Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 23.06.2016, Az.: 1 A 4130/15
Abberufung; Benehmen; Enthaltung; erster Wahlgang; Geschäftsordnung; Ja-Stimme; Mehrheitswahl; Nein-Stimme; Nichtigkeit; Verfahrensfehler; Wahl
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 23.06.2016
- Aktenzeichen
- 1 A 4130/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43448
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 59 Abs 3 S 1 KomVerfG ND
- § 67 S 3 KomVerfG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Verstößt die Hauptverwaltungsbeamtin oder der Hauptverwaltungsbeamte bei der Aufstellung der Tagesordnung gegen eine Geschäftsordnungsvorschrift der Vertretung, die nicht die Rechte der Abgeordneten schützt, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der entsprechend der Tagesordnung gefassten Beschlüsse.
2. Gleiches gilt, wenn die Hauptverwaltungsbeamtin oder der Hauptverwaltungsbeamte
es entgegen § 59 Abs. 3 Satz 1 NKomVG unterlässt, die Tagesordnung im Benehmen mit der oder dem Vorsitzenden der Vertretung aufzustellen.
3. Bei einer Wahl im ersten Wahlgang nach § 67 Satz 3 NKomVG haben Nein-Stimmen oder Enthaltungen keine Bedeutung und müssen deshalb nicht erfasst werden.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Abberufung als Vorsitzender des Beklagten und gegen die Wahl seiner Nachfolgerin.
Der Kläger ist seit 28 Jahren Mitglied des Rates der Stadt B.. Er war bereits seit 2006 Ratsvorsitzender und wurde in der konstituierenden Sitzung des Beklagten im November 2011 erneut zum Ratsvorsitzenden gewählt.
Im Februar 2014 schloss die Stadt B. in einer Bausache einen Ablösevertrag für sieben Stellplätze, den der Kläger aus verschiedenen Gründen für rechtswidrig hielt. Nachdem er erfolglos die Kommunalaufsicht eingeschaltet hatte, wandte er sich mit seinem Anliegen auch an die Öffentlichkeit. Daraufhin stellte ein Mitglied der CDU-Fraktion, der auch der Kläger angehörte, zusammen mit dem Vorsitzenden der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen und dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion am 14.07.2015 beim Bürgermeister der Stadt B. den Antrag, für die kommende Ratssitzung am 23.07.2015 den Tagesordnungspunkt (TOP) „Abberufung des Vorsitzenden des Rates der Stadt B. und anschließende Wahl des oder der Vorsitzenden des Rates der Stadt B.“ in die Tagesordnung aufzunehmen, und beantragte zugleich geheime Abstimmungen. Der Bürgermeister setzte den Antrag auf Abberufung als TOP 4 und den Antrag auf Neuwahl als TOP 5 auf die Tagesordnung. In der Sitzung am 23.07.2015 stellte der Kläger unter TOP 1 (Eröffnung der Sitzung, Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung, der Beschlussfähigkeit und der Tagesordnung) den Antrag, TOP 4 von der Tagesordnung abzusetzen. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Zu TOP 4 erfolgte die Abberufung des Klägers mit 17 Ja-Stimmen, 6 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen. Unter TOP 5 wurde die einzige Kandidatin, E., laut Protokoll mit 21 Ja-Stimmen, 5 Nein-Stimmen und ohne Enthaltungen zur Ratsvorsitzenden gewählt.
Am 14.08.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Er hält den Beschluss des Beklagten zu TOP 4 aus mehreren Gründen für rechtswidrig und nichtig.
