Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.12.2006, Az.: 6 A 3640/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 14.12.2006
- Aktenzeichen
- 6 A 3640/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44494
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2006:1214.6A3640.06.0A
Verfahrensgang
Fundstellen
- NdsVBl 2007, 138-139
- SchuR 2007, 103-104 (Volltext)
- SchuR 2008, 68 (Kurzinformation)
Amtlicher Leitsatz
p Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 63 Abs. 5 NSchG ist, dass für die Gestattung von Privatunterricht ein wichtiger Grund vorliegen muss, der ausnahmsweise den Unterricht eines schulpflichtigen Kindes nicht in den dafür vorgesehehen Formen (Schulunterricht, Krankenhausunterricht), sondern im privaten Bereich rechtfertigt.
Ein derartiger Grund kann auch in der körperlichen, geistigen oder charakterlichen Beschaffenheit des bzw. der Schulpflichtigen liegen.
Tatbestand
Die Tochter der Kläger wurde im Jahr 2002 in die Grundschule "I." eingeschult. Im Sommer 2004 wurde sie in die vierte Klasse versetzt.
Das Halbjahreszeugnis der 4. Klasse weist mangelhafte Leistungen in Mathematik sowie ausreichende Leistungen in Deutsch, Rechtschreiben und Sachunterricht auf. In der Halbjahres-Zeugniskonferenz wurde auch über die voraussichtliche Schullaufbahnempfehlung beraten. Die Konferenz schlug den Besuch der Hauptschule vor.
Am 28.03.2006 teilten die Kläger der Grundschule mit, dass ihre Tochter nach den Osterferien nicht mehr die Schule besuchen werde. Sie solle von der J. -Schule beschult werden. Unter dem 04.04.2006 beantragten die Kläger für ihre Tochter die Gestattung von Privatunterricht. Zur Begründung führten sie aus:
Der mehrfach ab der 3. Klasse geäußerten Forderung der Schule, ihre Tochter eine Klasse zurückzusetzen, seien sie nicht nachgekommen, weil sie in der alleinigen Zurückversetzung keinen Sinn sehen würden und dies für ihre Tochter seelisch belastend sei.
In den letzten 1 ? Jahren sei es zu Übergriffen auf ihre Tochter gekommen. Sie sei wegen ihrer Langsamkeit vor der ganzen Klasse bloßgestellt worden. Es sei wiederholt mit ihr in einer Tonschärfe und Lautstärke geschimpft worden, dass sie weinend nach Hause gekommen sei. Mitschülerinnen hätten berichtet, ihre Tochter sei von ihren Lehrerinnen regelrecht geschnitten worden. Während der ganzen Schulzeit sei es immer wieder zu heftigen Ausbrüchen psychosomatischer Symptome gekommen. Ihre Tochter habe kein Selbstbewusstsein mehr. Es gipfele in allgemeiner Schulangst. Sie könnte nur mit körperlicher oder psychischer Gewalt zur Schule geschickt werden und brauche daher eine Auszeit, um weitere gesundheitliche Schäden abzuwehren.
Am 27.04 2006 fand ein Gespräch statt, an dem die Kläger, drei Lehrkräfte der Grundschule sowie die zuständige schulfachliche Dezernentin teilnahmen. Aus Sicht der Beklagten konnten die Kläger die erhobenen Vorwürfe nicht konkretisieren bzw. erhärten. Die Tochter der Kläger sei im Rahmen der Möglichkeiten besonders gefördert worden. Sie habe individuelle Arbeitspläne erhalten, differenzierte Arbeiten geschrieben und viel Zuwendung gebraucht und bekommen. Trotz vieler Gespräche habe es in der Vergangenheit seitens der Eltern niemals Vorwürfe gegenüber der Schule gegeben. Auf die Frage, warum ihre Tochter nicht mehr zur Schule gehen solle, habe der Kläger angeführt, seine Tochter habe einen anderen Lernrhythmus, sie brauche Pausen zwischen den einzelnen Lernphasen. Er, der Kläger, könne ihr die Mathematikaufgaben besser erklären. Zudem wolle man ihr den Leistungsdruck nehmen.
