Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 25.11.2009, Az.: 5 B 105/09
Asylverfahren, Verzicht; Familieneinheit; Vollziehung, faktische; Wirkung, aufschiebende
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 25.11.2009
- Aktenzeichen
- 5 B 105/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 44510
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOSNAB:2009:1125.5B105.09.0A
Rechtsgrundlagen
- 14a III AsylVfG
- 38 I AsylVfG
- 38 II AsylVfG
- 75 S 1 AsylVfG
- 80 I VwGO
- 80 V VwGO
Amtlicher Leitsatz
Der nach § 14a Abs. 3 AsylVfG erklärte Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens ist ein sonstiger Fall im Sinne des § 38 Abs. 1 AsylVfG, sodass eine Klage gegen den Abschiebungsverbote verneinenden Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 75 Satz 1 AsylVfG aufschiebende Wirkung hat. Die aufschiebende Wirkung ist aufgrund der gegenteiligen Rechtsansicht des Bundesamtes regelmäßig analog § 80 Abs. 5 VwGO festzustellen.
Gründe
Den wörtlich gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die zu Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides formulierte Abschiebungsandrohung anzuordnen, legt die Kammer gemäß §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO als auf die Feststellung gerichtet aus, dass die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 7. Oktober 2009 bereits von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung entfaltet. Diese Auslegung ist von dem Antragsbegehren gedeckt, eine Abschiebung der Antragstellerin schon vor Abschluss des anhängigen Hauptsacheverfahrens - 5 A 257/09 - zu verhindern. Die Antragsauslegung trägt dem prozessualen Umstand Rechnung, dass ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ins Leere geht, wenn ein Rechtsmittel bereits von Gesetzes wegen nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet, dem Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts aber dennoch einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden muss, weil die Behörde die aufschiebende Wirkung nicht respektiert. Ein derartiger Fall liegt hier vor, denn das Bundesamt hat mit Antragserwiderungsschrift vom 29. Oktober 2009 ausdrücklich beantragt, den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO abzulehnen. Es hat in seinem Bescheid vom 7. Oktober 2009 hinsichtlich der gesetzten Ausreisefrist von einer Woche ausdrücklich auf § 38 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen und in der Rechtsbehelfsbelehrung ausgeführt, eine Klage gegen den Bescheid entfalte keine aufschiebende Wirkung. Zudem ist der Kammer aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt, dass das Bundesamt in ständiger Verwaltungspraxis die Rechtsansicht vertritt, dass Klagen gegen ablehnende Bescheide in den Fällen des § 14a Abs. 3 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Zur Klärung dieser bislang umstrittenen, höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage ist auf Betreiben des Bundesamtes die Zulassung der Revision gegen das Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom 8. Juni 2009 - 1 LB 39/08 - wegen grundsätzlicher Bedeutung erfolgt (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. September 2009 - 10 B 22/09, 10 PKH 18/09 (10 C 18/09) -, juris). Seine Rechtsauffassung hat das Bundesamt im sog. Entscheiderbrief Nr. 9/2009 noch einmal zusammenfassend dargestellt.
Angesichts der vorstehend beschriebenen Situation der stetigen Verneinung der aufschiebenden Wirkung einer Klage in den Fällen des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sieht sich die Kammer veranlasst, in analoger Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO feststellen, dass die in der Hauptsache anhängige Klage gegen die Abschiebungsandrohung aufschiebende Wirkung hat, denn wenn die Antragsgegnerin die nach § 80 Abs. 1 VwGO eingetretene aufschiebende Wirkung fortwährend bestreitet, droht die Vollziehung des belastenden Verwaltungsaktes (vgl. zum sog. faktischen Vollzug: Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 15. Aufl., § 80 Rn. 181 m.w.N.).
