Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 09.03.2022, Az.: 5 B 1766/21
Aufenthaltszweck; Klageänderung; Klageerweiterung; selbständige Tätigkeit; Staatsangehöriger Israels; Stellungnahme IHK; Zustimmung Stellungnahme IHK; Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 09.03.2022
- Aktenzeichen
- 5 B 1766/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59445
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 19c AufenthG
- § 21 AufenthG
- § 41 AufenthV
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 91 VwGO
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Der Antragsteller ist israelischer Staatsangehöriger und am E. 1982 in Tira/Israel geboren. Er reiste bereits am 14. April 2001 zu Studienzwecken in das Bundesgebiet ein. Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG wurde am 1. Oktober 2013 mit der Begründung abgelehnt, dass der Antragsteller das Studium nicht mehr in einem angemessenen Zeitraum werde abschließen können. Ein dagegen gerichtliches Klage- und Eilverfahren war erfolglos (F. bzw. G. und H. sowie I.). Wegen eines laufenden Härtefallverfahrens verblieb der Antragsteller allerdings im Bundesgebiet (siehe Ruhensbeschluss vom 11. August 2014 im Verfahren G.; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 17. Juli 2014 –J.). In dieser Zeit heiratete er Frau K. L. (alias M. N.) nach islamischem Recht in der O. Moschee in A-Stadt und in Israel standesamtlich. Diese arbeitet als Krankenschwester und finanziert den gemeinsamen Lebensunterhalt. Ende 2016 wurde das Härtefallverfahren des Antragstellers abgeschlossen, ohne dass ein Härtefallersuchen an das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport gerichtet wurde. Eine erneute Härtefalleingabe wurde nicht zur Beratung angenommen.
Der Antragsteller reiste am 22. August 2017 aus dem Bundesgebiet aus und nach eigenen Angaben am 3. November 2018 wieder ein. Am 12. Februar 2019 beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Anschließend war er im Besitz einer Fiktionsbescheinigung gem. § 81 Abs. 3 AufenthG. Die Antragsgegnerin forderte nach Rücksprache mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) weitere Unterlagen an. Nachdem der Antragsteller nicht bereit war, weitere Unterlagen vorzulegen, bat die Antragsgegnerin die IHK um Stellungnahme, inwieweit ein wirtschaftliches Interesse und ein regionales Bedürfnis für die angestrebte Tätigkeit bestehe. Mit Stellungnahme vom 4. September 2020 teilte die IHK mit, dass der Antragssteller die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 AufenthG nicht erfülle. Auch wenn er unternehmerische und kaufmännische Erfahrungen im Unternehmen des Vaters und als Minijobber in einer Buchhaltung vorweisen könne, fehlten hierfür jegliche Befähigungsnachweise. Das Unternehmenskonzept könne sich grundsätzlich erfolgreich am Markt positionieren, allerdings sei der Businessplan teilweise unplausibel. Es bedürfte einer Umsatz- und Ertragsvorschau für drei Jahre mit ausführlicher Darstellung, wie sich die Umsätze erhöhen und in der Folge die Kosten entwickeln würden. Zudem sei eine Erläuterung des Kapitalbedarfs und ein Nachweis für die Finanzierung durch Eigen- oder Fremdmittel notwendig. Außerdem bestehe weder ein wirtschaftliches Interesse noch ein regionales Bedürfnis. Die Tätigkeit lasse auch keine positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft erwarten. Daher könne das Vorhaben nicht befürwortet werden.
