Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 22.03.2007, Az.: L 8 SO 28/07

Gewährung von Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) unter Anrechnung einer Sonderleistung; Begriff des Einkommens nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG)

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.03.2007
Aktenzeichen
L 8 SO 28/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 30434
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0322.L8SO28.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 28.09.2006 - AZ: S 20 SO 178/05

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 28. September 2006 aufgehoben sowie die Bescheide der Beklagten vom 14. und 20. Dezember 2004 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2005 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Monat Dezember 2004 Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - ohne Anrechnung des für den Monat Januar 2005 gezahlten Arbeitslosengeldes II zu gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt für den Monat Dezember 2004 Leistungen der Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - ohne Anrechnung des für den Januar 2005 bestimmten Arbeitslosengeldes II (Alg II), welches am 30. Dezember 2004 auf sein Girokonto überwiesen worden war.

2

Der im Juni 1963 geborene Kläger erhielt im Jahr 2004 aufgrund des Bezuges von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und einer Erwerbsminderungsrente keine laufenden Leistungen der Sozialhilfe, sondern einmalige Beihilfen. Für den Monat Dezember 2004 beantragte der Kläger die laufende Zahlung von Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - sowie als einmalige Beihilfe einen Betrag für die Anschaffung einer Matratze (60,00 EUR) und eines Staubsaugers (50,00 EUR). Mit Bescheid vom 14. Dezember 2004 wurde die Leistungsgewährung wegen der begehrten laufenden Hilfe abgelehnt, da das anzurechnende Einkommen - Erwerbsminderungsrente und Alhi - den sozialhilferechtlichen Bedarf übersteige. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2004 wurde eine einmalige Beihilfe in Höhe von 8,61 EUR bewilligt; wegen des Einkommensüberhanges von 101,39 EUR könne kein höherer Betrag für die Matratze (60,00 EUR) und den Staubsauger (50,00 EUR) bewilligt werden. Der Kläger legte Widerspruch mit der Begründung ein, dass die Beklagte die Alhi mit einem zu hohen Betrag berücksichtigt habe. Die Alhi für den Monat Dezember habe nicht 464,38 EUR, sondern 339,14 EUR betragen. Danach errechne sich ein wenn auch geringer Zahlbetrag für den Monat Dezember 2004; die Beihilfe müsse in vollem Umfang ausgezahlt werden, da ein Einkommensüberhang nicht bestehe.

3

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2005 wurde der Widerspruch gegen die Bescheide vom 14. und 20. Dezember 2004 als unbegründet zurückgewiesen. Darin wurde anerkannt, dass die Alhi für den Monat Dezember tatsächlich nur 339,14 EUR betragen habe. Doch müsse berücksichtigt werden, dass dem Kläger das Alg II in Höhe von 500,20 EUR bereits am 30. Dezember 2004 überwiesen worden sei. Dieser Einkommenszufluss im Monat Dezember müsse als Einkommen für den Monat Dezember berücksichtigt werden. Daraus errechne sich nach wie vor ein Einkommensüberhang, was zugleich dazu führe, dass keine höhere Beihilfe gewährt werden könne.

4

Der Kläger hat am 20. Juni 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben. Er hat vorgetragen, dass das Alg II für Januar 2005 gezahlt worden sei. Deshalb dürfe es nicht im Dezember 2004 angerechnet werden. Ohne Berücksichtigung des Alg II errechne sich für den Monat Dezember 2004 ein restlicher Bedarf von 23,75 EUR. Die einmalige Beihilfe müsse in vollem Umfang ausgezahlt werden, da ein Einkommensüberhang nicht mehr bestehe. Die Beklagte hat erwidert, dass der im Dezember erfolgte Einkommenszufluss nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) auch in diesem Monat als Einkommen bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28. September 2006 abgewiesen und ist der Begründung der Beklagten gefolgt. Die Berufung wurde nicht zugelassen. Das Urteil wurde dem Kläger am 26. Oktober 2006 zugestellt.

5

Der Kläger hat am 22. November 2006 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Der Senat hat mit Beschluss vom 25. Januar 2007 die Berufung gegen das Urteil des SG Braunschweig vom 28. September 2006 zugelassen. Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt. Der Kläger bezieht sich auf seine bisherige Begründung.

6

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 28. September 2006 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 14. und 20. Dezember 2004 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2005 zu ändern,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm - dem Kläger - Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - für den Monat Dezember 2004 ohne Anrechnung des für den Januar 2005 gezahlten Arbeitslosengeld II zu gewähren.

