Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.04.2015, Az.: 13 K 150/14

Vorliegen einer regelmäßigen Arbeitsstätte bei der Erzielung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Rettungsassistent

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
28.04.2015
Aktenzeichen
13 K 150/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 25087
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2015:0428.13K150.14.0A

Fundstelle

  • EFG 2015, 1908-1911

Tatbestand

1

Streitig ist das Vorliegen einer regelmäßigen Arbeitsstätte.

2

Der Kläger wohnt mit seiner Familie in A. Er erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Rettungsassistent. Arbeitgeberin war die YYY GmbH mit Sitz in C. Auf den vorgelegten Arbeitsvertrag vom ... ... 2007 wird Bezug genommen.

3

Der Kläger wurde als Rettungswagen- und Krankentransportfahrer in der Rettungswache am Krankenhaus B eingesetzt. Die Arbeitgeberin des Klägers nutzte in den Räumlichkeiten des Krankenhauses drei Garagen, einen Aufenthalts- bzw. Ruheraum, eine kleine Küche und sanitäre Einrichtungen. Eine Kantine gab es nicht.

4

Das Krankenhaus wurde nicht von der Arbeitgeberin sondern von einem Klinikverbund - ZZZ GmbH -betrieben. Die Räumlichkeiten der Rettungswache waren von der Arbeitgeberin des Klägers angemietet worden. Die Verwaltung der Arbeitgeberin des Klägers befand sich an ihrem Sitz in C.

5

Die Aufträge für den Rettungswagen wurden über die Rettungsleitstelle verteilt. Die durchschnittliche Einsatzzeit eines einzelnen Einsatzes betrug ca. 2 Stunden. Hinzu kamen noch die sog. Rüstzeiten, in denen das Fahrzeug gereinigt und wieder aufgefüllt werden musste (im Idealfall 15 Minuten).

6

Die Aufgabe des Klägers bestand in dem Fahren des Rettungs- und Krankentransportwagens. Außerdem hatte er auf der Rettungswache das Fahrzeug zu reinigen und es mit Medikamenten zu befüllen. Im Übrigen wartete er auf der Wache auf seine Einsätze. Er war nicht in den Klinikbetrieb eingebunden.

7

In seinen Einkommensteuererklärungen der Jahre 2010 bis 2012 beantragte der Kläger die Berücksichtigung folgender Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit:

8

Fahrten zwischen dem Wohnort und dem Krankenhaus B:

9
201020112012
Arbeitstage199 Tage185 Tage169 Tage
einfache Entfernung9 km
Kilometer für Hin- und Rückfahrt16 km16 km
geltend gemachter Betrag538 €888 €812 €
10
Verpflegungsmehraufwand:
201020112012
geltend gemachter Betrag822 €996 €1.002 €
11

Der Einkommensteuerbescheid 2010 erging am ... ... 2011. Die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wurden antragsgemäß mit 538 € berücksichtigt. Die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen wurden nicht zum Abzug zugelassen.

12

Der Einkommensteuerbescheid 2011 erging am ... ... 2012. Die Fahrtkosten wurden wie beantragt mit 888 € berücksichtigt. Der Abzug der Verpflegungsmehraufwendungen wurde versagt.

13

Der Einkommensteuerbescheid 2012 erging am ... ... 2014. Die Fahrtkosten wurden mit der Entfernungspauschale in Höhe von 406 € berücksichtigt (169 Tage x 8 km x 0,30 €). Aufwendungen für Verpflegungsmehraufwendungen wurden nicht berücksichtigt.

14

Die Abweichungen von den geltend gemachten Beträgen wurden damit begründet, dass es sich bei der Rettungswache am Krankenhaus B um die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers handele. Von dieser sei der Kläger weniger als acht Stunden abwesend gewesen.

15

Der Kläger legte mit am ... ... 2011 (Einkommensteuer 2010), mit am ... ... 2012 (Einkommensteuer 2011) und mit am ... ... 2014 (Einkommensteuer 2012) eingegangenem Schreiben Einspruch ein. Er führte aus, dass er überwiegend auf dem Rettungswagen - also im Fahrbetrieb - tätig sei und nicht auf der Rettungswache. Deshalb habe er Anspruch auf Verpflegungsmehraufwand. Der Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit des Klägers liege auf dem Fahrzeug und nicht in der Rettungswache. Es handele sich bei der Tätigkeit um eine Fahrtätigkeit im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG, so dass allein die Abwesenheit von der Wohnung für die Verpflegungsmehraufwendungen maßgebend sei. Der Kläger verwies auf das Urteil des BFH vom 19. Januar 2012 VI R 36/11.

