Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 29.03.2011, Az.: 3 A 960/09

Ausschlussfrist

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
29.03.2011
Aktenzeichen
3 A 960/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45218
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Ausschlussfrist des § 9 Abs. 2 DVO-NPflegeG ist nur dann gewahrt, wenn der Antrag auf Auszahlung der Förderbeträge innerhalb der Frist bei der zuständigen Behörde eingeht. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Versäumung der Ausschlussfrist unbeachtlich sein kann.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Förderung nach dem Niedersächsischen Pflegegesetz (NPflegeG) für das 3. Quartal 2008.

Die Klägerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst, den die Beklagte mit Bescheid vom 28.05.1998 als grundsätzlich förderfähig anerkannt hat. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass die Auszahlung von Förderbeträgen jeweils bis zum Ende des jeweiligen Folgequartals beantragt werden muss. Danach wurde über Jahre verfahren, ohne dass es zu Problemen gekommen wäre.

Mit Schreiben vom 02.02.2009, bei der Beklagten eingegangen am 04.02.2009, teilte die Klägerin mit, sie habe am 11.11.2008 die Abrechnung der Förderbeträge für ambulante Pflegeeinrichtungen für das 3. Quartal erstellt und entsprechend der üblichen Verfahrensweise mit dem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Formular beantragt. Der Postausgang könne anhand der in Kopie beigefügten Aufzeichnungen nachgewiesen werden. Insofern betrachte sie die Förderbeträge grundsätzlich als beantragt. Es werde jedoch umgehend ein Nachforschungsantrag gestellt. Bislang sei es in den über 10 Jahren, in denen sie Förderbeträge beantragt habe, noch niemals zu einer derartigen Situation gekommen. Sie bitte deshalb um Prüfung und fügte eine Ablichtung des Auszahlungsantrages vom 11.11.2008 bei.

In den Verwaltungsvorgängen der Beklagten findet sich kein unter dem 11.11.2008 erstellter und bis zum 31.12.2008 eingegangener Antrag auf Auszahlung der Förderbeträge für das 3. Quartal im Original. Der Nachforschungsantrag blieb erfolglos.

Die Beklagte sah das Schreiben der Klägerin vom 02.02.2009 als Antrag auf Auszahlung von Förderbeträgen für das 3. Quartal 2008 an und lehnte ihn durch Bescheid vom 05.02.2009 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Nach § 9 Abs. 2 DVO-NPflegeG berechneten die Träger der Pflegeeinrichtungen die auf sie entfallenden Förderbeträge jeweils zum Quartalsende. Eine Auszahlung erfolge nur, wenn sie bis zum Ende des Folgequartals bei der zuständigen Behörde beantragt werde. Der Antrag hätte deshalb spätestens am 31.12.2008 bei ihr eingehen müssen. Das sei nicht der Fall. Unbeachtlich sei, ob bei der Klägerin ein entsprechender Ausgang zu verzeichnen sei. Der mit dem Schreiben vom 02.02.2009 gestellte Antrag sei daher als verfristet anzusehen. Eine Auszahlung der Förderbeträge für das 3. Quartal 2008 könne deshalb nicht erfolgen.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 02.03.2009 Klage erhoben.

