Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 31.01.2002, Az.: 3 A 323/00

Abgrenzung; Abgrenzung Jugendhilfe/Sozialhilfe; Betreuung; Eingliederungshilfe; Erstattungszeitraum; Grundanerkenntnis; Hilfe für junge Volljährige; Jugendhilfe; Jugendhilfeträger; Kostenerstattung; Nds. Vereinbarung; Niedersachsen; Persönlichkeitsstörung; sachliche Zuständigkeit; seelische Behinderung; Sozialhilfe; Vereinbarung; vorläufige Hilfeleistung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
31.01.2002
Aktenzeichen
3 A 323/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41745
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die nds. Vereinbarung zur Abgrenzung Jugendhilfe/Sozialhilfe findet auf Fälle aus der Zeit vor Inkrafttreten des § 78 SGB VIII am 01.01.1999 keine Anwendung. Die Leistungspflicht nach § 41 Abs. 2 SGB VIII entfällt nicht ohne weiteres, wenn die Maßnahme nach der Prognose nicht vor der Vollendung des 27. Lebensjahres abgeschlossen werden kann (Nds. OVG, E. v. 15.01.2000 - 4 L 2934/99 -).

Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, gegenüber dem Kläger die für die stationäre Betreuung der C. W. in der Zeit vom 01.07.1996 bis zum 31.12.1999 entstandenen Kosten in Höhe von 200.043,28 Euro zuzüglich Zinsen ab 15.12.2000 bis 31.08.2001 in Höhe von 9,26 % und ab dem 01.09.2001 in Höhe von 8,62 % zu erstatten.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen ) werden nicht erhoben.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt vom Beklagten eine Kostenerstattung nach § 102 SGB X für C. W., geb. am 01.07.1975.

2

Die am 01.07.1975 geborene C. W. befand sich seit dem 15.04.1985 wegen einer seelischen Behinderung in stationärer Betreuung im heilpädagogischen Kinder- und Jugendheim der Arbeiterwohlfahrt in B. und erhielt dort sozialtherapeutische Einzelbetreuung (STEB). Die Kosten trug der Beklagte nach § 41 SGB XIII als Hilfe für junge Volljährige bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der C. W., also bis zum 31.06.1996. Mit am 11. Juni 1996 eingegangenem Schreiben beantragte Frau W. gegenüber dem Beklagten die Fortsetzung der stationären Maßnahme. Der Beklagte - Jugendamt - holte die Stellungnahme der betreuenden Organisation vom 10.06.1996 ein, nach der Frau W. seit dem 01.09.1995 eine Ausbildung zur Helferin in der Hauswirtschaft beim Lehrhausfrauenverband e.V. in B. absolvierte und trotz zunehmend sich zeigender Defizite eine Chance bestand, diese Ausbildung abzuschließen. Es seien allerdings zunehmend Persönlichkeitsstörungen deutlich geworden. Insgesamt müssten viele im letzten Bericht positiv bewertete Ansätze relativiert werden. Ohne den beschützenden Rahmen durch die Betreuung der STEB würde sie sehr schnell den Kontakt zur Realität verlieren und vereinsamen. Die Dauer einer weiteren intensiven Betreuung sei nicht absehbar. Sie gehöre zum Personenkreis des § 39 BSHG, eine Intensivbetreuung sei weiterhin dringend erforderlich.

3

Mit Bescheid vom 24.06.1996 lehnte der Beklagte - Jugendamt - den Antrag auf Weitergewährung der Jugendhilfe über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus ab und führte zur Begründung an, dass die Dauer einer weiteren intensiven Betreuung nicht absehbar sei, so dass die Jugendhilfe, die nur für einen begrenzten Zeitraum nach Erreichen des 21. Lebensjahres gewährt werden könne, nicht die geeignete Hilfeart darstelle. Eine längerfristige Maßnahme sei nur durch Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG gewährleistet. Die sachliche Zuständigkeit für diese Maßnahme liege beim überörtlichen Träger der Sozialhilfe.

