Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.08.2022, Az.: 21 WF 87/22

Vorläufige Mitbenutzung einer bisherigen Ehewohnung; Einräumung eines Mitbesitzes; Keine Darlegung einer unbilligen Härte

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
10.08.2022
Aktenzeichen
21 WF 87/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 31501
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2022:0810.21WF87.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Cuxhaven - 04.07.2022 - AZ: 11 F 1215/22

Fundstellen

  • FamRB 2022, 427-428
  • FamRZ 2023, 39
  • NJW 2022, 2855-2856
  • NJW-Spezial 2023, 6
  • NZFam 2022, 1003
  • NZM 2022, 997-999

Amtlicher Leitsatz

Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag auf Mitbenutzung der (gemieteten) Ehewohnung kann nicht allein mit der Begründung versagt werden, dass eine unbillige Härte i.S.v. § 1361b Abs. 1 BGB nicht dargelegt wurde. Denn im Gegensatz zur Überlassung der Ehewohnung ist die Rechtsverfolgung auf Einräumung des Mitbesitzes, die auf § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB, auf § 861 BGB sowie auf § 1361b BGB analog gestützt werden kann, gerichtet.

Der Anspruch auf Einräumung des Mitbesitzes bzw. auf Mitnutzung der Ehewohnung kann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gem. §§ 119 Abs. 1, 49 FamFG geltend gemacht werden.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 12. Juli 2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Cuxhaven vom 4. Juli 2022 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung sowie zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Mitbenutzung der bisherigen Ehewohnung.

Die Beteiligten haben am ... August 2021 geheiratet und lebten seither in der gemeinsam gemieteten Wohnung im M. ... in C. zusammen. Aus der Ehe sind keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen. Der Antragsteller behauptet, die Antragsgegnerin habe ihn kurz nach der Trennung aus der gemeinsamen Ehewohnung herausgeworfen und verweigere ihm seither den Zutritt zur Ehewohnung. Aus diesem Grund habe er ohne Zugriff auf seine persönlichen Sachen die Nächte in Notunterkünften verbringen müssen. Bis er eine neue Wohnung gefunden habe, sei es der Antragsgegnerin zuzumuten, die Wohnung weiterhin mit ihm gemeinsam zu nutzen, zumal es zu keinerlei handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten gekommen sei.

Das Amtsgericht hat im angefochtenen Beschluss dem Antragsteller die von ihm nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung versagt, dass eine Wohnungszuweisung nach § 1361b BGB nur in Betracht komme, um eine unbillige Härte zu vermeiden, die vorliegend nicht dargetan sei. Darüber hinaus sei die Wohnungszuweisung in der Regel nicht auf eine Mitbenutzung gerichtet.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er in entsprechender Anwendung des § 1361b BGB als Mitmieter einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Mittelsitzes an der Ehewohnung verfolgt. Die Antragsgegnerin habe ohne Vorliegen von triftigen Gründen durch verbotene Eigenmacht ihn aus der Ehewohnung ausgesperrt, ohne selbst einen Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung zu stellen, zumal eine unbillige Härte nicht gegeben sei.

II.

Die gemäß §§ 113 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Dem Begehren des Antragstellers auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes an der Ehewohnung kann eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht von vornherein abgesprochen werden.

1.

Die Rechtsverfolgung des Antragstellers ist dahingehend auszulegen, dass dieser nicht eine gerichtliche Regelung zur Überlassung der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung oder zur Mitbenutzung begehrt. Hierfür wäre, worauf das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat, nach § 1361b Abs. 1 BGB eine unbillige Härte erforderlich. Auch wenn in der Antragsschrift der Verfahrensgegenstand als "wegen Wohnungszuweisung" umschrieben ist, bringt der Antragsteller in seinem Antrag zu Ziffer 1 sowie in der hierauf bezogenen Antragsbegründung hinreichend zum Ausdruck, dass er nur die Mitbenutzung der Ehewohnung anstrebt, wie sie bis zur Trennung und danach von den Beteiligten gelebt worden sei.

