Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.12.2006, Az.: 6 A 6020/06

Berücksichtigung; Billigkeit; Erhöhung; Erlass; Gebühr; Gremientätigkeit; Gremium; Guthaben; Härte; Langzeitstudiengebühr; Student; Studiengebühr; Studienguthaben; Studium; Tätigkeit; Vertrauensschutz; Übergangsregelung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
14.12.2006
Aktenzeichen
6 A 6020/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53358
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Es ist verfassungsrechtlich bedenklich, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des NHG die in § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F. vorgesehene Erhöhung des Studienguthabens bei Gremientätigkeiten um bis zu 2 Semester nicht erkennbar berücksichtigt hat und keine an das bereits erworbene individuelle Studienguthaben der betroffenen Studierenden anknüpfende Übergangsregelung geschaffen hat.

2. Diesen verfassungsrechtlichen Bedenken kann im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs durch Anwendung der Erlassvorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG i. d. F.des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 Rechnung getragen werden.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem sie für das Wintersemester 2006/2007 zur Zahlung einer Langzeitstudiengebühr herangezogen worden ist.

2

Die im Oktober 1979 geborene Klägerin studierte vom Sommersemester 2000 bis zum Wintersemester 2001/2002 an der Universität F. zunächst Ethnologie und dann Neuere Deutsche Literatur im Hauptfach. Seit dem Sommersemester 2002 studiert sie an der beklagten Universität Germanistik im Hauptfach sowie Soziologie und Religionswissenschaften im Nebenfach mit dem angestrebten Abschluss Magister. Die Regelstudienzeit für diesen Studiengang beträgt nach § 3 Abs. 1 der Magisterprüfungsordnung der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften (jetzt: Philosophische Fakultät) vom 24.09. 1997 (Nds. MBl. 1997, 1391) 9 Semester. Die Klägerin wurde für die Zeit vom 01. 04.2005 - 31.03.2006 (Schreiben des Wahlamtes vom 14.03. 2005) und anschließend für die Zeit vom 01.04.2006 - 31.03.2007 (Schreiben des Wahlamtes vom 09.02.2006) als Vertreterin in den Fakultätsfachschaftsrat der Philosophischen Fakultät der Beklagten gewählt. Außerdem ist sie seit dem Sommersemester 2005 Mitglied der Studienkommission der Philosophischen Fakultät.

3

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 18.08.2006 für das Wintersemester 2006/2007, dem 14. Hochschulsemester der Klägerin, eine Langzeitstudiengebühr von 600 Euro fest und forderte die Klägerin zur Zahlung auf.

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Die Klägerin hat dagegen am 31.08.2006 Klage erhoben. Mit Schreiben vom 01.09.2006 - bei der Beklagten eingegangen am 05.09.2006 - hat sie den Erlass der Langzeitstudiengebühr beantragt und dazu geltend gemacht, ihr Studienguthaben habe sich nach den Vorschriften des Niedersächsischen Hochschulgesetzes - NHG - vom 24.06.2002 wegen ihrer Gremientätigkeit um 2 Semester verlängert. Die Beklagte hat den Erlassantrag mit Bescheid vom 07.09.2006 abgelehnt und dazu ausgeführt, die Tätigkeit im Fakultätsfachschaftsrat begründe keine unbillige Härte, die der Entrichtung einer Langzeitstudiengebühr entgegen stehe. Die Auslegung dieses Rechtsbegriffs müsse sich an den im Gesetz ausdrücklich genannten Regelbeispielen ausrichten (studienzeitverlängernde Auswirkungen einer Behinderung bzw. schweren Erkrankung oder Folgen als Opfer einer Straftat). Danach rechtfertige eine Studienzeitverlängerung wegen der Tätigkeit im Fakultätsfachschaftsrat nicht dem Erlass der Langzeitstudiengebühr. Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid bislang keine Klage erhoben und ihn auch nicht in das bereits anhängige Klageverfahren einbezogen.

