Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 29.08.2022, Az.: 1 U 52/22

Ansprüche des Patienten aus behandlungsfehlerhaftem Verhalten des Arztes; Erörterung eines Misserfolgsrisikos

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.08.2022
Aktenzeichen
1 U 52/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 66690
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 16.06.2022 - AZ: 4 O 215/21

In dem Rechtsstreit
G. P.,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
gegen
Dr. Dr. W. G.,
Beklagter und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht Dr. ... am 29. August 2022 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 16. Juni 2022 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Senatsbeschluss kostenpflichtig zurückzuweisen.

  2. 2.

    Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis zu 19.000 € festgesetzt.

  3. 3.

    Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und vom Senat angeratener Berufungsrücknahme binnen zwei Wochen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist unbegründet, so dass der Senat eine Zurückweisung im Beschlusswege gemäß § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtigt, weil auch die übrigen Voraussetzungen für ein Vorgehen nach dieser Vorschrift erfüllt sind.

I.

Die Berufung ist unbegründet, da dem Kläger einerseits keine Ansprüche aus behandlungsfehlerhaftem Verhalten des Beklagten zustehen - im Folgenden unter 1. -, und sich der Kläger auch nicht auf Ansprüche aus einer Aufklärungspflichtverletzung stützen kann - im Folgenden unter 2. -.

1. Ansprüche aus Behandlungsfehlern sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens; die sich darauf beziehende Klagabweisung des Landgerichts ist rechtskräftig geworden. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 5. Dezember 2006 (Az: VI ZR 228/05) entschieden, dass - sofern im Arzthaftungsprozess die auf einen Behandlungs- sowie einen Aufklärungsfehler gestützte Klage unter beiden Gesichtspunkten abgewiesen worden ist - die Berufungsbegründung erkennen lassen muss, ob das Urteil hinsichtlich beider Fehler angegriffen wird (juris Rn. 10). In dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegenden Fall war die Klage sowohl hinsichtlich der Behandlungsfehlervorwürfe als auch unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflichtverletzung abgewiesen worden, die Berufungsbegründung enthielt indes lediglich Ausführungen zur ärztlichen Risikoaufklärung. Der Bundesgerichtshof hat, da das Urteil nicht angegriffen worden war, soweit das Landgericht den Behandlungsfehler verneint hatte, angenommen, dass die Frage der Haftung des Beklagten wegen eines Behandlungsfehlers nicht Streitstoff der Berufung geworden sei. Zwar müsse der Berufungskläger nicht zu allen vom Erstgericht zu seinem Nachteil beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen; dies gelte jedoch nur, soweit der zugrunde liegende Streitstoff aufgrund einer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, was hinsichtlich der Ansprüche der fehlerhaften Behandlung nicht gegeben gewesen sei (juris Rn. 13). So liegt es auch hier: Die Berufungsbegründung des Klägers verhält sich zu den seitens des Landgerichts abgelehnten Ansprüchen aus der Haftung für Behandlungsfehler nicht.

2. Der Kläger kann sich jedoch auch nicht auf eine Aufklärungspflichtverletzung des Beklagten stützen.

a) Allerdings ist durchaus zu erwägen, dass die Aufklärung des Beklagten - wobei der Senat wie das Landgericht die Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zugrunde legt (Seite 6 unten des Protokolls vom 25. Mai 2022, Bl. 123 d.A.) - insuffizient war. Zwar hat der Sachverständige Dr. W. N. (vgl. Seite 1 seines Ergänzungsgutachtens vom 28. April 2022, Bl. 94 d.A.) formuliert: "Jedem Patienten ist klar bzw. sollte klar sein, dass chirurgische Leistungen nicht grundsätzlich immer gelingen müssen." Er hat also aus der maßgeblichen zahnmedizinischen Sicht Vorbehalte gegen die Notwendigkeit der Aufklärung über ein Misserfolgsrisiko geäußert. Dies ist aber eine sehr allgemeine Aussage, die der Konkretisierung im Einzelfall bedarf, was sich schon aus der Verwendung des Wortes "sollte" durch den gerichtlichen Sachverständigen ergibt. Im Grundsatz wird man daher verlangen können, dass über das Risiko des Misserfolgs einer Behandlung gesprochen wird. Eine besondere Erörterung des "allgemeinen" Misserfolgsrisikos kann aber andererseits durchaus entbehrlich sein, wenn die Frage des Misserfolgs überhaupt - wenn auch (wie hier) unter anderen Voraussetzungen - mit dem Patienten erörtert worden ist. Deswegen liegt es hier wenigstens nahe, wie das Landgericht im Ergebnis richtig angenommen hat (Seite 9 des Urteils), dass hier hinausgehend über die ausführlich erfolgte Erörterung des Risikos eines Fehlschlags, wenn gewisse Verhaltensweisen des Patienten nicht eingehalten würden, nicht über ein Misserfolgsrisiko aufgeklärt zu werden brauchte. Aus der vom Landgericht zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt (Urteil vom 12. November 2009, Aktenzeichen 1 U 59/09) ergibt sich dies allerdings nicht, weil das Oberlandesgericht (vgl. Rn. 30 der Entscheidung) davon ausgegangen ist, dass die Aufklärung des Patienten "die Risiken und die möglichen schädlichen Nebenfolgen einer Operation und ausdrücklich auf das Misserfolgsrisiko der Behandlung bei einem derartigen Verletzungsbild" genannt hatte. Die vom Landgericht zitierte Rz. 35 der Entscheidung behandelt die hier nicht relevante Aufklärung über Alternativen zur vorgesehenen Behandlung.

