Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.12.2005, Az.: 5 A 51/05

Aufhebung von Straßenverkehrszeichen im Bahnhofsbereich der Stadt Lüneburg; Bedürfnis zur Aufstellung des Verkehrszeichens 239 Straßenverkehrsordnung (StVO) "Fußgänger" mit dem Zusatzzeichen "Abstellen von Fahrrädern (Symbol) max. 15 Min."; Notwendigkeit der Klarstellung der verkehrsrechtlichen Situation; Rechtswidrigkeit der Aufstellung von Verkehrszeichen im Rahmen eines Verkehrsversuchs zur Erprobung geplanter verkehrsregelnder Maßnahmen

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
14.12.2005
Aktenzeichen
5 A 51/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 36272
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2005:1214.5A51.05.0A

Fundstellen

  • NJW 2006, XII Heft 15 (Kurzinformation)
  • NJW 2006, 1609-1611 (Volltext mit amtl. LS) "Abstellverbot für Fahrräder auf Gehwegen"
  • SVR 2006, 276-277

Amtlicher Leitsatz

Das Verkehrszeichen 239 StVO "Fußgänger" mit dem Zusatzzeichen "Abstellen von Fahrrädern (Symbol) max. 15 Min." darf nur aufgestellt werden, wenn die Örtlichkeit eine entsprechende Regelung zur Klarstellung der verkehrsrechtlichen Situation erfordert.

Aus dem Entscheidungstext

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung von Straßenverkehrszeichen im Bahnhofsbereich der Stadt Lüneburg.

2

Die Beklagte beabsichtigt im Bereich des Bahnhofvorplatzes in Lüneburg durch straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen das Abstellen von Fahrrädern auf den für Fußgängern vorbehaltenen Verkehrsflächen zu unterbinden oder zu beschränken. Die zunächst erlassene Anordnung eines Zonenparkverbotes (VZ 290/292) mit dem Zusatzzeichen "auch Fahrräder (Symbol)" hat die Kammer durch Urteil vom 25. September 2002 (5 A 161/01) für rechtswidrig erklärt. Diese Entscheidung wurde vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Juni 2003 (12 LB 68/03) und vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. Januar 2004 (3 C 29.03) bestätigt.

3

In seiner Sitzung am 22./23. September 2004 fand sich im Bund-Länder-Fachausschuss für den Straßenverkehr keine Mehrheit für eine Änderung der Straßenverkehrsordnung zur Regelung des Abstellens von Fahrrädern auf öffentlichen Verkehrsflächen.

4

Auf Antrag der Beklagten erklärte sich das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr mit Erlass vom 24. November 2004 damit einverstanden, dass die Beklagte zur Erlangung einer größeren Erfahrungsbasis für die Dauer eines Jahres einen Verkehrsversuch zur Beschränkung des Abstellens von Fahrrädern auf dem Bahnhofsvorplatz in Lüneburg durchführt. Im Rahmen des Verkehrsversuchs seien Gehwege und als Gehwege gewidmete Verkehrsflächen mit dem Verkehrszeichen 239 (Fußgänger) und einem Zusatzzeichen "Abstellen von Fahrrädern (Symbol) max. 15 Min." zu beschildern. Die Verwendung des Zusatzzeichens werde zugelassen. Der Versuch sei auf das Bahnhofsumfeld in Lüneburg zu beschränken und nur dort durchzuführen, wo Fahrräder in zumutbarer Entfernung abgestellt werden könnten. Während des Versuchs sollte die Kennzeichnung abgestellter Fahrräder erfolgen, die Verwahrung ordnungswidrig abgestellter Fahrräder frühestens nach Ablauf von 4-6 Stunden erfolgen und ein sichergestelltes Fahrrad gegen Entrichtung einer festzulegenden Verwaltungsgebühr sowie gegen Vorlage eines Eigentumsnachweises herausgegeben werden. Ordnungswidrigkeitenverfahren könnten bei Verstößen gegen die Regeln des Versuchs nicht eingeleitet werden. Der Versuch sei fachlich zu begleiten, zu dokumentieren und mit einem Erfahrungsbericht abzuschließen.

