Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.07.2014, Az.: 15 V 164/14

Aussetzung der Vollziehung einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung; Heilung von Fehlern der örtlichen Zuständigkeit bis zur Einspruchsentscheidung; Treffen einer Zuständigkeitsvereinbarung nach Wechsel des Wohnsitzes für erstmalige Vollstreckungsmaßnahmen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
25.07.2014
Aktenzeichen
15 V 164/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 23075
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2014:0725.15V164.14.0A

Fundstelle

  • EFG 2014, 1838-1842

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Fehler der örtlichen Zuständigkeit können bis zur Einspruchsentscheidung geheilt werden.

  2. 2.

    Eine Zuständigkeitsvereinbarung nach Wechsel des Wohnsitzes kann ggf. auch für erstmalige Vollstreckungsmaßnahmen getroffen werden.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die der Antragsgegner am 24. Juni 2014 gegenüber dem Notar N erlassen hat.

2

Nach Angaben des Antragsgegners hatte der Antragsteller mit seiner Ehefrau "bis Ende des Jahres 2013" seinen Wohnsitz in X. Am 15. Oktober 2013 meldete der Antragsteller beim Bezirksamt Y seinen Einzug in die Wohnung Y an.

3

Dem Antragsgegner wurde der Wechsel des Wohnsitzes nach Angaben des Antragstellers spätestens im Rahmen einer "Abschlussbesprechung" vom 12. Dezember 2013 bekannt. Nach Angaben des Antragsgegners befindet sich in den Akten über diese Besprechung dagegen kein Vermerk über einen etwaigen Wohnsitzwechsel. Vielmehr sei am 10. Januar 2014 eine Vollmacht des Prozessbevollmächtigten eingegangen, in der die Anschrift des Antragstellers in Y genannt worden sei. Eine eindeutige Anzeige des Wohnsitzwechsels sei erst mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 24. April 2014 erfolgt.

4

Aus dem erkennenden Senat vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass der Antragsgegner spätestens seit dem 14. April 2014 Y als Anschrift des Antragstellers verwendet; dagegen wurde bei früherem Schriftverkehr - etwa im Jahr 2013 - die Anschrift X verwendet.

5

Wann dem Finanzamt Y ein Wechsel des Wohnsitzes bekannt wurde, ist aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Auch findet sich darin kein Vermerk nach Maßgabe des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO zu § 26 Nr. 1 Satz 2).

6

Der Antragsteller erzielte in den Jahren 2007 und 2008 u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 16. Februar 2011 wurde bei dem Antragsteller eine Betriebsprüfung (Bp) durchgeführt. Im Jahr 2011 wurde ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller eingeleitet. Nach den Feststellungen des Außenprüfers hat der Antragsteller seine gewerbliche Tätigkeit von seinem damaligen Wohnhaus in X aus erbracht (Tz. 11 des Bp-Berichts).

7

Aufgrund des Ergebnisses der Außenprüfung erließ der Antragsgegner am 15. Juli 2013 u.a. geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 und 2008. Die Einsprüche hiergegen wies er durch Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2014 als unbegründet zurück. Einen Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer 2007 und 2008 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 14. April 2014 ab. Einen hiergegen eingelegten Einspruch wies der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2014 als unbegründet zurück.

8

Bereits zuvor stellte der Antragsteller am 8. Juli 2014 beim Niedersächsischen Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung u.a. der Einkommensteuer 2007 bis 2008, der unter dem Aktenzeichen ... erfasst wurde. Über diesen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat der ... Senat noch nicht entschieden.

9

Mit dem Schreiben vom 14. April 2014, in dem der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung ablehnte, forderte der Antragsgegner den Antragsteller dazu auf, die noch offenen Steuerbeträge u.a. wegen Einkommensteuer 2007 und 2008 bis zum 30. April 2014 zu zahlen.

10

Der Antragsteller war zusammen mit seiner früheren Ehefrau ... Eigentümer eines im Grundbuch von X eingetragenen Grundstücks. Dieses Grundstück verkauften der Kläger und seine frühere Ehefrau mit notariellem Vertrag vom 13. Juni 2014 zu einem Kaufpreis von ... €. Die Käufer verpflichteten sich, den Kaufpreis bis zum 30. Juni 2014 auf das Notaranderkonto des N zu zahlen.

11

Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014 pfändete der Antragsgegner Ansprüche des Antragstellers gegen N auf pflichtgemäße Amtsausübung betreffend die Auszahlung des auf dem Notaranderkonto hinterlegten oder verwahrten Kaufpreises gemäß dem Grundstückskaufvertrag vom 17. Juni 2014 zwischen dem Antragsteller und den Eheleuten Z in Höhe von ... €.

Mit Drittschuldnererklärung vom 26. Juni 2014 erkannte N die gepfändeten Forderungen als begründet an. Weiter erklärte er: "Der genaue Betrag lässt sich derzeit noch nicht beziffern, da uns hierfür zunächst die abzulösenden Darlehensbeträge der Grundschuldgläubiger aufgegeben werden müssen. Hiermit dürfte bis Mitte/Ende Juli 2014 gerechnet werden. Die Abführung eines etwaigen noch dem Schuldner zustehenden Restbetrages werden wir an Sie gemäß den Auszahlungsanweisungen des Notaranderkontos vornehmen." Außerdem weist die Drittschuldnererklärung darauf hin, Ansprüche an die gepfändete Forderung würden von Grundschuldgläubigern gemäß der Auszahlungsanweisung des Kaufvertrags erhoben.

12

Mit weiterer Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014 pfändete der Antragsgegner Ansprüche des Antragstellers gegen die Eheleute Z in Höhe von ... € aus dem Grundstückskaufvertrag vom 17. Juni 2014. Mit Drittschuldnererklärung vom 27. Juni 2014 erklärten die Eheleute Z, der Kaufpreis werde entsprechend dem Kaufvertrag auf das Notaranderkonto überwiesen.

13

Mit Schreiben vom 2. Juli 2014 informierte der Antragsgegner den Antragsteller über die erfolgten Pfändungen. Zugleich wurde eine Rückstandsaufstellung beigefügt, auf der Steuerrückstände aus Einkommen- und Kirchensteuer des Klägers wegen der Jahre 2007 und 2008 und Nebenleistungen, die seit 19. August 2013 fällig seien, in Höhe von insgesamt ... € nebst Säumniszuschlägen ... ausgewiesen sind. Insgesamt ergeben sich aus dieser Rückstandsaufstellung vollstreckbare Ansprüche in Höhe von ... €. Außerdem wies der Antragsteller darauf hin, die Pfändungsmaßnahmen hätten (jeweils) Kosten in Höhe von 23,45 € ausgelöst.