16

Er legte eine Bescheinigung seiner Arbeitgeberin vor, wonach er eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden hatte. Die tarifliche Arbeitszeit von 39 Stunden werde als Vollarbeitszeit vergütet. Die restlichen 9 Wochenstunden seien tariflich ausgeweitete Arbeitszeit. Der Kläger werde sowohl bei Krankentransporten auf einem Krankenwagen als auch im qualifizierten Rettungsdienst auf einem Rettungswagen eingesetzt. Die tatsächlichen Einsätze und die damit verbundenen Zeiten würden variieren. Es könne in der jeweiligen Schicht jederzeit eine Alarmierung durch die Feuerwehreinsatz- und Rettungsleitstelle erfolgen. In der ausgeweiteten Arbeitszeit habe der Kläger teilweise Freistunden, könne aber auch zu Einsätzen herangezogen werden. Er verrichte dann auch Zusatzaufgaben, die in der normalen Arbeitszeit (39 Stunden) nicht hätten erledigt werden können.

17

Außerdem legte der Kläger sein Arbeitszeitkonto für die Jahre 2010 bis 2012 vor. Es ergaben sich folgende Arbeitszeiten:

18
2010
über 8 Stundenüber 14 Stunden
Januar 201000
Februar 201000
März 2010112
April 201090
Mai 2010140
Juni 2010100
Juli 2010140
August 2010131
September 201040
Oktober 201040
November 2010110
Dezember 2010130
Summe1163
Pauschbetragx 6 €x 12 €
geltend gemachter Betrag696 € 36 € = 732 €
2011
über 8 Stunden über 14 Stunden
Januar 2011140
Februar 2011140
März 2011 110
April 2011 150
Mai 2011 141
Juni 2011 60
Juli 2011 210
August 2011 100
September 2011 151
Oktober 2011 121
November 2011 130
Dezember 2011 150
Summe1603
Pauschbetragx 6 €x 12 €
geltend gemachter Betrag960 €36 €=996 €
2012
über 8 Stundenüber 14 Stunden
Januar 2012140
Februar 2012160
März 2012120
April 2012140
Mai 2012170
Juni 201270
Juli 2012180
August 2012120
September 2012120
Oktober 2012180
November 2012120
Dezember 2012150
Summe1670
Pauschbetragx 6 €x 12 €
geltend gemachter Betrag1.002 €0 €= 1.002 €
19

Der Kläger machte für das Streitjahr 2010 nunmehr folgende Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend:

20

Fahrten zwischen dem Wohnort und dem Krankenhaus B:

21
2010
Arbeitstage199 Tage
einfache Entfernung
Kilometer Hin- und Rückfahrt 18 km
geltend gemachter Betrag 1.075 €
Verpflegungsmehraufwand:
2010
geltend gemachter Betrag732 €
22

Nach Androhung der Verböserung wurde in dem Einspruchsbescheid vom ... ... 2014 der Einspruch zurückgewiesen und die Einkommensteuer 2010 und 2011 heraufgesetzt.

23

Die Erhöhung der Einkommensteuer 2010 beruhte darauf, dass bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur noch 478 € (199 Arbeitstage x 8 km x 0,30 €) statt 538 € (199 Arbeitstage x 9 km x 0,30 €) angesetzt und Mutterschaftsgeld im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt wurde. Die Erhöhung der Einkommensteuer 2011 beruhte auf dem Ansatz der Entfernungspauschale statt des Pauschsatzes für Auswärtstätigkeiten bei den Fahrtkosten. Dadurch reduzierten sich die Fahrtkosten von 888 € auf 444 €. Deshalb griff der Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 1.000 € ein (tatsächliche Aufwendungen noch 922 €).

24

Der Beklagte führte in dem Einspruchsbescheid aus, dass der BFH in seinem Urteil vom 19. Januar 2012 (VI R 36/11) nicht entschieden habe, dass Rettungsassistenten keine regelmäßige Arbeitsstätte innehätten. Nach dem BMF-Schreiben vom 15. Dezember 2011 sei eine regelmäßige Arbeitsstätte gegeben, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelungen einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet sei, oder in einer solchen Einrichtung arbeitstäglich, je Woche einen vollen Arbeitstag oder mindestens 20 % seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden solle. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Der Kläger trete seinen Dienst arbeitstägig in der Rettungswache an. Er suche die Rettungswache nicht nur zu Kontrollzwecken auf, sondern absolviere dort ein bestimmtes qualitatives Mindestmaß der gesamten geschuldeten Arbeitszeit.

25

Mit am ... ... 2014 eingegangener Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

26

Er habe den ganz überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit mit dem Fahren des Rettungs- oder Krankentransportwagens verbracht. In der Rettungswache übe der Kläger, mit Ausnahme der Reinigung der Fahrzeuge und der Wiederbefüllung keine Tätigkeit aus. Deshalb habe der Kläger keinen Tätigkeitsmittelpunkt im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und keine regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Er übe insgesamt eine Auswärtstätigkeit (Fahrtätigkeit) aus.

