Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 04.04.2013, Az.: S 13 KR 464/12
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 04.04.2013
- Aktenzeichen
- S 13 KR 464/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 64242
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 2 S 1 KHEntgG
- § 2 Abs 2 S 2 Nr 2 KHEntgG
- § 8 Abs 1 S 3 KHEntgG
- § 109 Abs 1 S 2 SGB 5
- § 109 Abs 4 S 2 SGB 5
- § 109 Abs 4 S 3 SGB 5
- § 112 Abs 2 SGB 5
- § 275 Abs 1c SGB 5
- § 39 Abs 1 S 2 SGB 5
- § 69 S 3 SGB 5
- § 69 S 4 SGB 5
- § 76 Abs 1 S 2 SGB 5
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine Stroke Unit, in der die Behandlung von Schlaganfallpatienten erfolgt, zählt zu dem Bereich der Neurologie.
2. § 275 Abs. 1c SGB V bezieht sich auf Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB V. Wird eine Krankenhausbehandlung außerhalb des Versorgungsauftrages eines Krankenhauses erbracht, ist der Anwendungsbereich des § 275 Abs. 1c SGB V nur eröffnet, wenn es sich um eine Notfallbehandlung handelte.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung im Streit.
Am 28. Juni 2010 verordnete ein Arzt des Medizinischen Versorgungszentrums Dr. G. / Dr. H. dem bei der Beklagten krankenversicherten I. (Versicherter) Krankenhausbehandlung, der an einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) mit passagerer Sprachstörung und Dysdiadochokinese der linken Hand sowie passageren Schwindel und Sehstörung litt.
Das J. K. in L., deren Trägerin die Klägerin ist, nahm den Versicherten am selben Tag zur stationären Behandlung in der M. auf und entließ ihn nach der Behandlung am 14. Juli 2010.
Das N. in L. war im Jahr 2010 im niedersächsischen Krankenhausplan nicht für den Bereich Neurologie aufgenommen. Für diesen Bereich war in L. die O. -P. aufgenommen, die über eine neurologische Akutabteilung verfügt, in der Schlaganfallpatienten behandelt werden konnten.
Die Klägerin forderte für die Behandlung des Versicherten mit Rechnung vom 16. Juli 2010 unter Abrechnung der Fallpauschale B69C (TIA und extrakranielle Gefäßverschlüsse mit neurologischer Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, bis 72 Stunden, ohne äuß. schw. CC oder mit anderer neurologischer Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls oder mit äuß. schw. CC) 4.203,51 €. Sie kodierte unter anderem den OPS-Kode 8-98b.0 (andere neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls mindestens 24 bis höchstens 72 Stunden). Die Beklagte lehnte die Erfüllung der Forderung mit der Begründung, dass der OPS-Kode 8-98b.0 nicht abrechenbar sei, ab.
Mit der im Jahr 2011 erhobenen Klage macht die Klägerin diesen Betrag nebst Zinsen geltend.
Die Klägerin trägt vor, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Rechnung innerhalb von 14 Tagen nach Rechnungsdatum zu bezahlen. Beanstandungen rechnerisch-sachlicher Art könnten nach Bezahlung der Rechnung geltend gemacht werden. Die Beklagte sei jedoch mit Einwendungen ausgeschlossen, weil sie nicht den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Überprüfung der Rechnung vom 16. Juli 2010 beauftragt habe. Unabhängig hiervon erfordere die Durchführung einer neurologischen Komplexbehandlung in der Form, wie sie das N. im streitigen Behandlungsfall erbrachte habe, keine Ausweisung von Betten für die Neurologie im Krankenhausplan. Die Behandlung hätte auch auf der Abteilung der Inneren Medizin durchgeführt werden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr für die stationäre Behandlung des Patienten I. (Aufnahmenummer: ...; Versichertennummer: ...) 4.203,51 € nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 1. August 2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, für den gemeldeten OPS-Kode 8-98b.0 habe das N. keinen Versorgungsauftrag gehabt. Es verfüge weder über eine neurologische Fachabteilung noch liege eine Genehmigung des zuständigen Landesministeriums vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Patientenakte des Q. L. Bezug genommen. Die Beteiligten erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen einem Krankenhausträger und einer Krankenkasse statthaft. Es bedurfte keines Vorverfahrens oder Einhaltung einer Klagefrist.