14

Mit Schreiben vom 24. Juni 2014 teilte der Antragsgegner den Prozessbevollmächtigten mit, er habe eine Abgabe der Personensteuerakten des Antragstellers und dessen Ehefrau an das zuständige Finanzamt eingeleitet. Für die Abwicklung der Betriebsbesteuerung und im Hinblick auf die Umsatzsteuer verbleibe es bei der bisherigen Zuständigkeit. Wegen der Einkommensteuer stehe der Antragsteller in Kontakt mit dem zuständig gewordenen Finanzamt wegen einer Vereinbarung nach § 26 Satz 2 Abgabenordnung (AO).

15

Mit Schreiben vom 14. Juli 2014 teilte der Antragsgegner dem Prozessbevollmächtigten mit, das Finanzamt Y habe gemäß § 26 Satz 2 AO zugestimmt, dass die Rechtsbehelfsverfahren wegen Einkommensteuer und Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer vom Antragsgegner durchgeführt werden.

16

Gegen "die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014" legte der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 8. Juli 2014 Einspruch ein, über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat.

Ebenfalls am 8. Juli 2014 stellte der Antragsteller bei Gericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung "der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014", die sich ausweislich einer beigefügten Kopie der angefochtenen Verfügung gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom 24. Juni 2014 gegenüber dem Notar N wendet.

17

Diesen Antrag begründet der Antragsteller wie folgt: Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014 sei nichtig, da der Antragsgegner nach § 26 AO nicht mehr örtlich zuständig sei. Der Antragsteller habe seinen Wohnsitz am 15. Oktober 2013 nach Y verlegt. Gemäß § 26 Satz 2 AO müsse die bisher zuständige Finanzbehörde vor der Amtshandlung eine Zustimmung der nunmehr zuständigen Behörde herbeiführen. Der Antragsgegner sei nach dem Wohnsitzwechsel des Antragstellers nicht für die Vollstreckungsmaßnahme örtlich zuständig gewesen. Abgesehen von dem Fehlen einer Zuständigkeitsvereinbarung sei der Antragsteller auch nicht im Hinblick auf eine derartige Vereinbarung angehört worden.

18

Der Antragsgegner habe lediglich nach der Pfändungs- und Einziehungsverfügung eine Zustimmung des Finanzamts Y zur Fortführung des Verfahrens wegen Einkommensteuer und Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer behauptet, nicht jedoch eine Zuständigkeitsvereinbarung wegen etwaiger Vollstreckungsmaßnahmen.

Die Heilungsvorschrift des § 126 Abs. 1 Nr. 5 AO beziehe sich auf sog. mehrstufige Verwaltungsakte und sei im Streitfall deshalb nicht einschlägig.

19

Darüber hinaus sei dem Antragsteller keine Vollstreckungsankündigung zugegangen.

20

Außerdem sei die Vollstreckung unbillig. Der Antragsteller benötige die gepfändete und eingezogene Kaufpreiszahlung dringend, um ein anderes bereits gekauftes Objekt zu bezahlen. Falls die Zahlung nicht fristgerecht erfolge, drohe ihm die Inanspruchnahme zur Zahlung von Schadensersatz.

21

Der Antragsteller legte die Kopie eines "Sale-purchase agreement of property under construction" vor, das in englischer und spanischer Sprache abgefasst ist, wobei die spanische Sprache im Zweifelsfall maßgeblich sein soll. In diesem Vertrag verpflichtet sich der Antragsteller, am 28. Juli 2014 Kaufpreisraten in Höhe von ... € zu zahlen.

Ferner legte der Antragsteller einen weiteren Vertrag vor, nach dem er am 19. Mai 2014 eine Optionsprämie in Höhe von ... € gezahlt hat.

22

Nach vorläufigen Einschätzung des Prozessbevollmächtigten ergebe sich aus dem in spanischer Sprache nebst englischer Übersetzung verfassten Kaufvertrag, dass der Antragsteller bis zum 28. Juli 2014 einen Kaufpreisanteil in Höhe von ... € zu bezahlen habe. Der andere Teil ... werde durch eine Bank vorfinanziert. Dem Antragsteller sei von der Verkäuferseite mitgeteilt worden, die Kaufoption verfalle und die angezahlten ... € würden als Vertragsstrafe einbehalten, falls die Zahlungsfrist nicht eingehalten werde. Zwischenzeitlich sei eine deutliche Wertsteigerung des Objekts eingetreten, die zu einem entgangenen Gewinn des Antragstellers im Falle eines Verlustes der Kaufoption führen würde.

23

Mit Schreiben vom 18. Juli 2014 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, der Verkäufer sei bereit, die Kaufoption und die Anzahlung "nicht gleich nach dem 28. Juli 2014 verfallen zu lassen, sondern noch etwas zu warten". Angesichts der zeitlichen Nähe ändere dies aber nichts an der besonderen Eilbedürftigkeit des Falles.

24

Der Antragsteller macht weiter geltend, die Vollstreckung sei auch aufgrund der persönlichen Belastung des Antragstellers und seiner Ehefrau unbillig. Die Ehefrau des Antragstellers habe durch die Pfändungsmitteilung einen Nervenzusammenbruch erlitten und befinde sich in ärztlicher Behandlung. Der Antragsteller und seiner Ehefrau fühlten sich durch den Antragsgegner schikaniert und seien deshalb nach Y umgezogen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten verwiesen.

25

Es bestehe kein Sicherungsbedürfnis des Antragsgegners, da der Antragsteller weiterhin über beträchtliches Grundvermögen in Deutschland verfüge, das entsprechende Miet- und Pachteinnahmen abwerfe. Der Antragsteller beabsichtige, demnächst die beiden ihm gehörenden Grundstücke in ... zu verkaufen. Zum jetzigen Zeitpunkt würde allerdings ein Notverkauf zu deutlichen Verlusten führen. Der Antragsteller legte eine "Vermögensaufstellung Direkt-Baufinanzierung" vom 4. Mai 2014 vor und eine "Ermittlung des Veräußerungsschadens im Falle eines Notverkaufs". Außerdem zeige schon die Tatsache, dass der Antragsgegner erst im April bzw. Juli 2014 über die Anträge des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung der Steuerbescheide vom 15. Juli 2013 entschieden habe, dass eine Gefährdung des Steueranspruchs nicht gegeben sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Antragstellers vom 21. Juli 2014 nebst Anlagen und 22. Juli 2014 verwiesen.