Die schulfachliche Dezernentin befürwortete im Gespräch eine Befreiung von der Schulpflicht nicht. Die von ihr vorgeschlagenen vier Alternativen (Die Tochter der Kl. besucht die bisherige Grundschule u. wird an einer IGS angemeldet. Die Tochter der Kläger wiederholt die 4. Klasse. Die Tochter der Kläger besucht die 4. Klasse einer anderen Grundschule. Die K. -Schule wird gefragt, ob sie die Tochter der Kläger aufnimmt.) lehnten die Kläger ab.
Mit Bescheid vom 11.05.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Gestattung von Privatunterricht im Ermessenwege gem. § 63 Abs. 5 NSchG käme nicht in Betracht. Durch den von den Eltern beabsichtigten Unterricht werde nicht ausreichend für die Erziehung und Unterrichtung im Sinne des NSchG gesorgt, weil sich dieser Unterricht nicht an den für die Grundschule allgemein festgelegten Zielen und Methoden orientiere und nicht durch ausgebildete Lehrkräfte erteilt werde. Daran würde auch die Anleitung und Kontrolle durch die J. -Fernschule nichts ändern. Der Auftrag der Schule erschöpfe sich zudem nicht darin, Wissen und Können zu vermitteln. Er umfasse auch die Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten. Eine Befreiung von der Schulpflicht sei nur gerechtfertigt, wenn der Schulbesuch eine Gefährdung für die Entwicklung des betroffenen Schülers oder der Mitschüler bedeuten würde. Derartige Gründe lägen nicht vor.
Daraufhin haben die Kläger Klage erhoben:
Es bestünde ein Anspruch auf Gestattung von Privatunterricht gem. § 63 Abs. 5 NSchG. Die Verfassungsmäßigkeit der Schulpflicht stünde zwar außer Frage. Jedoch läge hier ein Ausnahmefall vor, der die Befreiung von der Schulpflicht gebiete. Ein Ausnahmegrund, der die Genehmigung von Privatunterricht rechtfertige, läge in Form der charakterlichen Beschaffenheit ihrer Tochter vor. Ihre Tochter habe einen starken Willen. Dieser äußere sich dadurch, dass sie zu Hause unterrichtet werden und derzeit keine öffentliche Schule besuchen möchte. Diese Schulverweigerungshaltung resultiere aus dem Werdegang in der Schule und habe sich autonom in ihr herangebildet. Diese charakterliche Beschaffenheit, einen erklärten starken Willen zu haben, könnten und wollten die Kläger nicht durch physischen oder psychischen Zwang brechen.
Der weitere Schulbesuch würde zu einer Gefährdung der Entwicklung ihrer Tochter führen. Ein Zwang zum Schulbesuch würde derzeit nachhaltig negative Auswirkungen auf die weitere Entwicklung ihrer Tochter haben. Die Schulverweigerungshaltung resultiere aus einem langen Prozess, geprägt von Schulangst und Lernschwierigkeiten. Durch die so in ihrer Tochter entstandene Voreingenommenheit gegenüber der Schule dürfte es jeder Lehrkraft schwer fallen, sie überhaupt zu erreichen. Ein Schulbesuch sei erst dann wieder sinnvoll, wenn ihre Tochter selbst wieder davon überzeugt sei, am Unterricht in der Institution Schule teilnehmen zu wollen und zu können. Sie, die Kläger, würden sich einer Rückführung nicht verschließen. Insoweit hätten sie der Beklagten ein Kooperationsmodell mit einer Realschule angeboten.
§ 63 Abs. 5 NSchG sehe auch nicht vor, dass Privatunterricht nur durch ausgebildete Fachkräfte erteilt werden könne. Der Privatunterricht müsse vielmehr lediglich den Anforderungen genügen, die an den Unterricht in der entsprechenden Schulform zu stellen sind. Dies werde durch die Kläger unter Hinzuziehung der Unterrichtsmethode der J. -Schule gewährleistet.