7

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

8

Sie trägt vor, dass nach der Rechtsprechung des BVerwG auf den Zeitpunkt des Einkommenszuflusses abzustellen sei. Auch Einkommen, welches erst am Monatsende zufließe, müsse als Einkommen dieses Kalendermonates berücksichtigt werden und damit auch das Ende Dezember 2004 überwiesene Alg II.

9

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiese, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.

Entscheidungsgründe

10

Nach der Zulassungsentscheidung des Senats ist die Berufung zulässig. Die Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die Zahlung der Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - für den Monat Dezember ohne Anrechnung des Ende Dezember 2004 gezahlten Alg II.

11

Der Kläger war im Monat Dezember 2004 anspruchsberechtigt für ergänzende Leistungen der Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt. Sein vorhandenes Einkommen und Vermögen reichten zur Bestreitung seines Lebensunterhalts aus eigenen Kräften und Mitteln nicht aus. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) waren daher erfüllt. Das gilt auch hinsichtlich der einmaligen Leistungen für die Anschaffung einer Matratze und eines Staubsaugers, § 21 Abs. 1a Nr. 6 BSHG. Die Beklagte hat - nach eigener Prüfung - die Notwendigkeit der Anschaffung dieser Gebrauchsgüter festgestellt auch hinsichtlich der Höhe der fraglichen Geldbeträge. Daher war eine richterliche Überprüfung insoweit nicht mehr angezeigt.

12

Entscheidungserheblich ist allein, ob das dem Kläger am 30. Dezember 2004 zugeflossene Alg II als Einkommen für den Monat Dezember 2004 anzurechnen ist. Diese Frage ist zu verneinen. Zwar entspricht es der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 22. April 2004 - 5 C 68/03 - BVerwGE 120, 339 = FEVS 56, 485) alles das, was der Hilfesuchende im jeweiligen Monat wertmäßig dazu erhält, auch in diesen Monat anzurechnen, wie dies aus § 76 Abs. 1 BSHG folge. Diese Rechtsprechung betrifft aber andere Fallgestaltungen als die vorliegende. Denn das Alg II war zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für Januar 2005 bestimmt, wie sich dies aus dem Bewilligungsbescheid der ARGE I. vom 30. November 2004 ergibt, wonach die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ab dem 1. Januar 2005 bewilligt worden waren. Derartige zweckbestimmte Leistungen dürfen nicht auf die Sozialhilfe des davor liegenden Monats angerechnet werden, auch wenn sie noch Ende des Monats Dezember an den Kläger ausgezahlt worden sind. Würde tatsächlich eine Anrechnung im Vormonat erfolgen, könnte dies dazu führen, dass der Antragsteller in dem Monat, für den die Leistungen gedacht sind - Januar 2005 , ohne Geldleistungen dasteht.

13

Daher ist die Vorschrift des § 76 Abs. 1 BSHG entsprechend heranzuziehen, so dass das streitbefangene Alg II nicht als Einkommen bedarfsmindernd berücksichtigt werden darf. Nach § 76 Abs. 1 BSHG gehören zum Einkommen i.S. des BSHG alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem BSHG. Das Alg II ist in entsprechender Anwendung des § 76 Abs. 1 BSHG als eine nicht anrechenbare Leistung dieses Gesetztes anzusehen. Denn ebenso wie die Sozialhilfe dient das erst zum 1. Januar 2005 eingeführte Alg II der Bestreitung des Lebensunterhalts der Hilfebedürftigen. Es war damit nach Außerkrafttreten des BSHG gleichsam die Fortsetzung der Sozialhilfe mit anderen gesetzlichen Regelungen - hier dem SGB II -, welches Grundlage für die Bewilligung des Alg II ab 1. Januar 2005 ist. Würde diese Leistung - wie hier geschehen - auf die Sozialhilfe angerechnet, führte dies zum - teilweisen - Wegfall der für den notwendigen Lebensunterhalt gedachten Leistungen.

14

Hieraus folgt, dass der Kläger Anspruch auf Sozialhilfe - ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt - für den Monat Dezember 2004 ohne Berücksichtigung des Alg II hat und die im Bescheid vom 20. Dezember 2004 bereits bewilligte teilweise Beihilfe auf den Betrag von 110,00 EUR aufgestockt werden muss, da ein Einkommensüberhang im Monat Dezember 2004 nicht mehr vorhanden ist.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da der Kläger obsiegt, trägt die Beklagte seine notwendigen außergerichtlichen Kosten.

16

Gerichtskosten werden in Verfahren dieser Art nicht erhoben.

17

Die Revision bedarf der Zulassung (§ 160 SGG). Diese ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von höchstrichterlichen Entscheidungen abweicht.