Zum einen bemängelt er, dass der Bürgermeister den Antrag auf die Tagesordnung genommen habe, obgleich er nicht fristgerecht gestellt worden sei. § 1 Ziffer 3 der Geschäftsordnung des Beklagten GO) regele, dass Anträge nur auf die Tagesordnung gesetzt werden können, wenn sie mindestens zwei Wochen vor der Sitzung dem Bürgermeister vorgelegt worden sind. Hier hätten zwischen Antragstellung und Terminierung der Sitzung lediglich neun Tage gelegen. Die Verfahrensvorschrift in § 1 Ziffer 3 GO konkretisiere die Mitgliedschaftsrechte der Ratsmitglieder, solle die demokratische Legitimität sichern und Gewähr für die „Richtigkeit“ der getroffenen Entscheidung bieten. Es sei nicht auszuschließen, dass die unzureichende Vorbereitungszeit zu der Abwahl des Klägers geführt habe. Der Sitzungstermin habe in den Sommerferien gelegen, weshalb eine Vielzahl der Mitglieder der Vertretung urlaubsbedingt an der ursprünglich „nicht bedeutsamen“ Sitzung nicht hätten teilnehmen können. Wäre sämtlichen Mitgliedern vor der Planung ihres Urlaubs bekannt gewesen, dass die Abwahl des Ratsvorsitzenden anstand, wären sie zu dem Termin erschienen und hätten sich außerdem auch zu der Frage vorbereiten können, weshalb der Ratsvorsitzende abgewählt werde sollte. Diese Rechte der Vertretungsmitglieder seien unterlaufen worden, obgleich keine Eile bestanden habe. Im Rahmen seines formellen Vorprüfungsrechts hätte der Bürgermeister den Antrag ablehnen müssen.
Zum anderen hätte der Bürgermeister gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 NKomVG die Tagesordnung im Benehmen mit dem Kläger als Vorsitzendem der Vertretung aufstellen müssen. Stattdessen habe der Bürgermeister den Kläger übergangen und das geltende Recht missachtet.
Des Weiteren habe der Bürgermeister eine Wahlempfehlung ausgesprochen und damit seine Neutralitätspflicht verletzt. Seine Beschlussvorlage habe den Beschlussvorschlag „Abberufung des Ratsvorsitzenden F.“ enthalten. Bei den Mitgliedern des Beklagten handele es sich um Feierabendpolitiker, die sich häufig nicht gründlich auf die Sitzungen vorbereiten könnten und sich deshalb auf die Beschlussvorschläge der Verwaltung verlassen würden. Selbst wenn eine Einflussnahme nicht beabsichtigt gewesen sei, habe sie doch objektiv stattgefunden.
Der Vorgang sei einmalig in B. gewesen. Zumindest in der Summe müssten die Rechtsverstöße des Bürgermeisters zur Nichtigkeit der Abberufung führen.
Die Wahl der neuen Ratsvorsitzenden unter TOP 5 sei evident rechtswidrig und damit als Nichtwahl zu betrachten, weil die Stimmzettel nicht eindeutig gewesen seien. Es habe lediglich die Möglichkeit bestanden, ein Kreuz zu setzen. Dessen Bedeutung sei nicht ersichtlich gewesen, da der Zettel - anders als die Stimmzettel für seine Abberufung - weder eine Ja- noch eine Nein- noch eine Enthaltungsspalte enthalten habe. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Abstimmung ausgewertet worden sei. Eine zuverlässige Unterscheidung der abgegebenen Stimmen wäre nur durch handschriftliche Zusätze auf den Stimmzetteln möglich gewesen. Dies verstieße gegen die Grundsätze der freien und der geheimen Wahl aus § 67 Satz 2 NKomVG. Die Interpretation des Beklagten, wie eine Ja- und eine Nein-Stimme gekennzeichnet werden könnten, stelle lediglich eine Auslegungsalternative dar. Auf derartigen Mutmaßungen könne kein sicheres Wahlergebnis beruhen. Dem Kläger sei bekannt, dass der Vorsitzende der FDP-Fraktion das Kreuz als Nein-Stimme gesetzt habe.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass der unter dem TOP 4 gefasste Beschluss vom 23.07.2015 der Sitzung des Beklagten rechtswidrig und die Abwahl des Ratsvorsitzenden F. ungültig ist;
2. festzustellen, dass der unter dem TOP 5 gefasste Beschluss vom 23.07.2015 der Sitzung des Beklagten rechtswidrig und die Wahl der Ratsvorsitzenden G. ungültig ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die beiden angegriffenen Beschlüsse für rechtmäßig.
