Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 22.01.2002, Az.: 2 A 124/01
Arbeitsstelle; Arbeitsvertrag; Asylantrag; Aufenthaltsbefugnis; Auflage; Dauerverwaltungsakt; Einkommen; Entfernung; Ermessensbindung; Irak; Unterhalt; Wohnsitz; Wohnsitzauflage
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 22.01.2002
- Aktenzeichen
- 2 A 124/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 42324
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs 2 AuslG
- Art 6 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Ausländer kann einen Anspruch auf Aufhebung einer Wohnsitzauflage haben wenn er nachweist, dass er im Bezirk einer anderen Ausländerbehörde eine Arbeitsstelle aufnehmen und eine Wohnung beziehen kann und die Arbeitsstelle in unzumutbarer Entfernung zum bisherigen Wohnort liegt.
Tenor:
Die Wohnsitzauflage in der Aufenthaltsbefugnis der Beklagten vom 15. Juni 1999, verlängert am 11. Juni 2001 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18. April 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 09. November 2000 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Aufhebung einer seiner Aufenthaltsbefugnis beigefügten Wohnsitzauflage.
Der am 1968 im Irak geborene Kläger reiste im März 1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge stellte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 13. April 1999 fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Unter dem 15. Juni 1999 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Aufenthaltsbefugnis. Diese enthält u.a. die Bestimmung: "Wohnsitzaufnahme nur in der Stadt gestattet". Unter dem 07. Februar 2000 beantragte der Kläger, ihm den Zuzug nach zu gestatten, um bei seiner Verlobten wohnen zu können. Diese sei schwanger. Außerdem leide er an einer Behinderung. Die Stadt verweigerte das nach dem Runderlass des Ministeriums des Innern vom 15.07.1998 (Nds.MBl. S. 1062) vorgesehene Einvernehmen, weil nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger eine Beschäftigung aufnehme und eine Wohnung beziehen könne. Auch eine Vorlage an die Bezirksregierung führte nicht zur Herstellung des Einvernehmens. Es wurde mit Schreiben vom 05. April 2000 darauf Bezug genommen, dass die Verlobte des Klägers syrische Staatsangehörige und seit der Ablehnung ihres Asylantrages vollziehbar ausreisepflichtig sei.
Mit Bescheid vom 18. April 2000 lehnte die Beklagte die Änderung der Wohnsitzauflage ab. Den Widerspruch hiergegen wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Bescheid vom 09. November 2000 - zugestellt am 13. November 2000 - zurück.
Am 13. Dezember 2000 hat der Kläger Klage erhoben.
Am 15. Dezember 2000 heiratete der Kläger seine Verlobte. Er hat mit ihr einen gemeinsamen am 09. Juni 2000 geborenen Sohn. Der Kläger ist seit 10. Juli 2001 bei der Firma..in...beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst befristet bis 29. Juni 2002. Unter dem 11. Juni 2001 verlängerte die Beklagte die Aufenthaltsbefugnis bis zum 16. Juni 2003 unter Beibehaltung der Wohnsitzauflage. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger einen Arbeitsvertrag vorgelegt, der eine Befristung nicht mehr enthält.
Der Kläger trägt vor, die Wohnsitzauflage sei aufzuheben, weil er eine Arbeit in gefunden habe und nicht mehr auf die Leistungen von Sozialhilfe angewiesen sei.
Der Kläger beantragt,
die Wohnsitzauflage in der Aufenthaltsbefugnis vom 15. Juni 1999, verlängert am 11. Juni 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. April 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 09. November 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf das bisher Vorgetragene und verweist darauf, dass die Stadt ihr Einvernehmen nach wie vor nicht erteilt habe, weil nach Rücksprache mit dem örtlichen Sozialamt der Verdienst des Klägers nicht für die gesamte Familie ausreiche. Danach müssten weiterhin ergänzende Sozialhilfeleistungen gewährt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Bezirksregierung Braunschweig Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die der Aufenthaltsbefugnis vom 15. Juni 1999 und der Verlängerung vom 11. Juni 2000 beigefügte Auflage, nach der ihm die Wohnsitzaufnahme nur in der Stadt gestattet ist, aufgehoben wird. Die die Aufhebung der Wohnsitzauflage ablehnenden Bescheide der Beklagten vom 18. April 2000 und der Bezirksregierung Braunschweig vom 09. November 2000 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Das Gericht kann offen lassen, ob es allein schon der durch die Verfassung gewährte Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) die Aufhebung der Wohnsitzauflage gebietet, damit der Kläger zu seiner Ehefrau und seinem Kind nach ziehen kann. Ebenso bedarf es keiner Entscheidung, ob die Beibehaltung der Wohnsitzauflage mit der dem Kläger zuerkannten Rechtsstellung nach § 51 Abs. 1 AuslG zu vereinbaren ist (offen lassend: BVerwG, Urt. v. 18.05.2000 - 5 C 29.98 -, BVerwGE 111, 200).