Sie, die Kläger, befänden sich in einem Gewissenskonflikt. Sie würden sich in ihren Rechten aus Art. 6 GG und Art. 4 GG verletzt sehen, wenn die Durchsetzung der Schulpflicht dazu führen würde, dass sie ihr Kind mit physischer oder psychischer Gewalt zur Schule bringen müssten. Zudem müsse die Schulpflicht völkerrechtsfreundlich, d.h. im Lichte von Art. 3 Kinderrechts-Konvention, Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 2 EU-Grundrechtscharta betrachtet werden.
Nach Klageerhebung haben die Kläger auf Aufforderung des Gerichts einen Bericht eines Kinderarztes vom 10.11. 2006, sowie auf weiteres Nachfordern einen Bericht des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) vom 03.01.2005 und einen Bericht eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 04.12.2006 vorgelegt.
Der Kinderarzt bescheinigt, dass die Tochter der Kläger von 1999 bis 2001 in logopädischer Behandlung gewesen sei. Im Oktober 2004 sei sie wegen Konzentrationsstörungen und Angstzuständen in der Gruppe vorgestellt worden. Bis zum August 2005 sei eine ergotherapeutische Behandlung durchgeführt worden.
Das SPZ kommt zu dem Ergebnis, dass ein "Verdacht auf Teilleistungsstörungen - z.B. Aufmerksamkeitsstörung" besteht. Es sei eine weitere Abklärung geplant. Der neurologische Befund sei unauffällig.
Der Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie bescheinigt, die Tochter der Kläger am 23.11.2006 untersucht zu haben. Im Angstfragebogen und im Depressionsinventar erreiche sie einen hohen Wert. Dies beziehe sich auch auf die Vorstellung, die Schule bald wieder zwangsweise besuchen zu müssen. Ein pathologisch-psychiatrischer Befund habe sich gesprächsweise nicht erheben lassen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2006 zu verpflichten, ihre Tochter M. C. von der Schulpflicht unter gleichzeitiger Genehmigung von Privatunterricht zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der angefochtene Bescheid sei aus den im Bescheid angeführten Gründen rechtmäßig. Die Voraussetzungen für eine Genehmigung von Privatunterricht lägen nicht vor.
Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die Tochter der Kläger aufgrund des Beschlusses der Klassenkonferenz vom 29.05.2006 in den 5. Schuljahrgang aufgerückt und der Besuch der Hauptschule vorgeschlagen worden sei. Da die Kläger ihre Tochter bei keiner Schule angemeldet hätten, sei diese von Amts wegen bei der zuständigen Hauptschule angemeldet worden.
Die von den Klägern eingereichten Testergebnisse seien bislang weder der Beklagten noch der Grundschule bekannt gewesen. Ein von einer Förderschullehrerin durchgeführter Test aus dem Dezember 2004 habe zwar Auffälligkeiten im Bereich optischer und akustischer Wahrnehmung sowie im Kurzzeitgedächtnis gezeigt. Die Beobachtungen zum Lernstand und zu den Wahrnehmungsfunktionen hätten aber keinen Anlass zur Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs ergeben.
Es möge sein, dass die Tochter der Kläger die jetzige Situation gut finde. Dies spreche jedoch nicht für eine Schulangst in pathologischer Form. Nachvollziehbare medizinische Befunde seien nicht vorgelegt worden. Im Gegenteil sei in der Vergangenheit weder eine Schulverweigerungshaltung erkennbar gewesen, noch von den Klägern gegenüber der Schule erwähnt worden. Die Ursache für die vorgetragene Schulangst liege nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten. Vielmehr übten die Kläger großen Druck auf ihre Tochter aus.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Gestattung von Privatunterricht für ihre Tochter nach § 63 Abs. 5 NSchG.
Die Tochter der Kläger ist gemäß §§ 63 Abs. 1, 64, 65 NSchG schulpflichtig. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Schulpflicht bestehen nicht (BVerfG, zuletzt Beschluss vom 31.05.2006, 2 BvR 1693/04) und werden auch nicht von den Klägern geltend gemacht. Die Tochter der Kläger erfüllt derzeit ihre Schulpflicht weder durch den Besuch einer staatlichen Schule noch durch den Besuch einer Ersatzschule i.S.v. § 143 Abs. 3 NSchG. Sie erhält auch keinen Haus- oder Krankenhausunterricht nach § 69 Abs. 1 NSchG. Die Schulpflicht ruht auch nicht gem. § 160 NSchG durch den Besuch einer Ergänzungsschule.