5

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Klage vor: Nach den Vorschriften des NHG vom 24.06.2002 habe sich ihr Studienguthaben um 2 Semester auf insgesamt 15 Semester erhöht, weil sie zum 01.04.2005 als Vertreterin in den Fakultätsfachschaftsrat und damit in ein Organ der Hochschule gewählt worden sei und in diesem Organ mindestens 2 Semester mitgewirkt habe. Im Wintersemester 2006/2007 habe sie sich erst im 14. Fachsemester befunden und hätte deshalb nach den Vorschriften des NHG vom 24.06. 2002 keine Studiengebühr zahlen müssen. Sie habe sich für die Gremientätigkeit im Vertrauen auf ein zusätzliches Studienguthaben zur Verfügung gestellt. Diese Rechtsposition habe der Gesetzgeber dadurch nachträglich entwertet, dass in den durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 vom 15.12. 2005 geänderten und hinsichtlich der Studiengebühren zum Wintersemester 2006/2007 in Kraft getretenen Vorschriften des NHG eine Tätigkeit in Organen der Hochschule nicht mehr berücksichtigt werde. Sie habe diese Änderung der Rechtslage jedenfalls bei ihrer Kandidatur für den Fakultätsfachschaftsrat im Wintersemester 2004/ 2005 (Amtszeit 01.04.2005 - 31.03.2006) nicht voraussehen können, so dass sie damals schutzwürdig auf den Fortbestand der geltenden Rechtslage habe vertrauen dürfen. Der Gesetzgeber habe deshalb mit der Änderung des NHG ihr verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen verletzt und auch nicht erkennbar beachtet, dass nach dem Hochschulrahmengesetz des Bundes Hochschulmitglieder wegen ihrer Tätigkeit in der Selbstverwaltung nicht benachteiligt werden dürften.

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Die Klägerin beantragt,

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den Gebührenbescheid der Beklagten vom 18. August 2006 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert: Die Neufassung des NHG lasse bei der Erhebung der Studienbeiträge und -gebühren eine Berücksichtigung von Gremientätigkeiten der Studierenden in Organen der Hochschule nicht mehr zu. Diese Änderung des Gesetzes sei nicht zu beanstanden. Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, sei verfassungsrechtlich nicht geschützt. Die Klägerin habe deshalb auf ein unverändertes Fortbestehen der alten Regelung hinsichtlich der Erhöhung des Studienguthabens bei Gremientätigkeiten nicht vertrauen können. Sie habe jedenfalls bei der Wahl zum Mitglied des Fakultätsfachschaftsrates im Wintersemester 2005/2006 wissen müssen, dass gerade hinsichtlich der Studienbeiträge und der Langzeitstudiengebühr weitreichende Änderungen des NHG geplant seien.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der angefochtene Gebührenbescheid der Beklagten vom 18.08.2006 ist durch § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NHG in der Fassung des Art. 6 des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 vom 15.12.2005 (Nds. GVBl. S. 426) gedeckt.

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Nach dieser Vorschrift erheben die Hochschulen in staatlicher Verantwortung für das Land von den Studierenden wegen der erhöhten Inanspruchnahme der staatlich finanzierten Hochschulinfrastruktur für jedes Semester eine Langzeitstudiengebühr in Höhe von 600 Euro ab dem folgenden ersten Semester, wenn ein Studienbeitrag nach Ablauf des in § 11 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 NHG festgelegten Zeitraumes nicht mehr zu entrichten ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im vorliegenden Fall erfüllt.

