Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 22.03.2022, Az.: 5 A 5733/21

Fluchtalternative; inländische Fluchtalternative; inländische Schutzalternative; innerstaatlicher bewaffneter Konflikt; innerstaatlicher Schutz; Jonglei; Juba; Schutzalternative; Subsidiärer Schutz; Subsidiärer Schutz bejaht

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
22.03.2022
Aktenzeichen
5 A 5733/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59858
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Es liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jonglei State einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sein würde.
2. Die Klägerin ist auf Juba als innerstaatliche Schutzalternative zu verweisen, weil sie auch dort der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) und nicht vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG).

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin den subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen.

Der Bescheid der Beklagten vom G. 2021 wird insoweit aufgehoben, als er der vorstehenden Verpflichtung entgegensteht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, jeweils zur Hälfte.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die 2001 in H. im Südsudan geborene Klägerin ist südsudanesische Staatsangehörige vom Volk der I.. Sie reiste am 29. Dezember 2020 mit dem Flugzeug in das Bundesgebiet ein und stellte am 22. Februar 2021 einen Asylantrag.

Der Vater der Klägerin, Herr J. K., ist ein 1957 geborener südsudanesischer Staatsangehöriger vom Volk der I.. Er reiste am 30. Juni 2017 in das Bundesgebiet ein und stellte am 12. Juli 2017 einen Asylantrag. Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Bundesamt – am 13. Juli 2017 gab er im Wesentlichen an, seit L. für die M. Abgeordneter des südsudanesischen Parlaments gewesen zu sein. Ein Sicherheitsbeamter habe ihn nach einem Sicherheitsmeeting der Regierung angesprochen und ihm Fragen gestellt. Am Abend des 1. oder 2. Juni 2017 sei ein weiterer Sicherheitsbeamter erschienen und habe ihm mitgeteilt, dass er auf einer schwarzen Liste stehe. Damit sei ihm das Vertrauen entzogen worden und man habe ihm vorgeworfen, für die Opposition zu arbeiten. Er sei daraufhin am 7. Juni 2017 ausgereist. Bei einer Rückkehr fürchte er, von der Regierung als Oppositioneller betrachtet zu werden.

Mit Bescheid vom N. 2018 hat die Beklagte den Vater der Klägerin als Asylberechtigten anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Am O. 2021 erhielt die Beklagte einen Hinweis darauf, dass der Vater der Klägerin auf Einladung einer deutschen Firma sowie auf Kosten des südsudanesischen Staates eingereist sei. Er habe sich unter anderem P. in Q. mit südsudanesischen Regierungsvertretern, insbesondere mit dem Präsidenten und dem ersten Vizepräsidenten, getroffen.

Das Bundesamt hörte den Vater der Klägerin mit Schreiben vom 14. Juli 2021 zur beabsichtigten Rücknahme seines Asylbescheides an. Im Rücknahmeverfahren trug er vor, bereits in seiner Anhörung im Asylverfahren habe er angegeben, Südsudan nicht fluchtartig, sondern Im Wege eines normalen offiziellen Besuchs verlassen zu haben. Ein Kontakt mit dem Präsidenten des Südsudan reiche nicht aus, um anzunehmen, dass er das Bundesamt über die Hintergründe seiner Ausreise getäuscht habe. Er werde als Angehöriger des Stammes der I. verfolgt. Er spreche seit 2013 die Menschenrechtsverletzungen und Ungerechtigkeiten gegenüber seinem Stamm öffentlich an. Im Jahr 2013 seien der Chef seines Stammes, R., durch die Nuer, sowie sein Freund und Rechtsanwalt S., durch „unknown gunmen“ ermordet worden. Insbesondere für die Minderheit der I. gelte, dass es den Präsidenten nicht interessiere, wenn unter den ermordeten Personen Politiker seien. Morde würden nicht aufgeklärt. Die Regierung habe auch kein Interesse an präventiven Maßnahmen. Durch seine Aktivitäten seien er und seine Familie in großer Gefahr. Zudem begründe allein die Situation im Südsudan den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG. Anfang Juni 2017 sei er von der T. AG angesprochen worden, die für das World Food Programme in die Produktion von Gemüse und Getreide investiere. Ein Großteil des benötigten Bodens stelle der Stamm der I. zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund sollte er nach Deutschland reisen und das Projekt vorbereiten. Die Regierung habe dies unterstützt, da es sich um eine Maßnahme im Rahmen des World Food Programme handele. Auch die Nuer hätten auf diese Weise von dem Projekt erfahren, welches nicht in ihrem Interesse sein könne. Seine Ausreise habe wohl vermieden werden sollen, um das Projekt zu verhindern. Er habe sich wirklich sofort auf den Weg gemacht, als er erfahren habe, dass er auf der schwarzen Liste stehe. Der beste Beweis hierfür sei, dass er bei seiner Ankunft in Frankfurt nur 80 USD und keine sonstigen Wertsachen bei sich gehabt habe. Die Einreise mit Visa sei im Rahmen seines Asylantrages offengelegt worden. Von einer Täuschung könne daher nicht die Rede sein. Er sei seinem Volk fest verbunden. So habe er die Chance, die deutsche Firma als Stammesangehöriger zu beraten, genutzt. Im U. 2019 sei er gemeinsam mit dem Geschäftsführer der deutschen Firma nach Q. gereist, um dort den Präsidenten der Republik Südsudan zu treffen, der sich zusammen mit anderen führenden Politikern einige Tage lang zu Besuch im Vatikanstaat aufgehalten habe. Um das Landwirtschaftsprojekt zu besprechen, hätten sie den Präsidenten, den Vizepräsidenten und einige andere Regierungsmitglieder getroffen. Die bestehende Gefahr sei er im Interesse seines Stammes eingegangen. Die Gefahr für ihn und seine Familie gehe auch nicht von der Zentralregierung aus, sondern von örtlichen Kräften. Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der I. schütze die Regierung ihn und seine Familie nicht. Die Regierung riskiere es umgekehrt aber aus politischen Gründen auch nicht, internationale Hilfsprogramme auf ihrem Stammesgebiet zu verhindern. Er unterstütze seinen Stamm aus dem Exil nach Kräften. Bei einer Rückkehr würde er gerade deshalb verfolgt werden, vor allem aus dem Stamm der Nuer heraus.

Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 30. Juli 2021 gab die Klägerin an, bis zu ihrem 8. oder 10. Lebensjahr mit ihren Eltern, drei Brüdern und einer Schwester in H. gelebt zu haben. Danach hätte sie sich in Kenia im Flüchtlingslager V. aufgehalten. 2018 seien sie von V. nach W. in ein Mietshaus mit zwei Zimmern gezogen. Dort habe sie mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und zwei Cousins, die noch dort seien, gelebt. Für ihren Lebensunterhalt habe ihr Vater gesorgt, der für die südsudanesische Regierung gearbeitet habe. Er habe in X. im Südsudan gelebt und sie in V. und W. besucht. Onkel väterlicherseits und mütterlicherseits lebten noch im Südsudan. Sie habe 8 Jahre lang die Y. in V. und 4 Jahre lang die Z. in AA. besucht. Letztere sei ein Internat gewesen. Sie habe ihre Familie nur in den Ferien in V. bzw. W. besucht. Ihre Geschwister hätten die Schule in V. besucht, weil man zur High School erst mit 14 Jahren gehe. Zur ihren Verfolgungsgründen trug sie vor, im Südsudan habe Bürgerkrieg geherrscht. Sie sei zu dieser Zeit noch sehr jung gewesen. Alles sei durcheinander gewesen, jeder habe eine Waffe gehabt und Menschen hätten sich gegenseitig getötet. Frauen und Kinder seien entführt und vergewaltigt worden. Es habe keine Sicherheit mehr gegeben, nicht einmal für Politiker. Bei einer Rückkehr in den Südsudan gebe es für sie keine Sicherheit. Die Lage sei prekär. Es gebe keine Infrastruktur und das Niveau der Schulen sei schlecht. Deshalb wolle sie dorthin nicht zurückkehren. Als sie in Kenia gewesen seien, sei bekannt gewesen, dass ihr Vater bei der Opposition sei. Wenn sie jetzt zurückkehre, würde sie Probleme mit dem amtierenden Präsidenten bekommen. Dieser gehöre der M. an. Ihr Vater sei gegen die M.. Er sei nicht Mitglied des Parlaments gewesen, als er den Südsudan verlassen habe.

Mit Bescheid vom G. 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 2) sowie den Antrag auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Nr. 3). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor (Nr. 4). Die Klägerin wurde mit diesem Bescheid aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Ihr wurde für den Fall, dass sie die Ausreisefrist nicht einhalte, die Abschiebung in den Südsudan, oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen könne, oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Die Vollziehung wurde bis zum Ablauf der Klagefrist und im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrages durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 24 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, ihr Vortrag sei unglaubhaft. Sie habe eine gute gebührenpflichtige öffentliche Schule in Kenia besuch. Sie müsse aus einer vermögenden Familie stammen, da diese sich einen gebührenpflichtigen Schulbesuch der Kinder im Ausland leisten könne. Wie sie selbst vorgetragen habe, habe die Familie in Kenia Flüchtlingsschutz erhalten und damit dort einen gesicherten Aufenthalt gehabt. Unglaubhaft sei insbesondere, dass sie sich über Jahre in einem Flüchtlingscamp aufgehalten haben will. Ihr Halbbruder habe insoweit angegeben, die Familie sei lediglich ein Jahr lang dort gewesen und zwar 2017/2018. Zu dieser Zeit sei die Klägerin aber wiederum im Internat gewesen. Letztlich sei der Eindruck entstanden, sie simuliere eine völlige Unkenntnis der politischen Umstände im Südsudan aus asyltaktischen Gründen. Ihr Vater sei privilegiert und darüber hinaus ein vermögender Geschäftsmann, der die Chance genutzt habe, bei einem Geschäftsbesuch in Deutschland Asyl zu beantragen, Sozialleistungen zu beziehen und seine Familienangehörigen nachkommen zu lassen. Eigene Asylgründe habe sie nicht vorgetragen. Sie habe auch im Lichte des subsidiären Schutzes im Südsudan nichts zu befürchten. Sie habe die meiste Zeit ihres Lebens im Ausland verbracht. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor, weil sie eine gesunde junge Frau mit guter Ausbildung und Aufenthaltsrecht in Kenia sei. Sie könne in ihre privilegierte vermögende Familie zurückkehren. Daneben sei es ihr auch zumutbar, ihre Lebensgrundlage allein zu sichern. Sie sei gut ausgebildet, habe keine Unterhaltsverpflichtungen und habe besondere Beziehungen im Südsudan. Es sei davon auszugehen, dass sie ihr Existenzminimum erwirtschaften könne. Auch eine private Krankenversicherung könne sie sich leisten.