26

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

27

die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014 gegenüber dem Notar N ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung von der Vollziehung auszusetzen.

28

Der Antragsgegner beantragt,

29

den Antrag abzulehnen.

30

Der Antragsgegner macht geltend, es beständen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 24. Juni 2014.

31

Hierzu verweist der Antragsgegner auf ein Schreiben an den Prozessbevollmächtigten vom 15. Juli 2014. In diesem Schreiben brachte der Antragsgegner zum Ausdruck, dass er den Einspruch des Prozessbevollmächtigten als Einspruch sowohl gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014 gegenüber den Eheleuten Z als auch gegenüber dem Notar N betrachtet. Zu diesen Einsprüchen nahm der Antragsgegner wie folgt Stellung: Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen seien nicht deshalb nichtig, weil Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden seien. Hierzu verweist der Antragsgegner auf § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO. Außerdem teilte er mit: "Eine Aktenabgabe an das Finanzamt Y habe ich veranlasst."

Der Antragsgegner sei nach § 249 AO zur Vollstreckung befugt gewesen. Der Antragsteller habe die vom Antragsgegner durch Leistungsgebote angeforderten Abgaben am Fälligkeitstag nicht entrichtet und nach teilweiser Ablehnung der beantragten Aussetzung der Vollziehung mit Bescheid vom 14. April 2014 die Zahlungsaufforderung des Antragsgegners unbeachtet gelassen. Einer weiteren Mahnung bzw. Ankündigung der Vollstreckung habe es daher nicht bedurft. Wegen der fehlenden Zahlungsbereitschaft des Antragstellers sei der Antragsgegner verpflichtet gewesen, Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen. Die Voraussetzungen für den Beginn der Vollstreckung (§ 254 AO) hätten spätestens seit dem 1. Mai 2014 vorgelegen. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen seien erst ausgebracht worden, nachdem der Antragsteller fast zwei Monate später noch keine Zahlungen geleistet habe. Mangelnde Zahlungsbereitschaft des Antragstellers ergebe sich auch aus dessen widersprüchlichen Darstellungen gegenüber dem Antragsgegner: Der Prozessbevollmächtigte habe mit Schreiben vom 11. Februar 2014 dargelegt, der Antragsteller sei bei Vollziehung der Steuerbescheide zum Notverkauf von Grundstücken gezwungen, was Mindererlöse von ... € herbeiführen würde. Bei der mit den Pfändungs- und Einziehungsverfügungen belegten Kaufpreisforderung aus dem Grundstückskaufvertrag vom 13. Juni 2014 handele es sich jedoch nicht um Forderungen aus einem Notverkauf. Der Antragsteller sei nicht bereit, den Veräußerungserlös zur Tilgung seiner Abgabenrückstände zu verwenden, sondern wolle diesen zum Erwerb eines anderen Objekts verwenden. Steuerschulden seien gegenüber anderen Geldschulden nicht nachrangig. Eine einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung nach § 258 AO sei nicht gerechtfertigt. Der Antragsgegner gab dem Antragsteller die Gelegenheit, seine Einsprüche bis zum 31. Juli 2014 weitergehend zu begründen oder zurückzunehmen.

32

Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2014 macht der Antragsgegner weiter geltend, die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 24. Juni 2014 seien rechtmäßige Ermessensentscheidungen über die Frage, ob, wann und auf welche Weise die Vollstreckung bei Vorliegen der formellen Vollstreckungsvoraussetzungen erfolge. Die Abgabenforderungen, die den Pfändungen zugrunde lagen, seien vor Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen durch Leistungsgebote (Einkommensteuerbescheide 2007 und 2008 vom 15. Juli 2013 und Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung vom 14. April 2014 mit Zahlungsaufforderung zum 30. April 2014) angefordert worden. Der gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung eingelegte Einspruch habe insoweit keine aufschiebende Wirkung gehabt. In Anbetracht einer Höhe der Steuerschuld von rd. ... € (zzgl. Säumniszuschlägen) für die Veranlagungsjahre 2007 bis 2011 seien die ausgebrachten Pfändungen erfolgversprechende Maßnahmen gewesen. Die Forderungspfändung entspreche auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Finanzbehörde müsse nicht berücksichtigen, dass der Kaufpreis bereits für ein anderes Kaufobjekt vorgesehen gewesen sei. Im Vordergrund müsse eine zügige und erfolgreiche Beitreibung der Steuerforderungen stehen. Die Finanzbehörde müsse nicht hinter anderen Gläubigern zurückstehen und bei der Höhe der Steuerrückstände auf die persönlichen Dispositionen des Vollstreckungsschuldners keine Rücksicht nehmen. Die Vollstreckungsmaßnahme sei daher ermessensgerecht und nicht unbillig gewesen.

33

Dass die in den Pfändungs- und Einziehungsverfügungen aufgeführten Abgaben streitig sind, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Einlegung von Rechtsbehelfen hemme eine Vollziehung von Steuerbescheiden nicht. Etwaige Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Steuerbescheide seien nach § 256 AO im Vollstreckungsverfahren nicht zu berücksichtigen. Allein ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung führe auch nicht zu einer Unbilligkeit der Vollstreckung i.S.d. § 258 AO. Vielmehr seien Verwaltungsakte, deren Vollziehung nicht ausgesetzt sind, nach § 251 AO zu vollstrecken.

34

Eine Aussetzung der Vollziehung könne nicht mit der Begründung beansprucht werden, die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen seien unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit ausgebracht worden und deshalb nichtig. Nach § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO sei ein Verwaltungsakt nicht schon deshalb nichtig, weil Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten wurden. Das nach dem Wohnsitzwechsel zuständige Finanzamt Y hätte nach Ansicht des Antragsgegners keine andere Entscheidung in der Sache treffen können. "Vollstreckungsmaßnahmen in den Kaufvertrag" durch die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen seien geboten gewesen.

35

Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2014 macht der Antragsgegner geltend, die Pfändungen seien wegen Gefahr in Verzug in sinngemäßer Anwendung des § 29 AO erfolgt.

36

Ergänzend führt der Antragsgegner aus, im Falle einer Aussetzung der Vollziehung werde beantragt, diese von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. In Anbetracht der Höhe der insgesamt bestehenden Steuerschulden sei bei einem Unterliegen des Antragstellers der Steueranspruch gefährdet. Außerdem habe der Antragsteller nach den Feststellungen der Steuerfahndung regelmäßig unversteuerte Einnahmen nach Spanien geleitet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 23. Juli 2014 Bezug genommen.