5

Mit einer verkehrsrechtlichen Anordnung für den Bereich des Bahnhofsvorplatzes vom 27. Januar 2005 ordnete die Beklagte an, dass ab 1. Februar 2005 das langfristige Abstellen von Fahrrädern auf Gehwegflächen im Bereich des Bahnhofs in Lüneburg untersagt werden soll. Zur Erprobung von dauerhaften verkehrsregelnden Maßnahmen werde die Aufstellung der vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zugelassenen Schilderkombination angeordnet. Ziel des Verkehrsversuches sei es, die neugeschaffenen Beschilderungsmöglichkeiten, deren Verwendbarkeit vor Ort und die Akzeptanz und Umsetzbarkeit des Gesamtkonzeptes zu erproben, bevor abschließend zu entscheiden sei, ob unter Einbeziehung des neuen Zusatzzeichens eine dauerhafte Anordnung zweckmäßig sei.

6

Daraufhin wurden auf den durch Hochborde von der Fahrbahn abgegrenzten Gehwegflächen vor dem Gebäude des Hauptbahnhofes, auf zwei Verkehrsinseln und für den Gehweg vor dem Gebäude des Westbahnhofes neun Verkehrsschilder 239 "Fußgänger" mit dem angeordneten Zusatzzeichen aufgestellt. Die Verkehrsflächen vor dem Gebäude des Hauptbahnhofes einschließlich des davor angelegten Platzes sind als Fußwege gewidmet, die übrigen Verkehrsflächen im Wesentlichen als "Ortsstraße zum allgemeinen Verkehr". Vor dem neben dem Hauptbahnhofsgebäude errichteten sog. "Radspeicher" ist eine Fläche als "Fuß-/Radweg" gewidmet.

7

Der Kläger legte mit Schreiben vom 14. Februar 2005 gegen die verkehrsbehördliche Anordnung zur Aufstellung der genannten Straßenverkehrsschilder Widerspruch ein. Hilfsweise richte sich der Widerspruch auch gegen die von den Schildern auszugehende Anordnung selbst. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 16. Februar 2005 mit, dass ab 1. Januar 2005 ein Widerspruchsverfahren für diese Fälle nicht mehr vorgesehen sei.

8

Mit der daraufhin am 22. Februar 2005 erhobenen Klage begehrt der Kläger, die in Sachen "Fahrradparkverbot" für die Gehwege im Bahnhofsbereich getroffene verkehrsbehördliche Anordnung bzw. die aufgestellten Verkehrszeichen aufzuheben.

9

Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend, die Straßenverkehrsordnung enthalte keine Rechtsgrundlage für die Anordnung eines "Parkverbotes" für Fahrräder. Nachdem die Beklagte mit den inzwischen wieder aufgehobenen ersten Verbotsschildern genügend Erfahrungen gewonnen habe, bedürfe es keiner Erprobung für die erneute Anordnung eines Parkverbotes für Fahrräder. Die Erprobung sei auch sonst rechtswidrig, weil sie sich auf eine unzulässige Verkehrsregelung beziehe. Die angeordneten Verkehrsschilder seien straßenverkehrsrechtlich nicht erforderlich. Bei einem den Fußgängerverkehr behindernden Abstellen von Fahrrädern könne ohne zusätzliche Verkehrsregelung von der Beklagten eingeschritten werden. Das mache deutlich, dass es der Beklagten in Wirklichkeit um das Freihalten des Platzes von Fahrrädern und damit nur um die Schönheit des Bahnhofsvorplatzes und der Auslastung des benachbarten "Fahrradparkhauses" gehe. Weiter sei es unzulässig, Phantasiezeichen als Zusatzzeichen im öffentlichen Straßenverkehr zu verwenden. Die angeordneten Zusatzschilder seien weder in der Straßenverkehrsordnung vorgesehen, noch werde damit eine Regelung getroffen, die nach der Straßenverkehrsordnung zugelassen sei. Die Anordnung sei auch mit dem Wesen des Zusatzschildes unvereinbar, weil mit ihm eine gegenüber dem Hauptschild eigenständige Regelung getroffen werde. Damit sei das Zusatzzeichen auch nicht dem Hauptzeichen untergeordnet, wie es von der Straßenverkehrsordnung gefordert werde. Die Anordnung sei auch verkehrsrechtlich nicht zwingend geboten. Die Auffassung, Verkehrsschilder seien Allgemeinverfügungen im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG, sei gekünstelt.