Mit Bescheid vom AB. 2021 nahm das Bundesamt die Anerkennung des Vaters der Klägerin als Asylberechtigten sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 6. Februar 2018 zurück. Der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger habe das Bundesamt getäuscht, um eine asylrechtliche Begünstigung zu erlangen, auf deren Basis er seine gesamte Familie habe nachholen können. Angesichts seiner privilegierten Lage würden sich bei einer Rückkehr auch keine besonderen Risiken im Rahmen des § 4 AsylG verwirklichen. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor.

Gegen den Bescheid vom G. 2021 hat die Klägerin am 11. Oktober 2021 Klage erhoben und gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 18. November 2021 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, allein die Tatsache, dass Familien ihre Kinder in Privatschulen unterbrächten, könne nicht dazu führen, von einer vermögenden Familie auszugehen. Die Klägerin sei erst 10/11 Jahre alt gewesen, als die Auseinandersetzung im Südsudan begonnen habe und habe die Situation vor ihrer Ausreise deutlich geschildert. Aus dem Umstand, dass sie seit ihrem 8./10. Lebensjahr außerhalb des Südsudan gelebt habe, erkläre sich ihr Desinteresse an den Details der Situation ihres Vaters. Sie wisse immerhin, dass sich die Regierungspartei gespalten habe. Zudem habe die Beklagte unzutreffend angenommen, dass im Südsudan kein Konflikt herrsche. Es sei erforderlich, die ethnologische Zugehörigkeit der Personen und die Verhältnisse in dem jeweiligen Bundesland zu prüfen. Es gelinge nicht einmal, zehntausende rivalisierende Kämpfer in einer einzigen Armee zusammenzuführen. Der Besitz von Kleinwaffen sei in der Bevölkerung verbreiteter als in den USA. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Unterstützung des Vaters der Klägerin für sein Volk im Südsudan anders beurteilt werde als die Unterstützung anderer geflohener Oppositioneller, die sich zur Unterstützung ihres Volkes regelmäßig in Gefahr begäben. Außerdem seien keine hinreichenden tatsächlichen Ausführungen für den Fall der Rückkehr der Klägerin erfolgt. Der Deutsche Bundestag habe am 12. März 2020 beschlossen, weitere Soldaten im Sudan und Südsudan einzusetzen. Das Bundesamt habe die hierzu vorliegende Stellungnahme von Soldat*innen der UNMISS nicht einbezogen. Zudem bestehe eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Die Corona-Pandemie wirke sich auf das zweitärmste Land der Welt besonders aus. Schon vor dem Hintergrund der Pandemie sei eine Rückkehr auf absehbare Zeit nicht möglich. Die Beklagte sei auch nicht auf die besonderen Rivalitäten der beiden Volksstämme und den sich hieraus ergebenden Gefährdungslagen für die Klägerin eingegangen. Sie habe mindestens einen Anspruch auf subsidiären Schutz aufgrund der derzeitigen Situation im Südsudan.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom AC. zu verpflichten,

sie als Asylberechtigte anzuerkennen,

ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

ihr den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

festzustellen, dass zu ihren Gunsten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung eines Zeugen. Hinsichtlich des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die Klägerin hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG (1.). Einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf die Anerkennung als Asylberechtigte hat sie dagegen nicht (3.).

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.

Gemäß § 4 AsylG ist subsidiär Schutzberechtigter, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 S. S. Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG). Eine solche Bedrohung kann gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder die Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten.

Hier liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach H., Jonglei State, wo sie nach ihren Angaben zuletzt mit ihrer Familie gelebt hat, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sein würde.

