Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.11.1989, Az.: 10 L 54/89

Volkshochschule; Kursteilnahme; Ausschluß eines Kursteilnehmers; Anstaltsgewalt; Regelungsbefugnis; Aufnahme persönlicher Daten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.11.1989
Aktenzeichen
10 L 54/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 12777
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1989:1107.10L54.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Schleswig - 02.02.1987 - AZ: 6 A 387/85
nachfolgend
BVerwG - 04.06.1990 - AZ: BVerwG 7 B 31.90

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 2. Februar 1987 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

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I.

Der Kläger, von Beruf Regierungsamtmann, war vom Herbst 1982 bis Herbst 1984 an der Volkshochschule (VHS) der Beklagten Kursleiter für Rhetorik und Deutsch. Im Januar 1985 meldete er sich bei der VHS unter Zahlung des vorgesehenen Kursentgelts als Teilnehmer zu dem Kurs Nr. 1250 mit dem Thema "Miteinander reden, diskutieren und argumentieren" an. Dieser Kurs richtete sich nach der Beschreibung des Kursinhalts im Arbeitsplan Frühjahr 1985 der VHS "an alle, die daran Interesse haben". Er sollte als Wochenendseminar vom 1. März bis zum 3. März 1985 sowie vom 8. März bis zum 10. März 1985 geführt werden.

2

Der Kurs begann mit siebzehn Teilnehmern, unter ihnen der Kläger, am Abend des 1. März 1985. Am Nachmittag des 2. März 1985 brach der Kursleiter den Kurs wegen des Verhaltens des Klägers an dem vorgesehenen Veranstaltungsort ab. Anschließend trafen sich die Teilnehmer ohne den Kläger in einer Privatwohnung. Die Gründe für den Abbruch ergaben sich aus einer von zwölf Teilnehmern unterschriebenen Stellungnahme vom 3. März 1985. Die Teilnehmer erklärten, sie fühlten sich durch den Kläger so erheblich gestört, daß sie den Kurs verlassen würden, wenn dieser weiter daran teilnehme. Wörtlich hieß es: "Die wesentliche Kritik richtet sich darauf, daß Herr ... es ablehnt, sich am Kursgeschehen zu beteiligten und sich darauf beschränkt, Notizen - auch über persönliche Gespräche und Mitteilungen - zu machen."

3

Mit Schreiben vom 6. März 1985 teilte der Leiter der VHS dem Kläger mit, daß der Kurs wegen seines Verhaltens ohne ihn weitergeführt werde. Die überwiesene Kursgebühr erhalte er zurück. Unter dem 8. März 1985 ordnete er die sofortige Vollziehung des Ausschlusses an. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Bescheid vom 25. März 1985, zugestellt am 27. März 1985, zurück. Sie führte aus, der Lernerfolg des Kurses sei durch das Verhalten des Klägers in Frage gestellt worden. Seine Weigerung, sich an den gemeinsamen praktischen Übungen zu beteiligten, sich mit dem Vornamen ansprechen zu lassen sowie sein Beharren darauf, sich während des Unterrichts ständig Notizen zu machen, hätten die übrigen Kursteilnehmer so gestört und gehemmt, daß eine erfolgreiche Arbeit nicht mehr möglich gewesen sei. Dies habe den Leiter der VHS aufgrund der von ihm ausgeübten Anstaltsgewalt berechtigt, den Kläger von der weiteren Kursteilnahme auszuschließen.

4

Mit der am 26 April 1985 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe sich aktiv und konstruktiv am Unterricht beteiligt. Es gehöre zu seinen unabdingbaren Persönlichkeitsrechten, während des Kurses mitschreiben zu dürfen. Die meisten Anwesenden, die die Erklärung vom 3. März 1985 unterschrieben hätten, seien keine ordnungsgemäß zugelassenen Kursteilnehmer gewesen, da sie die Kursgebühr nicht gezahlt hätten. Der Kursleiter sei pädagogisch unfähig gewesen und habe deshalb das Scheitern des Kurses zu verantworten. Vor dem Ausschluß sei er, der Kläger, nicht gehört worden.

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Der Kläger hat beantragt,

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festzustellen, daß sein Ausschluß durch die Beklagte vom Kurs Nr. 1250 zum Frühjahrsemester 1985 rechtswidrig gewesen ist.

7

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist dem Vorbringen des Klägers entgegengetreten.

10

Durch Urteil vom 2. Februar 1987 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Ausschlußverfügung des Leiters der VHS sei rechtmäßig. Von einer Anhörung des Klägers vor ihrem Erlaß habe abgesehen werden dürfen, um die Fortsetzung des Kurses am zweiten Wochenende nicht zu gefährden. Im übrigen habe sich der Kläger während des Widerspruchsverfahrens äußern können. Das Teilnahmerecht des Klägers sei durch den Grundsatz der Gemeinverträglichkeit begrenzt. Sein Verhalten, wie es sich aus der Eingabe von zwölf Kursteilnehmern ergebe, habe den Kurserfolg in Frage gestellt. Ob diese sämtlich die Kursgebühr gezahlt hätten, sei in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Wenn der Kläger nicht bereit gewesen sei, sich dem Kursgeschehen anzupassen, habe er als Störer ausgeschlossen werden dürfen.

