Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.07.2014, Az.: 1 K 102/13
Vorsätzlich oder leichtfertig unterlassene Anzeige des Haushaltswechsels bei der Gewährung von Kindergeld für in der Türkei in Ausbildung befindliche minderjährige Kinder
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 24.07.2014
- Aktenzeichen
- 1 K 102/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 37919
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2014:0724.1K102.13.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 17.12.2015 - AZ: V R 13/15
Rechtsgrundlage
- § 63 Abs. 1 S. 3 EStG
Amtlicher Leitsatz
Vorsätzlich oder leichtfertig unterlassene Anzeige des Haushaltswechsels der Kinder im Zusammenhang mit ihrer Einschulung in der Türkei.
Tatbestand
Streitig ist das Kindergeld für in der Türkei in Ausbildung befindliche minderjährige Kinder.
Die 1972 geborene Klägerin ist türkischer Abstammung. Ihrem Vater folgend zogen sie und ihre Mutter 1978 nach Deutschland. Die Klägerin besuchte die Realschule und die einjährige Handelsschule. Sie ist seit 1990 verheiratet und Mutter der 1994 in Deutschland geborenen Töchter A und B. Sie und ihre beiden Kinder wurden 1999 in Deutschland eingebürgert.
Die Klägerin reichte im Januar 2000 eine Kopie ihrer Einbürgerungsurkunde zur Kindergeldakte ein. Der Ehemann lebt und arbeitet jedenfalls seit Juni 1992 in der Türkei. Mittlerweile ist er Rentner. In der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2014 erklärte die Klägerin, ihr Ehemann sei zunächst mit ihr nach Deutschland gekommen. Ihm sei es jedoch nicht gelungen, in Deutschland Fuß zu fassen. Er sei dann in die Türkei zurückgekehrt, sie habe aber in Deutschland leben wollen. Es habe sich ein "Hin und Her" ergeben.
Die Klägerin lebt in X bei ihren Eltern und wird von ihnen unterstützt. Mindestens bis in das Jahr 2000 wohnte sie in der Y-straße, im Jahr 2011 in der Z-straße.
Die Kinder lebten zunächst bei der Klägerin in X. Im Jahr 2000 wurden sie am Wohnort des Vaters in der Türkei eingeschult, blieben aber weiter unter der Anschrift der Klägerin in X gemeldet. 1999 stellte die Stadt X Kinderausweise für die Kinder aus. Ob eine Überwachung der Schulpflicht stattgefunden hat, kann die Stadt nicht mehr feststellen, weil die Unterlagen 2005 vernichtet worden sind. Beide Kinder waren laut vorgelegter Bescheinigungen von 1996 bis 2000 in X in kinderärztlicher und vom 29. Mai 1998 bis zum 5. Juni 2000 in ... in HNO-ärztlicher Behandlung. Die Kinder haben in der Türkei die Schule abgeschlossen und studieren dort mittlerweile.
Die Klägerin bezog seit der Geburt der Kinder Kindergeld. Bei ihrem Erstantrag auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz unterschrieb sie 1994 folgende vorgedruckte Erklärung:
"Mir ist bekannt, dass ich alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich dem Arbeitsamt - Kindergeldkasse - mitzuteilen habe. Das "Merkblatt über Kindergeld" habe ich erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen."
Ein ausdrücklicher Vermerk über die Aushändigung des Merkblatts an die Klägerin findet sich nicht in der Kindergeldakte. In einer weiteren Erklärung vom 10. März 1994 unterschrieb sie folgende Erklärung bei handschriftlicher Einfügung von "nicht absehbar":
"Ich erkläre hiermit, daß sich meine Kind(er) ... voraussichtlich bis nicht absehbar in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten wird. Ich bin darüber belehrt worden, daß ich verpflichtet bin, der Kindergeldkasse unverzüglich anzuzeigen, wenn eines der Kinder, das sich bisher in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, in die Heimat zurückkehrt."
Die Klägerin hat 1995, 1996, und 1998 auf den zweisprachig deutsch-türkisch gefassten Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld in der Spalte "Wohnland, in dem sich die Kinder dauernd aufhalten" Deutschland eingetragen. In dem entsprechenden Fragebogen des Jahres 2000 wird nach dem "Land, in dem sich das Kind aufhält" gefragt. Auch hier antwortete die Klägerin Deutschland. Der Fragebogen ging am 17. Januar 2000 bei der Beklagten (die Familienkasse) ein.
In diesen Fragebogen hat die Klägerin auch jeweils folgende Erklärung unterschrieben:
"Mir ist bekannt, dass ich alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich dem Arbeitsamt - Kindergeldkasse - mitzuteilen habe. Das "Merkblatt über Kindergeld" habe ich bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen."
Die Familienkasse reichte Auszüge aus den Merkblättern über Kindergeld zur Gerichtsakte. In den Merkblättern 1994 und 1995 heißt es:
"Die Kindergeldkasse muss benachrichtigt werden, wenn ein Kind Ihren Haushalt verläßt und in den Haushalt des anderen Elternteils, des Großvaters, der Großmutter oder von Pflegeeltern überwechselt..."
In den Merkblättern 1996, 1998 und 2000 wird ausgeführt:
Die/Ihre "Familienkasse müssen Sie insbesondere unverzüglich benachrichtigen, wenn...