Zur Feststellung, ob eine „ernsthafte individuelle Bedrohung“ im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist, ist eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der die Situation des Herkunftslands der Klägerin kennzeichnenden Umstände, erforderlich (EuGH, Urteil vom 21.6.2021, - C 901/19, juris).

Aus dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes ergibt sich, dass Angehörige der Nuer, Schilluk und anderer Ethnien im Zuge der bürgerkriegsähnlichen Zustände seit Mitte Dezember 2013 mit Verfolgung und Gewalt in den von der Regierung gehaltenen Gebieten rechnen müssen. Einheiten der Rebellen, also der sog. „M. in Opposition“ (oder auch „Anti-Government Forces“/ M. -IO) verübten ihrerseits Gewalttaten, auch gegen Zivilisten, dies vor allem in den Gliedstaaten Upper Nile, Unity, Jonglei und den Äquatorias. Die Mehrzahl von Verbrechen und schwersten Menschrechtsverletzungen werde aber den Regierungskräften zugeschrieben. Ein effektiver Schutz durch staatliche Organe bestehe nicht. Vielfach seien neben der Armee auch Angehörige von Polizei sowie von Zoll und Wildschutz an Gewalttaten beteiligt. Insgesamt sei der Konflikt durch einen Zerfall der Gruppen mit wechselnden Zielen und auch Loyalitäten gekennzeichnet. (Lagebericht vom 25.3.2021, S. 7). Bewaffnete Gewalt sei 2020 vor allem in den Bundesstaaten Jonglei und Warrap feststellbar gewesen (Lagebericht vom 25.3.2021, S. 5). Die Nuer-Rebellen, auch „M. in Opposition (M. -IO)“ oder „Anti-Government Forces“ genannt, kontrollierten nur noch kleine Teile der vor allem von der Nuer besiedelten Gliedstaaten Jonglei, Upper Nile, Unity und Gebiete in den Equatoria-Bundesstaaten. Die lokale Verwaltung sei dort weitgehend zu ihnen übergelaufen und funktioniere partiell auf sehr niedrigem Niveau weiter. Eine Vielzahl von Milizen und Banden übe beschränkt lokale Macht aus. Auch die Bildung einer Übergangsregierung habe an der weiteren Existenz verschiedener Armeen unter der Kontrolle verschiedener Gruppen nicht viel geändert. Im Rahmen des Friedensprozesses sollten vereinigte Streitkräfte (Armee, Polizei, Wildschutz, NSS u.a.) geschaffen werden. Dazu würden seit Ende 2019 Kantonierungslager und Ausbildungslager eingerichtet. In diesen befänden sich aber nur Teile der bisherigen Oppositions- und Regierungskräfte. Eine Graduierung dieser Kräfte bzw. Dislozierung habe bisher nicht stattgefunden. Es sei davon auszugehen, dass alle Seiten ihre Elitekräfte bisher nicht dem Vereinigungsprozess zugeführt hätten. Dies gelte insbesondere für die Regierungseinheiten Tiger Division und die bewaffneten Kräfte des Geheimdienstes NSS. In den Equatoria-Bundesstaaten komme es regelmäßig zu Auseinandersetzungen unter Beteiligung von M. -IG und M. -IO, teilweise auch mit Truppen der NAS, einem Nichtunterzeichner des Friedensabkommens (Lagebericht vom 25.3.2021, S. 14). Unabhängig von den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und der in immer mehr einzelne Gruppen zerfallenden bewaffneten Opposition komme es immer wieder zu gewalttätigen innerethnischen Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen der Dinka, Nuer und Murle. Auch innerhalb der Ethnien würden Konflikte um Vieh, Frauen und Land sehr häufig gewaltsam ausgefochten (Lagebericht vom 25.3.2021, S. 5).

Accord berichtet, dass im 3. Quartal 2021 in Jonglei im Rahmen von 25 Vorfällen von 28 Todesopfern berichtet worden sei (Accord, Kurzübersicht Südsudan, 3. Quartal 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065651/2021q3SouthSudan_de.pdf). Im 2. Quartal 2021 sei im Rahmen von 29 Vorfällen von 211 Todesopfern berichtet worden (Accord, Kurzübersicht Südsudan, 2. Quartal 2021,https://www.ecoi.net/en/file/local/2065269/2021q2SouthSudan_de.pdf). Im 1. Quartal 2021 sei im Rahmen von 19 Vorfällen von 21 Todesopfern berichtet worden (Accord, Kurzübersicht Südsudan, 2. Quartal 2021,https://www.ecoi.net/en/file/local/2055023/2021q1SouthSudan_de.pdf).

UNMISS berichtet, dass Zivilisten trotz des Umstandes, dass es im Jahr 2021 im Vergleich zum Jahr 2020 landesweit etwa 42 Prozent weniger zivile Opfer gegeben habe, weiterhin Gefahr liefen, Opfer von Gewalt zu werden. Es seien Zivilpersonen, die weiterhin den Großteil der Last trügen, die die bewaffneten Konflikte im Südsudan auslösten (UNMISS, annual brief on violence affecting civilians vom 17.2.2022, S. 1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068186/unmiss_hrd_annual_brief_2021.pdf).

