Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.07.2014, Az.: 11 K 68/13
Werbungskostenabzug von Fahrtkosten und von Verpflegungsmehraufwendungen bei einem Rettungsassistenten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 31.07.2014
- Aktenzeichen
- 11 K 68/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 35990
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2014:0731.11K68.13.0A
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG
- § 9 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 3 EStG
Fundstellen
- EFG 2015, 282-285
- KÖSDI 2015, 19270
Redaktioneller Leitsatz
Ein Rettungsassistent, der schwerpunktmäßig auf dem Rettungswagen tätig ist und für den deshalb die Rettungswache keine regelmäßige Arbeitsstätte darstellt, kann seine Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen geltend machen und Verpflegungsmehraufwendungen für die Zeit der Abwesenheit von seiner Wohnung abziehen.
Tatbestand
Streitig ist der Werbungskostenabzug von Fahrtkosten und von Verpflegungsmehraufwendungen.
Der Kläger ist Rettungssanitäter und seit dem 1. März 2009 beim V Hilfsdienst e.V. tätig. Seit dem 1. Juli 2011 ist er als Rettungsassistent beim V Hilfsdienst e.V. eingestellt. Im Streitjahr 2011 hat der Kläger folgende Dienste als Rettungsassistent geleistet:
73 Dienste mit mindestens 24 Stunden Anwesenheit auf der Rettungswache L,
2 Dienste mit mindestens 15 Stunden Anwesenheit auf der Rettungswache L,
6 Dienste mit mindestens 8 Stunden Anwesenheit auf der Rettungswache L,
7 Dienste mit mindestens 16 Stunden Anwesenheit auf der Rettungswache M und
8 Dienste mit mindestens 24 Stunden Anwesenheit auf der Rettungswache O.
Die Entfernungskilometer von der Wohnung des Klägers bis zu den Rettungswachen betragen nach L 71 km, nach M 70 km und nach O 81 km. Im Dienstvertrag wie auch in drei weiteren Nachträgen zum Dienstvertrag vom 26. Februar 2009 ist keine feste Arbeitsstätte vereinbart worden. Im Dienstvertrag vom 26. Februar 2009 (§ 1 Abs. 1 Satz 2 und 3) ist zum Ort der Dienstleistung Folgendes vereinbart worden:
"...Die Dienstleistung erfolgt beim V Hilfsdienst e.V., Bezirk X. Innerhalb des Bezirkes kann die Beschäftigung an verschiedenen Orten erfolgen."
Der V Hilfsdienst e.V. unterhält in L eine Rettungswache für den Kreis Y und unterhält Nebenstellen in O und M, die aber von der funktionalen Struktur her (ein Rettungswagen, ein Aufenthaltsraum etc.) vergleichbar sind.
In seiner Einkommensteuererklärung macht der Kläger Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend. Daraufhin erließ der Beklagte am 16. August 2012 einen Einkommensteuerbescheid für 2011. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Zur Begründung verwies er u.a. auf die Entscheidung des BFH vom 19. Januar 2012 (VI R 36/11, BStBl II 2012, 503). Im Einspruchsverfahren machte er nunmehr Fahrtkosten nach den Grundsätzen bei Auswärtstätigkeit und mit einer km-Pauschale von 0,35 EUR in Höhe von 5.103 EUR (zum Einsatzort L), 509 EUR (zum Einsatzort M) und 392 EUR (zum Einsatzort O) geltend. Des Weiteren machte er Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.812 EUR (bzgl. L), 84 EUR (bzgl. M) und 192 EUR (bzgl. O) geltend.
Der Beklagte erließ im Einspruchsverfahren einen Änderungsbescheid am 14. Mai 2013. Es handelte sich dabei um eine Teilabhilfe wegen anderer hier nicht streitigen Punkte. Der Beklagte erließ des Weiteren am 30. August 2013 einen Teil-Einspruchsbescheid. Darin wurde nicht u.a. wegen Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen mit einem Kilometersatz von 0,35 EUR statt 0,30 EUR entschieden, da insoweit ein Verfahren beim BVerfG anhängig war (Az. 2 BvR 1008/11). Ansonsten wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Gegen den Einspruchsbescheid erhob der Kläger Klage.
Der Kläger trägt vor, es seien noch in Höhe von 3.776,20 EUR Fahrtkosten wie auch Verpflegungsmehraufwendungen zu berücksichtigen. Im Einzelnen begehrt er die Berücksichtigung von folgenden Aufwendungen:
1. 81 Fahrten zur Rettungswache in L. Statt bisher anerkannter 0,30 EUR je Entfernungskilometer beantragt der Kläger den Ansatz von Dienstreisekosten mit einem Kilometersatz von 0,35 EUR für jeden gefahrenen Kilometer (71 km Entfernung). Er machte insoweit Mehrkosten in Höhe von 2.300,40 EUR geltend.
