Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 27.03.2007, Az.: L 9 AS 137/07 ER
Anspruch auf Gewährung von unterhaltssichernden Leistungen für die Erneuerung eines Ölbrenners in einem Eigenheim; Bewegliches System von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgrund des funktionalen Zusammenhangs; Zuzählung aller Erhaltungsaufwendungen zu den Kosten der sich als Wohneigentum darstellenden Unterkunft; Qualifizieren einer Ölbrennererneuerung als ein zu den Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) verpflichtenden Erhaltungsaufwand
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.03.2007
- Aktenzeichen
- L 9 AS 137/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 49831
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0327.L9AS137.07ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 09.01.2007 - AZ: S 36 AS 1507/06 ER
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 S. 2 SGG
- § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. Januar 2007 wird aufgehoben.
Der Beschwerdegegner wird im Wege einstweiliger Anordnung unter dem Vorbehalt des Ausgangs der Hauptsache vorläufig verpflichtet, den Beschwerdeführern 950,93 Euro zur Erneuerung des Ölbrenners in deren Wohnhaus E. auszuzahlen.
Den Beschwerdeführern wird aufgegeben, die Verwendung der 950,93 Euro für die Brennererneuerung dem Beschwerdegegner gegenüber bis zum 31. Mai 2007 durch quittierte Rechung der beauftragten Fachfirma nachzuweisen. Ein bis zum 31. Mai 2007 nicht zweckentsprechend verbrauchter Überschuss ist dem Beschwerdegegner sofort zurückzuzahlen.
Die Entscheidung darüber, ob die Beschwerdeführer den bis zum 31. Mai 2007 zur Brennererneuerung verausgabten Betrag zurückzuzahlen haben, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Der Beschwerdegegner hat die außergerichtlichen notwendigen Kosten der Beschwerdeführer zu tragen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen für die Erneuerung eines Ölbrenners im Eigenheim der Beschwerdeführer.
Die Beschwerdeführer stehen bei dem Beschwerdegegner im Bezug unterhaltssichernder Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Am 11. Dezember 2006 haben die Beschwerdeführer bei dem Sozialgericht Hildesheim zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beantragt, den Beschwerdegegner im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig zu verpflichten, die Kosten für einen Austausch des defekten Brenners ihrer Heizungsanlage zu übernehmen. Seit März 2006 sei die Heizung defekt und nach dem Urteil des örtlichen Heizungsfachbetriebes der Brenner erneuerungsbedürftig. Der Beschwerdegegner, der um die Situation wisse, verzögere die Angelegenheit. Der anbrechende Winter lasse jedoch keinen weiteren Aufschub der Reparatur mehr zu.
Mit Beschluss vom 9. Januar 2007 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es sinngemäß ausgeführt, die vollständige Erneuerung des Ölbrenners sprenge mit ihren (seinerzeit) veranschlagten Kosten von 896,78 Euro den Rahmen einer Erhaltungsmaßnahme. Zudem bestünden Zweifel, ob nach neun Monaten, in denen die Beschwerdeführer zurechtgekommen seien, von der Dringlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung ausgegangen werden könne.
Mit ihrer am 12. Februar 2007 eingelegten Beschwerde verfolgen die Beschwerdeführer ihr Begehren weiter. Sie machen ergänzende Ausführungen zur Erforderlichkeit und den Kosten des Brenneraustauschs.
Der Beschwerdeführer tritt der Beschwerde entgegen und weist darauf hin, dass den Beschwerdeführern bereits am 1. März 2007 die darlehensweise Gewährung der Kosten zugesagt worden sei. Hierzu biete er den Abschluss eines Darlehensvertrages an.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b Rdnrn. 27 und 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05).
In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen.