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Mit der gegen das ihm am 1. April 1987 zugestellte Urteil eingelegten Berufung, die am 30. April 1987 bei Gericht eingegangen ist, wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend führt er aus: Er habe ein Rechtsschutzbedürfnis an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ausschlusses. Er wolle seine Rehabilitierung erreichen und sehe sich außerdem der Gefahr ausgesetzt, wegen seines Verhaltens auch künftig von der Teilnahme an entsprechenden Kursen ausgeschlossen zu werden. Neben der unterlassenen Anhörung führe auch die Befangenheit des Leiters der VHS zur Rechtswidrigkeit des Ausschlusses. Dieser habe wegen früherer Auseinandersetzung im Rahmen der VHS ein gestörtes Verhältnis zu ihm. In materiell-rechtlicher Hinsicht sei der Ausschluß bereits deshalb rechtswidrig, weil es für ihn an einer hinreichenden Rechtsgrundlage fehle. Er sei als Bürger der Beklagten berechtigt, an Kursen der VHS teilzunehmen. Sein Ziel sei, sich weiterzubilden. In den schriftlichen Teilnahmebedingungen sei er nicht darauf hingewiesen worden, daß er nicht mitschreiben dürfe und sich duzen lasse müsse. Beides könne von ihm nicht verlangt werden. Das Mitschreiben entlaste sein Gedächtnis. Sein Antrag, das Duzen zu unterlassen, sei im Kurs ohne Begründung abgelehnt worden. In beidem liege ein unzulässiger Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte, die ihn berechtigten, Art und Weise seiner Teilnahme selbst zu bestimmen. Die Stellungnahme der Teilnehmer vom 3. März 1985 sei vom Kursleiter entworfen und durchgesetzt worden. Dieser habe von vornherein beabsichtigt, ihn aus dem Kurs zu drängen.

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Der Kläger beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klagantrag zu erkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Es bestehe kein Grund, die unparteiliche Amtsführung des Leiters der VHS anzuzweifeln. Der Kläger habe diesen Gesichtspunkt erst im Berufungsverfahren eingebracht, deshalb habe eine Mitteilungspflicht des Leiters nicht bestanden. Da der Kläger nicht bereit gewesen sei, sein Verhalten zu ändern, habe keine andere Möglichkeit bestanden, als ihn von der weiteren Kursteilnahme auszuschließen.

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Die Verwaltungsvorgänge haben vorgelegen und sind in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

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II.

Die Berufung ist nicht begründet.

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1. Die Klage ist zulässig.

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Für sie ist der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 VwGO) gegeben, da ihr eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit zugrunde liegt. Die VHS ist, wie sich aus § 1 der hier maßgebenden Fassung ihrer Satzung vom 28. Juni 1977 ergibt, eine öffentliche Einrichtung der Beklagten im Sinne von § 18 Abs. 1 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein (GO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. November 1977 (GOVBl. S. 410). Über die Teilnahme an den Veranstaltungen entscheidet sie nach der Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses in den Formen des öffentlichen Rechts. Dies ergibt sich vor allem daraus, daß sie die Zulassung zu den Veranstaltungen von der Zahlung eines Entgelts abhängig macht, daß nach der aufgrund von § 10 der Satzung erlassenen Entgeltordnung vom 14. Dezember 1984 erhoben wird. Daraus wird deutlich, daß das Teilnehmerverhältnis insgesamt dem öffentlichen Recht unterliegt (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30. 10. 1986, NVwZ 1987, 701).

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Für den vom Kläger gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) besteht auch ein berechtigtes Feststellungsinteresse. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, daß er auch künftig an Rhetorikkursen teilnehmen wolle, die von der VHS der Beklagten angeboten würden. Für ihn ist deshalb ein schutzwürdiges rechtliches Interesse an der Feststellung zu erkennen, ob sein Ausschluß von der weiteren Teilnahme am Kurs Nr. 1250 rechtmäßig war. Es ist zu befürchten, daß er erneut von der Kursteilnahme ausgeschlossen wird, wenn er bei seinem bisherigen Verhalten bleibt. Ob er daneben ein Rehabilitierungsinteresse hat, mag zweifelhaft sein, kann aber dahingestellt bleiben.

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2. In der Sache kann die Klage in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg haben, da die angefochtenen Bescheide des Leiters der VHS der Beklagten vom 6. März 1985 sowie der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 25. März 1985 rechtmäßig sind.

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Der Leiter der VHS der Beklagten durfte den Ausschluß des Klägers von der weiteren Teilnahme am Kurs Nr. 1250 auf die ihm eingeräumte Anstaltsgewalt stützen. Hierbei handelt es sich um eine Regelungsbefugnis, die durch den Zweck der öffentlichen Einrichtung begründet wird, um deren Funktionsfähigkeit zu gewährleisten (vgl. hierzu z.B. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl., 1987, § 99 RN 3, 26; a.A. Fischedick, Die Wahl der Benutzungsform kommunaler Einrichtungen, 1986, S. 98). Diese allgemeine Ermächtigung umfaßt auch den Ausschluß von Teilnehmern von den Veranstaltungen der VHS, wenn dies erforderlich ist, um die ordnungsgemäße Durchführung der Veranstaltungen zu sichern. Anderenfalls könnte die VHS der Beklagten die ihr nach § 2 der Satzung obliegenden Aufgaben nicht erfüllen.