27

Die regelmäßige Arbeitsstätte sei der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers. Es sei der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine geschuldete Leistung zu erbringen habe. Dies sei regelmäßig der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet sei. Der Arbeitnehmer müsse dort seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachgehen. Werde der Betriebssitz nur zu Kontrollzwecken aufgesucht, reiche das nicht aus. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH könne es nur eine regelmäßige Arbeitsstätte geben. Wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit an mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers ausübe, sei es ihm regelmäßig nicht möglich, die anfallenden Wegekosten durch verschiedene Maßnahmen gering zu halten. Die nicht verlässlich vorhersehbare Notwendigkeit verschiedene Tätigkeitsstätten aufsuchen zu müssen, erlaube es dem Arbeitnehmer nicht, sich auf die immer gleichen Wege einzustellen.

28

Die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung Krankentransportwagens. Der Arbeitsplatz sei das sei die Fahrtätigkeit des Rettungs- oder Fahrzeug gewesen. In dem Krankenhaus habe er allenfalls Hilfstätigkeiten ausgeübt. Einen ortsgebundenen Mittelpunkt seiner Tätigkeit habe es nicht gegeben. Der Kläger verweist auf die neuere Rechtsprechung des BFH zu vergleichbaren Fällen eines Fahrers eines Müllfahrzeugs (BFH-Urteil vom 6. Februar 2014 VI R 34/13, BFH/NV 2014, 691 [BFH 06.02.2014 - VI R 34/13]), eines Piloten (BFH-Urteil vom 26. Februar 2014 VI R 68/12, BFH/NV 2014, 1029) und einer Großbetriebsprüferin (BFH-Beschluss vom 15. Januar 2013 VI B 123/12, Vorinstanz: Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21. Februar 2012 - 13 K 210/11).

29

Soweit der Beklagte auf Tätigkeiten, wie die Abgabe der Einsatzberichte, die Desinfektion des Fahrzeugs und dessen Wiederbefüllung abstelle, könne dem nicht gefolgt werden. Es handele sich um absolute Nebentätigkeiten, die das Berufsbild des Klägers nicht prägen würden. Seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit gehe der Kläger in der Rettungswache nicht nach. Bei einer qualitativen und quantitativen Gewichtung der einzelnen Tätigkeiten sei die Betreuung der Patienten die Haupttätigkeit des Klägers. Alles andere trete demgegenüber zurück.

30

Der Kläger habe keine Vorsorge für seine tägliche Verpflegung treffen können. Die Verpflegung könne z.B. während der Behandlungswartezeiten an anderen Orten erfolgen. Komme ein Einsatz dazwischen, müsse der Kläger seine Verpflegung abbrechen und später nachholen. Er könne sich nicht einmal ansatzweise darauf einstellen, wann und wie er sich verpflegen könne. Wegen der Fahrtätigkeit finde die Dreimonatsfrist keine Anwendung (BFH-Urteil vom 24. Februar 2011 VI R 66/10, BStBl II 2012, 27 [BFH 24.02.2011 - VI R 66/10]).

31

Bezüglich der weiteren Frage, ob es sich bei der Rettungswache um eine betriebliche Einrichtung der Arbeitgeberin oder um eine Einrichtung des Klinikverbundes handele, teilte der Kläger zuletzt mit, dass er seine Klage auf diesen Gesichtspunkt wegen der Anmietung der Räumlichkeiten durch seine Arbeitgeberin nicht stütze.

32

Nachdem der Kläger nachgewiesen hatte, dass sein Arbeitsweg nicht 8 km sondern 9 km beträgt, änderte der Beklagte die Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2012 am ... ... 2014 dahingehend, dass nunmehr eine Entfernungspauschale für 9 km gewährt wurde:

33
2010199 Tage x 9 km x 0,30 €= 538 €
2011185 Tage x 9 km x 0,30 €= 500 €(aber AN-Pauschbetrag)
2012169 Tage x 9 km x 0,30 €= 457 €
34

Der Kläger beantragt,

35

Unter Aufhebung des Einspruchsbescheids vom ... ... 2014 und unter Abänderung der Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2012 vom ... ... 2014 die Einkommensteuer 2010 dergestalt herabzusetzen, dass die Fahrkosten mit 1.075 € und der Verpflegungsmehraufwand mit 732 € berücksichtigt werden; die Einkommensteuer 2011 dergestalt herabzusetzen, dass die Fahrkosten mit 999 € und der Verpflegungsmehraufwand mit 996 € angesetzt werden und die Einkommensteuer 2012 dergestalt herabzusetzen, dass die Fahrkosten mit 913 € und der Verpflegungsmehraufwand mit 1.002 € angesetzt werden.