Die am 22. Oktober 2009 erhobene Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 7. Oktober 2009 entfaltet nach § 80 Abs. 1 VwGO, §§ 75 und 38 Abs. 1 AsylVfG aufschiebende Wirkung. Klagen gegen Entscheidungen nach dem Asylverfahrensgesetz haben nach § 75 Satz 1 AsylVfG nur in den Fällen der §§ 38 Abs. 1 und 73 AsylVfG aufschiebende Wirkung. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin liegt hier ein Fall des § 38 Abs. 1 AsylVfG - und nicht des § 38 Abs. 2 AsylVfG - vor. § 38 Abs. 1 AsylVfG regelt die Dauer der Ausreisefrist (1 Monat) für alle Fälle, in denen der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird und keine der eine kürzere Ausreisefrist auslösenden Sonderregelungen eingreift. Dies ist hier der Fall. Für die Antragstellerin wurde nach Anzeige der zuständigen Ausländerbehörde nach § 14a Abs. 2 AsylVfG ein Asylverfahren eingeleitet. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 9. September 2009 hat die Antragstellerin nach § 14a Abs. 3 AsylVfG erklären lassen, dass sie auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichte, da ihr keine politische Verfolgung drohe. Dementsprechend hat das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 32 Satz 1 2. Alt. AsylVfG festgestellt, dass das Asylverfahren eingestellt ist und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Darüber hinaus hat es gemäß § 34 AsylVfG eine Abschiebungsandrohung erlassen, weil die Antragstellerin nicht als Asylberechtigte anerkannt worden ist. Auf diese Verfahrenskonstellation ist für die darüber hinaus zu treffende Entscheidung, innerhalb welcher Frist die Antragstellerin auszureisen hat, um eine Abschiebung abzuwenden, keine der den § 38 Abs. 1 AsylVfG verdrängenden Sonderregelungen anwendbar. Offensichtlich nicht einschlägig sind die §§ 36 Abs. 1 (Fälle der Unbeachtlichkeit und offensichtlichen Unbegründetheit) und § 39 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG (Abschiebungsandrohung nach unanfechtbarer Aufhebung der Anerkennung). Auch § 38 Abs. 2 AsylVfG (Ausreisefrist bei Rücknahme des Asylantrages) ist auf den Fall des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG nicht anwendbar (insoweit st. Rspr. der Kammer, vgl. Beschlüsse vom 28. Juni 2007 - 5 B 69/07 -, vom 8. Mai 2007 - 5 B 48/07 - und vom 19. Februar 2007 - 5 B 11/07 -, jew. veröffentl. in juris).
Zur Begründung nimmt die Kammer ergänzend Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des VG Sigmaringen in seinem Beschluss vom 19. März 2009 - A 5 K 251/09 -, juris, die wesentlichen Argumente der hier vertretenen Auffassung wie folgt zusammengefasst hat:
"Eine unmittelbare Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG auf Fälle des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG scheitert am Wortlaut der Regelung, denn sie spricht nur von dem Fall der "Rücknahme des Asylantrages" und erwähnt den des Verzichts auf die Durchführung des Asyl Verfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG nicht. Da das Asylverfahrensgesetz in seinen Regelungen im Übrigen die Fälle der Beendigung des Asylverfahrens durch Verzicht ausdrücklich neben denen der Antragsrücknahme benennt (§§ 32, 71 Abs. 1 AsylVfG), wird der Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG vom Begriff der "Rücknahme des Asylantrages" in § 38 Abs. 2 AsylVfG nicht mit umfasst (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2005 - 1 L 2219/05.A -, juris). § 38 Abs. 2 AsylVfG kann auch nicht analog auf die Fälle des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG angewandt werden. Gegen eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG spricht, dass es insoweit an einer planwidrigen Gesetzeslücke fehlt, die im Wege der Analogie zu schließen wäre. Denn der Fall des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG wird von der "Auffangvorschrift" des § 38 Abs. 1 AsylVfG ("In den sonstigen Fällen...") mit umfasst (so auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2005 - 1 L 2219/05.A -, juris). Außerdem spricht die Gesetzessystematik gegen die Anwendung von § 38 Abs. 2 AsylVfG auf Fälle eines Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Beschluss vom 21.12.2005 - 1 L2219/05.A -, juris) hat hierzu in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:
"Der Gesetzgeber hat durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 mit § 14a AsylVfG eine neue Regelung über die Familieneinheit in das Asyl Verfahrensgesetz eingefügt. Darin hat er korrespondierend zu der Fiktion des Asylantrages (Absätze 1 und 2) in Absatz 3 den neuen Beendigungstatbestand des Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens geschaffen. Durch Folgeregelungen in §§ 32 und 71 Abs. 1 AsylVfG hat er diese neue Verfahrensvariante in die bisherige Verfahrenssystematik eingegliedert. Hinsichtlich des Entscheidungsprogramms des Bundesamtes sieht er in § 32 AsylVfG ausdrücklich eine einheitliche Regelung für die Fälle der Antragsrücknahme und die des Verzichts auf die Verfahrensdurchführung vor. In § 71 Abs. 1 AsylVfG hat er in Satz 2 in Anlehnung an dessen bisherigen, auf § 32a Abs. 1 Satz 4 AuslG bezogenen Regelungsinhalt ausdrücklich klargestellt, dass der Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG im Hinblick auf einen späteren Asylantrag dieselben verfahrensrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht wie die sonstigen, ohne Asylanerkennung eingetretenen Verfahrensbeendigungen. Lassen diese Regelungen erkennen, dass der Gesetzgeber ausdrückliche und eindeutige Entscheidungen über die Einordnung der Verfahrensbeendigung durch Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG in die asylrechtliche Verfahrenssystematik getroffen hat, spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber die Frage, welche Ausreisefrist bei dieser Form von Verfahrensabschluss gelten soll, übersehen hat."