24

Durch die Mitteilung vom 6. März 1985 hat der Leiter der VHS das Teilnehmerverhältnis des Klägers mit sofortiger Wirkung beendet. Darin liegt ein auf § 117 Abs. 2 Nr. 3 LVwG gestützter Widerruf der Zulassung zum Kurs Nr. 1250, der sich für den Kläger als belastender Verwaltungsakt darstellt. Einer vorherigen Anhörung des Klägers bedurfte es nicht, da wegen der beabsichtigten Fortsetzung des Kurses am 8. März 1985 eine sofortige Entscheidung über den weiteren Verbleib des Klägers im Kurs unumgänglich war (§ 87 Abs. 2 Nr. 1 LVwG). Konkrete Gründe für eine Befangenheit des Leiters der VHS der Beklagten sind nicht ersichtlich. Für die Einleitung des Verfahrens nach § 81 a LVwG vor der Entscheidung über den Widerruf der Zulassung des Klägers bestand für den Leiter der VHS kein Anlaß, da der Kläger die Befangenheitsgründe erst im Berufungsverfahren vorgebracht hat.

25

Der Leiter der VHS hat nicht ermessensfehlerhaft gehandelt, wenn er die Kurszulassung des Klägers aufgrund von § 117 Abs. 2 Nr. 3 LVwG widerrufen hat. Die weitere Teilnahme des Klägers hätte, wie die Reaktion eines erheblichen Teils der übrigen Teilnehmer auf das Verhalten des Klägers zeigt, zu einem Auseinanderbrechen des Kurses geführt. Dem durfte der Leiter der VHS im öffentlichen Interesse entgegenwirken.

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Über die organisatorische und inhaltliche Gestaltung der Kurse der VHS bestimmt nach § 4 Abs. 1 der Satzung der jeweilige Kursleiter. Er genießt im Rahmen von Recht und Gesetz pädagogische Gestaltungsfreiheit. Hierzu gehört, daß er den äußeren Ablauf des Kurses regelt. Dies kann er in Abstimmung mit den Kursteilnehmern tun. In diesem Fall ist er nicht verpflichtet, allen Wünschen der Teilnehmer Rechnung zu tragen, sondern entscheidet, wenn sich keine Einigung erreichen läßt, nach seinem pädagogischen Konzept. Ein Teilnehmer, der hiermit nicht einverstanden ist, hat allein die Möglichkeit, den Kurs zu verlassen.

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Die Entscheidung des Leiters des Kurses Nr. 1250, daß die Teilnehmer während des Kurses nicht mitschreiben und daß sie sich duzen, hält sich im Rahmen seiner pädagogischen Gestaltungsfreiheit. Maßgebend hierfür ist die besondere Art des Kurses. Bei einem Rhetorikkurs, um den es hier allein geht, ist der Kursleiter auf eine möglichst spontane und ungehemmte Mitarbeit der Teilnehmer angewiesen, um das Lernziel zu erreichen. Dies gilt in besonderem Maße für einen Anfängerkurs, um den es sich bei dem Kurs Nr. 1250 nach der Beschreibung des Kursinhalts im Arbeitsplan der VHS der Beklagten handelte. Hierzu konnten die von dem Kursleiter getroffenen Regelungen beitragen. Wenn der Kläger unstreitig aus prinzipiellen Erwägungen nicht bereit war, sie zu beachten und beharrlich auf eigenen Teilnahmebedingungen bestand, war die ungestörte Weiterführung des Kurses bereits aus diesem Grunde nicht mehr gewährleistet. Auf alle sonstigen vorgetragenen Gründe kommt es deshalb nicht mehr an. Dies gilt umso mehr, als der Kläger den übrigen Teilnehmern weit überlegen war, da er früher selbst Rhetorikkurse an der VHS der Beklagten geleitet hatte. Wenn er von der VHS gleichwohl als Teilnehmer zugelassen worden war, so mußte er sich in besonderem Maße kontrollieren und zurückhalten, um zu verhindern, daß sich bei den übrigen Teilnehmern ihm gegenüber unüberwindbare Hemmungen aufbauten. Sein Ausschluß von der weiteren Kursteilnahme war auch nicht unverhältnismäßig. Da er nicht bereit war, sein Verhalten anzupassen, blieb angesichts der Beharrlichkeit seines Vorgehens und der kurzen verbleibenden Kursdauer für den Leiter der VHS keine andere Möglichkeit, als ihn vom Kurs auszuschließen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 Abs. 1 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

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Die Revision ist nicht zuzulassen, da einer der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben ist.

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Dr. Jank

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Dr. Heidelmann

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Dr. Greve