Sie, Ihr Ehegatte oder eines Ihrer Kinder ins Ausland verziehen,...
Sie oder ein Kind Ihren bisherigen Haushalt verlassen..."
Im Januar 2000 reichte sie der Familienkasse die Kopie ihrer Einbürgerungsurkunde ein.
Im Zeitraum Februar 2000 bis November 2011 sind keine Kontakte zwischen der Klägerin und der Familienkasse aktenkundig. Am 23. November 2011 gingen bei der Familienkasse zwei von ihr programmgesteuert zentral versandte Schreiben als nicht zustellbar ein. Die Umschläge wurden zur Akte genommen, mit 101.5a.1 sowie den Namen A und B beschriftet. Der Inhalt der Briefe wurde nach Ermittlung der neuen Anschrift der Klägerin am 8. Dezember 2011 erneut versandt. Der Beschriftung nach handelte es sich um Hinweise der Familienkasse auf den bevorstehenden Eintritt der Volljährigkeit der Kinder, das damit verbundene Ende des Kindergeldbezugs für minderjährige Kinder und Formulare für einen Antrag auf Kindergeld.
Die Klägerin beantragte am 5. Januar 2012 Kindergeld. Das von ihr verwendete Formular enthält einen maschinellen Aufdruck der Kindergeldnummer der Klägerin mit dem Zusatz "AUFF VOLLEND. 18LJ. - 17.11.2011". Sie bejahte die Frage, ob die Kinder außerhalb ihres Haushalts lebten. Als Anschrift der Kinder gab sie die ihres Ehegatten an. Unter "Grund" führte sie aus:
"Kinder leben bei meinem Ehegatten in der Türkei, Ferien hier in Deutschland."
Die Klägerin legte am 7. September 2012 eine Bescheinigung ihres Ehemannes auf amtlichem Vordruck über die Weiterleitung des Kindergeldes an ihn vor. Sie verneinte die Aussage im Vordruck Famka BK 64-01-Antwortschreiben 02/2008:
"Die Kinder halten sich nur vorübergehend zum Zwecke der Ausbildung außerhalb meines Haushalts auf. Die Zugehörigkeit zu ihrem Haushalt besteht weiterhin. Nach Beendigung der Ausbildung ist die Rückkehr in meinen Haushalt beabsichtigt".
Der Bescheinigung beigefügt war auch eine Erklärung der Klägerin zur Haushaltszugehörigkeit der Kinder, in der es heißt:
"Meine Kinder leben seit 1997 nicht mehr in meinem Haushalt."
Als Anschrift der Kinder ist die des Vaters in der Türkei angegeben.
Die Familienkasse wollte die Kindergeldfestsetzung für die Kinder von Januar 2002 bis Januar 2012 mit Bescheid vom 28. September 2012 aufheben. Sie war der Auffassung, die Kinder seien im Streitzeitraum nicht mehr zu berücksichtigen, weil sie ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei gehabt hätten. Als Betreff ist "Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) für die Kinder..." angegeben. Der Bescheid ist der Klägerin nicht zugegangen. Als sich dies herausstellte, übersandte die Familienkasse dem Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 25. Februar 2013 eine Kopie des Bescheids vom 28. September 2012 unter ausdrücklicher Erklärung des Bekanntgabewillens.
Die Klägerin trug im Einspruchsverfahren vor, ihre Antwort auf die Frage nach der Haushaltszugehörigkeit der Kinder sei nicht aussagekräftig, weil sie sich auf drei Fragen beziehe, auf die man unterschiedlich antworten könne. Die Kinder hätten sich bis 2010 sehr oft, ca. alle drei bis sechs Monate, in Deutschland aufgehalten, wobei der Aufenthaltszeitraum von zwei bis drei bis zu sechs bis acht Wochen variiert habe. Nach 2010 hätten wegen der schulischen Belastungen nur noch ein bis zwei Besuche in Deutschland stattgefunden. Genaue Zeitangaben könnten aufgrund fehlender Aufzeichnungen nicht gemacht werden. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos (Einspruchsbescheid vom 15. Mai 2013). Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Klägerin macht weiter geltend, der Wohnsitz der Kinder habe sich auch in den Streitjahren in Deutschland befunden. Die Kinder hätten eine türkische Schulausbildung erhalten sollen, wobei sie gleichzeitig auch Deutsch für die geplante Rückkehr hätten lernen sollen. Es sei nie beabsichtigt gewesen, dass die Kinder nie mehr nach Deutschland zurückkehrten. Daher sei der Wohnsitz in Deutschland nie aufgegeben worden. Ein genauer Zeitpunkt der Rückkehr sei nicht festgelegt gewesen, da dies auch von der schulischen Entwicklung habe abhängig gemacht werden sollen. Während der gesamten Zeit habe die Klägerin hier für die Kinder ihre Zimmer in einem eingerichteten Zustand aufrechterhalten. Die Kinder seien hier auch gemeldet gewesen. Die engen familiären Bindungen zu den in Deutschland lebenden Verwandten (Großeltern, Tanten, Cousinen und Cousins) sei stets gepflegt worden. Inzwischen studierten die Kinder in der Türkei, wollten sich aber die Option aufrechterhalten, ihr Studium in Norddeutschland fortzusetzen. Die Kinder würden versuchen, von den beruflichen Möglichkeiten in Deutschland zu profitieren.