Sofern ein Verstoß gegen § 1 Ziffer 3 GO angenommen werde, sei dieser nicht wesentlich. Bei zutreffender Betrachtung liege aber gar keine inhaltliche Verletzung der Vorschrift vor. Aus der Formulierung „können“ sei abzuleiten, dass es im Ermessen des Bürgermeisters stehe, ob er nicht fristgerecht gestellte Anträge gleichwohl berücksichtige. Die Regelung solle dem Hauptverwaltungsbeamten mit der Frist eine ordnungsgemäße Vorbereitung der Ratssitzung ermöglichen. Sei die Vorbereitung jedoch in sachlicher Hinsicht nicht gefährdet, insbesondere die einwöchige Ladungsfrist aus § 1 Abs. 1 Satz 1 GO samt Zuleitung der Sitzungsunterlagen gewahrt, so sei der Hauptverwaltungsbeamte nicht daran gehindert, einen nicht fristgerecht gestellten Antrag auf die Tagesordnung zu setzen. Hier habe die Verwaltung den Antrag zur Abwahl und Neuwahl schnellstmöglich dem Rat und seinen Mitgliedern zugeleitet. Kein Ratsmitglied habe eine mangelnde Vorbereitung gerügt. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 GO diene nicht dem Schutz des Klägers vor seiner Abberufung als Ratsvorsitzender. Insbesondere aufgrund des Mitwirkungsverbots in eigener Sache aus § 41 Abs. 1 NKomVG sei es zweifelhaft, ob der Kläger sich im konkreten Fall auf eine Verletzung von § 1 Abs. 3 GO stützen könne.
Gleiches gelte für die Benehmensherstellung nach § 59 Abs. 3 Satz 1 NKomVG. Hinsichtlich der streitigen Tagesordnungspunkte hätte der Bürgermeister sich nur mit der Vertretung des Ratsvorsitzenden ins Benehmen setzen dürfen. Zudem handele es sich nicht um eine wesentliche Verfahrensvorschrift, deren Verletzung die Angreifbarkeit eines in der Sitzung gefassten Beschlusses zur Folge hätte. Ein Einfluss auf die Beschlussfassung sei nicht erkennbar.
In der Beschlussvorlage sei lediglich der Antrag der Antragsteller wiedergegeben worden.
Auch in der Gesamtschau ergebe sich keine Rechtswidrigkeit der Abberufung, da hier keine Fülle erheblicher Fehler gemacht worden sei, sondern allenfalls zwei unwesentliche Verstöße gegen Verfahrensvorschriften vorlägen.
Die Gestaltung der Stimmzettel für die Neuwahl sei nicht zu beanstanden. Maßgeblich seien §§ 66 Abs. 1, 67 Satz 3 NKomVG. Danach sei die Person gewählt, für die die Mehrheit der Vertretung gestimmt habe. Beschlüsse würden mit der Mehrheit der auf Ja oder Nein lautenden Stimmen gefasst. Die benutzten Stimmzettel seien auch für eine geheime Wahl hinreichend sicher gewesen. Ein einfaches Kreuz sei als Ja-Stimme ausreichend gewesen, für ein Nein hätte der Zettel unverändert in die Wahlurne gelegt oder anderweitig ungültig gemacht werden können. Für eine Enthaltung sei bei dieser Wahl kein Raum. Wenn ein Ratsmitglied mit seinem Kreuz eine Nein-Stimme habe abgeben wollen, hätte dies jedenfalls die allgemein bekannten und üblichen Wahlverfahrensgrundsätze missachtet und könnte das Ergebnis nicht beeinflussen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 23.06.2016 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Feststellungsklage im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreites zulässig. Insbesondere steht dem Kläger hinsichtlich beider Anträge die in entsprechender Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis zu. In der Sache macht der Kläger geltend, durch den Beschluss zu TOP 4 in seinem passiven und durch den Beschluss zu TOP 5 in seinem aktiven Wahlrecht als organschaftlichem Mitgliedschaftsrecht verletzt zu sein.