4

Unter dem 16.07.1996 beantragte der Beklagte - Sozialamt - beim Kläger die Erteilung eines Grundanerkenntnisses für die Leistungen der stationären Unterbringung an C. W. als seelisch wesentlich Behinderte nach § 39 BSHG für die Zeit ab 01.07.1996. Der Kläger wies unter dem 24.07.1996 den Beklagten - Sozialamt - darauf hin, dass ab dem 01.04.1993 die sachliche Zuständigkeit für Maßnahmen der Eingliederungshilfe bei seelisch wesentlich Behinderten vom überörtlichen Träger der Sozialhilfe zum örtlichen Träger der Jugendhilfe gewechselt sei und dass nach Vollendung des 18. Lebensjahres der Jugendhilfeträger dem jungen Volljährigen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres Eingliederungshilfe gewähren könne. Eine solche Ermessensentscheidung des örtlichen Jugendhilfeträgers läge ihm nicht vor, er bitte, den zuständigen örtlichen Jugendhilfeträger mit der beantragten Maßnahme zu befassen. Unter dem 20.08.1996 führte das Jugendamt des Beklagten aus, der Stellungnahme der betreuenden Einrichtung vom 10.06.1996 sei zu entnehmen, dass die Persönlichkeitsstörung im letzten Jahr zunehmend deutlich geworden sei. Die Dauer einer weiteren intensiven Betreuung sei unter diesen Umständen nicht absehbar. Dies habe auch eine erneute Rücksprache mit dem Leiter der STEB ergeben, der mitgeteilt habe, dass zumindest mittelfristig nicht mit nennenswerten Erfolgen gerechnet werden könne. Aus diesen Gründen sei es sehr unwahrscheinlich, dass mit Mitteln der Jugendhilfe, welche lediglich noch für einen begrenzten Zeitraum gewährt werden könnten, Erfolge zu verzeichnen seien. In Ermangelung dieser Erfolgsaussicht sei ein Fall der Eingliederungshilfe nach dem BSHG gegeben.

5

Unter dem 27.08.1996 erließ dann der Kläger ein Grundanerkenntnis und erkannte die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG wegen seelisch wesentlicher Behinderung i.S.d. § 39 BSHG an. Die Erteilung des Grundanerkenntnisses erfolge im Rahmen vorläufiger Hilfeleistungen nach § 44 BSHG. Es könne daher zunächst auf der Grundlage dieses Grundanerkenntnisses vorläufig gemäß § 44 BSHG durch den Landkreis Helmstedt - Sozialamt - geleistet werden. Dementsprechend ergingen unter dem 09.10.1996, 05.11.1997, 08.09.1998 und 13.08.1999 Bescheide des Beklagten an Frau W. mit denen ihr Eingliederungshilfe gemäß § 39 i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG als vorläufige Hilfeleistung gemäß § 44 BSHG gewährt wurde.

6

Unter dem 16.11.1996 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten gemäß § 102 Abs. 1 SGB X die in der Zeit ab 01.07.1996 für die stationäre Betreuung der Frau W. in der Einrichtung STEB entstandenen Kosten geltend. Der Kläger führte aus, dass Frau W. bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres in der Einrichtung auf Kosten des örtlichen Jugendhilfeträgers betreut worden sei, so dass gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII eine Weitergewährung der Hilfe über das 21. Lebensjahr hinaus im Einzelfall möglich sei. Ein begründeter Einzelfall läge vor, weil die Maßnahme die Jugendliche offenbar günstig beeinflusse und die Dauer der Hilfegewährung insoweit absehbar sei, als sich Frau W. in einer Ausbildungsmaßnahme befinde. In diesem Schreiben wurde angeregt, eine beabsichtigte Einigung zwischen dem Niedersächsischen Kultusministerium und dem Niedersächsischen Sozialministerium bezüglich der sachlichen Zuständigkeit des Trägers der Jugendhilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII abzuwarten. Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 16.12.1996, er sei bereit, die Angelegenheit bis zur Klärung der Problematik auf Ministeriumsebene ruhen zu lassen, soweit dem Beklagten dadurch kein Schaden entstehe.