2.

Ein Anspruch auf Mitbenutzung und Mitbesitz der Ehewohnung folgt aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB und der dort geregelten Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. BeckOGK/Erbarth, § 1353 Rn. 389 ff.; Grüneberg/Siede, BGB, 81. Aufl., § 1353 Rn. 6). Leben die Ehegatten gemeinsam in einer Ehewohnung, so steht Ihnen der Mitbesitz an der Ehewohnung und an den Haushaltsgegenständen unabhängig davon zu, ob sie die Wohnung - wie vorliegend - gemeinsam gemietet haben oder nur ein Ehegatte Partei des Mietvertrages ist. Dieser Anspruch besteht während der intakten Ehe. Das bloße Verlassen der Ehewohnung führt nicht zum Erlöschen des Mitbesitzes, denn eine vorübergehende Abwesenheit berührt diesen nicht (vgl. Götz/Brudermüller/Giers, Die Wohnung in der familienrechtlichen Praxis, 2. Aufl., Rn. 35 ff.). Das Recht auf Mitbesitz entfällt dann, wenn die Ehegatten anlässlich ihrer Trennung eine abweichende Vereinbarung über die künftige Nutzung der Ehewohnung getroffen haben oder ein Ehegatte aus der Ehewohnung mit dem Willen ausgezogen ist, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherstellen zu wollen (BGH NJW 1972, 42). Hält sich die Ehefrau vorübergehend in einem Frauenhaus oder bei ihrer Familie im Ausland auf, gibt sie damit nicht den Mitbesitz an der vom Ehemann allein angemieteten Wohnung auf (vgl. LG Freiburg FamRZ 2005, 1252; OLG Frankfurt NZFam 2019, 443, 445).

Anhaltspunkte dafür, dass der Anspruch auf Mitbesitz an der Ehewohnung nicht bestehen könnte, sind dem bisherigen Vorbringen des Antragstellers nicht zu entnehmen. Insbesondere wurde der Antragsgegnerin die Ehewohnung nicht durch einvernehmliche Regelung oder auf einen von ihr zu stellenden Antrag durch gerichtliche Entscheidung zur alleinigen Nutzung überlassen.

Neben dem Anspruch auf Mitbenutzung der Ehewohnung aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht ein Anspruch nach § 861 Abs. 1 BGB. Danach kann der Besitzer bzw. Mitbesitzer die Wiedereinräumung des Besitzes verlangen, wenn der Besitz durch verbotene Eigenmacht dem Besitzer entzogen wird. Verweigert ein Ehegatte dem anderen den Zutritt zur Ehewohnung, erweist sich dies Verhalten als verbotene Eigenmacht mit der Folge, dass ein Anspruch aus § 861 BGB auf Wiedereinräumung des (Mit)Besitzes besteht (vgl. Götz/Brudermüller/Giers, a.a.O. Rn. 38; AG Neustadt a. Rbge. FamRZ 2005, 1253 [im Fall des Miteigentums]).

In welchem Verhältnis dieser possessorische Anspruch nach erfolgter Trennung der Ehegatten zu dem Recht auf Überlassung der Ehewohnung nach § 1361b BGB steht, ist auch nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 2017, 22) zur Konkurrenz zum Vindikationsanspruch aus § 985 BGB umstritten (ausführlich Johannsen/Henrich/Althammer/Dürbeck, Familienrechte, 7. Aufl., § 1361 b Rn. 44 f.; Götz/Brudermüller/Giers, a.a.O. Rn. 444 ff.; Hdb.-FamR/Kaßing, 12. Aufl., Kap. 8 Rn. 58 jeweils m.w.Nw.). Die Frage bedarf vorliegend für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Antragsteller keiner abschließenden Beurteilung durch den Senat. Denn nach der Auffassung, die eine freie Anspruchskonkurrenz befürwortet, wäre ein Besitzschutzanspruch aufgrund einer nicht gerechtfertigten Aussperrung des Antragstellers aus der Ehewohnung begründet. Nach der vermittelnden Ansicht sind die Wertungen zum possessorischen Besitzschutz im Rahmen der Sondervorschrift des § 1361b BGB einzubeziehen, sodass vorliegend für den "ausgesperrten" Ehegatten ebenfalls von der Wiedereinräumung des Mitbesitzes an der Ehewohnung auszugehen ist (vgl. hierzu OLG Frankfurt NZFam 2019, 443, 444 m. krit. Anm. Erbarth [auch zu weiteren verfahrensrechtlichen Aspekten]).