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg, weil die Klägerin die Behandlung des Versicherten außerhalb ihres Versorgungsauftrages erbrachte (1) und auch keine Notfallbehandlung vorlag (2). Deshalb stand der Klägerin weder ein Anspruch auf unverzügliche Zahlung aufgrund landesvertraglicher Regelungen zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2, 4 und 5 SGB V zu (3) noch war die Beklagte mit Einwendungen ausgeschlossen (4).
1.
Der Vergütungsanspruch für den streitigen Behandlungsfall steht der Klägerin nicht nach § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m dem am 1. November 1992 in Kraft getretenen Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2, 4 und 5 SGB V zwischen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und den Landesverbänden der Krankenkassen (Niedersächsischer Landesvertrag) zu. Die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser i.S des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, wenn die Versorgung i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich war und im Rahmen des Versorgungsauftrages zur Krankenhausbehandlung erfolgte. Bei den Plankrankenhäusern gilt die Aufnahme in den Krankenhausbedarfsplan gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2, 2. Alternative SGB V als Abschluss des Versorgungsvertrages.
Die Klägerin hat eine Leistung außerhalb ihres Versorgungsauftrages erbracht, weil es sich um eine dem Bereich der Neurologie zuzurechnende Behandlung handelte. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei der durchgeführten neurologischen Komplexbehandlung des Schlaganfalls nicht um eine der Inneren Medizin zuzuordnende.
Maßgeblich für die Bestimmung, ob eine stationäre Behandlung im Land Niedersachen vom Versorgungsauftrag eines Krankenhauses gedeckt ist, ist die Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen in der zum Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Fassung.
Nach der für das Jahr 2009 geltenden Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen vom 27. November 2004 umfasst das Gebiet der Inneren Medizin und Allgemeinmedizin die Vorbeugung, (Früh-) Erkennung, konservative und interventionelle Behandlung sowie Rehabilitation und Nachsorge der Gesundheitsstörungen und Erkrankungen der Atmungsorgane, des Herzens und Kreislaufs, der Verdauungsorgane, der Nieren und ableitenden Harnwege, des Blutes und der blutbildenden Organe, des Gefäßsystems, des Stoffwechsels und der inneren Sekretion, des Immunsystems, des Stütz- und Bindegewebes, der Infektionskrankheiten und Vergiftungen sowie der soliden Tumore und der hämatologischen Neoplasien. Das Gebiet umfasst auch die Gesundheitsförderung und die hausärztliche Betreuung unter Berücksichtigung der somatischen, psychischen und sozialen Wechselwirkungen und die interdisziplinäre Koordination der an der gesundheitlichen Betreuung beteiligten Personen und Institutionen.
Das Gebiet Neurologie umfasst die Vorbeugung, Erkennung, konservative Behandlung und Rehabilitation der Erkrankungen des zentralen, peripheren und vegetativen Nervensystems einschließlich der Muskulatur.
Die Behandlung von Patienten mit einer TIA fällt demnach in das Gebiet der Neurologie, weil sie eine Erkrankung des Nervensystems betrifft. Eine M., in der die Behandlung von Schlaganfallpatienten erfolgt, zählt zu dem Bereich der Neurologie (vgl. Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 25. Januar 2011, 11 L 2984/00). Wenn im Krankenhausplan keine gesonderten Betten für eine M. ausgewiesen sind, sind sie von den Betten für den Bereich Neurologie mit umfasst (vgl. zu Schwerpunktausweisungen in einem Krankenhausplan Beschluss des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. Januar 2013, 13 A 1196/12).