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Ein Studienbeitrag wird nach § 11 Abs. 1 Satz 2 NHG für die Dauer der Regelstudienzeit zuzüglich vier weiterer Semester in Höhe von 500 Euro je Semester erhoben. Dieser Zeitraum verlängert sich in den Fällen der Betreuung eines unter 14 Jahre alten Kindes oder der Pflege eines nahen Angehörigen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 NHG). Der in § 11 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 NHG festgelegte Zeitraum ist hinsichtlich des Studiums der Klägerin im Sommersemester 2006 abgelaufen, weil sie sich in diesem Semester im 13. Fachsemester befunden hat. Die Regelstudienzeit beträgt für den von ihr gewählten Magisterstudiengang Germanistik 9 Semester (§ 3 Abs. 1 Magisterprüfungsordnung vom 24.09.1997 - Nds. MBl. 1997, 1391 - sowie § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 NHG). Zuzüglich vier weiterer Semester beläuft sich die studienbeitragspflichtige Zeit auf 13 Semester. Dass sich dieser Zeitraum nach § 11 Abs. 2 Satz 3 NHG verlängert hat, ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Die Klägerin macht auch nicht geltend, dass einer der Befreiungstatbestände des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 - 7 NHG bei ihr vorliegt, die nach § 13 Abs. 1 Satz 3 NHG auch zur Befreiung von der Langzeitstudiengebühr führen. Nach ihren eigenen Angaben im Anhörungsbogen vom 01.09.2006 ist sie bislang auch nicht beurlaubt gewesen, so dass sich die Frage der Anrechnung von Urlaubssemestern aus der Zeit vor Erlass der durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 neugefassten Vorschriften des NHG hier nicht stellt. Die Tätigkeit einer oder eines Studierenden als gewählte Vertreterin oder gewählter Vertreter in einem Organ der Hochschule wirkt sich im Gegensatz zu § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG vom 24.06.2002 (Nds. GVBl. S. 286) - NHG a.F. - bei der Erhebung der Langzeitstudiengebühr nicht aus, weil dieser Umstand weder die studienbeitragspflichtige Zeit (früher: Studienguthaben) erhöht noch gesondert beim Ansatz der Langzeitstudiengebühr Berücksichtigung findet. Auch in der Übergangsvorschrift des § 72 Abs. 12 NHG in der Fassung des Gesetzes vom 23.02.2006 (Nds. GVBl. S. 72) wird nicht berücksichtigt, dass nach dem NHG a.F. die Mitwirkung als gewählter Vertreter oder Vertreterin in Organen der Hochschule, der Studierendenschaft oder Studentenwerke das Studienguthaben erhöht hat und deshalb die Pflicht zur Zahlung von Langzeitstudiengebühren um bis zu 2 Semester später entstanden ist als bei Studierenden, die nicht in diesen Organen mitgewirkt haben. Nach § 72 Abs. 12 Satz 1 NHG sind Studienbeiträge nach § 11 NHG und Studiengebühren nach § 13 NHG in der Fassung des Gesetzes vom 15. 12.2005 erstmals zum Wintersemester 2006/2007 zu erheben. Die Ausnahmeregelung des § 72 Abs. 12 Satz 2 NHG betrifft nur Studienbeiträge nach § 11 NHG. Diese sind von Studierenden, die - wie die Klägerin - vor dem Wintersemester 2006/2007 ihr Studium aufgenommen haben, erstmals zum Sommersemester 2007 zu erheben. Auf die von der Klägerin erhobene Langzeitstudiengebühr nach § 13 NHG ist § 72 Abs. 12 Satz 2 NHG schon seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Die Klägerin hat mithin nach der Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NHG für das Wintersemester 2006/2007 eine Langzeitstudiengebühr von 600 Euro zu entrichten.

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Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Erhebung der Langzeitstudiengebühr bestehen zwar nicht. Dies hat die Kammer zu den vergleichbaren Vorschriften der §§ 11, 13 Abs. 1 NHG a.F. wiederholt in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 25.07.2001 - 6 C 8.00 - BVerwGE 115, 32) entschieden (vgl. z. B. Urteile vom 25.02.2004, 6 A 2118/03 und 6 A 1834/03 -, Gerichtsbescheid v. 11.12. 2003 - 6 A 1822/03 -, ebenso VG Lüneburg, B. v. 08.07.2003, Nds. VBl. 2003, 332). Auch das Nds. OVG hat in den Beschlüssen vom 13.04.2005 (2 LA 166/05) und vom 13.01. 2004 (2 ME 364/03, NVwZ 2004, 755) keine Zweifel an der Vereinbarkeit der §§ 11, 13 Abs. 1 Satz 1 NHG a.F. mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Artikel 20 Abs. 1, 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG geäußert. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 31.03.2006 (1 BvR 1750/01, zit. nach juris) die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BVerwG vom 25.07.2001 nicht zur Entscheidung angenommen. Auch gegen die nunmehr geltende Höhe von 600 Euro je Semester nach Ablauf der studienbeitragspflichtigen Zeit sind angesichts des mit dieser Gebühr verfolgten Lenkungszweckes, die Studienzeiten zu verkürzen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 25.07.2001, BVerwGE 115, 32, 38), und des für die Dauer der Regelstudienzeit zuzüglich vier weiterer Semester festgesetzten Studienbeitrages von 500 Euro je Semester keine Bedenken zu erheben.