Die Klägerin habe die Merkblätter über Kindergeld nie erhalten. Der Vertreter der Familienkasse habe in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2014 zugestanden, dass diese Merkblätter auch nie der Klägerin zugesandt worden seien.
Die Vordrucke habe die Schwester der Klägerin, die Zeugin S, ausgefüllt. Sie finde sich in schriftlichen Angelegenheiten besser zurecht und eile der gesamten Familie bei Papierkram zur Hilfe. Die Klägerin selbst sei in schriftlichen Amtsangelegenheiten unsicher. Ob die Vordrucke vor oder nach dem Ausfüllen durch die Schwester unterschrieben worden seien, könne nicht sicher beantwortet werden. Die Erklärungen auf den Vordrucken oder Merkblättern habe die Klägerin nicht wahrgenommen.
Die Angabe, die Kinder lebten seit 1997 in der Türkei, beruhe auf einem Versehen der Schwester beim Ausfüllen des Vordrucks.
Spielkameraden der Kinder stünden als Zeugen für den Aufenthalt der Kinder in Deutschland zur Verfügung. Die Kinderausweise mit Ein- und Ausreisestempeln der Türkei seien nicht mehr vorhanden. Die Klägerin legt Belege vor, in denen der Kinderarzt und ein Krankenhaus Behandlungen der Kinder in Deutschland in den Jahren 1996 bis 2000 bescheinigen, und das Foto eines Kindergeburtstags.
Die Aufhebungsentscheidung der Familienkasse hätte jedenfalls nur für die Zukunft ergehen dürfen, weil die Klägerin in ihren Kindergeldanträgen immer nur wahrheitsgetreue Angaben gemacht habe. Die Rückforderung sei zum größten Teil auch deshalb rechtswidrig, weil bis einschließlich 2008 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung von Januar 2002 bis Januar 2012 für die Kinder A und B vom 28. September 2012, bekanntgegeben mit Schriftsatz vom 25. Februar 2013, und den Einspruchsbescheid vom 15. Mai 2013 aufzuheben.
Die Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, die Kinder hätten im streitigen Zeitraum weder einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Die Aufenthalte im Inland während der Schulferien und damit spätestens seit Beginn des Schulbesuchs im Jahr 2000 seien von ihrer Dauer und ihrem Besuchscharakter her nicht geeignet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Die Aufenthaltszeiten der Kinder im Inland seien nicht belegt. Da die Klägerin selbst nach Aktenlage häufiger für längere Zeit in der Türkei weile, bestünden an dem Vortrag zudem erhebliche Zweifel.
Verjährung sei nicht eingetreten. Die Klägerin habe zumindest bedingt vorsätzlich Steuerhinterziehung begangen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Abgabenordnung - AO). Sie habe es in Kenntnis ihrer Mitteilungspflichten unterlassen, den Auszug der Kinder aus ihrem Haushalt in die Türkei in den Haushalt des Ehegatten anzuzeigen. Auf die aktenkundigen Erklärungen der Klägerin werde verwiesen. Die Klägerin habe 1998 und 2000 erklärt, die Kinder würden sich dauernd in Deutschland aufhalten, obwohl die Kinder nach den Angaben der Klägerin bereits 1997 in den Haushalt des Ehegatten gewechselt seien. Aus den Kindergeldmerkblättern 1994, 1995, 1996, 1998 und 2000 ergebe sich, dass auch anzuzeigen sei, wenn ein Kind den Haushalt des Kindergeldberechtigten verlasse und in den Haushalt eines anderen Elternteils wechsele.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der S, der Schwester der Klägerin. Sie hat u.a. ausgesagt, sie habe mehrere der in der Kindergeldakte befindlichen Anträge und Erklärungen der Klägerin ausgefüllt und der Klägerin zur Unterschrift vorgelegt. Wenn sich die Klägerin in der Türkei aufgehalten habe, habe sie, die Zeugin, sich um die Post der Klägerin gekümmert und gegebenenfalls die Formulare auch zur Klägerin in die Türkei übersandt. Die Zeugin erklärte ferner, sie habe auch die Erklärung zur Haushaltszugehörigkeit ausgefüllt und insbesondere die Jahreszahl 1997 eingetragen. Diese Angabe sei falsch. Der Fehler sei ihr unerklärlich. Wegen der Einzelheiten der Zeugenaussage wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24. Juli 2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet, soweit es um die Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 2002 bis Dezember 2007 geht. Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.
1. Der Klägerin hat das Kindergeld während des streitigen Zeitraums nicht zugestanden. Die Kinder hatten in den Streitjahren weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Sie lebten im Haushalt des Vaters in der Türkei.
Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) werden Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet.
Die Anknüpfung der Kindergeldberechtigung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG ist als weitere Ausprägung des Territorialitätsprinzips nicht sachwidrig und verstößt daher nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG; vgl. BFH-Urteile vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279 [BFH 23.11.2000 - VI R 165/99]; vom 26. Februar 2002 VIII R 85/98, BFH/NV 2002, 912; BFH-Beschluss vom 4. Juli 2013 III B 24/13, BFH/NV 2013, 1568).
Die Grundsätze, nach denen sich bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8 AO) im Inland hat, sind durch langjährige Rechtsprechung geklärt (z.B. BFH-Urteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564 [BFH 20.11.2008 - III R 53/05]). Nach § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist nach den objektiven Umständen zu beurteilen. Melderechtliche Angaben sind unerheblich.