Zur Begründung trägt sie vor: Sie habe die Auszahlung der Förderbeträge für die Monate Juli bis September 2008 in Höhe von 8.086,83 € am 11.11.2008 beantragt und diesen Antrag am 11.11.2008 zur Post gegeben. Dies ergebe sich aus ihrem Postausgangsbuch. Sie habe den Antrag damit innerhalb der Frist auf den Weg gebracht. Die rechtzeitige Absendung des Antrags genüge den Anforderungen von § 9 Abs. 2 S. 1 DVO-NPflegeG. Damit habe sie die Ausschlussfrist gewahrt. Sie habe davon ausgehen können, dass der Antrag spätestens 3 Tage später bei der Beklagten eingehe, wie dies auch zuvor der Fall gewesen sei. Jedenfalls liege ein begründeter Ausnahmefall von der Ausschlusswirkung der Frist vor. Eine solche Ausnahme sei dann zu machen, wenn die Ausschlusswirkung nicht mit Treu und Glauben vereinbar wäre. Das sei hier der Fall. Sie habe sich darauf verlassen dürfen, dass ihr am 11.11.2008 abgesendeter Antrag spätestens am 14.11.2008 bei der Beklagten eintreffe. Außerdem werde Im Entwurf zur DVO-NPflegeG als Begründung für die Ausschlussfrist das Interesse der Haushaltsgenauigkeit angeführt. Dieser Gesichtspunkt könne hier die Ausschlusswirkung nicht rechtfertigen. Zudem bezwecke die Ausschlussfrist eine Klärung in angemessener Zeit. Auch das sei hier möglich gewesen, denn die Beklagte hätte nur vier Tage nach dem Zeitpunkt, bis zu dem die Förderbeträge des dritten Quartals 2008 auszuzahlen gewesen wären, Kenntnis vom Antrag der Klägerin gehabt. Auch insoweit unterscheide sich der Sachverhalt von dem durch das OVG entschiedenen Fall.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 05.02.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für das 3. Quartal 2008 Investitionskostenförderung in Höhe von 8.086,73 € zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erwidert: Das Antrags- und Abrechnungsverfahren sei in § 9 DVO-NPflegeG geregelt. Danach müsse die Auszahlung der Förderbeträge bis zum Ende des Folgequartals bei der Förderbehörde beantragt werden. Die Förderung für das 3. Quartal 2008 hätte also bis zum 31.12.2008 beantragt werden müssen. Als Ende Januar 2009 seitens der Klägerin nach dem Verbleib der Abrechnung der Förderbeträge für das 3. Quartal nachgefragt worden sei, sei festgestellt worden, dass der entsprechende Förderantrag nicht eingegangen sei. Daraufhin habe die Klägerin am 02.02.2009 die Auszahlung der Förderbeträge für das 3. Quartal 2008 nochmals beantragt. Dieser Antrag sei jedoch nicht innerhalb der Frist des § 9 Abs. 2 DVO-NPflegeG gestellt worden. Das Postausgangsbuch der Klägerin könne nicht als Beweis verwertet werden, weil der Eingang des Förderantrages bei ihr maßgebend sei. Außerdem ergebe sich aus dem Postausgangsbuch nicht, welchen Inhalt das an sie abgesandte Schreiben gehabt habe. Bei der Frist des § 9 Abs. 2 DVO-NPflegeG handle es sich, wie auch das OVG Lüneburg bereits entschieden habe, um eine Ausschlussfrist. Daraus ergebe sich, dass bei einer Versäumung dieser Frist die Auszahlung ausgeschlossen sein solle. Zwar unterscheide sich der Sachverhalt des vom OVG entschiedenen Falles von diesem Fall, die Ausführungen des OVG zur Ausschlussfrist des § 11 Abs. 2 DVO-NPflegeG seien jedoch von grundsätzlicher Bedeutung und deshalb auch hier anwendbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Förderung ihrer Investitionskosten nach § 9 NPflegeG für das 3. Quartal 2008. Der Bescheid der Beklagten vom 05.02.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb auch nicht in ihren Rechten (§113 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 VwGO).

Zwar erfüllt die Klägerin die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Förderung ihrer Investitionskosten nach § 9 NPflegeG, weil der ambulante Pflegedienst, den sie betreibt, von der Beklagten als grundsätzlich förderfähig anerkannt worden ist. Der Bewilligung von Fördermitteln nach dieser Vorschrift steht jedoch § 9 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Niedersächsischen Pflegegesetzes (DVO-NPflegeG) vom 30.03.2005 (Nds. GVBl S. 104) entgegen. Danach berechnen die Träger von Pflegeeinrichtungen die auf sie entfallenden Förderbeträge jeweils zum Quartalsende; eine Auszahlung erfolgt nur, wenn sie bis zum Ende des Folgequartals bei der zuständigen Behörde beantragt wird.

Der Förderantrag für das 3. Quartal 2008 hätte bei der Beklagten danach bis zum 31.12.2008 eingehen müssen. Der Antrag ist aber erst am 02.02.2009 bei der Beklagteneingegangen. Die Frist des § 9 Abs. 2 DVO-NPflegeG war damit versäumt.

Der Auffassung der Klägerin, es komme darauf an, wann der Antrag abgesandt worden ist, vermag das Gericht nicht zu folgen. Als Verfahrenshandlung stellt der Antrag bei einer Behörde eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung dar, die der zuständigen Behörde zugehen muss. Dabei kommt es allein auf den tatsächlichen Eingang bei der Behörde an (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 22 Rdnr, 23 und § 42, Rdnr 81). Davon ist auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 14.03.2007 - 4 LC 354/04 - ausgegangen (a.a.O., S. 11). Der Zugang muss gegebenenfalls vom Antragsteller bewiesen worden.

Der Auszahlungsantrag vom 11.11.2008 ist bei der Beklagten nach dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge erst am 02.02.2009 eingegangen. Einen früheren Eingang hat die Klägerin nicht nachgewiesen. Das Postausgangsbuch ist nicht geeignet, den Zugang bei der Beklagten nachzuweisen.