36

Der Beklagte beantragt,

37

die Klage abzuweisen.

38

Der Kläger habe arbeitstäglich seinen Dienst in den örtlichen Räumlichkeiten des Auftragsgebers in B angetreten. Er habe sich auf den immer gleichen Weg einstellen können. Dem Kläger sei es auch möglich gewesen, sich auf eine kostengünstige Verpflegungssituation einzustellen. Denn in den Räumlichkeiten in B hätten sich ein Aufenthalts- und Ruheraum und auch eine kleine Küche befunden.

39

Die Rettungswache habe für die Tätigkeit des Klägers eine hinreichend zentrale Bedeutung. Auch der Aufenthalt zwischen den Einsätzen zähle zu den Tätigkeiten als Rettungsassistent (Bereitschaftsdienst). Auch für die berufsbedingten Wartezeiten erhalte der Kläger Lohn. Wie lange die Wartezeiten seien, sei unerheblich. Der Kläger müsse auch notwendige Verwaltungsarbeiten, wie die Erstellung von Notfallprotokollen erledigen. Die Rettungswache sei der Anlaufpunkt des Klägers und stelle die regelmäßige Arbeitsstätte dar.

40

Es sei zwar richtig, dass die Tätigkeit als Fahrer eines Notarzt- bzw. Rettungswagens eine Fahrtätigkeit im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG sei. Die beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit sei aber nur gegeben, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend außerhalb seiner Wohnung und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte tätig werde. Der zeitliche Umfang der Fahrtätigkeit sei anhand der eingereichten Unterlagen nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

41

Die Klage ist begründet.

I.

42

Der Kläger kann die Fahrtkosten für die Fahrten zur Rettungswache am Krankenhaus B nach den Grundsätzen der Auswärtstätigkeiten geltend machen. Die Rettungswache am Krankenhaus B stellt keine regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers dar.

43

1. Grundsätzlich sind beruflich veranlasste Fahrtkosten Erwerbsaufwendungen, die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Die Finanzverwaltung lässt zur Vermeidung von Nachweisproblemen wegen der Höhe der Aufwendungen einen Abzug mit 0,30 € pro gefahrenen Kilometer zu (vgl. z.B. H 9.5 Stichwort "Pauschale Kilometersätze" LStR 2013; BMF-Schreiben vom 20 August 2001, IV C 5-S 2353-312/01, BStBl I 2001, 541).

44

2. Hinsichtlich der Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte gelten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung) Einschränkungen. Insoweit greift die sog. Entfernungspauschale, die lediglich einen Ansatz von 0,30 € pro Entfernungskilometer zulässt.

45

a) Regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne dieser Regelung ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb, Zweigbetrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, denen der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht (BFH-Urteil vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BStBl II 2009, 818 [BFH 10.07.2008 - VI R 21/07]; BFH-Urteil vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, BStBl II 2009, 822; BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BStBl II 2010, 852; BFH-Urteil vom 22. September 2010 VI R 54/09, BStBl II 2011, 354; BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BStBl II 2012, 38; BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, BStBl II 2013, 234; BFH-Urteil vom 28. März 2012 VI R 48/11, BStBl II 2012, 926).

46

b) Eine regelmäßige Arbeitsstätte ist aber nicht jeder beliebige Tätigkeitsort, sondern der Ort, an dem der Arbeitnehmer typischerweise seine Arbeitsleistung im Schwerpunkt zu erbringen hat. Insoweit ist entscheidend, wo sich der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers befindet. Dort liegt die einzige regelmäßige Arbeitsstätte, die ein Arbeitnehmer haben kann. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte nicht aus. Ihr muss vielmehr zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten zukommen. Der Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen einer wie auch immer gearteten Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat, sowie nach dem konkreten Gewicht dieser dort verrichteten Tätigkeit (BFH-Urteil vom 26. Februar 2014 VI R 68/12, BFH/NV 2014, 1029 [BFH 26.02.2014 - VI R 68/12] - Flugzeugführer -; BFH-Urteil vom 6. Februar 2014 VI R 34/13, BFH/NV 2014, 691 -Müllwagenfahrer -; BFH-Beschluss vom 15. Januar 2013 VI B 123/12, BFH/NV 2013, 585 -Großbetriebsprüferin -; BFH-Urteil vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503 - Rettungsassistent -; BFH-Urteil vom 19. Januar 2012 VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936 [BFH 19.01.2012 - VI R 32/11]; BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BStBl II 2012, 38; BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 36/10, BStBl II 2012, 36 [BFH 09.06.2011 - VI R 36/10]; BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 58/09, BStBl II 2012, 34 [BFH 09.06.2011 - VI R 58/09]).