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Verfassungsrechtlich bedenklich ist aber, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des NHG die in § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F. vorgesehene Erhöhung des Studienguthabens bei Gremientätigkeiten um bis zu 2 Semester nicht erkennbar berücksichtigt hat und insoweit insbesondere keine an das individuelle Studienguthaben der betroffenen Studierenden anknüpfende Übergangsregelung geschaffen hat (vgl. auch Göke, Studienbeiträge in Niedersachsen, Nds. VBl. 2006, 37, 41). Die Klägerin hat verfassungsrechtlich geschützt darauf vertrauen dürfen, dass bei einer Neufassung der Vorschriften des NHG über die Erhebung von Studiengebühren zumindest ihre Gremientätigkeit vom 01.04.2005 - 31.03. 2006 berücksichtigt wird. Das BVerfG hat im Beschluss vom 05.02. 2002 (BVerfGE 105, 17, 36) zur tatbestandlichen Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung) einer Norm des Steuerrechts ausgeführt:

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„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es vor dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Der Bürger wird in seinem Vertrauen auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als einer Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen enttäuscht, wenn der Gesetzgeber an bereits abgeschlossene Tatbestände im Nachhinein ungünstigere Folgen knüpft als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte (vgl. BVerfGE 30, 272 (285); 45, 142 (168)). Der Einzelne wäre in seiner Freiheit erheblich gefährdet, wenn die öffentliche Gewalt an sein Verhalten im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen dürfte, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten (stRspr, vgl. BVerfGE 72, 200 (257 f.); 97, 67 (78)).

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Belastende Steuergesetze - dazu gehören auch solche, die eine Vergünstigung einschränken oder aufheben (vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, Köln 1998, § 4 Rn. 171; Offerhaus, DB 2001, S. 556, 557) - dürfen ihre Wirksamkeit daher grundsätzlich nicht auf bereits abgeschlossene Tatbestände erstrecken (vgl. BVerfGE 13, 261 [BVerfG 19.12.1961 - 2 BvL 6/59] (271)) oder schutzwürdiges Vertrauen ohne hinreichende Rechtfertigung anderweitig enttäuschen (vgl. BVerfGE 72, 200 [BVerfG 14.05.1986 - 2 BvL 2/83] (254)). Es ist in jedem Einzelfall zu ermitteln, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage schützenswert ist und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, dieses Vertrauen überwiegen.“

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In vergleichbarer Weise hat sich das BVerfG im Urteil vom 05.02.2004 (2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133, 180 -182) geäußert.

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Die Klägerin durfte im Wintersemester 2004/2005 bei ihrer Wahl zur Vertreterin in den Fakultätsfachschaftsrat der Philosophischen Fakultät der Beklagten darauf vertrauen, dass sich ihr Studienguthaben wegen dieser Tätigkeit um bis zu 2 Semester erhöht. Dies folgt unmittelbar aus § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie ihr Amt nicht wahrgenommen und deshalb nicht im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F. in diesem Organ mitgewirkt hat.

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Dass mit § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F. die Bereitschaft der Studierenden zur Mitwirkung in Organen der Hochschule gefördert werden sollte, ist bereits in der Entwurfsbegründung angesprochen worden. Ausweislich des Änderungsantrages der Fraktion der SPD vom 27.09.2001 zum Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 2002 (LT - Drs. 14/2652), mit dem die Vorschriften über das Studienguthaben in diesen Entwurf eingefügt worden sind (§§ 81 a und 81 b NHG in der Fassung des Art. 8 Haushaltsbegleitgesetz 2002 vom 18.12. 2001, Nds. GVBl. S. 806), sollte mit der Anhebung des Studienguthabens wegen Gremientätigkeit (§ 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F.) dem staatlichen Interesse an einer Mitarbeit der Studierenden in den Organen der Hochschule, der Studentenschaft und der Studentenwerke Rechnung getragen werden. Weshalb dieses staatliche Interesse nunmehr sogar rückwirkend keine Bedeutung mehr haben soll, ist nicht erkennbar. Der Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 vom 29.08.2005 (LT - Drs. 15/2170) hat keine Regelungen zu Studienbeiträgen und Langzeitstudiengebühren enthalten, die Begründung enthält deshalb auch dazu keine Ausführungen. Erstmals die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen vom 30.11.2005 (LT - Drs. 15/2431) enthält die später Gesetz gewordenen Vorschriften über die Studienbeiträge und die Langzeitstudiengebühr. Die Beratungen über das Haushaltsbegleitgesetz 2006 und damit auch über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen lassen nicht erkennen, weshalb Zeiten der Tätigkeit in Hochschulgremien nicht mehr berücksichtigt werden sollen (Pl. Prot. 15/76 S. 8684 ff., insbesondere S. 8686 - 8690, und Pl. Prot. 15/77 S. 8804 - 8822). Dies lässt den Schluss zu, dass dieser Gesichtspunkt nicht berücksichtigt worden ist. Es ist insbesondere nicht erkennbar, dass die auch bei einer unechten Rückwirkung erforderliche Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl stattgefunden hat. Gesichtspunkte, die den zeitlichen Aufwand für die Tätigkeit in einem Hochschulgremium als bedeutungslos für die Länge der Studienzeit und damit auch für die Frage der Erhebung von Langzeitstudiengebühren erscheinen lassen, drängen sich nicht auf und sind insbesondere auch von der Beklagten nicht vorgetragen worden. Das BVerfG hat vielmehr im Beschluss vom 12.03.2003 - 1 BvR 894/01 - einen gesteigerten Vertrauensschutz für die in einem Hochschulorgan tätigen Studierenden angenommen, der auf dem bundesrechtlichen Verbot, Hochschulmitglieder wegen ihrer Tätigkeit in der Selbstverwaltung zu benachteiligen, beruht (§ 37 Abs. 3 HRG).