Die Klage ist jedoch nicht begründet, weil beide angegriffenen Beschlüsse rechtmäßig sind.
1. Der zu TOP 4 gefasste Beschluss, den Kläger als Ratsvorsitzenden abzuberufen, leidet nicht unter Mängeln.
a) Zwar hat der Bürgermeister sich bei der Aufstellung der Tagesordnung nicht an § 1 Abs. 3 GO gehalten. Danach können Anträge nur auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn sie mindestens zwei Wochen vor der Sitzung der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister vorgelegt werden. Die Kammer sieht hier kein Ermessen für den Bürgermeister eröffnet, nicht fristgerecht vorgelegte Anträge zu berücksichtigen, da das „können“ im Zusammenhang mit dem „nur“ zu verstehen ist. Ermessen ergibt sich nach dem Wortlaut der Geschäftsordnung lediglich für die Situation, in der die Anträge rechtzeitig vorgelegt worden sind. Die Zweiwochenfrist war unstreitig mit dem Antrag vom 14.07.2015 für die Sitzung am 23.07.2015 nicht gewahrt.
Gleichwohl kann der Kläger sich nicht auf diesen Verstoß gegen die Geschäftsordnung berufen. Anders als die Ladungsfrist für Ratssitzungen (vgl. zu dieser Beschl. d. Kammer v. 21.12.2006 - 1 B 8861/06 -, NdsVBl. 2007, 174, juris Rn. 5, 12 m.w.N.; Blum in Blum/Baumgarten u.a., Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen (KVR-NKomVG), Stand 41. Nachlieferung Dezember 2015, § 59 Rn. 24 m.w.N.) schützt die Regelung für die Frist zur Antragstellung nicht die Rechte der Mitglieder der Vertretung. Dem Beklagten ist zuzustimmen, dass mit dieser Frist lediglich dem Hauptverwaltungsbeamten eine ordnungsgemäße Vorbereitung der Ratssitzung ermöglicht werden soll. Auf die Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte hat ihre Nichteinhaltung nämlich keine Auswirkung. Die Ratsmitglieder erfahren erst mit der Ladung zur Sitzung von der Tagesordnung. Ihre ordnungsgemäße Vorbereitung wird deshalb durch die Beachtung der Ladungsfrist gewährleistet. Der Bürgermeister hätte unabhängig davon, wann der Abberufungsantrag gestellt worden wäre, nur die einwöchige Ladungsfrist einhalten müssen. Tatsächlich werden die Mitglieder des Beklagten auch immer erst eine Woche vor der Sitzung geladen, wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat.
Daher geht das klägerische Argument ins Leere, es hätten weniger Ratsmitglieder urlaubsbedingt gefehlt und die Ratsmitglieder hätten sich zur Vorbereitung mit der Frage nach dem Grund des Abwahlantrags beschäftigen können, wenn sie früher davon erfahren hätten. Überdies war bei der Abstimmung über TOP 4 auch nur eins der 27 Ratsmitglieder nicht zugegen.
b) Auch die unterlassene Benehmensherstellung nach § 59 Abs. 3 Satz 1 NKomVG hat nicht die Rechtswidrigkeit des Abberufungsbeschlusses zur Folge.
Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 NKomVG stellt die Hauptverwaltungsbeamtin oder der Hauptverwaltungsbeamte die Tagesordnung im Benehmen mit der oder dem Vorsitzenden der Vertretung auf; die oder der Vorsitzende kann verlangen, dass die Tagesordnung um einen Beratungsgegenstand ergänzt wird. Diese Benehmensherstellung zwischen dem Bürgermeister und dem Kläger ist hier unterblieben. Sie war nicht aufgrund eines Mitwirkungsverbots des Klägers entbehrlich. Denn das Verbot, in eigener Angelegenheit beratend oder entscheidend mitzuwirken, gilt gemäß § 53 Abs. 3 i.V.m. § 41 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 NKomVG nicht für Beschlüsse, welche die Besetzung unbesoldeter Stellen oder die Abberufung aus ihnen betreffen, und nicht für Wahlen (dazu zählen auch Abberufungen, vgl. Thiele, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, § 41 Ziff. 4).