47

c) Ist der Arbeitnehmer nicht an einer derartigen dauerhaften betrieblichen Einrichtung tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor, weil der Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und auch dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit (Tätigkeitsmittelpunkt) entfernt tätig wird oder weil er schon über keinen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt für seine berufliche Tätigkeit verfügt, sondern nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BStBl II 2010, 564 [BFH 18.06.2009 - VI R 61/06]; BFH-Urteil vom 6. Februar 2014 VI R 34/13, BFH/NV 2014, 691).

48

d) Mit dieser Rechtsprechung hat der BFH seine frühere Auffassung aufgegeben, dass ein Arbeitnehmer mehrere Arbeitsstätten innehaben kann, wenn er sie nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit aufsucht (so noch: BFH-Urteil vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53 [BFH 14.09.2005 - VI R 93/04] - Rettungsassistent -; BFH-Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BStBl II 2005, 788 - Busdepot -; BFH-Urteil vom 7. Juni 2002 VI R 53/01, BStBl II 2002, 878 [BFH 07.06.2002 - VI R 53/1]; BFH-Urteil vom 9. Dezember 1988 VI R 199/84, BStBl II 1989, 296). Ebenfalls aufgegeben wurde die Auffassung, dass eine regelmäßige Arbeitsstätte bereits vorliegt, wenn der Arbeitnehmer den Ort nur aufsucht, um dort die täglichen Aufträge entgegen zu nehmen, abzurechnen, Bericht zu erstatten oder wenn er dort ein Dienstfahrzeug übernimmt, um damit anschließend von der Arbeitsstätte aus eine Auswärtstätigkeit anzutreten (so noch: BFH-Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BStBl II 2005, 788 [BFH 11.05.2005 - VI R 15/04] - Busdepot -; BFH-Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 25/04, BStBl II 2005, 791 [BFH 11.05.2005 - VI R 25/04] - Baustellen -; BFH-Urteil vom 5. August 2004 VI R 40/03, BStBl II 2004, 1074 [BFH 05.08.2004 - VI R 40/03] - Heimatflughafen einer Flugbegleiterin -; BFH-Urteil vom 2. Februar 1994 VI R 109/89, BStBl II 1994, 422 [BFH 02.02.1994 - VI R 109/89] - Telefonzellenreinigung -).

49

e) Mit dem neuen Ansatz des BFH lässt sich auch nicht die Auffassung des Bundesfinanzministeriums, dass von einer regelmäßigen Arbeitsstätte auszugehen ist, wenn der Arbeitnehmer nach den dienstrechtlichen bzw. arbeitsvertraglichen Festlegungen in der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers arbeitstäglich oder je Arbeitswoche einen vollen Arbeitstag oder mindestens 20 % seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll, vereinbaren (BMF-Schreiben vom 15. Dezember 2011, BStBl I 2012, 57). Der BFH stellt auf den qualitativen Mittelpunkt der Tätigkeit und dem konkreten Gewicht der dort verrichteten Tätigkeit und nicht auf quantitative Elemente ab. Die norminterpretierende Verwaltungsvorschrift bindet die Gerichte aber nicht (vgl. nur BFH-Urteil vom 24. September 2013 VI R 48/12, BFH/NV 2014, 341 [BFH 24.09.2013 - VI R 48/12]; BFH-Urteil vom 16. Dezember 2014 X R 42/13, ).

50

f) Nach den Grundsätzen der neuen BFH-Rechtsprechung hatte der Kläger keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.

51

aa) Die Rettungswache erfüllt die Anforderungen an eine regelmäßige Arbeitsstätte nicht. Der Kläger war in der Rettungswache nicht in einer Weise tätig, die es rechtfertigen könnte, diesen Tätigkeitsort als regelmäßige Arbeitsstätte zu beurteilen. Der Kläger wartete in der Rettungswache im Wesentlichen auf seine Einsätze. Außerdem erledigte er in der Rettungswache Nebentätigkeiten, wie das Desinfizieren und das Wiederauffüllen des Fahrzeugs. Er dokumentierte dort auch die Einsätze und gab die Einsatzberichte ab. Diese Tätigkeiten betrafen aber nicht den Kern seiner beruflichen Tätigkeit. Denn der Kläger war unstreitig als Rettungsassistent und insbesondere als Fahrer des Rettungswagens eingestellt worden. Seine berufliche Tätigkeit wird deshalb maßgeblich durch das Fahren des Rettungswagens und durch die Betreuung der Patienten bestimmt.