Ein Umstand, der auf die Beibehaltung und Benutzung der Wohnung schließen lässt, ist die voraussichtliche Nutzungsdauer. Als Anhaltspunkt für die Beibehaltung und Nutzung ist regelmäßig auf die Sechsmonatsfrist des § 9 Satz 2 AO zurückzugreifen, da in dieser Frist zum Ausdruck kommt, ab welcher Zeitdauer ein Aufenthalt nicht mehr nur vorübergehend ist. Dies ist auch für § 8 AO maßgebend, weil eine nur vorübergehende Nutzung einer Wohnung keinen Wohnsitz begründet (BFH-Urteil vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351).
Ob ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz beibehält, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen (BFH-Beschluss vom 31. Mai 2007 III B 50/07, BFH/NV 2007, 1907 [BFH 31.05.2007 - III B 50/07]). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung behält ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) grundsätzlich nicht bei (BFH-Urteile vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887 [BFH 22.04.1994 - III R 22/92]; vom 27. April 1995 III R 57/93, BFH/NV 1995, 967; vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279 [BFH 23.11.2000 - VI R 165/99], [BFH 23.11.2000 - VI R 165/99] und VI R 107/99, BFHE 193, 558 [BFH 23.11.2000 - VI R 107/99], [BFH 23.11.2000 - VI R 107/99] BStBl II 2001, 294 [BFH 23.11.2000 - VI R 107/99]: auf die Dauer von neun Jahren angelegter Schulbesuch; BFH-Beschluss vom 31. Mai 2007 III B 50/07, BFH/NV 2007, 1907 [BFH 31.05.2007 - III B 50/07], jeweils m.w.N.). Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten reichen kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung bedeuten, nicht dazu aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen. Eine Absicht des Kindes, nach Beendigung des Auslandsstudiums in die Bundesrepublik zurückzukehren, besagt nichts darüber, ob der Wohnsitz bei den Eltern zwischenzeitlich beibehalten wird (BFH in BFHE 193, 558 [BFH 23.11.2000 - VI R 107/99], [BFH 23.11.2000 - VI R 107/99] BStBl II 2001, 294 [BFH 23.11.2000 - VI R 107/99]).
Danach können die beiden Kinder der Klägerin nicht berücksichtigt werden. Sie hatten in den Streitjahren ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei. Die Türkei ist weder ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union noch ein Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet. Die Kinder lebten in den Streitjahren im Haushalt ihres Vaters in der Türkei. Sie besuchten dort die Schule, zu Beginn des Streitzeitraums bereits mehr als ein Jahr. Konkrete Pläne eines Schulbesuchs in Deutschland hat die Klägerin nicht dargetan.
Ein Wohnsitz wird durch tatsächliches Handeln begründet. Nicht entscheidend ist daher die Anmeldung eines Wohnsitzes der Kinder beim inländischen Einwohnermeldeamt (BFH-Urteile vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BFHE 178, 294, BStBl II 1996, 2 [BFH 17.05.1995 - I R 8/94]; vom 12. September 2013 III R 16/11, BFH/NV 2014, 320), das Vorhalten von Wohnraum für sie im Inland oder die hier nach dem Vortrag der Klägerin nicht ausgeschlossene Möglichkeit, dass die Kinder irgendwann nach Deutschland zurückkehren. Der Wohnsitz wird auch nicht dadurch beibehalten, dass eine Erklärung, ihn aufzugeben, nicht abgegeben wird.
Die Kinder haben sich weniger als drei Monate pro Jahr bei der Klägerin in Deutschland aufgehalten. Die Aufenthalte der Kinder bei der Klägerin waren damit zu kurz, um die Aufrechterhaltung des Inlandwohnsitzes annehmen zu können (vgl. BFH in BFHE 193, 569 [BFH 23.11.2000 - VI R 165/99], [BFH 23.11.2000 - VI R 165/99] BStBl II 2001, 279 [BFH 23.11.2000 - VI R 165/99]). Sie hatten lediglich Ferien- oder Besuchscharakter. Die vom Senat zugrunde gelegte Aufenthaltsdauer ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Die mögliche Dauer der Inlandsaufenthalte der Kinder pro Jahr wird begrenzt durch die Dauer der türkischen Schulferien, deren Länge der Senat auf ca. 3,5 Monate jährlich schätzt (vgl. die Angaben im Sachverhalt des BFH-Beschlusses vom 22. April 2009 III S 33/08 (PKH), nicht veröffentlicht, ). Die Reisen der Kinder zu der Klägerin müssen während der türkischen Schulferien stattgefunden haben. Die Kinder haben im Streitzeitraum türkische Schulen besucht. Die von der Klägerin bekundete Mindestdauer der Inlandsaufenthalte der Kinder von zwei Wochen ist nur während der Schulferien möglich. Aufenthalte der Kinder bei der Klägerin außerhalb der Schulferien können nicht angefallen sein.
Angesichts der Angaben der Klägerin zur Dauer der längsten Aufenthalte - sechs bis acht Wochen - müssen die Kinder selbst bei dem kürzesten von der Klägerin vorgetragenen Besuchsrhythmus - alle drei Monate - mindestens einen Monat der dreimonatigen Sommerferien nicht bei der Klägerin verbracht haben. Selbst wenn die Kinder die restlichen Schulferien vollständig bei der Klägerin verbracht haben sollten, ergibt sich eine Aufenthaltsdauer von nur ca. 2,5 Monaten im Inland. Die Klägerin trägt zudem vor, die Dauer der Aufenthalte habe sich nach 2010 noch verringert.