Die Beschwerdeführer verfolgen in dem beim Sozialgericht Hildesheim zum Aktenzeichen S 33 AS 805/06 anhängigen Verfahren der Hauptsache in erster Linie einen Anspruch darauf, dass ihnen die Kosten für eine Erneuerung des Brenners ihrer Ölheizung ohne Rückzahlungsverpflichtung ihrerseits, d.h. im Sinne einer endgültigen Zuwendung, gewährt werden. Als Anspruchsgrundlage für ein solches Begehren kommt § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Betracht. Danach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Zu den Kosten der Unterkunft werden, wenn sie in einem Wohneigentum besteht, nach einhelliger Auffassung auch alle Erhaltungsaufwendungen gezählt (vgl. Lang in Eicher/Spellbrink, AGB II, § 22 Rdnr. 26; Berlit in Münder, LPK-SGB II, 2. Aufl. 2006, § 22 Rdnr. 22). Keine Kosten der Unterkunft sind demgegenüber wertsteigernde Erneuerungen (Berlit, a.a.O.). Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren wird demgemäß wesentlich von der Beantwortung der Frage abhängen, ob die Erneuerung des Brenners eine Erhaltungsaufwendung ("Reparatur") oder eine wertsteigernde Erneuerung ("Renovierung") darstellt. Der Senat neigt insoweit zu der Auffassung, dass die bloße Höhe der Kosten einer Maßnahme eine zutreffende Einordnung nicht ermöglicht; denn es sind ohne weiteres, etwa nach Unglücksfällen, kostenaufwendige Reparaturmaßnahmen an Immobilien vorstellbar, die sich darauf beschränken, den vorherigen Zustand wiederherzustellen, so dass eine messbare Wertsteigerung nicht eintritt (z.B. Trockenlegung und Neuverputz eines überfluteten Kellers, Erneuerung zerbrochener Glasscheiben in bisheriger Ausführung). Eher dürfte es grundsätzlich auf das Ziel der Maßnahme ankommen, nämlich darauf, ob sie der Erhaltung oder Wiederherstellung der Wohnung in ihrer bisherigen Substanz oder aber der Schaffung eines neuen, verbesserten Zustandes dient. Hierbei bereitet allerdings gerade die Einordnung solcher Maßnahmen Schwierigkeiten, bei denen die Erforderlichkeit einer Reparatur zugleich den Anlass für eine Modernisierung gibt (z.B. der Ersatz zerbrochenen Einscheibenglases durch eine wärmedämmende Verglasung). Kriterium für eine sachgerechte Beurteilung kann in einem solchen Fall etwa die Beantwortung der Frage sein, ob sich die Reparatur überhaupt auf eine bloße Wiederherstellung des bisherigen Zustandes beschränken kann, so dass es sich bei einer darüber hinausgehenden Verbesserung um eine zusätzliche, gewillkürte Maßnahme handelt, oder ob die erforderliche Reparatur zugleich zu einer Verbesserung nötigt, weil etwa Rechtsnormen für das Reparaturergebnis eine bestimmte Beschaffenheit vorschreiben oder Bauteile der bisher verwendeten Art nicht mehr marktgängig sind. Der Senat neigt auf der Grundlage dieser vorläufigen, noch näherer Klärung im Hauptsacheverfahren bedürftigen Überlegungen dazu, #den Brenneraustausch im Fall der Beschwerdeführer als Erhaltungsaufwand zu qualifizieren, für den der Beschwerdegegner Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erbringen hat (so für die Erneuerung eines Brenners auch Berlit, a.a.O., § 22 Rdnr. 22 unter Hinweis auf VG Leipzig, Urt. v. 15.11.2005, Az. S 9 AS 855/05 ER). Die geplante Reparaturmaßnahme greift nämlich über den Ersatz des tatsächlich defekten Teils der Heizungsanlage nicht hinaus und hat eine Verbesserung des vorbestehenden Zustandes nach dem bisherigen Sach- und Streitstand lediglich insoweit zur Folge, als der einzubauende Brenner allein schon wegen seines jüngeren Produktionsdatums einen aktuelleren technischen Standard aufweist als das defekte Gerät. Ein Obsiegen der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Klageverfahren ist damit jedenfalls im Sinne einer guten, wenn nicht überwiegenden Möglichkeit in Betracht zu ziehen.