Der Verstoß gegen die Verpflichtung zur Benehmensherstellung führt jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der Tagesordnung und der auf ihrer Grundlage gefassten Beschlüsse, weil es sich nicht um einen wesentlichen Verfahrensfehler handelt. Insoweit macht die Kammer sich die Ausführungen von Franke (Die Tagesordnung von Rats- und Kreistagssitzungen, NdsVBl. 2014, 1, 2 ff.; zustimmend Blum in KVR-NKomVG, § 59 Rn. 40) zu eigen:
„<Die Regelung> bezweckt, die ehrenamtliche Tätigkeit in einer Kommune insgesamt dadurch aufzuwerten, dass der Vorsitzende die Möglichkeit erhält, die spezifischen Belange und Interessen der Vertretung hinsichtlich der Beratungsbedürftigkeit von Angelegenheiten schon bei der Aufstellung der Tagesordnung durch den Hauptverwaltungsbeamten zur Geltung zu bringen. Eine Weichenstellung inhaltlicher Art hinsichtlich in der Sitzung ggf. zu fassender Beschlüsse ist damit nicht verbunden. Genauso wenig dient das Benehmenserfordernis dem Schutz anderer Rechtsgüter, wie z.B. die Öffentlichkeit von Sitzungen (§ 64 NKomVG) dem demokratischen Prinzip oder dem Schutz der Rechte bestimmter anderer Personen. Letzteres gilt insbesondere für die Abgeordneten als Mitglieder der Vertretung. Ihre Mitgliedschaftsrechte in Bezug auf die Gestaltung der Tagesordnung der Vertretungssitzung - auch gemeinsam als Fraktion oder Gruppe - regelt umfassend § 56 Satz 1 NKomVG. Nach dieser Vorschrift hat jeder Abgeordnete der Vertretung grundsätzlich Anspruch darauf, dass ein von ihm gewünschter Beratungsgegenstand auf die Tagesordnung gesetzt wird. Diesem Anspruch hat der Hauptverwaltungsbeamte ohne Ermessensspielraum nachzukommen, so dass es im Interesse einzelner Abgeordneter insoweit auch keiner weiteren Stellungnahme durch den Vorsitzenden der Vertretung mehr bedarf. Und schließlich können sich die Abgeordneten - anders als in Fällen nicht oder nur ungenau bezeichneter Tagesordnungspunkte - auf die Beratung eines ohne Benehmensherstellung in die Tagesordnung aufgenommenen Gegenstands nicht weniger gründlich vorbereiten als bei erfolgter Benehmensherstellung auch.“
Dem übergangenen Vorsitzenden der Vertretung bleiben gleichwohl Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen. Ein streitiger Rechtsverstoß könnte etwa zum Gegenstand eines Kommunalverfassungsstreits zwischen dem Vorsitzenden der Vertretung und dem Hauptverwaltungsbeamten gemacht werden. Daneben kann der Vorsitzende der Vertretung - wie hier auch geschehen - die Kommunalaufsicht einschalten (vgl. Franke a.a.O.).
c) Gegen den Beschlussvorschlag „Abberufung des Ratsvorsitzenden F.“ in der Beschlussvorlage bestehen keine Bedenken. Zwar hätte keine Beschlussvorlage der Verwaltung angefertigt werden müssen, da es sich um einen Akt der Selbstorganisation des Beklagten handelte. In der gewählten Form ist aber keine inhaltliche Stellungnahme des Bürgermeisters erkennbar. Der einleitende Text macht deutlich, dass es sich um einen Antrag eines Mitglieds und zweier Fraktionen des Beklagten handelte. Der Beschlussvorschlag gibt lediglich den Antrag wieder, über den abzustimmen war. Dieser war auf die Abberufung des Ratsvorsitzenden nach § 61 Abs. 2 NKomVG gerichtet.