Schließlich lassen auch die Motive des Gesetzgebers beim Erlass des § 14a AsylVfG keinen Schluss darauf zu, dass das Eingreifen der Auffangregelung des § 38 Abs. 1 AsylVfG mit der Folge einer einmonatigen Ausreisefrist und der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach § 75 AsylVfG nicht gewollt war. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 11.08.2006 - 1 A 1437/06.A -, juris) hat hierzu ausgeführt:
"[Der Zweck des § 14a AsylVfG] liegt [...] allein darin zu verhindern, dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten entstehen. Eine darüber hinausgehende erhebliche Verkürzung der Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik, die nicht zuletzt durch die Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bestimmt wird, ist ausweislich der Gesetzesbegründung vom konkreten Regelungszweck des § 14a AsylVfG hingegen nicht umfasst. Dies ist auch nicht aufgrund der übergeordneten allgemeinen Zwecksetzungen des Zuwanderungsgesetzes anders zu sehen. Zwar verfolgte der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz unter anderem das Ziel, die Durchführung des Asylverfahrens zu straffen und zu beschleunigen sowie dem Missbrauch von Asylverfahren entgegenzuwirken [vgl. BT-Drucksache 15/420, S. 1, A. Problem und Ziel]. Die ausdrückliche Verzichtsregelung in § 14a Abs. 3 AsylVfG, die dazu dient, die Dispositionsbefugnis über die Geltendmachung des Asylgrundrechts zu wahren [vgl. BT-Drucksache 15/420, S. 108, zu Nummer 10], wäre aber nicht erforderlich gewesen, wenn die Rechtsfolgen des Verzichts denen der Antragsrücknahme hätten gleichgestellt werden sollen. In diesem Fall hätte die Möglichkeit einer Antragsrücknahme vor der Entscheidung des Bundesamts im Sinne von § 32 AsylVfG zur Erreichung dieses Ziels ausgereicht. Dass der Gesetzgeber stattdessen die neue Verfahrenshandlung des Verzichts gemäß § 14a Abs. 3 AsylVfG geschaffen hat, spricht vielmehr dafür, dass die Rechtsfolgen der Antragsrücknahme für den Fall des Verzichts nicht gewollt waren."
Die Kammer schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen an und verweist zusätzlich auf die in diesem Sinne ergangene Rechtsprechung weiterer niedersächsischer Verwaltungsgerichte (vgl. VG Braunschweig, Beschluss vom 9. Oktober 2008 - 6 B 267/08 -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 10. Januar 2008 - 11 K 443/07 -, juris; VG Göttingen, Beschluss vom 14. Dezember 2007 - 4 B 172/07 -, juris), an der es festzuhalten gilt, solange nicht das Bundesverwaltungsgericht anders entschieden hat.
Geht die Antragsgegnerin demnach zu Unrecht von der Einschlägigkeit des § 38 Abs. 2 AsylVfG und daran anknüpfend von der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung aus dem angefochtenen Bescheid aus, besteht Veranlassung, das Bestehen der aufschiebenden Wirkung der dagegen erhobenen Klage festzustellen, denn es bestünde sonst die Gefahr, dass der Landkreis Osnabrück als zuständige Ausländerbehörde die Antragstellerin vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens abschiebt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.