Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.05.2014, Az.: 10 K 109/13

Grundsätze zur Bestimmung der Fahrten eines Diensthundführers zur Polizeidienststelle als Fahrten zwischen Dienststätte und Wohnung oder als Dienstreisen; Kriterien zur Auslegung des Begriffs der regelmäßigen Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
22.05.2014
Aktenzeichen
10 K 109/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 18335
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2014:0522.10K109.13.0A

Fundstelle

  • EFG 2014, 1474-1476

Amtlicher Leitsatz

Für die Bestimmung der regelmäßigen Arbeitsstätte kommt es unter Berücksichtigung des objektiven Nettoprinzips allein darauf an, ob der Kläger ständig denselben Betriebsort aufsucht und sich so auf die Fahrtkosten einwirken kann.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Fahrten des als Diensthundführer tätigen Klägers zu seiner Polizeidienststelle in A als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder als Dienstreisen zu beurteilen sind.

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Der Kläger wurde als Diensthundführer mit Wirkung vom ...... von der Polizeidirektion B, Diensthundführergruppe C, an die Polizeidirektion D versetzt. Mit Verfügung vom ...... wies die Polizeidirektion D den Kläger zur Dienstverrichtung der neuen Dienststelle Diensthundführergruppe A zu und übertrug ihm den Dienstposten eines Sachbearbeiters Diensthundführerstaffel. Die Diensthundführergruppe betreut die Polizeiinspektionen A und E. Der Kläger verrichtet Bedarfsdienst für den gesamten Bereich A/E. Die unmittelbare Dienst- und Fachaufsicht obliegt der Dienststelle.

3

Zur Dienstverrichtung sucht der Kläger die Dienststelle in A täglich zu Dienstbeginn und Dienstende auf, um sich dort umzuziehen, das Dienstfahrzeug zu be- und entladen und eventuelle Einsätze abzufragen. Vor Beginn der Streifenfahrten erfolgt eine telefonische Meldung bei der Leitstelle. Soweit keine Einsätze anstanden, führte der Kläger selbständige Kontrollfahrten durch. Die anfallenden Schreibarbeiten erledigt der Kläger in der Regel vor Ort in den einzelnen Polizeirevieren. In der Dienststelle stehen zwei Büroarbeitsplätze für neun Diensthundführer zur Verfügung. Einmal wöchentlich fährt der Kläger mit seinem Diensthund von der Dienststelle zum Ausbildungsplatz in F.

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In seiner Einkommensteuererklärung 2011 beantragte der Kläger für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in A für 207 Tage mit 32 km 0,30 € je Entfernungskilometer als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Der Beklagte veranlagte den Kläger mit Einkommensteuerbescheid vom 01.06.2012 antragsgemäß.

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Gegen den Einkommensteuerbescheid legte der Kläger Einspruch ein und begehrte die Berücksichtigung der bisherigen Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen. Der Beklagte wies den Einspruch des Klägers mit Einspruchsentscheidung vom 03.04.2013 als unbegründet zurück.

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Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Berücksichtigung der Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätze. Die Arbeitsstätte in A sei nicht als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen, da er seine Tätigkeit fast ausschließlich außerhalb der Dienststelle verrichte.

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Der Kläger beantragt,

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unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 3. April 2013 den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 1. Juni 2012 zu ändern und die Einkommensteuer 2011 auf 5.231 € herabzusetzen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid. Danach sei von einer regelmäßigen Arbeitsstätte auszugehen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund dienstrechtlicher oder arbeitsrechtlicher Festlegungen einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet sei. Davon könne im Einzelfall nur abgewichen werden, wenn der Arbeitnehmer an verschiedenen Einrichtungen des Arbeitgebers tätig werde. Dies ist im Streitfall aber nicht geschehen.

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Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seiner Tätigkeit befragt. Wegen des Inhalts der Erläuterungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO). Die dem Kläger von seinem Dienstherrn zur Dienstverrichtung zugewiesene Dienststelle in A ist seine regelmäßige Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG.

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1. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH ist regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. September 2010 VI R 54/09, BFHE 231, 127, BStBl II 2011, 354 [BFH 22.09.2010 - VI R 54/09], [BFH 22.09.2010 - VI R 54/09] m.w.N.). Allerdings ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer dort seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachgeht. Der Betriebssitz des Arbeitgebers, den der Arbeitnehmer lediglich regelmäßig nur zu Kontrollzwecken aufsucht, ist nicht die regelmäßige Arbeitsstätte (BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 58/09, BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34 [BFH 09.06.2011 - VI R 58/09]).