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Am 15.12.2000 hat der Kläger Klage erhoben mit der er die Erstattung der seit dem 01.07.1996 entstandenen Kosten für die stationäre Betreuung der C. W. in der Einrichtung STEB Braunschweig sowie Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit geltend macht. Zur Begründung bezieht er sich auf seine im Laufe des Verwaltungsverfahrens vertretene Auffassung, dass der Beklagte als Jugendhilfeträger die Kosten der Maßnahme als Hilfe für junge Volljährige nach §§ 35 a, 41 Abs. 2 SGB VIII hätte tragen müssen. Er sei lediglich vorläufig nach § 44 BSHG tätig geworden, daraus resultiere ein Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten zur Erstattung der für die stationäre Betreuung der C. W. in der Zeit vom 01.07.1996 bis zum 31.12.1999 entstandenen Kosten zuzüglich Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit zu verurteilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er vertritt die Auffassung, dass die sachliche Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers im fraglichen Zeitraum nicht (mehr) angenommen werden könne. Im Übrigen habe sich der Kläger in einer Vereinbarung über Abgrenzungsfragen zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe verpflichtet, in Fällen der vorliegenden Art von Kostenerstattungsforderungen abzusehen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Klägers und des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als Leistungsklage zulässig und begründet.

15

Der Kläger hat nach § 102 SGB X einen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der für die stationäre Unterbringung der C. W. in der Zeit vom 01.07.1996 bis 31.12.1999 aufgebrachten Kosten.

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Gemäß § 102 SGB X ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat.

17

Der Kläger hat aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht. Gemäß § 44 BSHG hat der Träger der Sozialhilfe die notwendigen Maßnahmen unverzüglich durchzuführen, wenn nicht spätestens vier Wochen nach Bekanntwerden des Bedarfs feststeht, ob ein anderer als der Träger der Sozialhilfe oder welcher andere zur Hilfe verpflichtet ist und wenn zu befürchten ist, dass die notwendigen Maßnahmen sonst nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt werden. Für Erstattungsansprüche ist gemäß § 44 Abs. 2 BSHG § 102 SGB X maßgeblich. Zwar ist in § 44 Abs. 2 BSHG der Verweis auf § 102 SGB X erst durch das Gesetz vom 23.07.1996 (BGBl I, 1088) geregelt worden, während der Erstattungszeitraum vorliegend bereits am 01.07.1996 beginnt. Dies ist aber unschädlich, da in § 44 Abs. 2 BSHG lediglich eine gesetzgeberische Maßnahme zur Klärung des Streits in der Rechtsprechung zu sehen ist. In diesem Zusammenhang hatte das Bundessozialgericht die Auffassung vertreten, im Rahmen des § 44 BSHG finde § 102 SGB X keine Anwendung, während das Bundesverwaltungsgericht bereits vorher die gegenteilige Auffassung vertreten hatte (vgl. dazu: LPK, BSHG, 5. Aufl., Rn. 12 zu § 44; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl., Rn. 16 zu § 44). Aus diesem Grunde ist auch im vorliegenden Fall bei einer Leistung nach § 44 BSHG durch den Kläger von einem Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X auszugehen.

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Die Tatsache, dass der die Weiterleistung von Jugendhilfe gegenüber Frau W. ablehnende Bescheid vom 24.06.1996 bestandskräftig geworden ist, steht einem Erstattungsanspruch nicht entgegen (LPK, a.a.O, m.w.N.). Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht auch entschieden, dass das Rechtsschutzinteresse einer Klage des Leistungsberechtigten erhalten bleibt, auch wenn ein anderer Träger vorläufig leistet (BVerwGE 24, 71), jedoch kann die Frage, ob die Verpflichtung des erstattungspflichtigen Trägers zur Leistung bestand, auch im Erstattungsstreit geklärt werden (VG BS, ZfF 92, 84).

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Der Kläger ist nach § 44 BSHG tätig geworden. Sowohl das Kostenanerkenntnis des Klägers vom 27.08.1996 als auch die daraufhin vom Beklagten - Sozialamt - als herangezogenem Träger ergangenen Eingliederungshilfebescheide führen eindeutig aus, dass eine Leistung nur auf der Grundlage des § 44 BSHG erfolgen sollte, weil die Auffassung vertreten wurde, der Beklagte sei als Jugendhilfeträger zuständig.