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Das Vertrauen der Klägerin auf den Fortbestand der in § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG getroffenen Regelung war im März 2005 auch noch schutzwürdig. Sie musste bei der Annahme der Wahl zur Vertreterin im Fakultätsfachschaftsrat im März 2005 nicht damit rechnen, dass die Gremientätigkeit bei einer zukünftigen Erhebung von Studiengebühren unberücksichtigt bleiben wird. Der Entwurf zum Haushaltsbegleitgesetz 2006 vom 29.08.2005 (LT - Drs. 15/2170) hat keine derartigen Anhaltspunkte enthalten, die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen, der die neuen Regelungen zu den Studienbeiträgen und der Langzeitstudiengebühr enthält, datiert vom 30.11.2005 (LT - Drs. 15/2431). Frühestens mit dem Bekanntwerden des Änderungsgesetzentwurfes vom 30.11.2005 hätte ein Vertrauen der Klägerin auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage entfallen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.10.1996, BVerfGE 95, 64, 88/89).

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Diesen verfassungsrechtlichen Bedenken ist nicht durch Aussetzung des vorliegenden, gegen den Gebührenbescheid vom 18.08.2006 gerichteten Klageverfahrens und einer Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschrift des § 72 Abs. 12 NHG, sondern durch Anwendung der Erlassvorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 vom 15.12.2005 (Nds. GVBl. S. 426) Rechnung zu tragen. Danach können der Studienbeitrag nach § 11 sowie die Gebühren und Entgelte nach § 13 NHG auf Antrag ganz oder teilweise erlassen werden, wenn die Entrichtung zu einer unbilligen Härte führen würde. Bei der Anwendung dieser Vorschrift können auch die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Heranziehung der Klägerin zu einer Langzeitstudiengebühr für das Wintersemester 2006/2007 berücksichtigt werden.

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In der Rechtsprechung des BFH (Urt. v. 27.05.2004 - IV R 55/02 -; Beschl. v. 07.03.2003 - IV B 163/02 - BFH/NV 2003, 777; Urt. v. 23.11.1994 - X R 124/92 - BFHE 177, 246, alle zit. nach juris) ist seit langem anerkannt, dass dem Vertrauensschutzprinzip auch durch eine einzelfallbezogene Billigkeitsmaßnahme Rechnung getragen werden kann, wenn nur eine vergleichsweise kleine Gruppe von Normadressaten betroffen ist. So heißt es im Beschluss des BFH vom 07.03.2003:

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„Auch wenn demnach Härten, die der Gesetzgeber bei der Regelung des gesetzlichen Tatbestands bedacht und in Kauf genommen hat, grundsätzlich keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen, so ist eine derartige Maßnahme gleichwohl geboten, wenn ohne die begehrte Billigkeitsmaßnahme das Verhalten des Gesetzgebers aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden wäre (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 8. Juli 1987 1 BvR 623/86 , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1988, 177; BFH-Urteil vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151 ).“

26

Der BFH hatte bereits im Urteil vom 23.11.1994 zu einer unzureichenden Übergangsregelung ausgeführt:

