Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 21.12.2006, Az.: 1 B 8861/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 21.12.2006
- Aktenzeichen
- 1 B 8861/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 44499
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2006:1221.1B8861.06.0A
Fundstelle
- NdsVBl 2007, 174
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Ratssitzung - Vertagung bzw. Absetzung eines Tagesordnungspunktes - Antrag nach § 123 VwGO -
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 1. Kammer - am 21. Dezember 2006 gemäß § 123 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 80 Abs. 8 VwGO durch den Vorsitzenden beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag wird abgelehnt.
- 2.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
- 3.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller, Mitglieder der B...-Fraktion im Rat der Stadt S..., begehren durch Erlass einer einstweiligen Anordnung die Aufhebung einer für heute um 19.00 Uhr einberufenen außerordentlichen, nichtöffentlichen Sitzung des Rates, hilfsweise die Absetzung des Tagesordnungspunktes 2. "Bau eines Freizeit- und Wellnessbades - Kündigung des Pachtvertrages zum 31.01.2007".
Sie rügen mit der Antragsschrift vom 19.12.2006 im Einzelnen, auf die insoweit Bezug genommen wird, wegen einer unzulässigen Abkürzung der Ladungsfrist und der urlaubsbedingten Verhinderung des Antragstellers zu 3. sowie weiterer Ratsmitglieder die fehlerhafte Einberufung des Rates.
Sie beantragen wörtlich,
1. Die außerordentliche nichtöffentliche Sitzung des Rates der Stadt S... am 21.12.2006 wird aufgehoben und findet nicht statt.
2. Hilfsweise: Der Tagesordnungspunkt 2 dieser Sitzung vom 21.12.2006: Bau eines Freizeit- und Wellnessbades findet nicht statt.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Er hält die Einwände der Antragsteller für nicht begründet. Wegen der Einzelheiten wird auf die heutige umfangreiche Antragserwiderung verwiesen.
II.
Die Antragsteller bleiben mit ihrem zulässigen (1.) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Maßgabe von § 123 Abs. 3 i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO ohne Erfolg. Sie haben, was keiner weiteren Erörterung bedarf, wegen der für heute 19.00 Uhr einberufenen Sitzung des Rates zwar einen Anordnungsgrund, aber keinen Anordnungsanspruch, d.h. keinen materiell-rechtlichen Rechtsanspruch auf Aufhebung der heutigen Sitzung des Rates bzw. Absetzung des Tagesordnungspunktes 2. glaubhaft machen können (2.).
1. Der Antrag ist zulässig. Die Antragsteller sind i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Sie rügen, der Antragsgegner habe mit der Einladung vom 18.12.2006 zur heutigen außerordentlichen, nichtöffentlichen Ratssitzung mit der Abkürzung der Ladungsfrist auf 3 Tage unter Verstoß gegen § 41 Abs. 1 Satz 3 NGO i.V.m § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Rates vom 02.11.2006 (GO) den Rat nicht ordnungsgemäß einberufen. Sie machen insoweit einen wesentlichen Verfahrensfehler geltend, der sie, träfe er zu, in ihren individuellen schutzwürdigen Rechten als Mitglieder des Rates verletzt. Ihre Antragsbefugnis ist demzufolge gegeben (vgl. Urteil des Gerichts vom 07.03.1991 - 9 A 236/89, auszugsweise zitiert in dem Urteil vom 07.03.1991 - 9 A 177/88 - sowie aus der Rechtsprechung des VGH Bad.-Württ.: Beschluss vom 22.02.1990 - 8 S 136/88, VBlBW 1990, S. 457; Urteil vom 25.03.1999 - 1 S 2059/98, VBlBW 1999, S. 304; Urteil vom 24.06.2002 - 1 S 896/00, VBlBW 2003, S. 119 = NVwZ-RR 2003, S. 56 ).