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Der Kläger ist Sozialhilfeträger im Sinne des § 44 BSHG. Er war auch zur Leistung nach § 44 BSHG verpflichtet. Ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Gutachten und auch nach Auffassung beider Beteiligten dieses Verfahrens war die Fortführung der stationären Maßnahme für Frau W. notwendig. Als Eingliederungshilfemaßnahme zur Erlangung einer Ausbildung musste die Maßnahme auch i.S.d. § 44 BSHG unverzüglich durchgeführt werden, da anderenfalls eine Ausbildungsunterbrechung und ein Misserfolg der gesamten vorangegangenen Maßnahmen zu befürchten war. Die Maßnahme duldete demnach keinen Aufschub bis zu einer eventuellen Klärung der Zuständigkeiten.

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Der Beklagte ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger, der nach § 102 SGB X erstattungspflichtig ist. Er war zur Leistung nach § 41 SGB VIII verpflichtet. Gemäß § 41 Abs. 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden.

22

Bei Frau W. bestand nach Gutachtenlage eine seelische Behinderung i.S.d. § 35 a KJHG, sie bedurfte aufgrund ihrer besonders schweren persönlichen Erfahrungen und der daraus resultierenden mangelnden Persönlichkeitsentwicklung der stationären Hilfe als Eingliederungsmaßnahme i.S.d. §§ 39, 40 BSHG, die über § 41 Abs. 2 SGB VIII auch im Rahmen des Kinder- und Jugendhilferechts Anwendung finden. Gemäß § 10 Abs. 2 SGB VIII gehen die Leistungen nach diesem Buch den Leistungen nach dem BSHG vor; Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, gehen Leistungen nach diesem Buch vor. § 10 Abs. 2 SGB VIII regelt also den Vorrang der Leistungen nach SGB VIII für seelisch behinderte junge Menschen.

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Der Beklagte wendet sich gegen seine Verpflichtung zu Leistungen nach § 41 SGB VIII im Wesentlichen mit der Begründung, dass ausweislich des Gutachtens der Einrichtung vom 10.06.1996 bei Frau W. ein gewisser Rückschritt eingetreten war, der zusammen mit der Feststellung der Einrichtung, es werde noch auf längere Zeit eine Betreuung notwendig sein, zu der Annahme führe, dass die Maßnahme nicht in absehbarer Zeit abgeschlossen sei. Da nach § 41 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. SGB VIII die Hilfe über das 21. Lebensjahr hinaus nur in begründeten Einzelfällen für einen begrenzten Zeitraum fortgesetzt werden solle, habe diese Annahme eine Weitergewährung der Jugendhilfe ausgeschlossen. Abzustellen sei im Gegensatz zur Auffassung des Klägers nicht darauf, dass Frau W. letztlich bereits zum Dezember 1999 die Ausbildung abgeschlossen und aus der Betreuung entlassen worden war, sondern sei auf den Zeitpunkt, in dem die Weitergewährung zu klären gewesen sei.

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Da die Entscheidung nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII eine Prognoseentscheidung ist, ist dem Beklagten in der Auffassung zuzustimmen, dass auf den Zeitpunkt der Entscheidung, also auf den Juni 1996 und die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Gutachten abzustellen ist (VG Braunschweig, Urt. v. 10.02.2000 - 3 A 3393/97 -, ZfF 2002, 43). Die weitere Entwicklung hat insoweit außer Betracht zu bleiben.