UNHCR berichtet, dass Jonglei und die Greater Pibor Administrative Area – GPAA – 2020 mit 33 % am meisten von Gewalt gegen Zivilisten betroffen gewesen seien. Seit der Bildung des „Revitalized Government“ seien Jonglei und GPAA von Wellen der Gewalt erschüttert worden. Es sei dabei absichtlich zivile Infrastruktur zerstört worden. Wohnhäuser seien verbrannt, Bohrlöcher und Wasseraufbereitungsanlagen zerstört, Einrichtungen von lokalen und internationalen Hilfsorganisationen seien geplündert und zerstört worden (UNHCR, Position on Returns to South Sudan – Update III, Oktober 2021, S. 4, https://www.refworld.org/country,,,,SSD,,617676f04,0.html).

Das World Food Programme sieht in Jonglei State derzeit trotz eigener gegenteiliger Bemühungen die Gewalt auf dem Vormarsch. Am 23. Januar 2022 seien in Bor South bei einem Angriff 32 Menschen zu Tode gekommen. Dem seien weitere kleinere Angriffe unter anderem in H., gefolgt (WFP, Sout Sudan, Situation Report # 298 vom 10.2.2022, S. 1, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/WFP%20South%20Sudan%20Situation%20Report%20%23298%20-%20%2010%20February%202022.pdf).

Nach alledem liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach H., Jonglei State, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des dort herrschenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt sein würde (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG), während kein Schutz nach § 3d AsylG besteht.

Die Klägerin ist auch nicht auf Juba als innerstaatliche Schutzalternative zu verweisen, weil sie auch dort der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) und nicht vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG).

Gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keiner tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist oder Zugang zu Schutz vor der Gefahr eines ernsthaften Schadens nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

Bei der Prüfung der Frage, ob Juba die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 AsylG erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 QRL zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen (§ 3e Abs. 2 AsylG).

Zu den persönlichen Umständen, die zu berücksichtigen sind, gehören gemäß Art. 4 Abs. 3 c) QRL Faktoren wie der familiäre und soziale Hintergrund sowie Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht der persönlichen Umstände die Handlungen, denen die Person ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind. Die Klägerin ist 20 Jahre alt und gehört dem Stamm der I. an. Sie hat den Südsudan im Alter von ca. 10 Jahren verlassen. Bevor sie in das Bundesgebiet eingereist ist, hat sie in Kenia gelebt und hat dort eine Privatschulbildung erhalten. Ihr Vater ist in südsudanesischen Regierungskreisen sowohl auf nationaler als auch auf Landesebene gut vernetzt. So hat er dem Zeugen AD. etwa in Q. den Chef des Inlandsgeheimdienstes des Südsudan vorgestellt. Die glaubhaften Angaben des Zeugen waren detailliert, logisch nachvollziehbar und werden insoweit von dem tatsächlichen Umstand des Treffens in Q. im AE. gestützt. Hier hat der Vater der Klägerin unstreitig den südsudanesischen Präsidenten und den ersten Vizepräsidenten getroffen, um das gemeinsame Projekt mit dem Zeugen zu besprechen. Wären die Beziehungen des Vaters der Klägerin zu den Entscheidungsträgern seines Herkunftsstaates zerrüttet, wäre es zu einem solchen Treffen nicht gekommen. Insbesondere die gute Vernetzung des Vaters der Klägerin sowie ihre solide Schuldbildung sprechen für Juba als innerstaatliche Schutzalternative, weil die Klägerin sich hierdurch deutlich von durchschnittlichen Rückkehrenden abhebt.

Gegen Juba als innerstaatliche Schutzalternative sprechen aber die allgemeinen Gegebenheiten vor Ort. Gemäß § 3e Abs. 2 AsylG sind unter anderem die aktuellen Informationen des UNHCR und von EASO für die Prüfung der allgemeinen Gegebenheiten vor Ort von besonderer Relevanz. Nach diesen Informationen ist die Klägerin auch in Juba der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt und ist ihr Juba als innerstaatliche Schutzalternative auch nicht zumutbar.