2. 7 Dienstreisen nach M. Statt der anerkannten Fahrtkosten von 294 EUR, beantragte der Kläger eine Berücksichtigung von 343 EUR, so dass weiter Kosten in Höhe von 49 EUR geltend gemacht wurden.
3. 8 Dienstreisen nach O über 81 km Entfernung. Hier beantragte der Kläger eine Berücksichtigung von 453,60 EUR abzüglich bisher berücksichtigter 388,80 EUR, so dass er 64,80 EUR zusätzlich geltend machte.
4. Des Weiteren macht er weitere Verpflegungsmehraufwendungen anlässlich von Dienstreisen in Höhe von insgesamt 1.362 EUR geltend, welche von L aus angetreten wurden: 6 Tage mit Abwesenheit von mehr als 8 Std. x 6 EUR = 36 EUR, 2 Tage mit Abwesenheit von mehr als 14 Std. x 12 EUR = 24 EUR und 73 Tage mit Abwesenheit von mehr als 24 Std. x 24 EUR = 1.752 EUR. Berücksichtigt wurden bisher nur 450 EUR.
Der Kläger begehrt die Berücksichtigung dieser Beträge für Fahrtkosten und Verpflegungsmehraufwendungen, weil er der Ansicht ist, dass er als Fahrer eines Einsatzfahrzeugs keine regelmäßige Arbeitsstätte in L gehabt habe. Er sei der Ansicht, dass der qualitative Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit als Rettungsassistent im Bereitschaftsdienst nicht bei einer ortsgebundenen festen Einrichtung des Arbeitgebers liege. Insofern stelle die Rettungswache L keine regelmäßige Arbeitsstätte dar. Es müsse ersatzweise das Urteil des BFH vom 10. Juli 2009 berücksichtigt werden (VI R 21/08). Danach liege ebenfalls keine regelmäßige Arbeitsstätte vor, wenn die Arbeit bei einem Kunden des Arbeitgebers ausgeübt werde.
Der Kläger trägt vor, für den Fall, dass ein Arbeitnehmer keine ortsfeste regelmäßige Arbeitsstätte habe, ergebe sich aus der Rechtsprechung, dass die maßgebliche Abwesenheitszeit aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung immer in Bezug auf die Wohnung berechnet werden müsse (§ 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 3, § 9 Abs. 5 Einkommensteuergesetz -EStG-) Diese für den Kläger als Steuerpflichtigen vorteilhafte Rechnungsweise gelte ausdrücklich für Berufskraftfahrer oder Außendienstmitarbeiter, die ihren Arbeitgeber nur gelegentlich aufsuchen. Insoweit sei dies auch bei dem Kläger der Fall, da er die Hauptstelle seines Arbeitgebers in Köln nur gelegentlich aufsuche.
Die maßgebliche Abwesenheitszeit am jeweiligen Kalendertag beginne also bei diesem Personenkreis immer beim Verlassen der Wohnung, auch wenn der Arbeitnehmer zunächst in den Betrieb fahre, um dort Arbeiten zu verrichten. Das Entsprechende gelte für das Ende der beruflichen Auswärtstätigkeit. Maßgeblich sei hierbei immer der Zeitpunkt, an dem der Arbeitnehmer seine Wohnung erreiche.
Der Beklagte übersehe in seiner Argumentation, dass die Rettungswache eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers mit Hauptsitz in K darstelle, jedoch die verschiedenen Rettungswachen keine konkret zugewiesene Arbeitsstätte für den Kläger begründen würde. Vielmehr sei im Rahmen der als Beweismittel vorgelegten Dienstverträge dargestellt worden, dass keine regelmäßige Arbeitsstätte mit zugewiesenem Arbeitsgebiet des Klägers benannt worden seien. Es gebe keine direkte Zuordnung des Arbeitgebers zu einer Rettungswache als regelmäßige Arbeitsstätte. Auch die Zentralstelle in K sei nicht Arbeitsstätte des Klägers, so dass die maßgebliche Abwesenheitszeit aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung immer in Bezug auf die Wohnung berechnet werden könne.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 14. Mai 2013 in der Fassung des Teileinspruchsbescheides vom 30. August 2013 abzuändern und zusätzlich Werbungskosten in Höhe von 3.776,20 EUR bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, dass sich aus ständiger Rechtsprechung des BFH eine regelmäßige Arbeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ergebe, wenn es sich um eine dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handele und der Arbeitnehmer entweder arbeitstäglich oder wenigstens nachhaltig, fortdauernd und immer wieder diese aufsuche. Ob ein Arbeitnehmer eine regelmäßige Arbeitsstätte innehabe, richte sich nicht danach, welche Tätigkeit er an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnehme oder welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit zukomme. Wo der Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit liege, bestimme sich nicht nach zeitlichen oder qualitativen Merkmalen einer wie auch immer gearteten Arbeitsleistung. Entscheidend sei, ob ein Arbeitnehmer den Betriebssitz des Arbeitsgebers oder sonstige ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung den er zugeordnet sei, nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit also fortdauernd und immer wieder aufsuche.