10

Der Kläger beantragt,

die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten vom 27. Januar 2005 für den Bereich des Bahnhofsvorplatzes in Lüneburg aufzuheben,

11

hilfsweise,

die auf dem Bahnhofsvorplatz in Lüneburg aufgestellten Verkehrszeichen 239 StVO (Fußgänger) mit den Zusatzzeichen "Abstellen von Fahrrädern (Symbol) max. 15 Min." aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, diese Verkehrszeichen zu entfernen.

12

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Sie erwidert, ihre Anordnung für das Aufstellen der Verkehrszeichen vom 27. Januar 2005 sei eine behördeninterne Maßnahme ohne Außenwirkung, sodass der Hauptantrag unzulässig sei. Die Anordnung der streitbefangenen Verkehrszeichen sei zur Erprobung von verkehrsregelnden Maßnahmen zulässig. Durch das massenhafte und langfristige Abstellen von Fahrrädern seien die Schutzgüter "Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs" nicht nur im Einzelfall gefährdet. Weil die Straßenverkehrsordnung eigenständige Verkehrszeichen und Zusatzschilder zur Lösung des verkehrsrechtlichen Problems im Bahnhofsbereich im Zusammenhang mit dem Abstellen von Fahrrädern nicht enthalte, habe sie zur Erprobung geplanter verkehrsregelnder Maßnahmen die vom Kläger beanstandeten Verkehrszeichen angeordnet. Vom Verkehrsversuch erwarte sie neue Erkenntnisse bezüglich des Verhaltens der Fahrradfahrer, insbesondere der Akzeptanz der angeordneten Verkehrszeichen und eine Änderung der Abstellgewohnheiten. Nach den bisherigen Erfahrungen könne davon ausgegangen werden, dass die angeordnete straßenverkehrsrechtliche Maßnahme die von ihr erwünschten Ergebnisse erbringe. Sie halte es jedoch für erforderlich, während des Verkehrsversuchs das tatsächliche Verhalten der Radfahrer zu beobachten. Verlaufe der Verkehrsversuch erfolgreich, werde sie sich um die dauerhafte Verwendung des neuen Zusatzzeichens bemühen. Die möglichen Zusatzzeichen seien durch die Straßenverkehrsordnung nicht abschließend geregelt. Deshalb könnten auch neue Zusatzzeichen mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums entsprechend den Verkehrsbedürfnissen entwickelt werden. Die Maßnahme sei im betreffenden Bereich zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auch erforderlich.

14

Den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat die Kammer mit rechtskräftigem Beschluss vom 30. März 2005 (5 B 9/05) abgelehnt.

15

Die Kammer hat Beweis erhoben über die Örtlichkeit und den Standort der Verkehrszeichen 239 mit Zusatzzeichen auf dem Bahnhofsvorplatz in Lüneburg durch Ortsbesichtigung durch den Berichterstatter. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die Beweisaufnahme vom 15. November 2005 verwiesen.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die Verfahrensakten 5 B 9/05 und 5 A 161/01 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die mit dem Hauptantrag erhobene Klage ist unzulässig, im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.

18

Die Klage, mit der der Kläger die Aufhebung der verkehrsbehördliche Anordnung vom 27. Januar 2005 begehrt, ist unzulässig. Diese Anordnung, mit der ab 1. Februar 2005 probeweise das Aufstellen der streitbefangenen Schilderkombination festgesetzt worden ist, ist eine behördeninterne Maßnahme ohne Außenwirkung. Die Anordnung ist an keinen Adressaten außerhalb der Verwaltung der Beklagten gerichtet, sondern enthält den Auftrag des zuständigen Bereichs der Beklagten an den "Bereich 22/A Betriebshof" zur Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen. Die Anordnung ist damit mangels Außenwirkung kein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG. Der Kläger kann deshalb auch nicht geltend machen, durch diese behördliche Maßnahme in seinen Rechten gem. § 42 Abs. 2 VwGO verletzt zu sein.

19

Die mit dem Hilfsantrag verfolgte Klage ist zulässig und begründet.