52

bb) Dies gilt unter qualitativen Gesichtspunkten unabhängig davon, ob die (nicht kalkulierbaren) Wartezeiten in der Rettungswache quantitativ länger als die Einsatzzeiten waren. Insoweit hat der Kläger zwar angegeben, dass seine Einsatzzeiten die Zeiten in der Rettungswache quantitativ überstiegen hätten, hierzu gibt es aber keine nachprüfbaren Belege. Darauf kommt es aber auch nicht an, weil der qualitative Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers eindeutig auf dem Fahren des Rettungsfahrzeugs und der Betreuung der Patienten liegt. Zwar hat der Beklagte zu Recht ausgeführt, dass der Kläger auch für die Wartezeiten Arbeitslohn bekam. Der Kläger ist aber nicht wegen der Wartezeiten oder der Nebentätigkeiten in der Rettungswache eingestellt worden. Eingestellt worden ist der Kläger, damit er den Rettungswagen fährt und die Patienten betreut.

53

cc) Es genügt nach der neueren Rechtsprechung des BFH - und entgegen der Auffassung des Bundesfinanzministeriums (s.o.) - nicht mehr, dass der Kläger die Rettungswache nachhaltig (arbeitstäglich) aufgesucht hat. Seit dem Urteil des BFH vom 9. Juni 2011 (VI R 58/09, BStBl II 2012, 34 [BFH 09.06.2011 - VI R 58/09]) reichen Aufenthalte zur Abwicklung von marginaler Tätigkeiten (damals: zu Kontrollzwecken des Arbeitgebers) nicht mehr aus, um eine regelmäßige Arbeitsstätte zu begründen (ebenso: BFH-Urteil vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503 [BFH 19.01.2012 - VI R 36/11] - Rettungsassistent -). Entscheidend ist deshalb, dass der Kläger seiner eigentlichen Tätigkeit, das Führen des Rettungswagens, außerhalb der Rettungswache nachgegangen ist.

54

dd) Da der Kläger als Fahrer des Rettungswagens und damit schwerpunktmäßig auf einem Fahrzeug eingesetzt wurde, hat er mangels Ortsfestigkeit seiner Arbeitsstätte keine regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (BFH-Urteil vom 26. Februar 2014 VI R 68/12 - Flugzeugführer -; BFH-Urteil vom 6. Februar 2014 VI R 34/13, BFH/NV 2014, 691 - Müllwagenfahrer -; BFH-Urteil vom 28. März 2012 VI R 48/11, BStBl II 2012, 926 - Lastwagenfahrer -). Er war damit auswärts tätig (ebenso: Niedersächsisches Finanzgericht vom 31. Juli 2014 - 11 K 68/13, - Rettungsassistent -).

55

g) Gegen die Rechtsprechung des BFH kann zwar zu Recht kritisch eingewendet werden, dass es nach den tatsächlichen Lebensumständen keinen Unterschied macht, ob ein Krankenhausmitarbeiter arbeitstägig zum Krankenhaus B fährt, um im Krankenhaus seine Arbeit zu verrichten oder ob der Kläger ebenfalls arbeitstägig zum Krankenhaus B fährt, um in der Rettungswache auf seine Einsätze zu warten. Während der Krankenhausmitarbeiter nur die Entfernungspauschale geltend machen kann, kann der Kläger nach der neuen BFH-Rechtsprechung die tatsächlichen Fahrtkosten geltend machen, ohne dass ein relevanter Unterschied bei der Entstehung der Aufwendungen erkennbar ist, der eine unterschiedliche steuerrechtliche Beurteilung rechtfertigen würde. Gleiches gilt für den Mitarbeiter eines Entsorgungsbetriebs und dem Müllwagenfahrer, die beide jeden Arbeitstag zum Entsorgungsbetrieb fahren, um ihre Arbeit aufzunehmen (siehe BFH-Urteil vom 6. Februar 2014 VI R 34/13, BFH/NV 2014, 691 [BFH 06.02.2014 - VI R 34/13]), oder für den Mitarbeiter eines Flughafens und dem Piloten, die beide arbeitstägig das Flughafengelände aufsuchen, um ihre Arbeit zu beginnen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 2014 VI R 68/12, BFH/NV 2014, 1029 [BFH 26.02.2014 - VI R 68/12]). In allen genannten Fällen ist die unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung unter gleichheitsrechtlicher Betrachtung problematisch.