UNHCR appelliert an alle Staaten, keine Abschiebungen nach Südsudan vorzunehmen. Die Situation im Südsudan ist nach Auffassung von UNHCR im Hinblick auf Sicherheit, Recht und Ordnung sowie Menschenrechte nicht vereinbar mit einer sicheren und würdevollen Rückkehr von Flüchtenden. Dies gelte unabhängig davon, ob ihnen internationaler Schutz zustehe oder nicht (UNHCR, Position on Returns to South Sudan – Update II, April 2019, S. 4, https://www.refworld.org/country,,,,SSD,,5cb4607c4,0.html). Dem Auswärtigen Amt liegen auch keine Erfahrungswerte über Abschiebewege nach Südsudan vor (Lagebericht vom 25.3.21, S.18). UNHCR vertritt darüber hinaus jüngst die Auffassung, dass Menschen, die aus Südsudan geflohen sind, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Konventionsflüchtlinge seien (UNHCR, Position on Returns to South Sudan – Update III, Oktober 2021, S. 11, https://www.refworld.org/country,,,,SSD,,617676f04,0.html). Letzteres ist hier nicht der Fall (s.u.). Die Einschätzung von UNHCR, dass eine Abschiebung in den Südsudan grundsätzlich nicht sicher und würdevoll möglich sei, der sich die Einzelrichterin grundsätzlich anschließt, wirkt sich aber im Rahmen der Beurteilung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Schutzalternative aus, weil der Zumutbarkeitsmaßstab über die Beachtlichkeit einer existenziellen Notlage hinausgeht (Nds. OVG, Urteil vom 19.9.2016 - 9 LB 100/15 -, juris Rn. 75; BVerwG, Urteil vom 29.5.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 35). Wenn eine Abschiebung grundsätzlich ausscheidet, weil mangels Sicherheit, Recht und Ordnung sowie mangels Menschenrechten eine erzwungene Rückkehr nicht sicher und würdevoll möglich ist, so ist derselbe Ort als innerstaatliche Schutzalternative grundsätzlich auch nicht zumutbar.

Accord berichtet in Bezug auf (ganz) Central Equatoria, dass dort im 3. Quartal 2021 im Rahmen von 30 Vorfällen von 36 Todesopfern berichtet worden sei (Accord, Kurzübersicht Südsudan, 3. Quartal 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065651/2021q3SouthSudan_de.pdf). Im 2. Quartal 2021 sei im Rahmen von 47 Vorfällen von 44 Todesopfern berichtet worden (Accord, Kurzübersicht Südsudan, 2. Quartal 2021,https://www.ecoi.net/en/file/local/2065269/2021q2SouthSudan_de.pdf). Im 1. Quartal 2021 sei im Rahmen von 41 Vorfällen von 63 Todesopfern berichtet worden (Accord, Kurzübersicht Südsudan, 2. Quartal 2021,https://www.ecoi.net/en/file/local/2055023/2021q1SouthSudan_de.pdf). Dabei stellt Accord Juba jeweils als einen der Tatorte fest (a.a.O.).

EASO bezieht sich wie Accord auf die Zahlen von ACLED und listet beispielhaft einen Vorfall am 3. Juni 2020, bei dem nationale “Sicherheitskräfte“ in Juba im Zuge von Streitigkeiten um Land, in deren Folge Proteste entstanden waren, mindestens fünf Zivilisten getötet haben. Auch am 20. und 21. August 2020 sei es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen NAS und SSPDF in der Hauptstadt gekommen (EASO, Anfragebeantwortung zu Südsudan, Sicherheitslage zwischen 1.1.2020 und 31.1.2021, vom 26.2.2021, S. 20 f. https://www.ecoi.net/en/file/local/2046429/2021_02_Q1_COI_South_Sudan_Security_Situation.pdf).

Nach Informationen des Auswärtigen Amtes müssen Angehörige der Nuer, Schilluk und anderer Ethnien in den von der Regierung gehaltenen gebieten, wozu Juba gehört, mit Verfolgung und Gewalt rechnen (Lagebericht vom 25.3.21, S. 7).

In der Gesamtschau ist zu berücksichtigen, dass die Privilegierung der Familie der Klägerin sie naturgemäß nicht vor willkürlichen Übergriffen schützt. Die Klägerin, die dem Stamm der I. angehört, muss daher in Juba damit rechnen, Opfer von Gewalt zu werden. Die Privilegierung ihrer Familie wird sie in Anbetracht der insgesamt dynamischen und komplexen Situation vor Ort auch nicht vor (ungezielten) Übergriffen durch regierungsnahe Gruppen schützen. Nicht nur wird die Mehrzahl von Verbrechen und schwersten Menschrechtsverletzungen den Regierungskräften selbst zugeschrieben. Daneben besteht auch ein effektiver Schutz durch staatliche Organe nicht (Lagebericht vom 25.3.21, S. 7). Die Rückkehr von Herrn AF. und die Rückkehrbereitschaft der australischen Schwester der Klägerin fallen in der Gesamtschau aufgrund ihrer Freiwilligkeit nicht schwer ins Gewicht. Zum einen würde die maßgebliche Orientierung an der Rückkehr bzw. Rückkehrbereitschaft anderer Personen die mutmaßlich vielschichtige persönliche Einschätzung dieser Einzelpersonen hinsichtlich der Lage vor Ort an die Stelle der Einschätzung des Gerichts setzen. Zum anderen assistiert auch der UNHCR trotz seines Appells gegen Abschiebungen in den Südsudan bei freiwilliger Rückkehr und unterscheidet hier zutreffend zwischen diesen beiden Rückkehrvarianten, da sie sich in Bezug auf die Verantwortung der beteiligten Akteure maßgeblich voneinander unterscheiden (UNHCR, Position on Returns to South Sudan – Update III, Oktober 2021, S. 11, https://www.refworld.org/country,,,,SSD,,617676f04,0.html).