20

Die im Rahmen des Verkehrsversuchs auf dem Bahnhofsvorplatz in Lüneburg aufgestellten Verkehrszeichen 239 (Fußgänger) mit den Zusatzzeichen "Abstellen von Fahrrädern (Symbol) max. 15 Min." sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist daher verpflichtet, die streitbefangenen Verkehrszeichen zu entfernen (§ 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

21

Die mit dem Hilfsantrag erhobene Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, weil es sich bei den vom Kläger beanstandeten Verkehrszeichen um Dauerverwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG handelt (vgl. BVerwGE 102, 316 (318) [BVerwG 11.12.1996 - 11 C 15/95]; 92, 32 (36) [BVerwG 26.01.1993 - 1 C 29/92]; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 8. Aufl., § 35 Rdnr. 112). Der Kläger kann auch geltend machen, durch die Verkehrszeichen gemäß § 42 Abs. 2 VwGO in seinen Rechten verletzt zu sein. Durch die Verkehrszeichen ist er gehindert, sein Fahrrad länger als 15 Minuten auf dem Bahnhofsvorplatz in Lüneburg abzustellen.

22

Die Klage ist insoweit auch begründet. Die von der Beklagten auf dem Bahnhofsvorplatz in Lüneburg im Rahmen eines Verkehrsversuchs für ein Jahr aufgestellten Verkehrsschilder sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

23

Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es hier nicht darauf an, ob die auf dem Bahnhofsvorplatz aufgestellten Verkehrsschilder "erforderlich" im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG sind. § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG ist die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Rechtsverordnungen, die zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen oder zur Verhütung von Belästigungen erlassen werden können. § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG enthält damit keine unmittelbare Regelung, an der die Maßnahmen der Beklagten gemessen werden könnten, sondern schafft lediglich die gem. Art. 80 Abs. 1 GG erforderliche Voraussetzung für den Erlass der Straßenverkehrsordnung und der Straßenverkehrszulassungsordnung (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 6 StVG Rdnr. 7).

24

Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen auch keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken daran, dass die Beklagte zunächst die Aufstellung der Verkehrsschilder im Rahmen eines Verkehrsversuchs angeordnet hat. Gemäß § 45 Abs. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten oder den Verkehr umleiten. Dieses Recht haben sie nach dieser Regelung auch zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen. Ob, wann und unter welchen Umständen ein Verkehrsversuch im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 6 StVO durchgeführt wird, steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Wenn die Beklagte wie hier vor der endgültigen Anordnung von verkehrsregelnder Maßnahmen zunächst diese Maßnahmen erproben will, steht es in ihrem Ermessen, auf der Grundlage des § 45 Abs. 1 Nr. 6 StVO einen entsprechenden Verkehrsversuch durchzuführen, um festzustellen, ob die später beabsichtigten verkehrsregelnden Maßnahmen tatsächlich den gewünschten Einfluss auf die Straßenverkehrsteilnehmer und die Verkehrsabläufe haben. Dafür besteht hier auch ein von der Beklagten ohne Rechtsfehler angenommener Bedarf, weil in der Straßenverkehrsordnung kein Straßenverkehrsschild für die zu erprobende Regelung zur Verfügung steht und gegenwärtig auch offenbar nicht beabsichtigt ist, ein entsprechendes Straßenverkehrsschild in die Straßenverkehrsordnung aufzunehmen. Unter diesen Umständen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Beklagte die von ihr neu entwickelte Beschilderung auf ihre Akzeptanz und Umsetzbarkeit zunächst erprobt um anschließend zu entscheiden, ob die Aufstellung dieser Verkehrsschilder letztendlich zweckmäßig ist. Es ist deshalb auch nicht ermessensfehlerhaft, dass die Beklagte nicht uneingeschränkt auf die bereits gewonnenen Erfahrungen mit der vorher verwandten Schilderkombination zurückgreifen will. Unter diesen Umständen steht es letztlich im sachgemäß ausgeübten Ermessen der Beklagten zu bestimmen, zunächst einen Verkehrsversuch gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 6 zweite Alternative StVO durchzuführen, um die Praxistauglichkeit der neuen Schilderkombination zu testen.