Die Ablehnung des Antrags auf Gestattung von Privatunterricht ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Gestattung von Privatunterricht liegen im konkreten Fall nicht vor.
Nach § 63 Abs. 5 NSchG darf Schulpflichtigen der ersten sechs Schuljahrgänge Privatunterricht an Stelle des Schulbesuchs nur ausnahmsweise gestattet werden. Diese Bestimmung regelt somit eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Schülerinnen und Schüler ihre Schulpflicht durch den Besuch einer Schule zu erfüllen haben (Schulbesuchspflicht). Der Zusatz "der ersten sechs Schuljahrgänge" ist dabei so zu verstehen, dass bei der Gestattung von Privatunterricht bei Schülern der ersten sechs Jahrgänge strengere Anforderungen gestellt werden sollen als bei Schülern eines höheren Jahrgangs.
Zwar macht § 63 Abs. 5 NSchG nach seinem Wortlaut keine Vorgaben für die Gestattung von Privatunterricht. Da jedoch ein Regel-Ausnahme-Verhältnis geregelt wird, ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, dass ein wichtiger Grund vorliegen muss, der die Gestattung von Privatunterricht ausnahmsweise rechtfertigt. Ein derartiger Grund kann in der Person des bzw. der Schulpflichtigen liegen, d.h. in dessen bzw. deren körperlichen, geistigen oder charakterlichen Beschaffenheit. Die Gestattung von Privatunterricht kann aber auch aus objektiven Gründen gerechtfertigt sein, z.B. für Kinder, die häufig den Aufenthaltsort wechseln und daher durch Privatunterricht besser gefördert werden können als durch den Besuch ständig wechselnder Schulen. Der VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 18.06.2002 - 9 S 2441/01) hat zudem zum dortigen Landesrecht angenommen, dass eine Ausnahme auch dann möglich sein kann, wenn der Besuch einer Schule im konkreten Einzelfall unmöglich oder nur mit schwer zu vertretendem Aufwand möglich ist. Auch religiöse Gründe, können zur Begründung eines Ausnahmefalles angeführt werden (Nds. OVG, Urteil vom 05.03.2003, 13 LB 4075/01).
Das konkrete Vorbringen der Kläger rechtfertigt die Gestattung von Privatunterricht nicht.
Objektive, von der Person ihrer Tochter unabhängige Ausnahmegründe haben die Kläger nicht vorgebracht. Die Kläger berufen sich vielmehr auf den Charakter und die seelische Belastung ihrer Tochter. Zwar kann die Gefährdung der weiteren seelischen Entwicklung eines Kindes einen Ausnahmegrund darstellen, der die Gestattung von Privatunterricht unter Befreiung von der Schulpflicht rechtfertigt. Dies könnte dann der Fall sein, wenn durch den weiteren Schulbesuch eine seelische Behinderung gem. § 35a Abs. 1 SGB VIII droht. Danach sind von einer seelischen Behinderung bedroht Kinder und Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Die Kläger haben bislang eine derartige Gefährdung nicht nachgewiesen. Zum Nachweis der behaupteten Gefährdung der weiteren gesundheitlichen oder seelischen Entwicklung ist die Vorlage einer entsprechenden (fach-) ärztlichen Bescheinigung notwendig, hier also, da die Kläger auf psychosomatische Symptome abstellen und auf die drohenden seelischen Belastungen für ihre Tochter verweisen, die Vorlage einer aussagefähigen Stellungnahme eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder eines der anderen in § 35 Abs. 1a SGB VIII aufgeführten Behandler.
Die Bescheinigung des Kinderarztes vom 10.11.2006 genügt diesen Anforderungen nicht. Es ist nicht dargelegt, dass er zu dem in § 35 Abs. 1a SGB VIII aufgeführten Personenkreis gehört. Auch inhaltlich kann aus dieser Bescheinigung nicht die von den Klägern behauptete Gefährdung abgeleitet werden. Die Bescheinigung ist nicht aktuell. Sie datiert zwar vom 10.11.2006, beschreibt jedoch nur Befunde und Therapien, die bis zum August 2005 durchgeführt worden sind. Zudem setzt sich die Bescheinigung nicht mit der Frage auseinander, ob, inwieweit und warum durch den weiteren Schulbesuch oder die Durchsetzung der Schulpflicht die weitere Entwicklung der Tochter der Kläger gefährdet wird. Auch die beigefügten Berichte der Praxis für Ergotherapie geben dafür nichts her.