Für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland sind die Aufenthalte ebenfalls zu kurz. Ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten, der zu einem gewöhnlichen Aufenthalt führt (§ 9 S. 2 AO), liegt nicht vor. Aufenthalte zu Besuchszwecken unter einem Jahr Dauer begründen ohnehin keinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 S. 3 AO).
Die türkische Staatsangehörige begünstigenden Abkommen und Verträge (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit; Beschluss Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige; Vorläufiges Europäisches Abkommen über soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11. Dezember 1953) begründen keinen Anspruch der Klägerin auf Kindergeld. Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige.
2. Die Familienkasse hat zutreffend die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG bejaht.
Nach dieser Vorschrift ist bei einer Änderung der für den Anspruch auf Kindergeld erheblichen Verhältnisse die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern. Die Familienkasse hat insoweit keinen Ermessensspielraum (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 2013 XI R 50/10, BFHE 240, 300, BStBl II 2013, 916 [BFH 23.01.2013 - XI R 50/10] m. w. N.).
Hier liegt die Änderung der Verhältnisse darin, dass die Kinder in den Streitjahren anders als im Zeitpunkt der Kindergeldfestsetzung nicht mehr über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland verfügten.
3. Der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 2002 bis Dezember 2007 steht jedoch der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen. Die regelmäßige Festsetzungsfrist von vier Jahren verlängert sich im Streitfall auf fünf Jahre. Der Klägerin ist leichtfertige Steuerverkürzung vorzuwerfen, weil sie es unterlassen hat, der Familienkasse den Aufenthalt der Kinder in der Türkei mitzuteilen. Im Übrigen ist der Aufhebungsbescheid rechtmäßig.
Das Kindergeld wird nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt. Es gelten daher die Vorschriften der Abgabenordnung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AO). Nach § 155 Abs. 4 AO sind die Vorschriften über die Steuerfestsetzung (§§ 155 bis 178 AO), also auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§§ 169 bis 171 AO), sinngemäß auf die Festsetzung einer Steuervergütung anzuwenden.
Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO darf die Festsetzung einer Steuervergütung nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr aufgehoben werden. Die Festsetzungsfrist für Steuervergütungen beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO), bei Steuerhinterziehung (§ 370 AO) zehn Jahre und bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).
Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf die Steuervergütung entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Das als Steuervergütung ausgestaltete Kindergeld wird auf Antrag (§ 67 Satz 1 EStG) vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen weggefallen sind (§ 66 Abs. 2 EStG). Der Anspruch auf das Kindergeld entsteht somit für jeden Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen zu irgendeinem Zeitpunkt vorgelegen haben.
Das Kindergeld wird durch Bescheid festgesetzt und ausgezahlt (§ 70 Abs. 1 Satz 1 EStG). Wird dem Antrag auf Kindergeld entsprochen, kann von der Erteilung eines schriftlichen Bescheids abgesehen werden. In diesem Fall liegt in der monatlichen Auszahlung des Kindergelds die konkludente Festsetzung des Kindergelds, die nur unter den im Einkommensteuergesetz und in der Abgabenordnung geregelten Voraussetzungen geändert oder aufgehoben werden darf.
Danach gilt im Streitfall Folgendes:
a. Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 2009 bis Januar 2012 gezahlte Kindergeld ist rechtmäßig. Die regelmäßige Festsetzungsfrist von vier Jahren war insoweit im Jahr 2013, als der Aufhebungsbescheid vom 28. September 2012 der Klägerin erstmals wirksam bekanntgegeben wurde, noch nicht abgelaufen.
b. Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung (§ 370 AO) kommt nicht in Betracht.
aa. Die Klägerin hat der Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht. Der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist nicht erfüllt.
Zwar hat die Klägerin in den Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld 1998 und 2000 der Familienkasse, einer Bundesfinanzbehörde (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 10 Finanzverwaltungsgesetz - FVG), mitgeteilt, die Kinder hielten sich in Deutschland auf. Diese Angaben sind nach Überzeugung des Senats aber zutreffend. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Kinder erst im Sommer 2000 nach Abschluss der ärztlichen Behandlungen und vor der Einschulung im September in den Haushalt des Vaters in der Türkei gewechselt sind.
Hierfür sprechen die ärztlichen Bescheinigungen, wonach die Kinder im Inland von 1996 bis 2000 in kinderärztlicher bzw. vom 29. Mai 1998 bis zum 5. Juni 2000 in HNO-ärztlicher Behandlung waren. Die von der Klägerin unterschriebene Mitteilung an die Familienkasse, die Kinder lebten seit 1997 nicht mehr im Haushalt der Klägerin, ist unzutreffend. Die Zeugin S hat bekundet, sie habe den Vordruck ausgefüllt. Dabei sei ihr ein unerklärlicher Fehler unterlaufen. Sie sei bei den Behandlungen ihrer Nichten, die an den Polypen hätten operiert werden müssen, dabei gewesen. Der Senat hält die Zeugin für glaubwürdig und diese Aussage für glaubhaft. Die Zeugin hat den Vordruck im Jahr 2012 ausgefüllt, sodass eine fehlerhafte Angabe zu einem mehr als ein Jahrzehnt zurückliegenden Vorkommnis nicht ungewöhnlich erscheint. Es ist zwar möglich, aber doch wegen des großen zeitlichen und finanziellen Aufwands sehr unwahrscheinlich, dass die Kinder sowohl für ihre HNO-ärztlichen wie auch für ihre kinderärztlichen Behandlungen einschließlich der Operationen aus der Türkei angereist sind. Das Ende beider ärztlichen Behandlungen im Jahr 2000 passt zu dem unstreitigen Umstand, dass die Kinder im September 2000 in der Türkei eingeschult worden sind.