56

Dies liegt aber daran, dass der Gesetzgeber für die Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG eine Ausnahmevorschrift geschaffen hat, die als Einschränkung des objektiven Nettoprinzips wirkt. Der BFH hat aus diesem Befund - ebenfalls mit einer verfassungsrechtlichen Argumentation - geschlossen, dass die rechtfertigungsbedürftige Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG eng auszulegen ist (vgl. BFH-Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 36/10, BStBl II 2012, 36 [BFH 09.06.2011 - VI R 36/10]; VI R 55/10, BStBl II 2012, 38 [BFH 09.06.2011 - VI R 55/10]). Dies wirkt sich unmittelbar auf das Verständnis des Begriffs der "regelmäßigen Arbeitsstätte" aus. Dieser restriktive Ansatz hat direkt zu der dargestellten Rechtsprechung geführt, dass es nur noch eine regelmäßige Arbeitsstätte gibt und dass untergeordnete Tätigkeiten keine regelmäßige Arbeitsstätte mehr begründen können (grundlegend: BFH-Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 58/09, BStBl II 2012, 34 [BFH 09.06.2011 - VI R 58/09]; VI R 36/10, BStBl II 2012, 36 [BFH 09.06.2011 - VI R 36/10]; VI R 55/10, BStBl II 2012, 38 [BFH 09.06.2011 - VI R 55/10]). Nach sorgfältiger Abwägung des "Für und Wider" dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat - trotz der unbestreitbaren Schwächen an bestimmten Schnittstellen - der Rechtsprechung des BFH an. Dies gilt jedenfalls für die Rechtslage bis zum 31. Dezember 2013. Die restriktive Handhabung der "regelmäßigen Arbeitsstätte" im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nachvollziehbar. Außerdem hat der erkennende Senat auch die Aufgabe des BFH berücksichtigt, eine einheitliche Rechtsprechung der Finanzgerichte zu sichern (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

57

Der Gesetzgeber hat die ihm zustehende Möglichkeit der Veränderung der gesetzlichen Grundlagen genutzt und mit dem Gesetz vom 20. Februar 2013 (BGBl. I S. 285) § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geändert, sowie § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a EStG und § 9 Abs. 4 EStG neu geschaffen. Die Änderungen gelten ab dem Veranlagungszeitraum 2014. Der Begriff der "regelmäßigen Arbeitsstätte" wurde durch den Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" ersetzt. Die "erste Tätigkeitstätte" wird nunmehr in § 9 Abs. 4 EStG n.F. legaldefiniert. Das angesprochene Gerechtigkeitsproblem bei Steuerpflichtigen, die zwar immer denselben Ort anfahren, aber ihre Arbeitsleistung an unterschiedlichen Tätigkeitsstätten, auf einem Fahrzeug oder in einem weiträumigen Arbeitsgebiet ableisten (z.B. Außendienstmitarbeiter, Monteure, Seeleute, Lotsen oder Waldarbeiter) hat der Gesetzgeber dadurch beseitigt, dass diese Steuerpflichtige ab dem Veranlagungszeitraum 2014 nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG n.F. für die Fahrten zwischen der Wohnung und dem immer wieder aufgesuchten Ort nur noch die Entfernungspauschale geltend machen können. Der Senat geht davon aus, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG n.F. auch beim Kläger anwendbar sein wird. Für die Veranlagungszeiträume bis zum Eingreifen der Neuregelung verbleibt es aber bei der dargestellten Rechtsprechung des BFH.

58

h) Der Kläger ist daher berechtigt, die Fahrtkosten von der Wohnung zur Rettungswache nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG mit den tatsächlich entstandenen Aufwendungen bzw. mit dem Pauschsatz von 0,30 € pro gefahrenen Kilometer abzurechnen:

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2010199 Tage x 18 km x 0,30 €=1.075 €
2011185 Tage x 18 km x 0,30 €=999 €
2012169 Tage x 18 km x 0,30 €=913 €

II.

60

Der Kläger kann auch Verpflegungsmehraufwendungen geltend machen.

61

1. Nach § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 2 EStG (in der für die Streitjahre geltenden Fassung) in Verbindung mit § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG sind Mehraufwendungen für die Verpflegung abzugsfähig, wenn der Steuerpflichtige vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten betrieblichen Tätigkeit entfernt betrieblich tätig ist. Der Pauschbetrag beträgt 24 €, wenn der Steuerpflichtige wegen der vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt 24 Stunden abwesend ist, er beträgt 12 €, wenn der Steuerpflichtige von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt weniger als 24 Stunden aber mindestens 14 Stunden abwesend ist und er beträgt 6 €, wenn er von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt weniger als 14 Stunden, aber mindestens 8 Stunden abwesend ist. Bei einer längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte beschränkt sich der pauschale Abzug nach § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 2 EStG auf die ersten drei Monate (§ 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 5 EStG). Nach § 4 Abs. 4 Nr. 5 Satz 3 EStG gilt Satz 2 entsprechend, wenn der Steuerpflichtige bei seiner individuellen betrieblichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig ist. In diesem Fall ist allein die Dauer der Abwesenheit von der Wohnung maßgeblich.