25

Die Durchführung des Verkehrsversuchs ist jedoch in der Sache rechtswidrig. In einem Verkehrsversuch, der wie hier zur Erprobung geplanter verkehrsregelnder Maßnahmen durchgeführt wird, dürfen nur Maßnahmen angeordnet werden, die als endgültige Regelung rechtmäßig angeordnet werden dürfen (vgl. VGH Bad.-Württ. Beschl. v. 26. 10. 1994, 5 S 2344/94, NZV 1995, 45 ff; OVG Münster, Urt. v. 19. 12. 1995, 25 B 2750/95, NJW 1996, 2049; Hentschel, a.a.O., § 45 Rdnr. 32, Abweichendes gilt nur für die Fälle des § 45 Abs. 1 Nr. 6 erste Alternative). Die im Verkehrsversuch aufgestellten Verkehrsschilder sind rechtswidrig, sodass auch der Verkehrsversuch aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft ist.

26

Entgegen der Auffassung des Klägers ist allerdings das von der Beklagten für diesen Zweck angeordnete Zusatzschild nicht rechtswidrig. Gemäß § 39 Abs. 2 Satz 2 StVO sind Zusatzschilder, die auch sog. Zusatzzeichen erfassen, Verkehrszeichen. Nach der Verwaltungsvorschrift 17 a) zu § 39 StVO (vgl. Hentschel, a.a.O., § 39 Rdnr. 22 a) bedürfen andere als die in der Anlage zur Straßenverkehrsordnung aufgeführten Zusatzzeichen "der Zustimmung der obersten Landesbehörde". Weil aus § 39 StVO nicht erkennbar ist, dass die Zusatzzeichen abschließend in der Anlage aufgeführt sind, und sich aus der Verwaltungsvorschrift hinlänglich der Wille des Verordnungsgebers ergibt, dass andere Zusatzzeichen neu erlassen werden dürfen, ist zu folgern, dass es keinen abgeschlossenen Katalog für Zusatzzeichen in der Straßenverkehrsordnung und ihren Anlagen gibt. Vielmehr haben die Straßenverkehrsbehörden die Möglichkeit, mit Zustimmung der obersten Landesbehörde weitere Zusatzzeichen neu zu bestimmen. Auch in der Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, dass die Straßenverkehrsordnung die Zusatzschilder nicht abschließend aufzählt (vgl. Hentschel, a.a.O., § 39 Rdnr. 31 a m.w.N.).

27

Jedoch ist, worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat, die Aufstellung der Verkehrszeichen 239 "Fußgänger" auf dem Bahnhofsvorplatzbereich rechtswidrig. Das in § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO unter "Sonderwege" aufgeführte Zeichen gestattet und beschränkt die Nutzung eines Weges für "Fußgänger". Gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 5 Satz 4 StVO steht das Zeichen 239 "Fußgänger" "nur dort, wo eine Klarstellung notwendig ist". Nach der Verwaltungsvorschrift zu Zeichen 239 bedarf es der Klarstellung durch das Zeichen nur dort, "wo die Zweckbestimmung des Straßenteils als Gehweg sich nicht aus dessen Ausgestaltung ergibt" (vgl. Hentschel, a.a.O., § 41 Rdnr. 83 c). Weiter ist in §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 9 Satz 1 StVO bestimmt, dass Anordnungen durch Verkehrszeichen nur dort zu treffen sind, "wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist".

28

Hier sind weder ein sachlich begründeter Anlass noch besondere Umstände dafür zu erkennen, dass aus straßenverkehrsrechtlichen oder anderen zwingenden Gründen die neun Verkehrszeichen 239 "Fußgänger" auf den nur für den Fußgängerverkehr vorbehaltenen Flächen vor den Bahnhofsgebäuden in Lüneburg aufgestellt werden müssen. Bei der Ortsbesichtigung hat sich gezeigt, dass die genannten Verkehrsschilder ausschließlich auf Verkehrsflächen stehen und sich auf solche beziehen, die, durch Hochborde abgegrenzt, eindeutig und ohne jeden Zweifel allein dem Fußgängerverkehr im Bahnhofsbereich zur Verfügung stehen. Die Gehwege und der Fußgängerbereich vor dem Hauptbahnhofsgebäude, die beiden Verkehrsinseln und der Gehweg vor dem Bahnhofsgebäude West sind Verkehrsflächen, die durch ihre bauliche Ausgestaltung und Abgrenzung gegenüber den Fahrbahnen offensichtlich nur und ausschließlich von Fußgängern bzw. Fußgängern, die ihre Fahrräder schieben, genutzt werden können. Bei diesen örtlichen Gegebenheiten sind die Verkehrszeichen 239 "Fußgänger" an den dafür ausgewählten Standorten im Bahnhofsvorplatzbereich zur Klärung der verkehrsrechtlichen Nutzung dieser Flächen objektiv nicht erforderlich und damit überflüssig. Es gibt in diesem Bereich für die Verkehrsteilnehmer keine offene oder unklare verkehrsrechtliche Situation, die durch die Verkehrsschilder 239 klarzustellen wäre oder die aus besonderen Gründen die Verkehrsschilder zwingend erforderlich machten. Deshalb entsprechen die neun Verkehrsschilder 239 "Fußgänger" auch nicht den rechtlich verbindlichen Anforderungen der §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 9 Satz 1 StVO mit der Folge, dass die Aufstellung dieser Verkehrsschilder rechtswidrig ist.