Mit Bescheid vom 24. September 2020 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Sie forderte den Antragsteller zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen ab Zustellung der Verfügung auf und drohte ihm andernfalls die Abschiebung nach Israel an. Eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 21 Abs. 1 AufenthG zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit komme nicht in Betracht, da dessen Voraussetzungen nach der Stellungnahme des IHK nicht erfüllt seien. Die Antragsgegnerin stützte die Ablehnung zudem darauf, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt nicht sichere, § 5 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 3 AufenthG. Er habe weder eine tragfähige Umsatz- und Ertragsvorschau noch den Kapitalbedarf und die Finanzierung nachgewiesen. Von dieser Voraussetzung könne auch nicht ausnahmsweise abgewichen werden. Auch eine völkerrechtliche Vereinbarung mit dem Staate Israel i. S. v. § 21 Abs. 2 AufenthG bestehe nicht. Eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gem. § 30 Abs. 1 AufenthG komme ebenfalls nicht in Betracht.
Unter dem 8. Oktober 2020 hat der Antragsteller gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis Klage erhoben, über die bisher noch nicht entschieden ist (P.). Er hat gleichzeitig um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht. Zur Begründung macht er geltend:
Ihm sei eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Er könne nicht nachvollziehen, warum die vorgelegten Zahlen für sein Unternehmen nicht plausibel sein sollten. Sie seien durch einen mit der Materie vertrauten Steuerberater erstellt worden und auf Erfahrungswerte gestützt. Nachdem der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren zunächst die Vorlage weiterer Unterlagen zugesagt hatte, schloss er dies später wieder aus. Stattdessen habe er die Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Er habe bereits verschiedene Bautätigkeiten in Israel durchgeführt. Nachweise darüber könne er nicht vorlegen. Diesbezüglich legte der Antragsteller mit Schreiben vom 18. November 2020 eine undatierte Einstellungszusage als Lagerhelfer der Firma Q. vor. Die Antragsgegnerin hat nach Eingang der am 23. Dezember nachgereichten Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis die Beigeladene am 11. Januar 2021 um Zustimmung zur Ausübung der Beschäftigung ersucht. Diese hat am 12. Januar 2021 die Zustimmung gem. § 40 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Leiharbeitnehmer) versagt. Die Antragsgegnerin informierte sowohl den Antragsteller als auch das Gericht erst Anfang Mai 2021 über die Versagung.
Der Antragsteller legte anschließend einen erneuten Antrag an die Antragsgegnerin auf Erteilung deiner Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung und eine Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis vom 12. Mai 2021 der Firma R. vor, wonach er als Bauhelfer arbeiten könne. Auf Anfrage der Antragsgegnerin vom 2. Juli 2021 hat die Beigeladene mit Entscheidung vom 13. Juli 2021 auch hinsichtlich des weiteren Stellenangebots die Zustimmung verweigert. Demnach habe die Arbeitsmarktprüfung ergeben, dass bevorrechtigte Bewerber zur Verfügung ständen, § 39 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG.
Der Antragsteller hat dazu noch eine Stellungnahme des potentiellen Arbeitgebers vorgelegt, wonach der Arbeitgeber seit Jahren erfolglos versuche, Arbeitnehmer zu finden – auch über die Beigeladene. Die Beigeladene hat hingegen die Arbeitsmarktdaten der Agentur für Arbeit A-Stadt vorgelegt, wonach 133 arbeitslosen Bewerbern 26 Stellenangebote gegenüberständen. Ein Stellenangebot sei vom potentiellen Arbeitgeber nie aufgegeben worden, sodass keine Bewerberangebote unterbreitet worden seien. Der potentielle Arbeitgeber präzisierte daraufhin, dass die Suche bereits mehrere Jahre zurückliege und einen Gesellen betroffen habe. Der Antragsteller habe sich im Gegensatz zu vielen anderen gut vorbereitet vorgestellt und beworben, sodass sie ihm einen Arbeitsvertrag vorgelegt hätten.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 24. September 2020 anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 AufenthG sei zulässig, aber unbegründet. Es bestehe kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ein solcher ergebe sich nicht aus § 21 AufenthG. Die Voraussetzungen seien von der IHK zu beurteilen. Die Einschätzung der IHK beruhe nicht nur darauf, dass die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen nicht plausibel seien. Die fehlenden Unterlagen seien konkret bezeichnet. Der Antragsteller sei aber offensichtlich weiterhin nicht bereit oder in der Lage, diese beizubringen. Auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 19c AufenthG sei nicht ersichtlich. Gem. § 26 Abs. 1 BeschV sei eine Zustimmung der Beigeladenen notwendig. Diese habe ihre Zustimmung verweigert. Zur Begründung der Verweigerung verweist sie auf die Stellungnahme der Beigeladenen. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO ist hinsichtlich der abgelehnten Erteilung eines Aufenthaltstitels zulässig, insbesondere statthaft.