62

2. Der Begriff des Tätigkeitsmittelpunkts entspricht dem Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (BFH-Urteil vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BStBl II 2010, 564 [BFH 18.06.2009 - VI R 61/06]; BFH-Urteil vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53; BFH-Urteil vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503). Nach den obigen Feststellungen hatte der Kläger keine regelmäßige Arbeitsstätte auf der Rettungswache. Deshalb befand sich dort auch nicht der Tätigkeitsmittelpunkt. Dieser befand sich vielmehr auf dem Fahrzeug. Der Kläger übte eine Fahrtätigkeit aus (so schon BFH-Urteil vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503 [BFH 19.01.2012 - VI R 36/11] - Rettungsassistent -). Deshalb greifen nach § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 3 EStG die Pauschbeträge des § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 2 EStG mit der Maßgabe ein, dass allein die Dauer der Abwesenheit von der Wohnung maßgeblich ist.

63

3. Seit der Grundsatzentscheidung in dem BFH-Urteil vom 24. Februar 2011 (VI R 66/10, BStBl II 2012, 27 [BFH 24.02.2011 - VI R 66/10]) findet die Dreimonatsfrist für den Abzug der Verpflegungspauschalen bei Fahrtätigkeiten im Sinne des § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 3 EStG keine Anwendung mehr (bestätigt: BFH-Urteil vom 15. Mai 2013 VI R 41/12, BStBl II 2013, 704 [BFH 15.05.2013 - VI R 41/12]; BFH-Urteil vom 8. Oktober 2014 VI R 95/13, BStBl II 2015, 231). Dabei war für den BFH maßgeblich, dass sich ein Steuerpflichtiger im Rahmen einer Fahrtätigkeit - anders als bei einer ortsfesten Tätigkeitsstätte - auch nach drei Monaten nicht auf die Verpflegungssituation einstellen kann.

64

4. Es kann auch nicht eingewandt werden, dass dem Kläger auf der Rettungswache eine Küche zur Verfügung stand, so dass Einrichtungen vorgehalten wurden, die eine preisgünstige Verpflegung ermöglichen sollten. Auf die konkrete Verpflegungssituation kommt es für den Abzug der Pauschalen nicht an. Es ist auch unerheblich, ob dem Arbeitnehmer überhaupt ein Mehraufwand bei seiner Verpflegung entstanden ist (BFH-Urteil vom 24. März 2011 VI R 11/10, BStBl II 2011, 829 [BFH 24.03.2011 - VI R 11/10]; BFH-Urteil vom 19. Januar 2012 VI R 23/11, BStBl II 2012, 472; BFH-Urteil vom 8. Oktober 2014 VI R 95/13, BStBl II 2015, 231)

65

5. Nach den vorgelegten Arbeitszeitkonten hatte der Kläger folgende Arbeitszeiten abgeleistet:

66
über 8 Stundenüber 14 Stunden
20101163
Pauschbetragx 6 €x 12 €
geltend gemachter Betrag696 €36 € =732 €
20111603
Pauschbetragx 6 €x 12 €
geltend gemachter Betrag960 €36 € =996 €
20121670
Pauschbetragx 6 €x 12 €
geltend gemachter Betrag1.002 €0 €1.002 €
67

An der Richtigkeit der vorgelegten Aufzeichnungen hat der Senat keine Zweifel. Auch der Beklagte hat insoweit keine Einwände geltend gemacht.

68

Zwar beziehen sich die vorgelegten Aufzeichnungen auf die reine Arbeitszeit und nicht auf die Abwesenheit von der Wohnung. Der Senat braucht aber keine weiteren Ermittlungen zu der Dauer der Abwesenheit von der Wohnung durchzuführen. Denn der Senat ist an das Klagebegehren des anwaltlich vertretenen Klägers gebunden (§ 96 FGO). Der Kläger hat keine weiteren Werbungskosten und insbesondere keine höheren Verpflegungsmehraufwendungen geltend gemacht. Die Klage ist im geltend gemachten Umfang vollständig begründet. Da der Senat über das Klagebegehren des Klägers nicht hinausgehen darf, kommt eine Zusprechung von weiteren Werbungskosten nicht in Betracht.

69

Unabhängig von dieser verfahrensrechtlichen Begrenzung des Prüfungsumfangs ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger nur 9 km von der Rettungswache entfernt wohnt und für die Strecke nach dem von dem Finanzamt benutzten Routenplaner nur ca. 12 Minuten benötigt. Deshalb wären zu den Arbeitszeiten laut Aufzeichnungen im Schätzwege nur ca. 30 Minuten (2 x 12 Minuten zzgl. weitere geschätzte Wegezeiten von 6 Minuten) zu berücksichtigten gewesen. Diese geringfügige Erhöhung der täglichen Arbeitszeiten hätte allenfalls in Einzelfällen zum Ansatz eines anderen (bzw. erstmaligen) Pauschbetrags geführt.

III.

70

Der Senat gibt dem Beklagten auf, unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen die Einkommensteuer 2010 bis 2012 neu zu berechnen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

IV.

71

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.