Der Kläger hat jedenfalls deshalb Anspruch auf Aufhebung der Wohnsitzauflage, weil die Beklagte nach dem das Ermessen der Beklagten bindenden Erlass zur Aufhebung der Auflage verpflichtet ist. Dabei ist davon auszugehen, dass Aufenthaltsbefugnisse, wie sie dem Kläger erteilt worden sind, grundsätzlich gemäß § 14 Abs. 2 AuslG mit einschränkenden Auflagen verbunden werden können. Insoweit kommt auch die Auflage in Betracht, den Wohnsitz nur an bestimmten Orten nehmen zu können. Die Erteilung einer Wohnsitzauflage, wie sie dem Kläger erteilt worden ist, richtet sich nach dem Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 15. Juli 1998 (Nds. MBl. S. 1062). Danach soll jede Aufenthaltsbefugnis bei ihrer Erteilung oder Verlängerung mit der Auflage versehen werden, den Wohnsitz im Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde zu nehmen. Der Sinn dieser Auflagen besteht darin, Verschiebungen von Sozialhilfekosten durch ungesteuerte Binnenwanderungen möglichst zu vermeiden. Ohne solch einschränkenden Auflagen wäre jeder Aufenthaltsbefugnisinhaber berechtigt, seinen Aufenthaltsort frei innerhalb der gesamten Bundesrepublik Deutschland wählen zu können. Dies ist unter dem Aspekt einer gleichmäßigen Lastenverteilung insbesondere in den Fällen problematisch, in denen der Aufenthaltsbefugnisinhaber seinen Lebensunterhalt nicht ohne die Inanspruchnahme von Sozialhilfemitteln bestreiten kann. Demzufolge ist in dem vorgenannten Erlass weiter geregelt: "Wird gegenüber der Ausländerbehörde nachgewiesen, dass die Ausländerin oder der Ausländer im Bezirk einer anderen Ausländerbehörde oder in einem anderen Land eine Beschäftigung aufnehmen und eine Wohnung beziehen kann, so wird die Auflage aufgehoben, wenn die Arbeitsstelle in unzumutbarer Entfernung zum bisherigen Wohnort liegt." Das Gericht geht davon aus, dass die Beklagte im Regelfall ihrer Bindung an diesen Erlass nachkommt und bei Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen entsprechende Wohnsitzauflagen aufhebt. Der Kläger hat deshalb aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) Anspruch auf Aufhebung der Wohnsitzauflage. Denn in seinem Fall liegen die in dem vorerwähnten Erlass genannten Voraussetzungen für die Aufhebung der Auflage vor. Dabei sind die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen, weil es sich bei der Wohnsitzauflage um eine Regelung mit Dauerwirkung handelt. Zu dem danach maßgeblichen Zeitpunkt hat der Kläger den Nachweis erbracht, dass er im Bezirk einer anderen Ausländerbehörde, nämlich in , eine auf Dauer angelegte Beschäftigung aufnehmen und eine Wohnung beziehen kann. Ferner ist nicht ernsthaft zweifelhaft, dass die Arbeitsstelle in in unzumutbarer Entfernung zum bisherigen Wohnort in Salzgitter gelegen ist. Denn der Kläger wäre nicht in der Lage, seiner Arbeitsverpflichtung nachzukommen, müsste er täglich von ... aus nach zur Arbeitsaufnahme anreisen. Der von der Beklagten angeführte Umstand, dass der Verdienst des Klägers nicht für die gesamte Familie ausreicht, vermag die Beibehaltung der Wohnsitzauflage nicht zu rechtfertigen. Denn nach Sinn und Zweck des Erlasses kann es allein darauf ankommen, ob der Kläger seinen Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme von Sozialhilfemitteln bestreiten kann. Nur wenn dies zu verneinen ist, ist die gleichmäßige Lastenverteilung von Sozialhilfekosten gefährdet. Denn die Stadt müsste auch und erst recht Sozialhilfe an die Ehefrau und das Kind des Klägers zahlen, wenn diesem nicht erlaubt würde, nach zu ziehen. Der Kläger würde außerdem schlechter behandelt als ein unverheirateter Ausländer ohne Kind, wenn man ihm die Aufhebung der Wohnsitzauflage allein deshalb verweigern würde, weil seine am Ort der Arbeitsstelle wohnenden Familienangehörigen sozialhilfebedürftig sind. Eine solche Schlechterstellung würde gegen den grundgesetzlich garantierten Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) verstoßen.
Der Aufhebung der Wohnsitzauflage steht nicht entgegen, dass die Ausländerbehörde der Stadt dem Zuzug des Klägers nicht zugestimmt hat. Das Erfordernis der Zustimmung der Ausländerbehörde des Zielortes zu einer Aufhebung einer Wohnsitzauflage wird allein durch ausländerrechtlichen Erlass vom 15. Juli 1998 begründet; ein gesetzliches Zustimmungserfordernis besteht nicht. Das an den Erlass nicht gebundene Gericht ist deshalb nicht gehindert, die Wohnsitzauflage aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht (§ 124 a Abs. 1 VwGO) liegen nicht vor.