Die vorläufige Sicherung des Aufenthaltsrechts während eines anhängigen Verwaltungs- und auch Gerichtsverfahrens um die Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels erfolgt in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, wenn der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Titels zum Entstehen einer Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG geführt hat und diese Wirkung durch die Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag wieder erloschen ist (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 16.2.2021 – 11 S 3852/20 –, juris Rn. 6 und vom 7.7.2020 – 11 S 2426/19 –, juris Rn. 13). Das ist hier der Fall.
Die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels im Bescheid vom 24. September 2020 ließ die gem. § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG durch den Antrag auf deren Erteilung begründete Duldungsfiktion erlöschen. Der Antragsteller hielt sich, zum Zeitpunkt als er die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, rechtmäßig im Bundesgebiet auf, hat jedoch die Frist für die Beantragung eines Aufenthaltstitels versäumt. Als Staatsangehöriger Israels durfte er gem. § 41 Abs. 1 AufenthV auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumsfrei einreisen. Gem. § 41 Abs. 3 Satz 1 AufenthV hatte er einen erforderlichen Aufenthaltstitel binnen 90 Tagen zu beantragen. Zwischen der Einreise am 3. November 2018 in das Bundesgebiet und der Antragstellung am 12. Februar 2019 lag ein Zeitraum von 101 Tagen. Durch den verspäteten Antrag gilt die Abschiebung gem. § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ab dem Zeitpunkt der Antragstellung aber bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als ausgesetzt (sog. Duldungsfiktion, vgl. Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Auflage 2020, § 2 Rn. 251 ff.; Samel in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 81, Ziffer 81.3). Davon blieb die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht gem. § 58 Abs. 2 AufenthG unberührt (Kluth in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 32. Edition, 1.10.2020, Rn. 26).
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist hinsichtlich der abgelehnten Erteilung eines Aufenthaltstitels jedoch unbegründet.
Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers, von einem Vollzug der Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt der Erfolgsaussicht der Klage im Hauptsacheverfahren maßgebliche Bedeutung zu. Gemessen hieran überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse, weil sich die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig erweist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder – wie hier – Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 – BVerwG 1 C 21.18 –, juris Rn. 11; sowie Urteil vom 22.2.2017 – BVerwG 1 C 3.16 –, juris Rn. 18; und Urteil vom 10.7.2012 – BVerwG 1 C 19.11 –, juris Rn. 12).
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 21 AufenthG zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit (a.) und auch keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen (b.).
a. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit erteilt werden, wenn 1. ein wirtschaftliches Interesse oder ein regionales Bedürfnis besteht, 2. die Tätigkeit positive Auswirkungen auf die Wirtschaft erwarten lässt und 3. die Finanzierung der Umsetzung durch Eigenkapital oder durch eine Kreditzusage gesichert ist. Nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG richtet sich die Beurteilung der Voraussetzungen nach Satz 1 insbesondere nach der Tragfähigkeit der zu Grunde liegenden Geschäftsidee, den unternehmerischen Erfahrungen des Ausländers, der Höhe des Kapitaleinsatzes, den Auswirkungen auf die Beschäftigungs- und Ausbildungssituation und dem Beitrag für Innovation und Forschung. Bei der Prüfung sind die für den Ort der geplanten Tätigkeit fachkundigen Körperschaften, die zuständigen Gewerbebehörden, die öffentlich-rechtlichen Berufsvertretungen und die für die Berufszulassung zuständigen Behörden zu beteiligen.
