hat, musste die Kammer nicht entscheiden. Denn jedenfalls kann eine ab September 2009 (Zeitpunkt des Verschlimmerungsantrages) noch fortbestehende Schädigung des Nervus ulnaris mit deutlich gestörter Motorik des 4. und 5. Fingers nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden.

Die Kammer stützt sich auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. Z., wonach die bei dem Kläger inzwischen bestehende Beschwerdeproblematik sich nicht mit einer Schädigung des Nervus Ulnaris in Übereinstimmung bringen lässt.

Nach den Berichten des Prof Dr. I. hat bei dem Kläger zunächst eine sensible Störung in Form eines Taubheitsgefühls an der ellenseitigen Hohlhandhälfte sowie des 4. und 5. Fingers mit lediglich gering ausgeprägter motorischer Komponente vorgelegen. Auch PD Dr. M. hat in seinem Gutachten vom 27. Juni 2009 lediglich ein sensible Schädigung beschrieben und einen Ausfall der motorischen Anteile verneint. Erstmals Frau Dr. N. hat in dem fachorthopädischen Gutachten vom 5. Februar 2010 eine motorische Störung dahingehend beschrieben, dass zwar eine aktive Streckung der Finger 4 und 5 möglich sei, in Ruhestellung dies jedoch in die Beugung zurückfallen würden. Nunmehr besteht bei dem Kläger eine motorische Störung in Form von im Grundglied gebeugten Finger 4 und 5. Diese Schädigung ist nicht typisch für eine Schädigung des Nervus ulnaris, bei der es zu einer sogenannten Krallenhand kommt (vgl. hierzu die von dem Sachverständigen Dr. Z. im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kopien, ferner auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 236). Auch eine Schädigung des Nervus medianus, wodurch zwar eine motorische Schädigung in Form einer Schwurhand hervorgerufen werden kann, ist bei dem Kläger nicht nachzuweisen.

Die Beklagte hat daher zur Recht mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. Juli 2010 eine schleichende Nervenschädigung am linken Unterarm als Folge des Unfalls abgelehnt.

Zur Überzeugung der Kammer besteht bei dem Kläger auch keine Tramalsucht im Sinne eines Abhängigkeitsyndroms nach der ICD-10 (Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt).Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und ein hierauf gestützter Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente ist zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern, erforderlich (Urteil des BSG vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R). Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen muss diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist. Heranzuziehen sind z.B. die ICD-10.

Für die von dem Kläger geltend gemachte Tramalsucht fehlen bereits die für diese Diagnosestellung notwendigen Kriterien nach der ICD-10. Danach soll die Diagnose "Abhängigkeitssyndrom" nur dann gestellt werden, wenn bei einer betroffenen Person während des letzten Jahres mindestens drei oder mehr der folgenden Kriterien gleichzeitig vorhanden waren:

a) Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, ein Suchtmittel zu konsumieren
b) Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums des Suchtmittels.
c) Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums.
d) Nachweis einer Toleranz: Um die ursprünglich durch niedrigere Mengen des Suchtmittels erreichten Wirkungen hervorzurufen, sind zunehmend höhere Mengen erforderlich.
e) Fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen und Vergnügen zugunsten des Suchtmittelkonsums und/oder erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.
f) Anhaltender Substanzgebrauch trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (körperlicher, psychischer oder sozialer Art).

Im Falle des Klägers ist zwar das Kriterium des körperlichen Entzugssyndroms bei Beendigung oder Reduktion des Konsums erfüllt, die weiteren Kriterien liegen jedoch zur Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung der schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. Z. nicht vor.

Gegen das Vorliegen des Kriteriums a) spricht, dass der Kläger das Medikament in der Regel abhängig vom Tagesrhythmus und der Vorgaben des Arztes eingenommen hat – es sei denn, er hat die Einnahme vergessen. Zwar hat der Kläger angegeben, dann Entzugssymptome bemerkt zu haben. Aus dem Umstand, dass der Kläger die Einnahme des Medikaments jedoch überhaupt vergessen konnte, ist zu schließen, dass der Kläger nicht immer an das Medikament und dessen notwendige Einnahme – zur Vermeidung von Entzugssymptomen oder zur Befriedigung eines Suchtgefühls - gedacht hat. Seine Gedanken waren daher nicht von einem inneren Zwang gesteuert gewesen, die Einnahme des Medikaments regelmäßig zu nehmen und nicht zu vergessen. Soweit Herr AB. in seinem Bericht vom 15. Juli 2012 zur Bejahung dieses Kriteriums auf das Entzugssymptom abstellt, vermischt er die beiden Kriterien a) und c). Der Umstand, dass die Nichteinnahme Entzugssymptome ausgelöst hat, ist nicht Merkmal des Kriteriums a).

Auch das Kriterium b) liegt zur Überzeugung der Kammer nicht vor, da keine Differenz zwischen der Absicht und dem tatsächlichen Handeln bestanden hat. Vielmehr hat der Kläger sich bei der Einnahme stets an die verordnete Dosis (Einnahmemenge und Einnahmedauer) gehalten und diese nicht gesteigert. Das körperliche Entzugssyndrom ist auch bei diesem Kriterium nicht das wesentliche Kriterium.

Doch selbst wenn das Kriterium b) zugunsten des Klägers zu bejahen wäre, lägen nicht zumindest drei der Kriterien vor. Denn bezüglich der weiteren Kriterien d), e) und f) hat der Kläger sowohl gegenüber dem Sachverständigen Dr. Z. und auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt, weder eine unkontrollierte Mengenerhöhung stattgefunden hat, noch hat er seine anderen Interessen und Vergnügungen vernachlässigt. Als der Kläger die Entzugssymptome bemerkt hat, hat er sich in die Entzugsbehandlung begeben, so dass auch der anhaltende Substanzgebrauch trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen zu verneinen ist.

Schließlich ist die Diagnose Tramalsucht auch aufgrund der Ausschlussklausel zu verneinen, die für chirurgische Patienten gilt, die die verordneten Medikamente ordnungsgemäß einnehmen.

Im Übrigen wäre auch der Kausalzusammenhang zwischen einer gegebenenfalls nachgewiesenen Tramalsucht und der nunmehr bestehenden Depression im Sinne der hinreichenden Wahrscheinlichkeit aufgrund des bei dem Kläger bestehenden Vorschadens bzw. der Krankheitsanlage zu verneinen. Denn bei dem Kläger hat bis 2000 eine Alkoholabhängigkeit bestanden. Ferner war er bereits im Jahr 2007 bei Frau Dr. AC. wegen des Verdachts einer Persönlichkeitsstörung und Behandlung einer Depression aufgrund Mobbings in Behandlung.

Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.