bb. Die Klägerin hat aber den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt. Sie hat die Familienkasse als Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch mit der Auszahlung des Kindergelds einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil, wozu auch Steuervergütungen zählen (§ 370 Abs. 4 Satz 2 AO), erlangt.
Nach § 68 Abs. 1 EStG war die Klägerin als Kindergeldbezieher verpflichtet, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen. Das hat sie bezüglich des Wechsels der Kinder im Jahr 2000 in den Haushalt des Vaters in der Türkei nicht getan. Hätte sie den Haushaltswechsel angezeigt, wäre es zu der Kindergeldzahlung in den Streitjahren nicht gekommen.
Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin insoweit, wie für das Vorliegen der Straftat einer Steuerhinterziehung gemäß § 15 Strafgesetzbuch (StGB) erforderlich, vorsätzlich gehandelt hat. Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört, dass der Täter den bestehenden Steueranspruch kennt und dass er ihn trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde verkürzen will (vgl. BGH-Beschluss vom 19. Mai 1989 3 StR 590/88, StRK, Abgabenordnung, § 370, Rechtsspruch 154). Vorsätzlich handelt auch, wer es für möglich hält, dass er den Tatbestand verwirklicht oder das billigt oder doch in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz, vgl. BGH-Urteil vom 7. Dezember 1979 2 StR 315/79, StRK, Abgabenordnung, § 370, Rechtsspruch 21; BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 74/95, BFHE 181, 230, BStBl II 1997, 157 [BFH 31.07.1996 - XI R 74/95]). Für ein vorsätzliches Handeln reicht es, wenn der Täter die Verwirklichung der Merkmale des objektiven Tatbestands zumindest billigend in Kauf nimmt und im Wege einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" erkennt (BGH-Urteil vom 24. September 1953 5 StR 225/53, BGHSt 4, 347; BFH-Urteil vom 30. Juni 2010 II R 14/09, BFH/NV 2010, 2002).
Die Klägerin bestreitet den Vorwurf der Steuerhinterziehung. Die Indizien sind nicht hinreichend, das Gegenteil als erwiesen anzusehen und der Klägerin vorzuwerfen, sie habe es vorsätzlich unterlassen, der Familienkasse den Wechsel der Kinder in den Haushalt des Vaters in der Türkei mitzuteilen.
Eine ausdrückliche und konkrete Belehrung der Klägerin, der Haushaltswechsel der Kinder bzw. ihr Umzug in die Türkei sei der Familienkasse mitzuteilen, ist nicht aktenkundig.
Die Klägerin hat zwar den ursprünglichen Kindergeldantrag 1994 bis auf die handschriftlichen Ergänzungen auf der Rückseite selbst ausgefüllt und damit auch bei der Frage, ob die Kinder außerhalb ihres Haushalts lebten, die Antwort "nein" angekreuzt. Aus der Erklärung vom 10. März 1994 ergibt sich zudem, dass die Klägerin über die Pflicht belehrt worden ist, die Rückkehr der Kinder in die Heimat anzuzeigen. In dem "Merkblatt über Kindergeld" 1994 wird der Umstand, dass das Kind den Haushalt verlässt, sogar ausdrücklich als Fall, von dem die Familienkasse in Kenntnis zu setzen ist, angesprochen. Die Klägerin bestreitet aber, das Merkblatt erhalten zu haben. Sie hat zwar mit ihrer Unterschrift unter dem Kindergeldantrag das Gegenteil bescheinigt. Gleichwohl bleiben Zweifel, ob es tatsächlich so war. Ein Vermerk eines Mitarbeiters der Familienkasse über die Aushändigung des Merkblatts befindet sich nicht in der Akte.
Es ist auch nicht erwiesen, dass die Klägerin später ein Merkblatt über Kindergeld erhalten hat. Der Vertreter der Familienkasse hat in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2014 mitgeteilt, mit den Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld würden normalerweise keine Merkblätter verschickt. Hinweise, dass im Fall der Klägerin anders verfahren wurde, gibt es nicht.
Selbst wenn die Klägerin das Merkblatt 1994 erhalten haben sollte, was der Senat nicht als erwiesen ansieht, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sie den Abschnitt über den Haushaltswechsel auch gelesen hat. Auch insoweit hat sie zwar mit ihrer Unterschrift bescheinigt, vom Inhalt des Merkblatts Kenntnis genommen zu haben. Das Merk"blatt" hat aber Dutzende von Seiten, die entsprechende Information z. B. in dem von der Familienkasse zur Gerichtsakte gereichten Merkblatt 1994 findet sich dort auf Seite 25. Angesichts dieses Umfangs des Merkblatts erscheint es nicht fernliegend, dass Kindergeldberechtigte das Merkblatt nicht von vorne bis hinten durchlesen und die Klägerin auch so verfahren ist.