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Jedoch war auch auf der Grundlage der im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Gutachten die Ablehnung der Maßnahme nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII rechtswidrig. Das Schwergewicht der Maßnahme lag weiterhin im Sinne des Kinder- und Jugendhilferechts in der Hilfestellung für die Persönlichkeitsentwicklung von Frau W. und der Hilfe zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung i.S.d. § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Aus den Gutachten ergibt sich, dass Frau W. wegen der massiven Erlebnisse in ihrer Kindheit in genau diesen Bereichen noch keine normale Entwicklung genommen hatte. Eine Person, die aufgrund von Störungen in der Elternbeziehung und sexueller Misshandlungen in ihrer gesamten Entwicklung schwer beeinträchtigt und insbesondere ohne Schulabschluss und ohne Berufsausbildung ist, bedarf der Hilfe für junge Volljährige (vgl. OVG des Saarlandes, Entscheidung vom 26.06.2000 - 3 Q 102/99 - recherchiert in Juris). Der Beklagte kann dem nicht seine Auslegung des Begriffes "für einen begrenzten Zeitraum" in § 41 Abs. 1 SGB VIII entgegenhalten. Diese Formulierung in der Vorschrift ist keine allgemeine Einschränkung auf Leistungen "für einen begrenzten Zeitraum". Im Falle einer seelischen Behinderung, bei der Ziel der Eingliederungshilfe auch (nur) sein kann, die Folgen der Behinderung zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern kann eine die Behinderung nicht beseitigende Hilfe auch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres und darüber hinaus erforderlich sein. In diesem Fall kommt den Worten "für einen begrenzten Zeitraum" in § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nicht die Bedeutung der Vorverlegung des Endzeitpunkts der Hilfe zu; vielmehr ist die geeignete und erforderliche Hilfe bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres als Hilfe nach dem SGB VIII und - falls erforderlich - danach weiter als Hilfe nach dem BSHG zu leisten (Nds. OVG, Entscheidung v. 15.01.2000 - 4 L 2934/99 -). Auch soweit für die Leistungen der Jugendhilfe auf eine hinreichende Aussicht auf Erfolg abgestellt wird (vgl. OVG NRW, Entscheidung v. 20.02.1997 - 16 B 3118/96 - recherchiert in Juris) ist die Erfolgsaussicht nicht nur dann anzunehmen, wenn bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung abgeschlossen sein wird, ausreichend ist vielmehr bereits jede Aussicht auf eine spürbare Verbesserung und Förderung der Persönlichkeitsentwicklung im Sinne eines Teilerfolges. Diese Voraussetzungen sind vorliegend insbesondere deshalb anzunehmen, weil auch im Zeitpunkt der getroffenen Entscheidung nichts dafür sprach, dass Frau W. ihre Ausbildung nicht abschließen werde, so dass in dem Abschluss der Ausbildung jedenfalls ein Teilerfolg zu sehen ist, der die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe rechtfertigt.

26

Dem Anspruch steht entgegen der Auffassung des Beklagten die Vereinbarung zwischen ihm und dem Kläger über Abgrenzungsfragen Jugendhilfe/Sozialhilfe für junge Volljährige nicht entgegen.

27

Unabhängig von der Frage, ob durch das Angebot des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben im Rundschreiben vom 14.12.2000 und die gegenüber dem Landkreistag erklärte Annahme durch den Beklagten das Schriftformerfordernis des § 56 SGB X erfüllt ist und unabhängig von der sich in diesem Zusammenhang stellenden Frage, ob öffentlich-rechtliche Leistungsträger berechtigt sind, im Vertragswege auf Ansprüche - hier den aus § 102 SGB X - zu verzichten bzw. diese auszuschließen, ergibt bereits die Auslegung der vorgelegten Vereinbarung, dass sie auf den vorliegenden Fall keine Anwendung findet.

28

Ziff. 1 Satz 1 der vorgelegten Vereinbarung, wonach die Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers - des Beklagten - mit dem 21. Lebensjahr endet, stellt im Zusammenhang mit der in Satz 2 geregelten Erweiterung der Leistungspflicht auf den tatsächlichen Abschluss der Maßnahme ab und nicht darauf, ob der Jugendhilfeträger im ablehnenden Bescheid die Maßnahme als Jugendhilfemaßnahme für beendet erklärt. Nach dem o.G. hätte die Maßnahme auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres der Frau W. als Jugendhilfemaßnahme weitergeführt werden müssen. Ziff. Satz 1 der vorgelegten Vereinbarung ist deshalb nicht anwendbar.