Diese Voraussetzungen seien erfüllt, da die Rettungswache in L eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sei. Diese würde regelmäßig aufgesucht und nach Aktenlage dort auch ins Gewicht fallende Aufgaben regelmäßig erledigt.
Aus dem Dienstvertrag ergebe sich nicht - wie der Kläger meine -, dass im zugewiesenen Arbeitsgebiet (Bezirk X) keine bestimmte Wache als regelmäßige Arbeitsstätte benannt worden sei und somit auch keine regelmäßige Arbeitsstätte im steuerlichen Sinn gegeben sei. Dieser Auffassung des Klägers könne nicht gefolgt werden. Den Ausführungen sei entgegen zu halten, dass der Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon aus organisatorischen Gründen einer bestimmten Rettungswache zugewiesen worden sein müsse. Ebenfalls erscheint es abwegig, in den jeweiligen Wachen keine feste Personalbesetzung einzusetzen und stattdessen den Personaleinsatz unregelmäßig durch kurzfristige und unter Umständen willkürlicher Einzelentscheidungen zu organisieren.
Wäre eine ständige unregelmäßige Rotation gewünscht worden, hätte dies nach Auffassung des Beklagten vertraglich anders formuliert werden müssen. Es werde daher vertreten, das die Rettungswache L als regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers anzusehen sei, was sich auch durch die tatsächliche Anwesenheit auf dieser Rettungswache mit 85 % im Streitjahr 2011 und 100 % im Folgejahr 2012 manifestiere.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist teilweise begründet.
Die Rettungswache in L stellt für den Kläger keine regelmäßige Arbeitsstätte dar. Der Kläger kann deshalb seine Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen geltend machen und Verpflegungsmehraufwendungen für die Zeit der Abwesenheit von seiner Wohnung abziehen. Er kann daher weitere Werbungskosten in Höhe von 3.362,60 EUR geltend machen. Soweit der Kläger jedoch statt einer Kilometerpauschale von 0,30 EUR einen Abzug von 0,35 EUR beantragt, ist die Klage unzulässig.
1. Werbungskosten sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der für das Streitjahr 2011 geltenden Gesetzesfassung auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG). Nach früherem Gesetzeswortlaut bezog sich die Abzugsbeschränkung auf "Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte". Mit Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl. I 2006, 1652) ist der Gesetzeswortlaut um das Adjektiv "regelmäßig" ergänzt worden.
Demgegenüber kann der Steuerpflichtige die Aufwendungen für beruflich veranlasste Fahrten zu auswärtigen Tätigkeitsstätten, die keine regelmäßigen Arbeitsstätten darstellen, nach dem allgemeinen Werbungskostenbegriff des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich der Höhe nach unbeschränkt abziehen. Der Steuerpflichtige kann hierbei auch - wie im Streitfall der Kläger - die Fahrtkostenpauschale nach H 9.5 Stichwort "Pauschale Kilometersätze" Lohnsteuerrichtlinien von 0,30 EUR je Streckenkilometer in Ansatz bringen, sofern der Ansatz dieses Pauschalsatzes nicht - wovon im Streitfall angesichts einer Gesamtfahrstrecke, die der Kläger geltend macht, nicht auszugehen ist - zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt.
2. Nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG kann der Steuerpflichtige Pauschbeträge für Mehraufwendungen für die Verpflegung abziehen, wenn er wegen einer vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt entfernt tätig wird. Der Begriff des Tätigkeitsmittelpunkts (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG) entspricht dem Begriff der (regelmäßigen) Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (BFH-Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503). Aus dem Erfordernis, dass der Steuerpflichtige beruflich veranlasst außerhalb seines Tätigkeitsmittelpunkts tätig sein muss, folgt somit, dass bei Einsatz des Arbeitnehmers an der regelmäßigen Arbeitsstätte ein Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen ausscheidet (Niedersächsisches FG Urt. v. 15. April 2011 3 K 169/10, EFG 2011, 1774).
3. Regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht (BFH-Urt. v. 22. September 2010 VI R 54/09, BStBl II 2011, 354, m.w.N.; Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503). Allerdings ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer dort seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachgeht. Der Betriebssitz des Arbeitgebers, den der Arbeitnehmer lediglich regelmäßig nur zu Kontrollzwecken aufsucht, ist nicht die regelmäßige Arbeitsstätte (BFH-Urt. v. 9. Juni 2011 VI R 58/09, BStBl II 2012, 34; Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503).
4. Liegen diese Voraussetzungen vor, so konnte ein Arbeitnehmer nach früherer Rechtsprechung des BFH auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten nebeneinander innehaben. Diese Rechtsprechung hat der BFH jedoch zwischenzeitlich aufgegeben (Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 36/10, BStBl II 2012, 36 [BFH 09.06.2011 - VI R 36/10]; VI [BFH 06.07.2011 - II R 44/10] R 55/10, BStBl II 2012, 38 [BFH 09.06.2011 - VI R 55/10]; s. dazu Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 15. Dezember 2011 IV C 5 - S 2353/11/10010). Denn der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers kann nur an einem Ort liegen. Nur insoweit kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so (etwa durch Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel oder eine zielgerichtete Wohnsitznahme in der Nähe der regelmäßigen Arbeitsstätte) auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Damit stellt sich § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG auch nur insoweit als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip dar. Übt der Arbeitnehmer hingegen an mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers seinen Beruf aus, ist es ihm regelmäßig nicht möglich, die anfallenden Wegekosten durch derartige Maßnahmen gering zu halten, denn die unter Umständen nicht verlässlich vorhersehbare Notwendigkeit, verschiedene Tätigkeitsstätten aufsuchen zu müssen, erlaubt es dem Arbeitnehmer nicht, sich immer auf die gleichen Wege und eine kostengünstige Verpflegungssituation einzustellen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BStBl II 2010, 564; Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503 [BFH 19.01.2012 - VI R 36/11]). In einem solchen Fall lässt sich die Einschränkung der Steuererheblichkeit von Wegekosten durch die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) nicht rechtfertigen.
Ist der Arbeitnehmer in mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers tätig, sind deshalb die Umstände des Einzelfalles zu würdigen und der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit zu bestimmen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugeordnet worden ist, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat und welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit zukommt (BFH-Urt. v. 9. Juni 2011 VI R 55/10, BStBl II 2012, 38; 38; Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503). Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte jedenfalls dann nicht aus, wenn der Steuerpflichtige fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten seines Arbeitgebers aufsucht. Der regelmäßigen Arbeitsstätte muss vielmehr hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten zukommen.
5. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist nicht von einer regelmäßigen Arbeitsstätte im Streitjahr 2011 auszugehen. Der Kläger war schwerpunktmäßig auf dem Rettungswagen tätig. Dies ergibt sich aus der Gewichtung der einzelnen Umstände. Der Arbeitgeber des Klägers hat keine konkrete Zuordnung der Arbeitsstätte vorgenommen. Nach der Vereinbarung im Dienstvertrag vom 26. Februar 2009 ist der Ort der Dienstleistung auch nicht auf eine bestimmte Tätigkeitsstätte festgelegt worden, sondern auf einen Bezirk, zu dem die hier streitigen Arbeitsstätten L, M und O gehören. Aufgrund der mündlichen Verhandlung konnte festgestellt werden, dass der Kläger im Streitzeitraum seinen Tätigkeitsschwerpunkt auf dem Rettungswagen hatte.
Der Kläger hat glaubhaft mitgeteilt, dass er auf dem Rettungswagen nicht nur die eigentliche Tätigkeit eines Rettungsassistenten ausgeübt hat (Erstversorgung von Unfall- und Notfallopfern; Betreuung der Opfer während der Fahrt ins Krankenhaus), sondern auch alle weiteren damit zusammenhängenden wesentlichen Tätigkeiten. So wurde noch am Standort des jeweils aufgesuchten Krankenhauses das Rettungsfahrzeug desinfiziert und wieder mit Verbrauchsmaterial, das vom Krankenhaus gestellt wurde, bestückt. Auch wurden die Einsatzberichte noch während der Fahrt zurück zur Rettungswache erstellt. Auf der Rettungswache erfolgten keine Verwaltungsarbeiten. Die Einsatzberichte wurden dort nur abgelegt. Auf den Rettungswachen erfolgten - soweit noch nicht am Standort des jeweiligen Krankenhauses geschehen - eine Grundinspektion und Desinfektion des Wagens. Zum Schichtende wurde dort auch eine Übergabe an die anderen Kollegen vorgenommen. In relativ geringem Umfang (bei einer 16 Stundenschicht durchschnittlich ca. 2 Stunden) hielt sich der Kläger auf einer Rettungswache auf. Dort gab es auch die Gelegenheit einen Aufenthaltsraum mit Fernseher zu nutzen. Der Kläger konnte die umfangreiche Tätigkeit auf dem Rettungsfahrzeug auch dadurch glaubhaft machen, in dem er in der mündlichen Verhandlung detailliert mitteilte, dass er mit seinem Kollegen ein bis zwei Mal pro Schicht das Rettungsfahrzeug betanken musste. Dies erfolgte jeweils bei einer Tankstelle außerhalb der Rettungswache. Insgesamt stellt sich daher die Tätigkeit des Klägers als eine mit Schwerpunkt auf dem Rettungsfahrzeug dar.