37

Der Antragsteller beantragt eine Entscheidung durch den Vorsitzenden nach Maßgabe des § 69 Abs. 3 Satz 5 Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen besonderer Eilbedürftigkeit.

38

Dem Senat wurde zur Entscheidung ein Band Vollstreckungsakten vorgelegt. Die Steuerakten des Antragstellers wurden weder angefordert noch vorgelegt.

39

Der Antragsgegner teilte am 25. Juli 2014 telefonisch mit, eine Auszahlung aufgrund der Pfändung sei bisher nicht erfolgt. Nach telefonischer Auskunft des Drittschuldners sei mit einer Zahlung in der Zeit zwischen dem 30. Juli 2014 und dem 1. August 2014 zu rechnen.

II.

40

Der Antrag ist begründet.

41

1.

Der Senat entscheidet gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO durch den Vorsitzenden.

42

Eine Entscheidung durch den Senatsvorsitzenden kann insbesondere in Vollstreckungsfällen wegen der sich aus dem Vorbringen des Antragstellers ergebenden Dringlichkeit geboten sein (vgl. BFH-Beschluss vom 22. November 1994 VII S 28/94, BFH/NV 1995, 532). Der Antragsteller hat eine Entscheidung durch den Vorsitzenden insbesondere im Hinblick auf die am 28. Juli 2014 fällig werdende Kaufpreisforderung beantragt. Der Antragsgegner hat hierzu nicht Stellung genommen. Außerdem würde der Rechtsstreit durch die unmittelbare bevorstehende Zahlung des Drittschuldners erledigt (vgl. BFH-Beschluss vom 11. April 2001 VII B 304/00, BStBl. II 2001, 525) und wäre damit keiner Sachentscheidung mehr zugänglich. Nicht zuletzt angesichts des derzeitigen Jahresurlaubs des Berichterstatters, der erst im August 2014 - nach dem Zeitpunkt der telefonisch angekündigten Auszahlung - wieder im Dienst ist, erscheint eine Entscheidung durch den Vorsitzenden gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO sachgerecht.

43

2.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

44

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben.

45

Bei summarischer Prüfung bestehen sowohl ernstliche Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit des Antragsgegners für die angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung als auch an einer ermessensfehlerfreien Begründung dieser Pfändungs- und Einziehungsverfügung.

46

a)

Es bestehen ernstliche Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit des Antragsgegners für die angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung.

47

aa)

Nach § 249 Abs. 1 Satz 3 AO ist das Finanzamt zwar die für die Beitreibung der Steuerrückstände des Abgabenschuldners sachlich zuständige Vollstreckungsbehörde.

48

bb)

Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit des Antragsgegners.

49

(1)

Da die AO insoweit für das Vollstreckungsverfahren keine besonderen Vorschriften enthält, richtet sich die örtliche Zuständigkeit grundsätzlich nach den §§ 17 ff. AO (vgl. Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vor § 16 AO Rn. 33).

50

(2)

Gemäß § 19 Abs. 1 AO ist für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Wohnsitzfinanzamt). Bei mehrfachem Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes ist der Wohnsitz maßgebend, an dem sich der Steuerpflichtige vorwiegend aufhält; bei mehrfachem Wohnsitz eines verheirateten Steuerpflichtigen, der von seinem Ehegatten nicht dauernd getrennt lebt, ist der Wohnsitz maßgebend, an dem sich die Familie vorwiegend aufhält.

51

(3)

Geht die örtliche Zuständigkeit durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände von einer Finanzbehörde auf eine andere Finanzbehörde über, so tritt der Wechsel der Zuständigkeit nach § 26 Satz 1 AO in dem Zeitpunkt ein, in dem eine der beiden Finanzbehörden hiervon erfährt. Ein Kennenkönnen oder Kennenmüssen der geänderten Umstände genügt für einen Zuständigkeitswechsel nicht. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist für einen Zuständigkeitswechsel erforderlich, dass die die Zuständigkeit ändernden Umstände aus der Sicht der betroffenen Finanzämter zweifelsfrei feststehen (BFH-Urteil vom 25. Januar 1989 X R 158/87, BStBl. II 1989, 483; BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2008 V B 29/07, BFH/NV 2008, 1451; vom 11. Oktober 2007 V B 68/07, BFH/NV 2008, 343).

52

Nach diesen Maßstäben ist bei summarischer Prüfung von einem Wechsel der Zuständigkeit spätestens im April 2014 auszugehen, da die Beteiligten - insoweit übereinstimmend - vortragen, der Antragsteller habe seinen Wohnsitz im 4. Quartal 2013 nach Y verlegt und der Antragsgegner habe hiervon spätestens am 24. April 2014 verlässliche Kenntnis gehabt.

53

(4)

Die bisher zuständige Finanzbehörde kann ein Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt (§ 26 Satz 2 AO).

54

Die Zustimmung ist ein behördeninterner Vorgang, für den keine bestimmte Form vorgeschrieben ist. Sie muss aber ausdrücklich erfolgen. Schweigen oder bloße Duldung genügt nicht (Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 42 u. 44; ebenso - zu § 27 AO - BFH-Urteil vom 13. Februar 2001 III R 13/00, BStBl. II 2002, 406). Die Zustimmung muss vor der Amtshandlung herbeigeführt werden, für die die örtliche Zuständigkeit übergegangen ist (Kruse in Tipke/Kruse, § 26 AO Rn. 12; FG Berlin Urteil vom 16. Juli 1982 III 263/82, EFG 1983, 268).

55

Beim Erlass der streitbefangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung lag keine Zustimmung des Finanzamts Y zur Fortführung des Verfahrens durch den Antragsgegner vor.

56

(5)

Eine Zuständigkeit des Antragsgegners ergibt sich bei summarischer Prüfung auch nicht aus § 29 AO.

57

(a)

Bei Gefahr im Verzug ist für unaufschiebbare Maßnahmen jede Finanzbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Die sonst örtlich zuständige Behörde ist unverzüglich zu unterrichten (§ 29 Satz 1 und 2 AO).

58

Diese Vorschrift greift dann ein, wenn entweder die Zuständigkeit nicht sofort eindeutig zu klären ist oder eine sonst nicht zu bewältigende Notsituation vorliegt (BFH-Urteil vom 13. Dezember 2001 III R 13/00, BStBl. II 2002, 406, 407).