Nach alledem ist die Klägerin nicht auf Juba als innerstaatliche Schutzalternative zu verweisen.

2. Die in Nummer 4 des angefochtenen Bescheides getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen, ist gegenstandslos (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.2002 - 1 C 17.01 - juris. zu § 53 AuslG).

Schließlich erweist sich die unter Nummer 5 des angefochtenen Bescheides enthaltene Abschiebungsandrohung für die Klägerin als rechtswidrig, da das Bundesamt in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur Gewährung subsidiären Schutzes verpflichtet und daher nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AsylG nicht zum Erlass einer Abschiebungsandrohung ermächtigt ist.

Die in Nummer 6 des angefochtenen Bescheides enthaltene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes ist ebenfalls aufzuheben, weil Voraussetzung für die Befristung nach § 11 Abs. 6 AufenthG die Ausreisepflicht der Ausländerin ist, die hier aufgrund der Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht vorliegt.

3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Anerkennung als Asylberechtigte, weshalb die Klage im Übrigen abzuweisen war. Der Bescheid vom G. 2021 ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Verfolgt ist dabei nur, wer persönlich Ziel der Verfolgungsmaßnahe war, bzw. im Falle seiner Rückkehr sein wird. Die fragliche Maßnahme muss dem Betroffenen gezielt Rechtsverletzungen zufügen. Daran fehlt es bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatstaat zu erleiden hat, wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch bei den allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen (BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315-353 = juris Rn. 43; Thiedemann, Flüchtlingsrecht, S. 38 Rn. 52).

Die Voraussetzungen des § 3 AsylG liegen nicht vor. Denn die Klägerin hat eine begründete Furcht vor gezielter Verfolgung nicht glaubhaft vorgetragen. Sie hat sich auf die Asylgründe ihres Vaters berufen, der eine begründete Furcht vor gezielter Verfolgung seinerseits nicht glaubhaft vorgetragen hat.

Ursprünglich hatte der Vater der Klägerin im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt nach § 25 AsylG im Wesentlichen vorgetragen, er sei ausgereist, weil er auf der schwarzen Liste stehe und deshalb sein Leben in Gefahr sei. Dieses Vorbringen ist unglaubhaft, weil es oberflächlich bleibt und im Laufe des Verfahrens gesteigert und hinsichtlich des Verfolgungsakteurs auch gewechselt worden und zudem durch das Treffen in Q. und die glaubhafte Aussage des Zeugen widerlegt ist. Vor dem Bundesamt gab der Vater der Klägerin noch an, wenn man auf der schwarzen Liste stehe, dann heiße das, dass die Regierung einem nicht mehr vertraue. Es werde einem vorgeworfen, dass man für die Opposition arbeite (Seite 5 des Anhörungsprotokolls). Im Rücknahmeverfahren trug er vor, die direkte Gefahr gehe nicht von der Zentralregierung und dem Präsidenten aus, sondern von den „Personen und Personengruppen,“ „die vor Ort agierten“ (Bl. 67 der Verwaltungsakte im Rücknahmeverfahren). Die Regierung unterlasse es vielmehr, ihn oder seine Familie zu schützen, weil er dem Stamm der I. angehöre. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 10. März 2022 und am 22. März 2022 ordnete er die schwarze Liste erneut der Regierung zu. Dieses Vorbringen ist in sich gesteigert und widersprüchlich. Im Widerspruch zu der behaupteten Verfolgung durch die südsudanesische Regierung steht zudem in tatsächlicher Hinsicht, dass er nach seiner Ausreise aus Südsudan noch ein Ersatzreisedokument durch die südsudanesische Botschaft in Kampala ausgestellt worden ist. Zudem ist der Klägerin, die erst im Jahr 2020 in das Bundesgebiet eingereist ist, noch nach seiner Ausreise aus dem Südsudan ein Reisepass durch die südsudanesische Botschaft in Kenia ausgestellt worden. Darüber hinaus spricht gegen eine Verfolgung durch die südsudanesische Regierung das Treffen des Vaters der Klägerin mit dem südsudanesischen Präsidenten und dem 1. Vizepräsidenten in Q. im Jahr 2019. Würde er tatsächlich durch die südsudanesische Regierung verfolgt, so widerspräche es der allgemeinen Lebenserfahrung, durch ein solches Treffen seinen Aufenthaltsort und seine Geschäftspartner offen zu legen. Gegen eine Verfolgung durch die südsudanesische Regierung spricht darüber hinaus die glaubhafte Aussage des Zeugen AD.. Dieser hat angemessen detailliert, sachlich und in zeitlich und örtlich nachvollziehbaren Zusammenhängen ausgesagt, dass der Vater der Klägerin an dem Zustandekommen des Treffens in Q. mitgewirkt hat. Er habe ihm in Q. den Chef des Inlandsgeheimdienstes vorgestellt. Die Atmosphäre des Treffens habe er als konstruktiv und sie willkommen heißend empfunden. Der Vater der Klägerin habe für das gemeinsame Projekt in H. seine gute Vernetzung sowohl auf Landes- als auch auf nationaler Ebene beigetragen. Nach alledem ist eine Verfolgung des Vaters der Klägerin und der Klägerin selbst durch die südsudanesische Regierung nicht beachtlich wahrscheinlich. Letztlich trug der Vater der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 10. März 2022 auch vor, dass man hinsichtlich seiner Verfolgung und der schwarzen Liste den ehemaligen Gouverneur von AG. in Jonglei State aus dem Jahr 2017 befragen könne. Dies zeigt abschließend, dass selbst er nicht davon ausgeht, dass die aktuelle Regierung seinen Namen auf einer schwarzen Liste führt.