Die Antragsteller haben, darauf weist der Antragsgegner in der heutigen Antragserwiderung zu Recht hin, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Stadt S... als Gemeinde und damit gegen den "falschen" Antragsgegner gerichtet. Adressat der Verpflichtung aus § 41 Abs. 1 NGO ist jedoch der Bürgermeister, in diesem Rechtsstreit also passivlegitimiert (vgl. VGH.-Württ., Urteil vom 25.03.1999, a.a.O.). Zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes hat das Gericht das Passivrubrum von Amts wegen entsprechend geändert.
2. Der Antrag ist wegen eines fehlenden Anordnungsanspruchs der Antragsteller unbegründet.
Sie können aus der NGO und der Geschäftsordnung des Rates der Stadt S... keinen "vorbeugenden" Rechtsanspruch auf die Aufhebung einer Ratssitzung bzw. die Absetzung eines bestimmten Tagesordnungspunktes wegen der behaupteten fehlerhaften Einberufung des Rates und der urlaubsbedingten Verhinderung des Antragstellers zu 3., an der heutigen Ratssitzung teilzunehmen, herleiten. § 39a NGO beschränkt sie auf das Recht, im Rat und in den Ausschüssen Anträge zu stellen. § 41 Abs. 2 und 3 NGO räumt ihnen die Möglichkeit ein, mit der jeweils erforderlichen Mehrheit die unverzügliche Einberufung des Rates bzw. die Erweiterung der Tagesordnung zu Beginn der Sitzung verlangen zu können. Wegen dieser eindeutigen Regelungen kommt ein Umkehrschluss, vorher die Aufhebung einer Ratssitzung oder die Absetzung eines bestimmten Tagesordnungspunktes durchsetzen zu können, nicht in Betracht. Ebenso wenig begründen die Regelungen in § 46 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und Abs. 3 NGO einen Rechtanspruch des Antragstellers zu 3. auf Vertagung der heutigen Ratssitzung wegen seiner urlaubsbedingten Verhinderung (vgl. VG Aachen, Beschluss vom 19.10.2004 - 4 L 974/04, jurisweb).
Trotz dieser Beschränkungen bleiben die Rechte der Antragsteller als Mitglieder des Rates der Stadt S... an der Beachtung der Vorschriften über eine ordnungsgemäße Einberufung des Rates gewahrt. Die Antragsteller zu 1. und 2. können gemäß § 6 Abs. 1a und Abs. 2 GO in der heutigen Sitzung des Rates wegen der behaupteten fehlerhaften Einberufung eine Vertagung der Sitzung bzw. eine Absetzung des Tagesordnungspunktes zu 2. beantragen und, sofern gleichwohl eine Beschlussfassung über den Tagesordnungspunkt 2. erfolgt und sie sich nicht an der Aussprache und Abstimmung beteiligen, anschließend die Rechtswidrigkeit des Beschlusses gerichtlich feststellen zu lassen. Denn ein in einer nicht ordnungsgemäß einberufenen Sitzung von dem Rat gefasster Beschluss ist wegen des Einberufungsmangels rechtswidrig und kann die Rechte eines Ratsmitglieds verletzen (vgl. die drei zitierten Entscheidungen des VGH Baden-Württemberg).
Dem Antragsteller zu 3., der an der heutigen Ratssitzung urlaubsbedingt nicht teilnehmen kann, bleibt die Möglichkeit der Inanspruchnahme nachrangigen Rechtschutzes, in dem er ggfs. später Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Beschlussfassung zu dem Tagesordnungspunkt 2. erhebt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 52 Abs. 2 GKG. Nach Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 7/2004, NVwZ 2004, S. 1327, dem die Kammer folgt (vgl. Beschluss vom 31.10.2006 - 1 A 7800/06 und 1 B 7801/06), beträgt der Streitwert in einem Kommunalverfassungsstreitverfahren im Regelfall 10.000,00 €. Unter Berücksichtigung der von den Antragstellern der streitigen Einladung zur heutigen Ratssitzung beigemessenen Bedeutung ist er auch hier in dieser Höhe festzusetzen.