3.

Ansprüche aus §§ 1353, 1361b BGB auf Einräumung des Mitbesitzes wie auch der Anspruch wegen Besitzentziehung aus § 861 Abs. 1 BGB können gemäß §§ 119 Abs. 1, 49 ff. FamFG im Wege der einstweiligen Anordnung geltend gemacht werden. Auch in Familienstreitsachen sind danach die Vorschriften über die einstweilige Anordnung anzuwenden. Bei einer Auseinandersetzung der Beteiligten um den Mitbesitz an der Ehewohnung nach §§ 1353, 861 BGB handelt es sich als sonstige Familiensache i.S.v. § 266 FamFG (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2013, 1506; Prütting/Helms/Heiter, FamFG, 5. Aufl., § 266 Rn. 54a; Hdb.FamR/Schwonberg, 12. Aufl., Kap. 1 Rn. 132) um eine Familienstreitsache gemäß § 113 Abs. 1 FamFG. In Familienstreitsachen kann zur Sicherung eines Anspruchs oder Regelung eines Rechtsverhältnisses auch eine einstweilige Anordnung ergehen, sofern hierfür ein Regelungsbedürfnis besteht (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Schwonberg, FamFG, 6. Aufl., § 119 Rn. 5, 7; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1930). Wird die Wiedereinräumung des Mitbesitzes auf § 1361b Abs. 1 BGB gestützt, handelt es sich um eine Ehewohnungssache als Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, für die ebenfalls der einstweilige Rechtsschutz über § 49 FamFG eröffnet ist. Unterschiede ergeben sich hingegen für die Frage, ob im einstweiligen Anordnungsverfahren eine Beschwerde nach § 57 Satz 2 Nr. 5 FamFG statthaft ist, die für eine Familienstreitsache nicht eröffnet wäre (vgl. OLG Bamberg FamRZ 2006, 873; Schulte-Bunert/Weinreich/Schwonberg, a.a.O., § 49 Rn. 61; § 57 Rn. 16).

4.

Neben dem erforderlichen Anordnungsanspruch, wie er aus § 1353 Abs. 1 BGB möglich erscheint, besteht nach dem bisherigen Vorbringen bereits deswegen ein Regelungsbedürfnis i.S.v. § 49 Abs. 1 FamFG, weil der Antragsteller nicht über die Möglichkeit verfügt, an einem anderen Ort zu wohnen bzw. auch nur zu übernachten. Vielmehr ist er nach seinem glaubhaft gemachten Vorbringen (§ 51 Abs. 1 Satz 2 FamFG) auf die Nutzung von Notunterkünften angewiesen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass er auch über keinerlei persönliche Gegenstände verfügt, die in der Ehewohnung verblieben sind.

III.

Der Senat kann über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht abschließend entscheiden, da das Amtsgericht allein über die hinreichende Erfolgsaussicht befunden und diese verneint hat. Der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners vom 29. Juni 2022 waren die erforderlichen Unterlagen nicht beigefügt, sodass der Senat diese nicht prüfen kann. Dem Antragsteller wird angeraten, die Erklärung kurzfristig mit den erforderlichen Angaben und Belegen zu vervollständigen.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.