2.
Der Anspruch der Klägerin folgt auch nicht aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 3, 2 Halbsatz des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz - KHEntgG). Danach dürfen Entgelte für die Behandlung von Notfallpatienten auch außerhalb des Rahmens des Versorgungsauftrages berechnet werden.
Ein Notfall im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 3, 2 Halbsatz KHEntgG ist gleichbedeutend mit dem Notfallbegriff des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Danach liegt ein Notfall nur vor, wenn aus medizinischen Gründen eine umgehende Behandlung des Patienten so dringlich ist, dass ein zugelassener Leistungserbringer nicht in der gebotenen Eile herbeigerufen oder aufgesucht werden kann (Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Juli 1963, 3 RK 92/59; Beschluss des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 114/06 B). Eine dringende Behandlungsbedürftigkeit ist anzunehmen, wenn ohne sofortige Behandlung Gefahr für Leib und Leben bestehen oder Schmerzen unzumutbar lange andauern würden. Keine Notfallbehandlung liegt vor, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten es zulässt, dass er einen zugelassenen Leistungserbringer aufsuchen kann und eine Behandlungsbedürftigkeit wegen eines Notfalls endet, wenn der Versicherte zu einem zugelassenen Leistungserbringer verlegt werden kann (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Juli 2006, B 1 KR 9/05 R; Urteil vom 28. Juli 2008, B 1 KR 5/08 R).
Ausgehend von diesen Grundsätzen lag im Falle des Versicherten kein Notfall vor. Er hätte am 28. Juni 2010 die O. -Klinik in L., ein für den Bereich der Neurologie zugelassenes Krankenhaus mit einer Akutabteilung für Neurologie, aufsuchen können.
3.
Da die Klägerin eine Leistung außerhalb ihres Versorgungsauftrags erbracht hat und keine Notfallsituation vorlag, findet der Niedersächsische Landesvertrag, insbesondere § 13 Abs. 6, keine Anwendung. Der Regelungsgehalt des Landesvertrages erstreckt sich auf Behandlungen nach dem SGB V, also solchen, die im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses oder als Notfallbehandlung im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 3, 2 Halbsatz KHEntgG erfolgen. Beides ist hier nicht der Fall.
Unabhängig hiervon steht der Klägerin kein Anspruch aufgrund der landesvertraglichen Regelung über die Zahlungsfrist innerhalb von 14 Tagen zu, weil die Beklagte konkrete und substantiierte Einwände gegen die Abrechnung erhoben hat (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 22. Juli 2004, B 3 KR 20/03 R; vom 28 September 2006, B 3 KR 23/05 R; vom 20. November 2008, B 3 KN 4/08 KR R; vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 3/08 KR R; vom 16. Mai 2012; andere Auffassung Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Februar 2012, L 5 KR 344/11).
4.
Die Beklagte ist auch nicht mit Einwendungen ausgeschlossen. § 275 Abs. 1c SGB V findet keine Anwendung. § 275 Abs. 1c SGB V bezieht sich auf Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB V. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus. Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall notwendig sind. Wird ein gesetzlich versicherter Patient als Notfall in ein nicht zugelassenes Krankenhaus aufgenommen, so wird dieses für die Dauer der Notfallbehandlung in das öffentlich-rechtlich geprägte Sachleistungssystem der Krankenversicherung einbezogen und erbringt seine Leistungen nach denselben Grundsätzen, die für zugelassene Krankenhäuser gelten. Der Vergütungsanspruch richtet sich nicht gegen den Versicherten, sondern allein gegen die Krankenkasse. Wird eine Krankenhausbehandlung außerhalb des Versorgungsauftrages erbracht, ist der Anwendungsbereich des § 275 Abs. 1c SGB V demnach nur eröffnet, wenn es sich um eine Notfallbehandlung handelte, was hier nicht der Fall war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).