Der Senat kann bei dieser Sachlage nicht feststellen, dass die Klägerin es für möglich gehalten, gebilligt oder in Kauf genommen hat, die Familienkasse über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen. Sie gibt an, der Meinung gewesen zu sein, das Kindergeld stehe ihr zu. Auch die Zeugin S hat ausgesagt, sie sei ebenfalls dieser Auffassung gewesen, zumal im Verwandtenkreis bei vergleichbarem Sachverhalt ebenfalls Kindergeld gewährt worden sei.
Für die Gutgläubigkeit der Klägerin und der Zeugin spricht der 2012 gestellte Antrag auf Kindergeld. Sie nahmen die Übersendung des Antragsformulars durch die Familienkasse ohne Zögern zum Anlass, Kindergeld für volljährige Kinder zu beantragen. In dem von der Zeugin für die Klägerin ausgefüllten Vordruck legten sie - offenbar arglos - den Haushaltswechsel offen und schienen gleichwohl anzunehmen, der Kindergeldbezug werde bis zum Ende der Schulzeit der Kinder am 15. Juni 2012 und gegebenenfalls während eines Universitätsstudiums fortgesetzt. Ohne den neuen Antrag wäre der unberechtigte Kindergeldbezug womöglich nie aufgefallen. Da die Kinder weiterhin im Inland gemeldet waren, konnte ihr Wegzug in die Türkei der Familienkasse nicht über den Meldedatenabgleich nach § 69 EStG bekannt werden. Hätte die Klägerin den Haushaltswechsel vorsätzlich verschwiegen, wäre zu erwarten gewesen, dass sie darauf verzichtet hätte, einen neuen Antrag zu stellen, in der Hoffnung, der tatsächliche Sachverhalt werde nie bekannt.
Es hat zwar die Möglichkeit bestanden, aufgrund der Frage im Erstantrag die Bedeutung der Haushaltszugehörigkeit für den Kindergeldbezug zu erkennen. Dies lässt aber nicht den Schluss zu, dass die Klägerin die Kenntnis tatsächlich auch erlangt hat. Es ist auch nicht eindeutig, dass die in der Erklärung vom 10. März 1994 verwendete Formulierung "wenn eines der Kinder, das sich bisher in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, in die Heimat zurückkehrt" auf den Streitfall zutrifft. Als die Kinder im Jahr 2000 in den Haushalt des Vaters in der Türkei wechselten, waren sie bereits deutsche Staatsangehörige. Es ist daher fraglich, ob ihr Umzug in die Türkei als Rückkehr in die Heimat anzusehen ist. Im Übrigen bezweifelt der Senat, dass der Klägerin die Formulierungen der 1994 ausgefüllten Vordrucke im Jahr 2000 noch bewusst waren oder gar später bewusst wurden.
Zudem konnte die Klägerin aufgrund der Bezeichnung "Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld" den Eindruck haben, diese fragten die aktuellen Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs ab, vorangegangene Vordrucke seien aus welchen Gründen auch immer, z. B. wegen einer Gesetzesänderung, überholt. Im Fragebogen des Jahres 2000, dem letzten von der Klägerin beantworteten vor dem Haushaltswechsel der Kinder, wird weder die Haushaltszugehörigkeit noch eine "Rückkehr in die Heimat" angesprochen.
Allerdings wird in diesem Fragebogen nach dem "Land, in dem sich das Kind aufhält" gefragt. Hieraus hätte die Klägerin schließen können, dass das Aufenthaltsland der Kinder für den Kindergeldbezug von Bedeutung ist. Es gibt aber keinen Anhaltspunkt, dass sie diese Schlussfolgerung auch tatsächlich gezogen hat.
Die Formulierung des Vordrucks ist zudem nicht eindeutig. Der Begriff "dauernd" ist gegenüber dem vorangegangenen Fragebogen 1998 weggefallen, "Wohnland" durch "Land" ersetzt. Damit ist die Auslegung nicht abwegig, ein mehrwöchiger Aufenthalt der Kinder während der Schulferien im Inland in dazu vom Kindergeldberechtigten vorgehaltenen Räumlichkeiten stelle einen Aufenthalt in dem im Fragebogen 2000 gemeinten Sinne dar, die Antwort "Deutschland" sei weiterhin zutreffend, eine Notwendigkeit zur Anzeige bei der Familienkasse bestehe nicht.
c. Die Festsetzungsfrist ist jedoch auf fünf Jahre verlängert. Die Klägerin hat eine leichtfertige Steuerverkürzung im Sinne von § 378 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begangen. Sie hat - wie dargelegt - den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt, indem sie die Familienkasse nicht über den Haushaltswechsel der Kinder und ihren Umzug in die Türkei unterrichtete. Damit hat die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung auch für die Monate Januar bis Dezember 2008 zu Recht aufgehoben.
Leichtfertigkeit bedeutet nach gefestigter Rechtsprechung einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, aber im Gegensatz hierzu auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt. Ein derartiges Verschulden liegt danach vor, wenn ein Steuerpflichtiger nach den Gegebenheiten des Einzelfalles und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Hierzu ist eine Gesamtwertung seines Verhaltens erforderlich (BFH-Beschluss vom 17. März 2000 VII B 39/99, BFH/NV 2000, 1180).