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„Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat wiederholt hervorgehoben (z.B. BVerfG-Beschluß vom 5. April 1978 1 BvR 117/73 , BVerfGE 48, 102 , 111, 114 m.w.N.), für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts sei besonders auch die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung von unbilligen Härten beim Gesetzesvollzug in besonderen Fällen, seien es Einzelfälle oder Fallgruppen, zu berücksichtigen. Das bedeutet, daß eine generell sachgerechte gesetzliche Regelung nicht deshalb verfassungswidrig ist, weil sie in Einzelfällen oder bei einer vergleichsweise kleinen Fallgruppe unbillige Ergebnisse zur Folge hat. Führt deshalb ein in seinen Generalisierungen grundsätzlich verfassungsgemäßes Gesetz in einzelnen Fällen oder Fallgruppen zu verfassungsrechtlich nicht mehr vertretbaren Härten, eröffnet die Ermächtigung zum Billigkeitserlaß die Möglichkeit und ausnahmsweise auch die verfassungsmäßige Pflicht, den Grundrechten insoweit Geltung zu verschaffen (vgl. z.B. BVerfG-Entscheidungen vom 22. Mai 1963 1 BvR 78/56 , BVerfGE 16, 147 , 177; vom 13. Oktober 1971 1 BvL 10/69 , BVerfGE 32, 78 , 86; in BVerfGE 48, 102 , 111, 114; vom 19. Dezember 1978 1 BvR 335, 427, 811/76, BVerfGE 50, 58 , 86 jeweils m.w.N.; BFH-Urteil vom 21. April 1977 IV R 161-162/75, BFHE 122, 141 , 146, BStBl II 1977, 512 ; Kirchhof in Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Scupin, 1983, S.780, 783; von Groll in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 227 AO 1977 Rz.180 und 285 f. m.w.N.).“

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Auch die Kammer ist in ihrer bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Rechtsbegriff „unbillige Härte“ ausreichend Spielraum lässt, um in besonderen Fallgestaltungen verfassungswidrige Ergebnisse zu vermeiden (vgl. Beschl. v. 22.05.2003 - 6 B 1064/03 - und vom 02.05.2003 - 6 B 1526/03 -). Dementsprechend kommt nach dem auch von der Klägerin zitierten Beschluss des BVerfG vom 06.04.2000 (NVwZ 2000, 910 [BVerfG 06.04.2000 - 1 BvL 18/99]) keine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG, sondern die Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG in Betracht.

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Der im vorliegenden Klageverfahren alleine angefochtene Gebührenbescheid vom 18.08. 2006 befasst sich allerdings nicht mit der Erlassvorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG und musste sich mit ihr auch nicht befassen. Die Klägerin kann ihm deshalb nicht mit Erfolg entgegen halten, dass die Langzeitstudiengebühr nach § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG zu erlassen ist. Für die Rechtmäßigkeit eines auf § 13 Abs. 1 NHG gestützten Gebührenbescheides ist es ohne Bedeutung, ob Erlassgründe nach § 14 Abs. 2 NHG vorliegen. Derartige Gründe sind in einem gesonderten Antragsverfahren geltend zu machen und zu verfolgen, dies zeigt bereits der Wortlaut des § 14 Abs. 2 NHG deutlich (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 25.07. 2001, DVBl 2002, 60, 67; OVG Münster, Beschl. v. 07.07.1997, NVwZ-RR 1999, 210). Dies hat auch die Kammer bereits wiederholt entschieden (Beschluss vom 16.09. 2005, 6 B 4036/05, Gerichtsbescheid vom 11.12.2003, 6 A 1822/03, Beschluss vom 22. 05.2003, 6 B 1064/03). § 14 Abs. 2 Satz 4 NHG in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 vom 15.12.2005 (Nds. GVBl. S. 426) bestimmt dazu ergänzend, dass der Erlassantrag längstens bis einen Monat nach Vorlesungsbeginn des Semesters gestellt werden kann.

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Die Klägerin hat zwar mit Schreiben vom 01.09.2006 einen auf ihre Gremientätigkeit gestützten Erlassantrag bei der Beklagten gestellt. Diesen Antrag hat die Beklagte aber bereits mit Bescheid vom 07.09.2006 abgelehnt. Die Klägerin hat diesen Bescheid nicht erkennbar in das vorliegende Klageverfahren 6 A 6020/06 einbezogen und auch nicht gesondert Klage gegen diesen Bescheid erhoben, so dass er nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist und auch nicht nach § 93 Satz 1 VwGO in dieses Verfahren einbezogen werden konnte.

31

Da der alleine angefochtene Gebührenbescheid vom 18.08.2006 rechtmäßig ist, war die Klage - wie geschehen - vielmehr abzuweisen.