Der Vater der Klägerin hat weiter vorgetragen, dass er als Angehöriger der I. und wegen seines Engagements für diese verfolgt werde, vor allem aus dem Stamm der Nuer heraus. Auch dies ist nicht beachtlich wahrscheinlich. Auch insoweit ist sein Vorbringen nicht glaubhaft. Er gibt an, die I. würden in ihrem eigenen Land als Bürger zweiter Klasse behandelt und Ämter würden nicht in hinreichender Zahl an die I. vergeben. Es handelt sich hierbei um Ausführungen allgemeiner Natur, die keine zielgerichtete Verfolgung des Vaters der Klägerin oder der Klägerin selbst als Person durch die Nuer oder andere Stämme oder die Regierung erkennen lassen.

Auch das Engagement für die I., welches sich etwa in der Unterzeichnung der Petition an den Staatspräsidenten für die Gründung eines eigenen Staates der I. zeigt, führt nicht zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Vaters der Klägerin oder der Klägerin selbst als Person. Neben ihrem Vater haben weitere elf Personen die Unterschriftenliste unterzeichnet. Drei weitere Personen sind ohne Unterschrift als Unterzeichnende genannt. Der Vater der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die Personen, die sich in dieser Art und Weise für die I. engagiert haben, nicht alle ins Ausland geflohen sind. Viele seien noch vor Ort. Der König der I. lebe in den USA. Er sei nach längerem Aufenthalt dort für eine Woche nach Südsudan gereist, um sich mit dem Präsidenten zu treffen. Da dieser ein Treffen abgelehnt habe, sei er in die USA zurückgekehrt. Mithin ist der König der I. nach Angaben des Vaters der Klägerin trotz seiner zweifelsfrei noch weiter herausgehobenen Stellung im Engagement für die I. unbehelligt wieder aus dem Südsudan ausgereist. Es erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht, dass sich aus dem gemeinsamen Engagement für die I. konkret für den Vater der Klägerin oder die Klägerin selbst eine individuelle Verfolgung ergibt. Gegen eine Verfolgung wegen des Engagements für die I. spricht auch die Rückkehr des Mitreisenden des Vaters der Klägerin, des Herrn AF., nach Südsudan. Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen AD. und ausweislich der Homepage des Unternehmens AH., ist Herr AF. Managing Director des Unternehmens im Südsudan. Der Zeuge berichtete, dass Herr AF. zunächst in Kenia bei seiner Familie gewesen und dann wiederholt zwischen Kenia und Südsudan hin- und hergereist ist. Er lebe in X. in seinem eigenen Haus und könne seinen Lebensunterhalt dort selbst bestreiten. Mithin ist auch Herr AF., der mit dem Vater der Klägerin auf dieselbe Einladung hin ausgereist ist, hier ein Asylverfahren durchlaufen hat und dann zurückgekehrt ist, nicht wegen seines Engagements für die I. gezielt verfolgt worden. Der Vater der Klägerin konnte nicht glaubhaft darlegen, warum er oder seine Tochter - im Unterschied zu dem König der I., den weiteren Unterzeichnern der Petition oder Herrn AF. - aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den I. oder seinem Engagement für selbige bei einer Rückkehr gezielt verfolgt werden würde.

Soweit der Vater der Klägerin noch von einer Rivalität im eigenen Stamm berichtet, so bleibt der diesbezügliche Vortrag unsubstantiiert. Soweit er Ausführungen zur allgemeinen politischen Lage im Land macht, so ergeben sich hieraus keine Anhaltspunkte für ein individuelles Verfolgungsschicksal.

Nach alledem liegen auch die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte gemäß § 16a Abs. 1 GG nicht vor.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.