Danach hat die Klägerin die Mitteilung an die Familienkasse leichtfertig unterlassen. Die Klägerin hat die ihr mögliche Sorgfalt in erheblichem Maße außer Acht gelassen, als sie die Familienkasse nicht über den Haushaltswechsel der Kinder unterrichtete. Die Klägerin hätte anhand des Fragebogens 2000 erkennen können, dass dieser Umstand für den Kindergeldbezug von Bedeutung ist und der Familienkasse mitzuteilen war.
Die Klägerin macht allerdings geltend, sie habe die Erklärungen auf den Vordrucken oder Merkblättern nicht wahrgenommen. Für diesen Vortrag spricht, dass ihr die Angabe des falschen Jahres 1997 für den Haushaltswechsel der Kinder nicht aufgefallen ist. Auch der Senat hat den Eindruck gewonnen, dass sich die Klägerin trotz ihrer guten Deutschkenntnisse bei Behördenangelegenheiten weitgehend auf die Zeugin verlassen hat. Letztlich kann aber dahinstehen, ob der Vortrag der Klägerin zutrifft. Die Klägerin hat die unberechtigten Kindergeldfestsetzungen auf jeden Fall leichtfertig verursacht.
Wenn die Klägerin den Fragebogen ohne gründliche und gewissenhafte Prüfung der Fragen, Erklärungen und Belehrungen sowie der von der Zeugin dort vorgenommenen Eintragungen unterschrieben haben sollte, wäre schon dieses Verhalten als leichtfertig zu bewerten. Die Klägerin hätte damit die ihr mögliche Sorgfalt in erheblichem Maße verletzt, indem sie es pflichtwidrig unterließ, den von ihr unterschriebenen Inhalt des Fragebogens zur Kenntnis zu nehmen. Ihr musste klar sein, dass mit dem Fragebogen, wie bereits sein Titel ausdrückt, der Anspruch auf Kindergeld geprüft wird und fehlerhafte Angaben zu einem unberechtigten Kindergeldbezug führen konnten. Ebenfalls musste sie damit rechnen, in dem Vordruck über ihre Pflichten im Zusammenhang mit dem Kindergeldbezug belehrt zu werden.
Die Klägerin hätte aber auch leichtfertig gehandelt, wenn sie ihrer Pflicht, den Fragebogen gründlich und gewissenhaft zu lesen, doch nachgekommen sein sollte. Die Klägerin war aufgrund ihrer Schulbildung in der Lage, den Fragebogen in deutscher Sprache zu lesen und zu verstehen. Der Fragebogen war zudem zweisprachig - auch in türkischer Sprache - abgefasst.
Hätte die Kläger den Fragebogen gründlich und gewissenhaft gelesen, hätte sie erkennen können, dass das "Land, in dem sich das Kind aufhält" für den Kindergeldbezug von Bedeutung ist und wegen der Verwendung der Einzahl "Land" jedes Kind nur ein Aufenthaltsland im kinderrechtlichen Sinne haben kann. Dann hätten sich ihr aber jedenfalls erhebliche Zweifel aufdrängen müssen, ob die Angabe, das Aufenthaltsland ihrer Kinder sei Deutschland, nach deren Einschulung in der Türkei den tatsächlichen Sachverhalt noch zutreffend wiedergibt. Die Kinder hielten sich seit ihrer Einschulung nur noch in den Schulferien für weniger als drei Monate des Jahres im Haushalt ihrer Mutter im Inland, aber ca. neun Monate des Jahres im Haushalt des Vaters in der Türkei auf. Neben dem zeitlichen Aspekt, der schon deutlich für ein Aufenthaltsland Türkei sprach, kam hinzu, dass durch die Einschulung eine zusätzliche Bindung der Kinder an die Türkei erfolgte, der im Inland nichts Vergleichbares gegenüberstand. Dabei handelte es sich auch nicht etwa nur um einen vorübergehenden Zustand. Die Kinder haben ausschließlich in der Türkei die Schule besucht und studieren dort mittlerweile. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, jemals konkrete Pläne gefasst zu haben, diese Situation zu verändern, die Kinder nach Deutschland zu holen und hier die Schule besuchen zu lassen.
Unter diesen Umständen ist der Klägerin als leichtfertiges Verhalten vorzuwerfen, dass sie den sich aufdrängenden Zweifeln nicht, z. B. durch einen Anruf bei der Familienkasse, nachgegangen ist. Sie war in dem Fragebogen belehrt worden, dass sie alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, der Familienkasse mitzuteilen hat. Diese Belehrung lag zum Zeitpunkt des Haushaltswechsels der Kinder im Sommer 2000 nur ca. sechs Monate zurück und wäre ihr bei gründlichem und gewissenhaftem Lesen des Fragebogens noch bewusst gewesen. Die Klägerin hatte den Fragebogen im Januar 2000 unterschrieben.
d. Danach erweist sich der Aufhebungsbescheid als rechtmäßig, soweit er die Kindergeldfestsetzungen für Januar 2008 bis Januar 2012 betrifft. Die Klägerin ist verpflichtet, das in diesem Zeitraum bezogene Kindergeld zu erstatten (§ 37 Abs. 2 AO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin hat in Höhe von 22.176 € bei einem insgesamt streitigen Betrag von 39.208 € obsiegt. Die Entscheidung zu vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).