b) Einer abschließenden Entscheidung über die soeben erörterte Frage der rechtlichen Verpflichtung zur Aufklärung über das "allgemeine" Misserfolgsrisiko bedarf es hier jedoch nicht, da sich eine (unterstellte) Pflichtverletzung des Beklagten nicht zum Nachteil des Klägers ausgewirkt hat. Denn der Kläger war ersichtlich darüber informiert, dass es auch ein allgemeines Misserfolgsrisiko gibt, also nicht in jedem Fall (auch bei Einhaltung der seitens des Beklagten gegebenen Empfehlungen) der Erfolg garantiert sein würde:

Der Kläger hat auf Seite 4 oben des Schriftsatzes (Bl. 78 d.A.) eindeutig formulieren lassen:

"Er ging davon aus, dass der Eingriff mit den typischen Risiken einhergehe, nicht aber, dass diese bei ihm erhöht sein würden."

Der Kläger war also auch über das "normale" Risiko informiert, was er auch kurz zuvor insofern bestätigt hatte, als er hatte vortragen lassen (Seite 3 unten, letzter Absatz, Bl. 77 d.A.):

"Anhand der erfolgten Aufklärung war er davon ausgegangen, dass sein theoretisches Risiko, dass der Eingriff nicht gelingt, vernachlässigt werden könnte."

Der Kläger hat sich also durchaus Gedanken gemacht über die Möglichkeit, dass der Eingriff nicht gelingen könnte. Dies war ausreichend. Konkrete Prozentzahlen mussten dem Kläger nicht genannt werden, was der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten bekräftigt hat.

Dies hat der Kläger letztlich auch bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht (Seite 3 Mitte des Protokolls vom 25. Mai 2022, Bl. 120 d.A.) bestätigt, indem er angegeben hat:

"Ja, ich habe gewusst, dass es besser wäre, wenn ich mit Alkohol und Nikotin aufhöre, weil der Heilerfolg dann besser wäre."

Daraus wird klar, dass der Kläger immerhin von einem möglichen Risiko des Fehlschlags ausging, selbst wenn er das Rauchen einstellen würde. Dem Kläger war klar, wie er im Folgenden weiter erläutert hat (Seite 3 unten, 4 oben des landgerichtlichen Protokolls, Bl. 120 f. d.A.), "dass die Implantate gut einheilen müssen".

Der Verfahrensablauf spricht nicht gegen diesen Befund, bestätigt ihn vielmehr: Der Kläger hatte sich zunächst (Seite 8-12 der Klage) ausschließlich auf Behandlungsfehler gestützt, obwohl ihm (sofern ihm nicht bewusst war, dass die Behandlung auch fehlschlagen könnte) doch schon in diesem Zeitpunkt mehr als ausreichenden Anlass hatte, ein Aufklärungsdefizit zu beklagen. Selbst nachdem der Beklagte mit der Klageerwiderung (dort Seite 3, Bl. 34 d.A.) geltend gemacht hatte, er habe den Kläger darüber aufgeklärt, dass es keine Erfolgsgarantie gebe, hat der Kläger in der Replik vom 3. November 2021 (Bl. 48 ff. d.A.) kein Wort zu einer Aufklärungsrüge verloren, vielmehr erst nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens (wobei sich der Beweisbeschluss lediglich auf Behandlungsfehler bezog) mit Schriftsatz vom 28. Februar 2022 (Bl. 75 ff. d.A.) die Rüge einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung durch den Beklagten erhoben. Indes hat der Kläger hier lediglich allgemein die Risikoaufklärung angesprochen und den Umstand, dass zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns eine therapeutische Aufklärung nicht ordnungsgemäß erfolgt sei (Seite 2 oben des Schriftsatzes, Bl. 76 d.A.)

II.

Angesichts der Ausführungen zu I. kann dem Kläger nur geraten werden, seine Berufung zurückzunehmen, die anderenfalls kostenpflichtig zurückgewiesen werden müsste.