29

Auch Ziff. 1 Satz 2 der vorgelegten Vereinbarung schließt eine Leistungspflicht des Beklagten nicht aus. Nach Ziff. 1 Satz 2 der vorgelegten Vereinbarung ist der Jugendhilfeträger - der Beklagte - bis zum Abschluss der Maßnahme, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, zahlungsverpflichtet, wenn (1.) eine vor Vollendung des 21. Lebensjahres begonnene Maßnahme bis zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossen werden kann und (2.) die Maßnahme in einer Einrichtung erbracht wird, mit der Vereinbarungen nach § 78b SGB VIII bestehen. Die erste Voraussetzung, der Nichtabschluss der Maßnahme bis zum 21. Lebensjahr, ist vorliegend nach dem o.G. erfüllt. Soweit aber der Beklagte aus der Bezugnahme auf Vereinbarungen nach § 78b SGB VIII (2.) schließt, dass er für Maßnahmen, über die zu einem Zeitpunkt zu entscheiden war, als § 78 SGB VIII noch nicht in Kraft getreten war, nicht leistungsverpflichtet ist, schließt sich das Gericht dieser Auffassung nicht an. Vielmehr ist die Vereinbarung - entsprechend der Auffassung des Beklagten - auf Fälle, in denen vor Inkrafttreten des § 78b SGB VIII zum 01.01.1999 über die Maßnahme zu entscheiden war, überhaupt nicht anzuwenden.

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In Ziff. 1 Satz 2 und Satz 3 der Vereinbarung ist geregelt, dass die für die Kostentragung nach § 10 SGB VIII relevante Frage der Art der Behinderung und des Charakters der Maßnahme pauschal danach entschieden werden soll, ob mit dem Leistungserbringer eine Vereinbarung nach SGB VIII (oder nach dem BSHG) besteht. Ziff. 1 Satz 1 und 2 der vorgelegten Vereinbarung setzen ihrem Wortlaut nach die Möglichkeit von Vereinbarungen mit dem Leistungserbringer nach § 78b SGB VIII voraus, die aber erst nach dem 01.01.1999 bestand. Wenn Fälle aus der Zeit vor dem 01.01.1999 in die Vereinbarung hätten einbezogen werden sollen, wären nach verständiger Würdigung auch Entgeltvereinbarungen nach den Vorgängerregelungen zu § 78b SGB VIII - z.B. der Rahmenvereinbarung zu § 77 SGB VIII - erwähnt worden. Nur dann wäre die sich aus Ziff. 1 S. 2 und 3 ergebende Differenzierung einheitlich durchgeführt worden. Die Auffassung des Beklagten würde demgegenüber zu dem Ergebnis führen, dass eine Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers für alle Fälle aus der Zeit vor dem 01.01.1999 entfiele, das Land also für alle Maßnahmen für Personen zwischen dem 21. und 27. Lebensjahr unabhängig von der Art der Behinderung leistungsverpflichtet wäre. Eine so weitgehende, den §§ 10 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGB VIII für Fälle aus der Zeit vor dem 01.01.1999 abbedingende Regelung kann dem Vereinbarungstext nicht entnommen werden. Im Übrigen geht auch die vorgelegte Vereinbarung in ihrer Ziff. 3 davon aus, dass es Konstellationen gibt, die nicht von ihr erfasst werden.

31

Die Auslegung der vorgelegten, leider keinen Anfangszeitpunkt enthaltenden Vereinbarung über Abgrenzungsfragen zwischen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe ergibt also, dass diese Vereinbarung auf Fälle, in denen der maßgebliche Entscheidungszeitpunkt vor dem 01.01.1999 lag, keine Anwendung findet. Das Gericht hat deshalb die Frage des wirksamen Zustandekommens dieser Vereinbarung und die Frage, ob eine solche Vereinbarung einem gerichtlich eingeklagten Leistungsanspruch entgegengehalten werden kann, nicht zu klären.

32

Nach alledem ist der Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO stattzugeben. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB (Kopp, VwGO, Rn. 22 zu § 90). Diese Vorschriften finden auch Anwendung auf Erstattungsansprüche zwischen Jugend- und Sozialhilfeträgern (BVerwG, Entscheidung v. 22.02.2001 - 5 C 34/00 - recherchiert in Juris).