6. Der Senat kann offen lassen, ob er der Kritik an der neuen Rechtsprechung des BFH zur qualitativen Bestimmung des Schwerpunktes einer Tätigkeit folgt (vgl. zur Kritik Niedersächsisches FG Urt. v. 22. Mai 2014 10 K 109/13, nv).
Im Streitfall ist jedenfalls kein Anlass gegeben, von der neuen Rechtsprechung des BFH abzuweichen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen, dass es in ca. 50 bis 60 Prozent zu Abweichungen vom Dienstplan gekommen sei, so dass er sich nicht auf einen bestimmten Dienstort hätte einstellen können. Er konnte somit nicht die Vorteile erlangen, die sich bei einer regelmäßigen Arbeitsstätte ansonsten ergeben und die den Grund für den Ansatz einer Entfernungspauschale darstellen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BStBl II 2010, 564; Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503).
7. Soweit sich der Kläger auf die Rechtswidrigkeit der Kilometerpauschale von 0,30 EUR statt 0,35 EUR beruft, ist seine Klage bzw. sein Klagebegehren unzulässig.
Insoweit fehlt es bedingt durch den Erlass der Teil-Einspruchsentscheidung durch das beklagte Finanzamt an einem ganz oder teilweise erfolglos gebliebenen Vorverfahren (vgl. § 44 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -) als Zugangsvoraussetzung für ein zulässiges finanzgerichtliches Klageverfahren. Mit dem Erlass der Teil-Einspruchsentscheidung sind diese Streitpunkte gerade nicht beschieden worden, wie sich in unmissverständlicher Weise aus der entsprechenden Formulierung des Tenors des Teil-Einspruchsbescheides vom 30. August 2013 entnehmen lässt (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht Urt. v. 16. Februar 2010 12 K 119/08, EFG 2010, 1858).
8. Die Berücksichtigung weiterer Werbungskosten in Höhe von 3.362,60 EUR bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ergibt sich aus folgender Berechnung:
Fahrtkosten | Bisher anerkannt (s. Einspruchsentscheidung) | Anzuerkennen (Berechnungsgrundlagen) | Anzuerkennender Betrag |
---|---|---|---|
L | 1726 EUR | 81 Fahrten x 142 km x 0,30 EUR = | 3450,60 EUR |
Verpflegungsmehraufwendungen | 73 Tage x 24 EUR (Abwesenheit von 24 Stunden) = | 1752,00 EUR | |
2 Tage x 12 EUR (Abwesenheit von mindestens 14 Stunden)= | 24,00 EUR | ||
6 Tage x 6 EUR (Abwesenheit von mindestens 8 Stunden)= | 36,00 EUR | ||
M | |||
Fahrtkosten | 294 EUR | 7 Tage x 140 km x 0,30 EUR = | 294,00 EUR |
Verpflegungsmehraufwendungen | 7 Tage x 12 EUR (Abwesenheit von mindestens 14 Stunden)= | 84,00 EUR | |
O | |||
Fahrtkosten | 388,80 EUR | 8 Tage x 162 km x 0,30 EUR = | 388,80 EUR |
Verpflegungsmehraufwendungen | 8 Tage x 24 (Abwesenheit von 24 Stunden)= | 192,00 EUR | |
Verpflegungsmehraufwendungen | 450,00 EUR | ||
Summe | 2.858,80 EUR | 6.221,40 EUR | |
Noch anzuerkennende Aufwendungen | 3.362,60 EUR |
II. Die Entscheidung über die Übertragung der Ausrechnung der festzusetzenden Steuer auf den Beklagten folgt aus § 100 Abs. 2 Satz 2 und 3 FGO. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.