§ 21 AufenthG soll insbesondere die dauerhafte Investition ausländischer Unternehmer*innen im Bundesgebiet anregen und ihnen ermöglichen, vor allem gute Geschäftsideen bei gesicherter Finanzierung im Bundesgebiet zu realisieren (Nr. 21.0.1 AVV-AufenthG). Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gelten kumulativ. Dabei obliegt es grundsätzlich dem Ausländer, alle tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels darzulegen (vgl. § 82 Abs. 1 AufenthG). Hierzu gehört insbesondere auch die hinreichende Darlegung der beabsichtigten selbständigen Tätigkeit unter Vorlage aussagekräftiger Unterlagen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Januar 2017 – OVG 11 N 34.14 –, juris Rn. 14). Die jeweils in Bezug zur Region vorzunehmende Prüfung dieser Kriterien erfolgt in der Regel anhand eines Businessplans mit Geschäftsreferenzen, Kapitalbedarfsplan, Finanzierungsplan, Ertragsvorschau für die nächsten drei Jahre, Lebenslauf und sonstigen Nachweisen über die Befähigung für die angestrebte Tätigkeit (Dippe in: Huber/Mantel, Aufenthaltsgesetz/ Asylgesetz, 3. Auflage, 2021, § 21, Rn. 6). Die Industrie- und Handelskammer ist eine der öffentlich-rechtlichen Berufsvertretungen im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Bei den in § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 AufenthG genannten Voraussetzungen handelt es sich um unbestimmte, vom Gericht voll nachprüfbare Rechtsbegriffe, deren Beurteilung und Prüfung sich nach den in Abs. 1 Satz 2 genannten Aspekten richtet, wobei diese zumindest teilweise auch prognostischen Charakter haben. Insgesamt bleiben die inländischen Interessen oder Bedürfnisse an der speziellen Tätigkeit des Ausländers in Deutschland maßgeblich und nicht die unternehmerischen Interessen eines Ausländers (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.3.2009 – 11 S 448/09 –, juris Rn. 6 ff.; VG Berlin, Urteil vom 11.9.2020 – 31 K 462.19 V –, juris Rn. 20 ff.). Es bedarf eines „Mehrwerts“ für die hiesige Wirtschaft (VG Stuttgart, Urteil vom 6.8.2019 – 2 K 7356/18 –, juris Rn. 40 ff.).
Die kumulativen Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind nicht erfüllt. Es erscheint zwar nicht ausgeschlossen, dass sich der Antragsteller mit einer selbständigen Tätigkeit im Bereich des Im- und Exports mit dem Nahen Osten am Markt durchsetzen könnte. Allerdings hat er weder ein wirtschaftliches Interesse noch ein regionales Bedürfnis im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgezeigt. Insbesondere ist anhand der vorgelegten Unterlagen nicht prognostizierbar, welche Umsätze und Ertragserwartungen die Tätigkeit in den nächsten Jahren tatsächlich hätte. Die Prognose für ein Import-/Exportgeschäft erschöpft sich in einmaligen Schätzungen mit kurzer Erläuterung (Bl. 797 f. d. VV). Eine Umsatz- und Ertragsvorschau für drei Jahre hat der Antragsteller womöglich direkt bei der IHK vorgelegt. Allerdings ist nach deren fachlicher Einschätzung vom 4. September 2020 die prognostizierte Entwicklung von Umsatz und Ertrag unplausibel. Weder das wirtschaftliche Interesse noch das regionale Bedürfnis ließen sich aus den vorgelegten Unterlagen zuverlässig ermitteln. Diese fachliche Einschätzung ist schlüssig und nachvollziehbar; sie wird auch nicht durch Vorbringen des Antragstellers erschüttert. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hat der Antragsteller mitgeteilt, dass er die weiteren angeforderten Unterlagen nicht beibringen wird. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles wird der „Mehrwert“ für die hiesige Wirtschaft aus den zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegenden Unterlagen nicht deutlich. In jedem Fall sind zudem die weiteren Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 AufenthG nicht erfüllt. Der Antragsteller hat keine positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft oder die Finanzierung der Umsetzung durch Eigenkapital oder durch eine Kreditzusage nachgewiesen.
b. Ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel aus anderen Gründen ist nicht ersichtlich.
aa. Grundsätzlich wird der Streitgegenstand einer Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und auch des Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutz bestimmt und begrenzt durch den geltend gemachten Aufenthaltszweck (vgl, BVerwG, Urteil vom 4.9.2007 – BVerwG 1 C 43.06 –, juris), hier also die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug und zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit im Bundesgebiet. Soweit der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren die Aufnahme einer sonstigen Erwerbstätigkeit geltend macht, liegt diese außerhalb des ursprünglich geltend gemachten Zwecks. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Aufnahme einer sonstigen Erwerbstätigkeit ist zwar im selben Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes geregelt wie die Erteilung zum Zwecke der selbständigen Tätigkeit; es handelt sich jedoch um qualitativ unterschiedliche Tätigkeiten, die im Verfahren unterschiedliche Beteiligungserfordernisse weiterer Behörden auslösen. Insofern kann für den Wechsel der Erwerbstätigkeit nichts Anderes gelten als für den Wechsel des Studiengangs, den die Rechtsprechung ebenfalls als Wechsel des Aufenthaltszwecks ansieht (OVG Hamburg, Beschluss vom 30.5.2007 – 3 Bs 390/05 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 30.11.2007 – 17 B 2379/06 –, juris; BayVGH, Beschluss vom 7.9.2010 – 19 CS 10.168, Rn. 10 f.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 3.3.1994 – BVerwG 1 B 190.93 –, juris und Nr. 16.2 sowie Nr. 16.4.4 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum AufenthG).
bb. Der Antragsteller hat diese Aufenthaltszwecke allerdings im Wege der (zulässigen, weil sachdienlichen) Klageerweiterung in das Hauptsacheverfahren und damit zugleich in das Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz einbezogen. Eine Änderung der Klage in diesem Sinne stellt es u. a. dar, wenn anstelle des dem bisherigen Klagebegehren zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes ein anderer zur Grundlage des zur Entscheidung gestellten Anspruches gemacht wird (BVerwG, Urteil vom 24.6.1982 – BVerwG 2 C 91.81 –, juris Rn. 30). Das wird auch für einen Wechsel des geltend gemachten Aufenthaltszwecks angenommen (Stuhlfauth in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Auflage 2021, § 91, Rn. 14; Riese in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 41. EL, Juli 2021, § 91, Rn. 19).
(1) Im Hinblick auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gem. § 30 Abs. 1 AufenthG folgt das schon daraus, dass die Antragsgegnerin diesen Anspruch in der angefochtenen Entscheidung geprüft und abgelehnt hat. Zumindest materiell scheitert ein solcher Anspruch jedoch daran, dass der Antragsteller mit der türkischen Staatsangehörigen K. L. keine anerkannte Ehe führt und auch seine Partnerin lediglich geduldet wird, d. h. nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels i. S. v. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist.
(2) Auch im Hinblick auf einen möglichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung nach § 19c AufenthG ist die Klageerweiterung zulässig. Sie ist insbesondere von einem Rechtsschutzbedürfnis getragen. Daran fehlt es zwar grundsätzlich, wenn die im gerichtlichen Verfahren begehrte Aufenthaltserlaubnis nicht in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren ohne Erfolg beantragt worden ist. Diese Zulässigkeits- und Sachdienlichkeitsvoraussetzung ergibt sich aus § 68 Abs. 2, § 75 Satz 1 VwGO („Antrag auf Vornahme“) und stellt eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung dar, nachdem es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.11.2007 – BVerwG 6 C 42.06 –, juris Rn. 23; und Beschluss vom 22.11.2021 – BVerwG 6 VR 4.21 –, juris Rn. 8; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42, Rn. 37).