59

Der Anwendungsbereich des § 29 AO ist auf Not- und Ausnahmesituation beschränkt und kommt bei eiligen Fahndungs- und Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht (Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 29 AO Rn. 2; Kruse in Tipke/Kruse, § 29 AO Rn. 1 m.w.N.). Die an sich zuständige Behörde darf voraussichtlich nicht in der Lage sein, die erforderlichen Maßnahmen so rechtzeitig zu treffen, dass der Erfolg nicht in Frage gestellt ist (Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 29 AO Rn. 4).

60

Bei summarischer Prüfung lag keine derartige Not- oder Ausnahmesituation vor. Nach eigenen Angaben hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 24. April 2014 eindeutige Erkenntnis über den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit erlangt. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung erfolgte am 24. Juni 2014. Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, weshalb in der Zwischenzeit weder die Herbeiführung einer Vereinbarung nach § 26 Satz 2 AO (s. hierzu unten 3. b) aa) (2) (a)) noch eine Abgabe der Zuständigkeit erfolgte.

61

(b)

Außerdem ergeben sich erhebliche Zweifel an einer örtlichen Zuständigkeit des Antragsgegners für eine etwaige Maßnahme nach § 29 AO. Gemäß § 29 Satz 1 AO ist die Finanzbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Im Streitfall erfolgte in Y eine Vollstreckung wegen einer Steuerforderung gegenüber einem in Y ansässigen Steuerpflichtigen. Ein hinreichender örtlicher Bezug zum Antragsgegner war - abgesehen von der früheren Zuständigkeit des Antragsgegners, die zum Zeitpunkt der Pfändungs- und Einziehungsverfügung jedoch nicht Gegenstand einer Zuständigkeitsvereinbarung nach § 26 Satz 2 AO war - zum Zeitpunkt der Pfändungs- und Einziehungsverfügung nicht festzustellen. Allein die Tatsache, dass ein im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners belegenes Grundstück veräußert wurde, erscheint i.S.d. § 29 Satz 1 AO bei summarischer Prüfung nicht als hinreichender Anlass für eine Vollstreckungsmaßnahme.

62

Darüber hinaus ergibt sich aus den Vollstreckungsakten kein Anhaltspunkt dafür, dass der Antragsgegner nach § 29 AO vorgegangen ist und die nach § 29 Satz 2 AO erforderliche Benachrichtigung vorgenommen hat.

63

(6)

Der Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit ist nicht nach § 127 AO unbeachtlich, da diese Vorschrift auf Ermessensentscheidungen nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht anwendbar ist (BFH-Beschluss vom 14. Januar 2010 VIII B 104/09, BFH/NV 2010, 605 m.w.N.).

64

Bei der streitbefangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Anhaltspunkte für eine etwaige Ermessensreduzierung auf Null liegen nicht vor, wie nachfolgend unter b) im Einzelnen dargelegt wird.

65

b)

Bei summarischer Prüfung bestehen auch ernstliche Zweifel an einer ermessensfehlerfreien Begründung der angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung.

66

aa)

Wenngleich es zweifelhaft ist, ob den Finanzbehörden für das "Ob" der Vollstreckung ein Ermessen eingeräumt ist (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 22. Oktober 2002 VII R 56/00, BStBl. II 2003, 109, unter 3. b), so liegt gleichwohl die Entscheidung über die weiteren Fragen des "Wann" und des "Wie" der Vollstreckung im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörden; dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (Werth in Klein, Komm. zur AO, 12. Aufl. 2014, Vor § 249 Rz. 6 u. § 249 Rz. 2, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen).

67

bb)

Ist - wie im Bereich der Auswahl zwischen verschiedenen möglichen Vollstreckungsmaßnahmen nach § 249 AO - für die Finanzbehörde ein Ermessensspielraum eröffnet, so hat sie nach § 5 AO das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Dabei ist eine Entscheidung nur dann frei von Ermessensfehlern, wenn die Behörde sie auf der Grundlage einer einwandfreien und umfassenden Sachverhaltsermittlung getroffen hat. Zwar ist dann jede innerhalb des Ermessensrahmens und unter Berücksichtigung des Ermächtigungszwecks von der Behörde für sachgerecht erachtete Maßnahme rechtmäßig. Die Behörde muss aber ihre Maßnahmen in jedem Einzelfall auf das unumgänglich Notwendige beschränken und prüfen, welche der zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeigneten Maßnahmen den Betroffenen am wenigsten belasten (BFH-Urteil vom 24. September 1991 VII R 34/90, BStBl. II 1992, 57). Verkennt die Behörde, dass ihr Ermessen eingeräumt ist, liegt eine sog. Ermessensunterschreitung vor, die zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung führt. Verfehlt die Behörde den Zweck der Ermächtigung oder überschreitet sie die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens (Ermessensfehlgebrauch/Ermessensüberschreitung), ist dies ebenfalls rechtswidrig.

68

cc)

Damit der Betroffene und gegebenenfalls die Gerichte die Ermessenserwägungen der Finanzbehörde überprüfen können, muss eine Ermessensentscheidung grundsätzlich begründet werden. Die Begründung muss zeigen, dass die Finanzbehörde den Ermessensspielraum erkannt hat und von welchen Gesichtspunkten sie bei ihrer Ermessensentscheidung ausgegangen ist (Klein/Gersch, AO, § 5 Rz. 13). Zwar ist unter den Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 AO oder in Fällen, in denen die Ermessenserwägungen dem Betroffenen bereits bekannt sind, eine Begründung der Entscheidung nicht erforderlich. Daneben ist in bestimmten Bereichen des den Finanzbehörden eingeräumten Ermessens wie der Anordnung von Außenprüfungen oder der Inhaftungnahme von Steuerhinterziehern die Ermessensentscheidung in einer Weise vorgeprägt, die eine besondere Begründung in der Regel entbehrlich macht (vgl. näher Klein/Gersch a.a.O.). Der Bereich der Vollstreckung nach den Vorschriften der §§ 249 ff. AO zählt hierzu jedoch nicht.

69

dd) Nach diesen Grundsätzen bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte, weil der Antragsgegner bei deren Erlass nicht diejenigen Erwägungen dargelegt hat, die der Auswahl und dem Zeitpunkt der Vollstreckungsmaßnahmen zugrunde lagen und die Ermessenserwägungen, die im vorliegenden Verfahren in dem Schriftsatz vom 21. Juli 2014 dargelegt wurden, bei summarischer Prüfung nicht frei von Widersprüchen sind.