29

Die Beklagte kann sich zur Rechtfertigung der Aufstellung der Verkehrsschilder mit Zeichen 239 nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein Verkehrsschild (Hauptschild) nach der Straßenverkehrsordnung erforderlich ist, um das von ihr verfolgte Ziel, das Abstellen von Fahrrädern zu beschränken, zu erreichen. Auch die durchaus mögliche Regelung durch Zusatzschilder setzt voraus, dass die "Hauptschilder" den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung entsprechen und an der entsprechenden Stelle aus straßenverkehrsrechtlichen Gründen "zwingend geboten" sind. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der in der Vverwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO aufgeführten Möglichkeit, die Öffnung des Gehweges für den Radverkehr mit dem Zeichen 239 "Fußgänger" mit dem Zusatzschild 1022-10 "Radfahrer frei" zu erwägen (vgl. Hentschel, a.a.O., § 2 StVO Rdnr. 20). Durch die Anregung in einer Verwaltungsvorschrift, eine bestimmte Beschilderung "zu erwägen", können nicht die Voraussetzungen der Straßenverkehrsordnung für die Aufstellung der genannten Verkehrszeichen verändert werden. Die genannte Anregung betrifft auch eine Fallgestaltung, die mit der vorliegenden nicht vergleichbar ist. Eine von der Kammer erwogene analoge Anwendung der Verwaltungsvorschrift scheidet aus. Es ist schon fraglich, ob bei Verwaltungsvorschriften die Grundsätze für die analoge Anwendung von gesetzlichen Regelungen überhaupt anwendbar sind. Jedenfalls besteht weder in der Straßenverkehrsordnung noch in den Verwaltungsvorschriften eine ungewollte Regelungslücke. Der Verordnungsgeber hat es vielmehr bisher bewusst abgelehnt, für das Abstellen von Fahrrädern auf Gehwegen eine straßenverkehrsrechtliche Regelung zu erlassen.

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Sind die verkehrsrechtlichen Regelungen durch die kombinierten Verkehrsschilder bereits aus den genannten Gründen rechtswidrig, sind die entsprechenden Verkehrsschilder zu entfernen. Damit ist es für dieses Verfahren unerheblich, ob die Beklagte entsprechend den Vorstellungen des Klägers gegen ein behinderndes Abstellen von Fahrrädern auch ohne zusätzliche Verkehrsregelung einschreiten könnte und ob die Motive, die der Kläger der Beklagten für das Aufstellen der Verkehrszeichen (gänzliches Freihalten des Bahnhofsvorplatzes von abgestellten Fahrrädern, Auslastung des Radspeichers) unterstellt, tatsächlich vorliegen.

31

Die Kammer weist abschließend darauf hin, dass die möglicherweise durchaus gerechtfertigten Ziele der Beklagten voraussichtlich nur mit einem in der Straßenverkehrsordnung dafür vorgesehenen Straßenverkehrsschild erreicht werden können. Solange ein entsprechendes Schild in der Straßenverkehrsordnung nicht vorgesehen ist, dürfte eine entsprechende verkehrsrechtliche Regelung rechtlich nicht möglich sein.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

33

Gründe für die Zulassung der Berufung gem. § 124 a VwGO liegen nicht vor.