Hier hat der Antragsteller allerdings während des gerichtlichen Verfahrens einen entsprechenden Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt. Die Antragsgegnerin hat den Antrag bearbeitet und die erforderliche Beteiligung der Beigeladenen vorgenommen. Anschließend hat sie gegenüber dem Gericht ihre ablehnende Haltung unter Verweis auf die Ablehnung der Beigeladenen schriftlich geäußert. Damit ist dem Grundsatz der Gewaltenteilung hinreichend Rechnung getragen; zugleich hat sich die Antragsgegnerin mit der Einlassung auf den ergänzten Aufenthaltszweck im Verfahren eingelassen und damit stillschweigend ihre Einwilligung in die Klageerweiterung ausgedrückt, § 91 Abs. 2, Abs. 1 Var. 1 VwGO. Die Klageänderung ist zudem mit Blick auf die Prozesswirtschaftlichkeit sachdienlich, § 91 Abs. 1 Var. 2 VwGO (vgl. zur Sachdienlichkeit BVerwG, Urteil vom 23.2.2017 – 7 C 31/15 –, juris Rn. 29 m. w. N.).
(3) Auch der solchermaßen erweiterte Antrag ist allerdings unbegründet, weil der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 19c AufenthG für sonstige Beschäftigungszwecke hat.
Nach § 19c Abs. 1 AufenthG kann einem Ausländer unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Beschäftigungsverordnung oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung dieser Beschäftigung zugelassen werden kann.
Nach der allgemeinen, für die Erteilung jedes Aufenthaltstitels zur Ausübung einer Beschäftigung nach Kapitel 2 Abschnitt 4 ("Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit") zu erfüllenden Bestimmung in § 18 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 AufenthG ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Zustimmung der D. nach § 39 AufenthG erforderlich. Nach § 39 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG kann die Bundesagentur einer Beschäftigung durch einen Ausländer unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft zustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt sind, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, nicht zur Verfügung stehen (Vorrangprüfung), soweit diese Prüfung durch die Beschäftigungsverordnung oder Gesetz vorgesehen ist. Gem. § 26 Abs. 1 BeschV („Beschäftigung bestimmter Staatsangehöriger“) – u. a. anwendbar auf Staatsangehörige Israels – kann die Zustimmung mit Vorrangprüfung erteilt werden (vgl. auch Fachliche Weisungen der D., Aufenthaltsgesetz und Beschäftigungsverordnung, Stand 6/2021, Seite 117). Die Antragsgegnerin ist bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels an die Beurteilung der materiellen Zustimmungsvoraussetzungen durch die D. gebunden. Eine fehlende Zustimmung kann nur im gerichtlichen Verfahren ersetzt werden (BVerwG, Urteil vom 19.11.2019 – BVerwG 1 C 41.18 –, Rn. 35).
Die Beigeladene hat ihre Zustimmung sowohl hinsichtlich der Erklärung zur Beschäftigung bei der Firma Q. als auch bei der Firma R. verweigert. Die beiden Ablehnungen wurden jeweils binnen zwei Wochen nach Übermittlung der Zustimmungsanfrage zurück an die Ausländerbehörde gesendet, sodass die Fiktionswirkung des § 36 Abs. 2 BeschV nicht greift. Die Verweigerungen sind sodann rechtmäßig; die Zustimmung daher auch nicht durch das Gericht zu ersetzen.
Die Zustimmung für die Beschäftigung bei der Firma Q. war gem. § 40 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu versagen, weil der Antragsteller als Leiharbeitnehmer (§ 1 Abs. 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes) angestellt werden sollte. In der Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis ist die Überlassung an Dritte unter Ziffer 4. ausdrücklich angegeben.