Damit ist der dem Grunde nach bestehende Anspruch auf Auszahlung der Förderbeträge für das 3. Quartal 2008 erloschen. Nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urteil vom 29.04.2004 - 3 A 5924/02 -), die das Nds. Oberverwaltungsgericht in seinem bereits zitierten Urteil bestätigt hat, handelt es sich bei der Frist des § 9 Abs. 2 DVO-NPflegeG um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Das bedeutet, dass der materielle Anspruch mit der Einhaltung der Frist "steht und fällt", ein verspäteter Antragsteller also materiellrechtlich seine Anspruchsberechtigung endgültig verliert (Nds. OVG, a.a.O., S. 9 m.w.N). Bei einer Versäumung der Frist ist die Auszahlung grundsätzlich ausgeschlossen.

Gründe für eine Ausnahme von der Ausschlusswirkung der Frist sind nach Auffassung des Gerichts nicht gegeben.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die Begründung des Entwurfs zur DVO-NPflegeG. Zwar hat das Nds. OVG diesen Verordnungsentwurf herangezogen, um den Charakter der Frist des § 9 Abs. 2 als einer Ausschlussfrist zu begründen; das bedeutet jedoch nicht, dass in jedem Einzelfall geprüft werden muss, ob z.B. der Zweck der Haushaltsgenauigkeit oder der Gesichtspunkt der Klärung in angemessener Zeit die Wirkung der Frist als Ausschlussfrist gebietet. Die Ausführungen des Nds. OVG zur Ausschlussfrist sind vielmehr, wie die Beklagte zu Recht ausgeführt hat, von grundsätzlicher und damit allgemeiner Bedeutung und deshalb auch dann anzuwenden, wenn sich die Sachverhalte unterscheiden.

In Rechtsprechung und Schrifttum ist allerdings anerkannt, dass die Versäumung einer Ausschlussfrist unter bestimmten Voraussetzungen - allerdings in engen Grenzen -, unbeachtlich sein kann. So kann die Ausschlusswirkung mit Treu und Glauben unvereinbar sein. Außerdem kann sie  bei höherer Gewalt entfallen (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 31 Rdnr. 13; Knack, VwVfG, 7. Auflage, § 31 Anm. 7; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 31 Rdnr. 10).

Hier liegt aber keine dieser Fallgestaltungen vor. Das Gericht folgt nicht der Auffassung der Klägerin, die Ausschlusswirkung sei mit Treu und Glauben nicht vereinbar. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Klägerin außerstande gewesen wäre, sich auf die Ausschlussfrist einzurichten oder wenn sie aus Gründen, die die Behörde zu vertreten hat, gehindert war, die Frist einzuhalten (vgl. dazu OVG Koblenz, Beschl. vom 20.10.1988 - 2 B 26/88 - NJW 1989, 381 f., 382 [BVerfG 27.10.1987 - 1 BvR 385/85]). Die Klägerin wusste, dass es sich um eine Ausschlussfrist handelt und dass sie diese einhalten musste, um den materiellrechtlichen Anspruch auf Investitionskostenförderung nicht zu gefährden. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte etwas mit der Fristversäumnis zu tun hätte, sind nicht erkennbar. So kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Antrag vom 11.11.2008 bei der Beklagten verlorengegangen ist, konkrete Anhaltspunkte gibt es dafür jedoch nicht, zumal nicht einmal feststeht, ob der Antrag überhaupt abgesendet und/oder bei ihr eingegangen ist.

Es liegt auch kein Fall höherer Gewalt vor. Unter höherer Gewalt ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen Umständen auch durch die größte, nach den Umständen des konkreten Falls vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (vgl. dazu BVerwG, Urt. vom 23.04.1985 - 9 C 7/85 -, NJW 1986, 207 f, 208 m.w.N.). Dem steht entgegen, dass die Klägerin den Förderantrag nach ihrem eigenen Vorbringen lediglich als einfachen Brief auf den Weg gebracht. Damit hat sie die gebotene Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten verletzt. Hätte sie eine andere Versendungsform gewählt oder den Antrag zusätzlich an die Beklagte gefaxt, so hätte sie die Fristversäumung verhindern können.

Ob auch ein staatliches Fehlverhalten die Ausschlusswirkung entfallen lassen kann, ist unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs umstritten (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 31 Rdnr. 13), kann aber offenbleiben (ebenso Nds. OVG, a.a.O., S. 11), weil solche Gründe hier nicht erkennbar sind.