Vor diesem Hintergrund ist die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen, weil den Beschwerdeführern ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten ist und überdies ein wesentliches Interesse des Beschwerdegegners, mit der Auszahlung der erforderlichen Reparaturkosten abzuwarten, nicht besteht (Anordnungsgrund). Das vorliegende Verfahren zeichnet sich insoweit durch die Besonderheit aus, dass der Beschwerdegegner den Beschwerdeführern ausdrücklich die Gewährung eines Darlehens in Höhe der beim Brenneraustausch anfallenden Kosten angeboten hat. Zu einem Wegfall des Interesses der Beschwerdeführer an einer vorläufigen gerichtlichen Regelung hat dieses Angebot nicht geführt, weil der Beschwerdegegner die Darlehensgewährung vom Abschluss eines Darlehensvertrages abhängig macht, mit dessen Unterzeichnung die Beschwerdeführer einen etwaigen Anspruch auf endgültige Kostenübernahme nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II verlieren würden. Hierauf einzugehen, kann den Beschwerdeführern prozessual schon deshalb nicht angesonnen werden, weil ihr Interesse an einer gerichtlichen Klärung ihrer weitergehenden Rechtsposition durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützt wird. Andererseits nötigt das wiederholte Darlehensangebot des Beschwerdegegners zu dem Schluss, dass auch er den Brennertausch für erforderlich und die veranschlagten Kosten für angemessen hält und gegen eine sofortige Auszahlung des hierfür veranschlagten Geldbetrages offenbar keine grundsätzlichen Bedenken hat. Sein mit der Bedingung eines Vertragsschlusses verknüpftes Interesse kann sich hiernach lediglich darauf richten, eine kurzfristige außergerichtliche Klärung der Rechtslage dahingehend herbeizuführen, dass es sich bei der angebotenen Zurverfügungstellung der Kosten für den Brenneraustausch um die Auszahlung eines rückzahlbaren Darlehens handelt. Dieses Interesse des Beschwerdegegners kann indessen mit Rücksicht auf die vorerwähnte Garantie effektiven Rechtsschutzes, auf die sich die Beschwerdeführer bei der Verfolgung ihres Begehrens berufen können, eine nicht rückzahlbaren Zuwendung zu erhalten, kein erhebliches Gewicht beanspruchen. Hiernach gibt den Ausschlag, dass den Beschwerdeführern ein weiteres Hinausschieben der Heizungsreparatur bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar ist, da nach ihrem glaubhaften Vortrag die defekte Heizungsanlage nicht nur der Beheizung des Hauses, sondern auch der Warmwasserbereitung dient. Schon deshalb ist es für die Dringlichkeit einer Reparatur ohne Belang, dass sich die Heizperiode 2006/2007 zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ihrem Ende zuneigt. Allein die fehlende Versorgung mit fließendem Warmwasser schränkt die Haushaltsführung und - vor allem - die persönliche Hygiene so deutlich ein, dass dieser Zustand von den Beschwerdeführern auf längere Sicht schlechthin nicht hingenommen werden muss.
Der Beschwerdegegner ist hiernach im Wege einstweiliger Anordnung zur Auszahlung der zuletzt veranschlagten Kosten für den Brenneraustausch in Höhe von 950,93 Euro zu verpflichten. Die Verpflichtung der Beschwerdeführer, diesen Betrag bis zum 31. Mai 2007 zweckentsprechend zu verausgaben, dies dem Beschwerdegegner gegenüber durch Rechnungslegung nachzuweisen und nicht verausgabte (Teil-) Beträge sogleich zurückzuzahlen, stellt eine den Regelungszweck sichernde Maßgabeentscheidung dar und ist als solche im Anordnungsverfahren zulässig. Eine weitergehende Entscheidung darüber, ob die Beschwerdeführer den bis zum 31. Mai 2007 zweckentsprechend verausgabten Betrag zurückzuzahlen haben, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Dies folgt, soweit der Senat einen Anspruch der Beschwerdeführer nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf endgültige Übernahme des Erhaltungsaufwandes für ihr Wohneigentum als wahrscheinlich in Betracht zieht, bereits aus dem Vorrang des Hauptsacheverfahrens. Hinsichtlich eines demgegenüber nachrangigen Anspruchs auf Darlehensgewährung bedarf es hiernach im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes ebenfalls keiner Entscheidung, weil ein solcher Anspruch von den Beschwerdeführern nur hilfsweise verfolgt wird und deshalb nur unter der Voraussetzung zur Entscheidung steht, dass sich der hauptsächlich verfolgte Anspruch auf Bezuschussung im Hauptsacheverfahren als unbegründet erweist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.