Die Zustimmung für die Beschäftigung bei der Firma R. hat die Beigeladene unter Verweis auf § 39 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG versagt. Es gibt keine Veranlassung für das Gericht, davon auszugehen, dass die Beigeladene hierbei fehlerhaft vorgegangen sein könnte, auch wenn die Begründung äußerst knapp mit Verweis auf die Arbeitsmarktdaten des Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur A-Stadt erfolgte (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation VG Aachen, Urteil vom 9.12.2020 – 4 K 906/19 –, juris Rn. 23). Demnach seien 133 arbeitslose Bewerber aus den Bereichen Helfer Ausbau und Helfer Hochbau gemeldet und als marktnah gekennzeichnet. Demgegenüber ständen nur 26 betreute Stellenangebote zu Verfügung. Nach der Erklärung zu dieser Beschäftigungsmöglichkeit sollte der Antragsteller bei Glasarbeiten als Helfer bzw. nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag als Bauhelfer eingesetzt werden. Damit scheint die von der Bundesagentur angenommene Rubrik Helfer Ausbau und Helfer Hochbau vertretbar, denn unter Ausbau werden z.B. meist einfache oder zuarbeitende Tätigkeiten, z. B. im Glasergewerbe, eingruppiert (vgl. https://berufenet.arbeitsagentur.de/berufenet/faces/index;BERUFENETJSESSIONID=1RtArLWQBKZRWnwhAF5GDpQgOe-POfPGLQWhgE2oL5yhfYnV6X_Y!-157069346?path=null/kurzbeschreibung&dkz=50936). Es gibt für das Gericht keinen Anlass davon auszugehen, dass keine vorrangigen Arbeitnehmer vorhanden wären, wenn die fachkundige Stelle nachvollziehbar das Gegenteil feststellt. Die vom Antragsteller vorgebrachten Einwände des potentiellen Arbeitgebers lassen zwar – auch nach den gerichtsbekannten Problemen bei der Gewinnung von Arbeitskräften im Handwerk – auf praktische Probleme bei der tatsächlichen Arbeitsvermittlung schließen. Sie sind aber offensichtlich auch darauf zurückzuführen, dass der potentielle Arbeitgeber gar keine vergleichbare Suchanfrage über die Beigeladene gestellt hat.
Es gibt auch keine zwischenstaatliche Vereinbarung i. S. v. § 19c Abs. 1 Var. 2 AufenthG. Der Antragsteller strebt auch keine qualifizierte Beschäftigung i. S. v. § 19c Abs. 2 AufenthG an. Die von der Firma Q. und R. angebotene Beschäftigung erfordert kein Studium oder qualifizierte Berufsausbildung (§ 2 Abs. 12a, Abs. 12b AufenthG; vgl. zu § 19d AufenthG, Nds. OVG, Beschluss vom 22.2.2022 – 13 LA 10/22 –, n.V.) Schließlich hat der Antragsteller nicht aufgezeigt, dass das gem. § 19c Abs. 3 AufenthG eröffnete Ermessen in einem begründeten Einzelfall aufgrund eines öffentlichen Interesses an einer Beschäftigung dahin reduziert ist, dass nur die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis eine von nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Fehlern freie Ermessensbetätigung darstellt.
3. Soweit sich die Klage in der Hauptsache gegen die Abschiebungsandrohung richtet, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft (§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 64 Abs. 4 NPOG), aber unbegründet. Die Abschiebungsandrohung ist voraussichtlich nicht zu beanstanden. Sie entspricht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 58, 59 AufenthG. Mit der Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG). Abschiebungsverbote hat der Antragsteller nicht geltend gemacht, sie stünden dem Erlass der Abschiebungsandrohung auch grundsätzlich nicht entgegen (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht gem. § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Unterliegensrisiko ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 39, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nr. 8.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11). Die Streitwerte für die unterschiedlichen Streitgegenstände sind zu addieren und für das Eilverfahren zu halbieren.