70

(1)

Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung wurde dem Drittschuldner zugestellt. Dabei wurde der beizutreibende Geldbetrag nach § 309 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 314 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AO nur in einer Summe genannt. In Anbetracht des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) besteht nicht die Möglichkeit, die Pfändungs- und Einziehungsverfügung mit einer Begründung zu versehen. Dagegen besteht eine solche Möglichkeit bei der Mitteilung an den Vollstreckungsschuldner (§ 309 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 314 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AO).

71

Bei der Mitteilung an den Antragsteller wurden im Streitfall zwar die Steuern und Nebenleistungen, wegen derer die Pfändung erfolgte, im Einzelnen benannt. Ermessenserwägungen wurden jedoch nicht dargelegt.

72

(2)

Die Behörde kann fehlende oder unzutreffende Ermessenserwägungen gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO i.V.m. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO und § 102 Satz 2 FGO spätestens in der Einspruchsentscheidung nachholen.

73

Da das Einspruchsverfahren gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung noch nicht abgeschlossen ist, kann der Antragsgegner fehlende Ermessenserwägungen dem Antragsteller noch mitteilen, ggf. auch durch Schriftsätze im Rahmen dieses Verfahrens wegen Aussetzung der Vollziehung dieser Verfügung.

74

(3)

Die Ermessenserwägungen, die im vorliegenden Verfahren in dem Schriftsatz vom 21. Juli 2014 dargelegt wurden, sind bei summarischer Prüfung nicht frei von Widersprüchen.

75

So stellt der Antragsgegner zunächst Ermessenserwägungen an (S. 1 f. des Schriftsatzes vom 21. Juli 2014), führt dann jedoch aus, das nach dem Wohnsitzwechsel zuständige Finanzamt habe keine andere Entscheidung in der Sache treffen können (S. 3 des Schriftsatzes vom 21. Juli 2014). Damit behauptet der Antragsgegner - ohne inhaltliche Begründung - eine Ermessensreduzierung auf Null dahingehend, dass bei Rückständen von mehr als ... € zwei Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegenüber bestimmten Drittschuldnern in Höhe von genau ... €, also weniger als 20 % der insgesamt bestehenden Rückstände, die alleinige ermessensfehlerfreie Entscheidung seien. Bei summarischer Prüfung hat der Antragsgegner durch diese Behauptung den Umfang seines Ermessens nicht hinreichend gewürdigt.

76

3.

Die Aussetzung der Vollziehung wird von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht.

77

a)

Nach § 69 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

78

Die Entscheidung über die Sicherheitsleistung ist eine Ermessensentscheidung, bei der das Gericht eigenes Ermessen ausübt (Seer in Tipke/Kruse, § 69 FGO Rn. 111). Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (st. Rspr., vgl. zuletzt BFH-Beschluss vom 21. November 2013 II B 46/13, BStBl. II 2014, 263 m.w.N.).

79

Im Streitfall wird die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht, da bei summarischer Prüfung die Möglichkeit einer Heilung der zu 2. dargelegten Verfahrensfehler im derzeit noch anhängigen Einspruchsverfahren gegen die streitbefangene Pfändungs- und Einziehungsverfügung nicht ausgeschlossen erscheint (hierzu unten b) und bei einem Unterliegen des Antragstellers in der Hauptsache konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegen (hierzu unten c).

80

b)

Bei summarischer Prüfung erscheint die Möglichkeit einer Heilung der zu 2. dargelegten Verfahrensfehler im derzeit noch anhängigen Einspruchsverfahren gegen die streitbefangene Pfändungs- und Einziehungsverfügung nicht ausgeschlossen.

81

Eine Heilungsmöglichkeit besteht bei summarischer Prüfung sowohl hinsichtlich des Verstoßes gegen die örtliche Zuständigkeit (hierzu aa) als auch hinsichtlich der mängelbehafteten Ermessenserwägungen (hierzu bb). Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Pfändung aus anderen Gründen, insbesondere für eine Unbilligkeit der Vollstreckung i.S.d. § 258 AO liegen bei summarischer Prüfung nicht vor (hierzu cc).

82

aa)

Bei summarischer Prüfung kann der Verstoß des Antragsgegners gegen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit im Einspruchsverfahren noch geheilt werden.

83

(1)

Der Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit führt gemäß § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur Rechtswidrigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung.

84

Verwaltungsakte, die unter Verstoß gegen die Vorschrift des § 26 AO erlassen werden, sind nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig (ebenso Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 73 u. 75; Kruse in Tipke/Kruse, § 26 AO Rn. 15).

85

(2)

Die Zustimmung der nunmehr örtlich zuständigen Finanzbehörde nach § 26 Satz 2 AO kann bei summarischer Prüfung bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens gegen den Verwaltungsakt, der unter Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit erfolgte, nachgeholt werden.

86

Bei summarischer Prüfung kommt sowohl in Betracht, dass noch eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 26 Satz 2 AO (u.a.) für die hier streitbefangene Vollstreckung der Einkommensteuer 2007 und 2008 getroffen wird (hierzu unten (a)) als auch eine Heilungsmöglichkeit nach § 126 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 2 AO (hierzu unten (b)).

87

(a)

Bei summarischer Prüfung kommt noch eine Zuständigkeitsvereinbarung (u.a.) für die Vollstreckung der Einkommensteuer 2007 und 2008 nach § 26 Satz 2 AO in Betracht, obwohl die Vollstreckung dieser Steuer erst begonnen hat, nachdem der Wohnsitzwechsel des Antragstellers dem Antragsgegner bereits bekannt war.

88

(aa)

Geht die örtliche Zuständigkeit durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände von einer Finanzbehörde auf eine andere Finanzbehörde über, so tritt der Wechsel der Zuständigkeit nach § 26 Satz 1 AO in dem Zeitpunkt ein, in dem eine der beiden Finanzbehörden hiervon erfährt. Die bisher zuständige Finanzbehörde kann ein Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt (§ 26 Satz 2 AO).

89

§ 26 Satz 2 AO erlaubt nur die "Fortführung" eines bereits begonnen Verwaltungsverfahrens, nicht jedoch den Beginn eines Verwaltungsverfahrens (BFH-Urteil vom 13. Dezember 2001 III R 13/00, BStBl. II 2002, 406, 407; Wünsch in Pahlke/Koenig, Komm. zur AO, 2. Aufl. 2009, § 26 AO Rn. 17; Schmieszek in Beermann/Gosch, § 26 AO Rn. 11).