Der Bericht des SPZ vom 03.01.2005 gibt ebenfalls dafür nichts her. Er ist ebenfalls nicht aktuell und geht auf die Frage der Gefährdung der Tochter der Kläger nicht ein. In welchem Umfang und mit welchem Ergebnis die empfohlene weitere Abklärung stattgefunden hat, ist von den Klägern nicht substantiiert vorgetragen und belegt worden, obwohl fast zwei Jahre vergangen sind.
Auch die Stellungnahme des Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie stützt nicht das Begehren der Kläger. Die Kläger haben ihre Tochter erst kurz vor der mündlichen Verhandlung dort vorgestellt, obwohl seit der Untersuchung durch das SPZ fast zwei Jahre vergangen sind. Der Kinder- und Jugendpsychiater bescheinigt zwar das Vorliegen von Schulangst, auch in Hinblick auf die Vorstellung, die Schule in Zukunft wieder besuchen zu müssen. Die Ursache für diese Schulangst ist jedoch nicht genannt worden. Fest steht nach der Bescheinigung nur, dass sich ein pathologisch psychiatrischer Befund in der Person der Tochter der Kläger gesprächsweise nicht erheben ließ.
Ein Ausnahmegrund, der die Gestattung von Privatunterricht rechtfertigt, liegt somit nicht vor. Daher ist der Beklagten der auf der Rechtsfolgenseite zustehende Ermessenspielraum auch nicht eröffnet.
Das Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es nicht zu beanstanden wäre, wenn die Beklagte ihr Ermessen so ausübt, dass Privatunterricht nur gestattet wird, wenn dieser gegenüber dem Unterricht einer entsprechenden Schule gleichwertig ist, d.h. er u.a. durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte erfolgt. Da der hier beantragte Privatunterricht durch die Kläger erfolgen soll und diese keine ausgebildeten Lehrkräfte sind, wäre eine Versagung der Genehmigung auch im Ermessenswege nicht zu beanstanden. Die Unterstützung durch die J. -Schule ändert daran nichts, da es sich dabei um Fernunterricht handelt. Der Frage, ob die J. -Schule über geeignete Lehrkräfte verfügt, muss daher nicht nachgegangen werden. Angemerkt sei, dass es sich bei der J. -Schule nicht um eine Schule im Sinne des Nds. SchG handelt (vgl. zur Philadelphia-Schule, Nds. OVG, Urteil vom 05.03.2003, 13 LB 4075/01).
Das Gericht geht weiterhin davon aus, dass es nicht zu beanstanden wäre, wenn die Beklagte bei der Ermessensausübung prüfen würde, ob nicht z.B. die Gewährung von Haus- bzw. Krankenhausunterricht vorrangig in Frage käme.
Aus den Vorausführungen folgt, dass von einer Verletzung von Grundrechten der Kläger (Art. 6, 4 GG) nicht die Rede sein kann. Auch die von den Klägern geforderte Auslegung von § 63 Abs. 5 NSchG im Lichte der UN-Kinderrechtskonvention, der EMRK oder der EU-Grundrechtscharta führt zu keinem anderen Ergebnis. § 63 Abs. 5 NSchG ermöglicht eine im Einzelfall von Verfassungs wegen gebotene Befreiung von der Schulpflicht unter Gestattung von Privatunterricht. Die nach § 63 Abs. 5 NSchG an die Gewährung der Ausnahme von der Schulpflicht zu stellenden Anforderungen und zulässigen Ermessenerwägungen berücksichtigen sowohl den staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 7 GG als auch die Belange von Eltern und schulpflichtigen Kindern in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise. Darüber hinausgehende Rechte und Pflichten werden auch nicht durch Art. 3, 29 UN-KRK, Art. 24 EU-Grundrechtscharta und Art. 8 EMRK begründet.