d) Schließlich liegt auch keine Kumulation von Rechtsverstößen vor, die für sich unbeachtlich sind, aber in ihrer Gesamtheit zur Rechtswidrigkeit des Abberufungsbeschlusses führen. Der Beschluss zu TOP 4 ist von dem Beklagten fehlerfrei getroffen worden. Lediglich bei der Aufstellung der Tagesordnung hat ein anderes Kommunalorgan, nämlich der Bürgermeister, zwei Verfahrensvorschriften verletzt, deren Beachtung keinen Einfluss auf die Entscheidungen des Beklagten hat.
2. Die Wahl der neuen Ratsvorsitzenden unter TOP 5 war ebenfalls rechtmäßig. Die Gestaltung der Stimmzettel ist nicht zu beanstanden.
a) Gemäß § 67 Satz 3 NKomVG ist im ersten Wahlgang die Person gewählt, für die die Mehrheit der Mitglieder der Vertretung gestimmt hat. Es kommt daher nur auf die positive Bekundung einer von vornherein bestimmten Anzahl von Personen an. Nein-Stimmen oder Enthaltungen haben dabei keine Bedeutung. Deshalb müssen sie nicht erfasst werden (vgl. auch Schwind in KVR-NKomVG, § 67 Rn. 27; Thiele, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, § 67 Ziff. 4; ders. in Rathaus und Recht 6/2011, S. 16 f.).
Dies ist anders bei Abstimmungen, die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 mit der Mehrheit der auf Ja oder Nein lautenden Stimmen gefasst werden. In dem Fall ist die Anzahl der Nein-Stimmen maßgeblich für die Bestimmung der Bezugsgröße für die Mehrheit. Allenfalls bei Wahlen im zweiten Wahlgang und mit nur einem Bewerber könnte eine Heranziehung von Nein-Stimmen erwogen werden. Denn nach § 67 Satz 5 NKomVG ist im zweiten Wahlgang die Person gewählt, die die meisten Stimmen erhalten hat. Bei nur einem Bewerber fehlt für die Bestimmung der „meisten“ Stimmen die Bezugsgröße, so dass dann auf die einfache Mehrheit der Ja-Stimmen gegenüber den Nein-Stimmen abgestellt werden könnte (so Koch, Abstimmungsmehrheit und Einzelkandidatur, NdsVBl. 2002, 174, 175, und Ipsen, NKomVG, § 67 Rn. 7).
Die zumindest im ersten Wahlgang fehlende Notwendigkeit, auch Nein-Stimmen zu erfassen, kann überdies in einem Umkehrschluss aus den Bestimmungen abgeleitet werden, die der Gesetzgeber für die Direktwahl im NKWG getroffen hat. Bei der Direktwahl bei Kommunalwahlen gibt es anders als im ersten Wahlgang nach § 67 Satz 3 NKomVG kein Quorum der Mehrheit der Wahlberechtigten. Dort ist folgerichtig vorgeschrieben, dass der Stimmzettel ein Feld für eine Ja-Stimme und ein Feld für eine Nein-Stimme vorsieht, wenn nur eine Bewerberin oder ein Bewerber zur Wahl steht, und dass die vorgeschlagene Person gewählt ist, wenn sie mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen erhalten hat, § 45 e Abs. 1 Satz 5, § 45 g Abs. 3 Satz 1 NKWG.
b) Der Einwand fehlender Eindeutigkeit der Stimmzettel überzeugt die Kammer nicht. Aus der Perspektive einer verständigen wahlberechtigten Person ist es offensichtlich, dass mit einem Kreuz im Kreis hinter der Kandidatin Zustimmung zu ihrer Wahl ausgedrückt wird. Irrtümer im Einzelfall ändern daran nichts. Erläuternde handschriftliche Ergänzungen auf dem Stimmzettel sind zur Klarstellung des Votums nicht erforderlich. Deshalb wird auch der Grundsatz der geheimen Wahl nicht verletzt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 ZPO.