90

Für den Beginn eines Verwaltungsverfahrens ist ein Tätigwerden mit Außenwirkung erforderlich, das auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet ist (Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 25; Wünsch in Pahlke/Koenig, Komm. zur AO, 2. Aufl. 2009, § 26 AO Rn. 17). Jede Steuerart und jeder Besteuerungszeitraum sind gesondert zu betrachten (Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 23; Schmieszek in Beermann/Gosch, § 26 AO Rn. 11).

91

(bb)

Soweit ersichtlich, ist bisher nicht abschließend geklärt, in welchem Verhältnis dabei Vollstreckungs- und Festsetzungsverfahren zueinander stehen.

92

Einerseits wird die Auffassung vertreten, Steuerfestsetzungs- und Vollstreckungsverfahren seien i.S.d. § 26 Satz 2 AO jeweils selbständige, in sich abgeschlossene Verfahren (so Wünsch in Pahlke/Koenig, Komm. zur AO, 2. Aufl. 2009, § 26 AO Rn. 16). Die Gegenauffassung betont dagegen den Zusammenhang zwischen Festsetzungs- und Erhebungsverfahren jedenfalls für solche Fälle, in denen sich die Vollstreckung unmittelbar an die im Festsetzungsverfahren ergangene Entscheidung anschließt. In derartigen Fällen sei auch die Vollstreckung noch Bestandteil der Verwirklichung der im Besteuerungsverfahren ergangenen Entscheidung (so Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 22). Wohl noch weitergehend wird auch die Auffassung vertreten, als Verwaltungsverfahren sei das Besteuerungsverfahren anzusehen, das mit der Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung beginne und mit der Verwirklichung - ggf. im Wege der Vollstreckung - ende (so Schmieszek in Beermann/Gosch, § 26 AO Rn. 11).

93

(cc)

Im Streitfall hat der Antragsgegner spätestens am 24. April 2014 Kenntnis von dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit erhalten (hierzu oben 2. a) bb) (3)). Vor dem Wohnsitzwechsel des Antragstellers hatte das Steuerfestsetzungsverfahren zur Einkommensteuer der Jahre 2007 - 2011 begonnen und zu Änderungsbescheiden geführt, die Gegenstand eines noch anhängigen Einspruchs gegen die Steuerfestsetzungen und eines noch anhängigen Einspruchs gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung waren. Erste Vollstreckungsmaßnahmen nach außen wurden dagegen - soweit aus der dem Gericht vorgelegten Vollstreckungsakte ersichtlich - erstmals mit den Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 24. Juni 2014 getroffen. Nach diesen Pfändungen wurde im Juli 2014 vom Antragsgegner über die Einsprüche entschieden, nachdem das nunmehr für den Wohnsitz des Antragstellers zuständige Finanzamt einer Fortführung der Rechtsbehelfsverfahren wegen Einkommensteuer und Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer zugestimmt hatte.

94

Gleichwohl kommt bei summarischer Prüfung nach Auffassung des erkennenden Senats der Abschluss einer Zuständigkeitsvereinbarung (auch) für das Vollstreckungsverfahren in Betracht, da im Streitfall die Vollstreckung unmittelbar mit den Entscheidungen über die Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung der streitbefangenen Steuern verknüpft ist und die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen kurze Zeit nach der Ablehnung der beantragten Aussetzung der Vollziehung erfolgten. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung von Sunder-Plasmann (in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 22) an. Für diese Ansicht spricht insbesondere die enge Verzahnung von Rechtsbehelfs- und Vollstreckungsverfahren gemäß § 251 und § 258 AO. Solange Aussetzung der Vollziehung gewährt ist, können Verwaltungsakte nicht vollstreckt werden (§ 251 Abs. 1 Satz 1 AO). Anträge auf Aussetzung der Vollziehung als solche, die noch nicht beschieden sind, stehen einer Vollstreckung zwar grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings hat die Vollstreckungsstelle derartige Anträge bei ihrer Ermessensentscheidung nach Maßgabe des Abschnitts 5 Abs. 4 der Vollstreckungsanweisung (VollstrA) zu berücksichtigen. Außerdem ist eine Vollstreckung unbillig i.S.d. § 258 AO, wenn ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit hoher Wahrscheinlichkeit Aussicht auf Erfolg hat (s. hierzu unten cc (1)).

95

(b)

Bei summarischer Prüfung besteht auch die Möglichkeit, den Mangel der örtlichen Zuständigkeit durch Abschluss einer Vereinbarung nach § 26 Satz 2 AO gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 2 AO zu heilen.

96

Nach § 126 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 2 AO kann die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Dies gilt auch für die nach § 26 Satz 2 AO erforderliche Zustimmung der nunmehr örtlich zuständigen Behörde für ein Handeln der früher zuständigen Behörde (ebenso Rätke in Klein, Komm. zur AO, 12. Aufl. 2014, § 26 Rn. 12; Schmieszek in Beermann/Gosch, § 26 AO Rn. 23 sowie - zur früheren Rechtslage, als § 126 Abs. 2 AO eine Nachholung nur bis zur Einspruchsentscheidung vorsah - FG Hamburg Urteile vom 13. April 1989 II 7/87, EFG 1989, 490, 491; vom 22. Mai 1997 II 5/97, EFG 1997, 1418).

97

Der gegenteiligen Ansicht von Seer (in Tipke/Kruse, § 126 AO Rn. 8), § 126 Abs. 1 Nr. 5 AO betreffe nur sog. mehrstufige Verwaltungsakte und sei deshalb im Steuerrecht nicht anwendbar, vermag sich der erkennende Senat bei summarischer Prüfung nicht anzuschließen.

98

bb)

Da das Einspruchsverfahren gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung noch nicht abgeschlossen ist, besteht noch die Möglichkeit der Heilung der bisher fehlenden bzw. fehlerbehafteten Begründung dieser Verfügung.

99

Die Behörde kann fehlende oder unzutreffende Ermessenserwägungen gemäߧ 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO i.V.m. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO spätestens in der Einspruchsentscheidung nachholen. Im Klageverfahren darf die Behörde ihre Ermessenserwägungen nach § 102 Satz 2 FGO bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung dagegen nur noch "ergänzen". Die Vorschrift des § 102 Satz 2 FGO gestattet es der Finanzbehörde nur, bereits an- oder dargestellte Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen. Nicht dagegen ist sie befugt, Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen (BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl. II 2004, 579).

100

cc) Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Pfändung aus anderen als den oben zu 2. genannten Gründen, insbesondere solchen, hinsichtlich derer keine Heilungsmöglichkeit bestände, oder für eine Unbilligkeit der Vollstreckung i.S.d. § 258 AO liegen bei summarischer Prüfung nicht vor.