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Liegen diese Voraussetzungen vor, so konnte ein Arbeitnehmer nach früherer Rechtsprechung des BFH auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten nebeneinander innehaben. Diese Rechtsprechung hat der BFH jedoch zwischenzeitlich aufgegeben (Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 36/10, BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36 [BFH 09.06.2011 - VI R 36/10]; VI R 55/10, BFHE 234, 164 [BFH 09.06.2011 - VI R 55/10], [BFH 09.06.2011 - VI R 55/10] BStBl II 2012, 38 [BFH 09.06.2011 - VI R 55/10]; s. dazu Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 15. Dezember 2011 IV C 5 - S 2353/11/10010). Denn der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers kann nur an einem Ort liegen. Nur insoweit kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so (etwa durch Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel oder eine zielgerichtete Wohnsitznahme in der Nähe der regelmäßigen Arbeitsstätte) auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Damit stellt sich § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG auch nur insoweit als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip dar. Übt der Arbeitnehmer hingegen an mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers seinen Beruf aus, ist es ihm regelmäßig nicht möglich, die anfallenden Wegekosten durch derartige Maßnahmen gering zu halten. Denn die unter Umständen nicht verlässlich vorhersehbare Notwendigkeit, verschiedene Tätigkeitsstätten aufsuchen zu müssen, erlaubt es dem Arbeitnehmer nicht, sich immer auf die gleichen Wege und eine kostengünstige Verpflegungssituation einzustellen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564 [BFH 18.06.2009 - VI R 61/06]). In einem solchen Fall lässt sich die Einschränkung der Steuererheblichkeit von Wegekosten durch die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) nicht rechtfertigen.

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2. Nach diesen Grundsätzen geht der Senat nach Würdigung aller Umstände davon aus, dass die Dienststelle in A die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers ist. Der Kläger ist dieser Dienststelle dienstrechtlich von seinem Dienstherrn zugeordnet worden. Er fährt diese Dienststelle nahezu arbeitstäglich, jedenfalls ganz überwiegend und regelmäßig an. Er erhält hier prinzipiell seine Einsatzbefehle, belädt seinen Dienstwagen und zieht hier seine Dienstkleidung an. In dieser Dienststelle steht ihm für Schreibarbeiten, die nach eigener Auskunft selten anfallen, ein Schreibtisch zur Verfügung. Die Dienststelle in A ist zudem für die unmittelbare Dienst- und Fachaufsicht zuständig, so dass hier der zentrale Ort, die täglich aufzusuchende Dienststelle des Arbeitgebers ist.

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Soweit der Kläger meint, dass er seine Tätigkeit im Wesentlichen außerhalb der Dienststelle ausübe, verkennt der Senat nicht, dass der zeitliche Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers außerhalb der Dienststelle liegt. Soweit man die Dienstfahrten und Einsätze mit dem Diensthund als qualitativen Schwerpunkt der Arbeit ansieht, liegt dieser zwar ebenfalls nicht in der Dienststelle. Dies ist nach Auffassung des Senats indes nicht entscheidend.

18

Abgesehen davon, dass die neuere Rechtsprechung des BFH sich nicht am Willen des Gesetzgebers orientiert (vgl. die Neuregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG als Reaktion auf die geänderte Rechtsprechung), wirft sie unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung des objektiven Nettoprinzips nach den eigenen Maßstäben dieser Rechtsprechung neue, andere sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen auf. So trifft der Aspekt, dass sich der Arbeitnehmer auf seine Fahrten zu einem bestimmten, unveränderlichen Arbeitsort einstellen und so die Fahrtkosten minimieren kann, sowohl bei einer Person zu, die einen Arbeitsort regelmäßig aufsucht und dort ihre Tätigkeit verrichtet als auch für eine Person wie den Kläger, der seinen Dienstort regelmäßig aufsucht und dort ein vom Arbeitgeber zur Verfügung gestelltes Fahrzeug besteigt, um seinen Dienst zu verrichten. Wieso es etwa bei einem Krankenpfleger je nachdem, ob er im Krankenhaus seinen Dienst verrichtet oder dasselbe Krankenhaus anfährt und dort einen Einsatzwagen besteigt, um Krankenfahrten durchzuführen, unter dem Gesichtspunkt der anfallenden Fahrtkosten und deren Vermeidung es einen sachlichen Unterschied im Hinblick auf das objektive Nettoprinzip machen soll, erschließt sich dem Senat nicht.

19

Zudem lässt sich aus Sicht des Senats nicht nachvollziehen, wieso der qualitative Schwerpunkt einer Tätigkeit zwingendes und sachgerechtes Auslegungskriterium für den Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte ist, soweit hierdurch abgegrenzt werden soll, ob die Abzugsbegrenzung der Fahrtaufwendungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, insbesondere in den Fällen, in denen die Tätigkeit schwerpunktmäßig unter Zuhilfenahme eines Dienstfahrzeuges ausgeübt wird. Da der Kläger stets dieselbe Arbeitsstätte anfährt, liegt es in seiner Hand, sich auf die anfallenden Wegekosten einzustellen und diese durch geeignete Maßnahmen zu verändern. Dementsprechend ist die Dienststelle in A seine regelmäßige Arbeitsstelle, so dass die Klage abzuweisen war.

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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.