101

(1)

Nach der Rechtsprechung des BFH kann sich eine Vollstreckung auch dann als unbillig i.S.d. § 258 AO erweisen, wenn sich der Steuerschuldner auf die Rechtswidrigkeit des der Vollstreckung zugrunde liegenden Verwaltungsaktes beruft und rechtzeitig einen AdV-Antrag gestellt hat und dieser zwar noch nicht beschieden ist, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass er Erfolg haben wird (BFH-Beschluss vom 12. Juni 1991 VII B 66/91, BFH/NV 1992, 156, unter II. 2. der Gründe; BFH-Urteil vom 27. Oktober 2004 VII R 65/03, BStBl II 2005, 198 [BFH 27.10.2004 - VII R 65/03], unter 2. c der Gründe). In einem solchen Fall verstieße die Vollstreckung gegen den auch im Rahmen des § 258 AO zu berücksichtigenden Grundsatz von Treu und Glauben. Denn das durch die Vollstreckung Erlangte müsste dem Steuerpflichtigen alsbald zurückgewährt werden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1992, 156, unter II. 2. der Gründe). Eine etwaige Unbilligkeit der Vollstreckung ist vom Antragsgegner bei der erforderlichen Ermessensentscheidung über die Vollstreckungsmaßnahme zu prüfen.

102

(2)

Im Streitfall beruhen die Steuerfestsetzungen u.a. auf Hinzuschätzungen nach einer Betriebs- und Fahndungsprüfung, gegen die der Antragsteller zahlreiche Einwendungen erhebt. Insoweit macht er gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung - neben dem Fehlen der örtlichen Zuständigkeit des Antragsgegners - auch die Unbilligkeit der Vollstreckung geltend, da die Steuerfestsetzungen fehlerhaft seien. Im Rahmen der nur sehr beschränkten Zeit, die dem Senat angesichts der Eilbedürftigkeit des Falles (hierzu oben 1.) zur Prüfung zur Verfügung steht, vermag der erkennende Senat die für eine Unbilligkeit der Vollstreckung erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs des Antragstellers in dem beim ... Senat unter dem Aktenzeichen ... anhängigen Verfahren nicht festzustellen. Bei summarischer Prüfung kann der Antragsteller deshalb mit seinen Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der zu vollstreckenden Verwaltungsakte nach § 256 AO im Vollstreckungsverfahren nicht gehört werden.

103

Nicht zuletzt, da der Drittschuldner in seiner Drittschuldnererklärung angekündigt hat, dass ggf. noch im Juli 2014 eine Zahlung aufgrund der Pfändungs- und Einziehungsverfügung erfolgen soll, durch die der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung dieser Pfändung erledigt würde (vgl. BFH-Beschluss vom 11. April 2001 VII B 304/00, BStBl. II 2001, 525), hat der erkennende Senat im Streitfall von einer Anforderung der Steuer- und Ermittlungsakten hinsichtlich der Fahndungsmaßnahmen bei dem Antragsteller und einer inhaltlichen Prüfung der Steuerfestsetzungen abgesehen, um zeitnah über die Einwendungen des Antragstellers gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung entscheiden zu können, die sich insbesondere gegen die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners wenden. Außerdem hat der Antragsteller bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht glaubhaft gemacht, dass die in dem Verfahren ... streitbefangenen Steuerfestsetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit so fehlerbehaftet sind, dass eine Sicherheitsleistung in Höhe von weniger als 20 % der streitigen Steuern - die allein Gegenstand der Pfändungs- und Einziehungsverfügung und damit dieser Prüfung ist - unzumutbar wäre.

104

c)

Bei einem Unterliegen des Antragstellers in der Hauptsache liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueraufkommens vor.

105

Der Antragsteller möchte die gepfändeten Mittel nach eigenen Angaben dazu verwenden, am 28. Juli 2014 einen Teil des Kaufpreises für den Erwerb einer Immobilie in Spanien zu bezahlen. Nach einem Unterliegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wäre eine erneute Vollstreckung in die derzeit gepfändeten Vermögenswerte bzw. deren Surrogat nur noch im Ausland möglich. Jede Notwendigkeit einer Vollstreckung im Ausland lässt eine Gefährdung des Steueraufkommens nach der Wertung des Gesetzgebers als zumindest möglich erscheinen (BFH-Beschluss vom 24. März 1999 I B 113/98, BFH/NV 1999, 1314 [BFH 24.03.1999 - I B 113/98], unter III. 2. a) und rechtfertigt deshalb z.B. Anordnungen nach § 50a Abs. 7 Einkommensteuergesetz (EStG).

106

Zwar macht der Antragsteller in dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 21. Juli 2014 geltend, er verfüge im Inland über weitere Vermögenswerte, insbesondere Grundbesitz, die jederzeit eine Befriedigung der Steuerforderung ermöglichten. Diese Behauptung ist jedoch nicht hinreichend substantiiert und lässt insbesondere keine Überprüfung des Werts und der Vorbelastungen der in Deutschland befindlichen Vermögenswerte zu. Es ist jedenfalls nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller einerseits geltend macht, er sei dringend auf die Auszahlung der gepfändeten Forderung angewiesen, um den Kaufpreis für einen Immobilienerwerb in Spanien zu bezahlen, wenn andererseits in Deutschland hinreichend liquide Vermögenswerte vorhanden sein sollen, die eine jederzeitige Befriedigung des Finanzamts ermöglichen sollen.

107

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

108

Dass der Antragsteller mit seinem Begehren, von einer Sicherheitsleistung freigestellt zu werden, unterlegen ist, wirkt sich kostenmäßig nicht aus (BFH-Beschluss vom 26. Mai 1988 V B 26/86, BFH/NV 1989, 403; Koch in Gräber, Komm. zur FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 Rn. 161).

109

5.

Die Zulassung der Beschwerde erfolgt gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 AO.

110

Die Frage, ob eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 26 Satz 2 AO im Hinblick auf Vollstreckungsmaßnahmen auch getroffen werden kann, wenn ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit während eines Rechtsbehelfsverfahrens, aber noch vor dem Beginn von Vollstreckungsmaßnahmen eintritt, hat grundsätzliche Bedeutung.

111

Alleine die telefonische Ankündigung des Drittschuldners, in der kommenden Woche eine Auszahlung vorzunehmen, durch die der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt würde (vgl. BFH-Beschluss vom 11. April 2001 VII B 304/00, BStBl. II 2001, 525), steht der Zulassung der Beschwerde nicht entgegen.