Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 26.11.2009, Az.: 7 A 3124/09

Rechtmäßigkeit einer den Veranstaltern des Maschseefestes im Sommer 2009 erteilten straßenrechtlichen Erlaubnis zum Einsatz elektroakustischer Verstärkeranlagen auf einer bestimmten Bühne; Abwehranspruch gegen Immissionen lediglich durch einen Dritten mit einer behördlichen Erlaubnis zum Hervorrufen von Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft und nicht durch hoheitlich betriebene Anlagen; Bestimmung der Erheblichkeit von Geräuschbelästigungen und damit ihrer Zumutbarkeit auch anhand der Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit, sozialen Adäquanz und der allgemeinen Akzeptanz

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
26.11.2009
Aktenzeichen
7 A 3124/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 29800
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2009:1126.7A3124.09.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Es besteht unbestritten ein Anspruch auf Abwehr von Immissionen einer hoheitlich betriebenen Anlage, wenn die Einrichtung Immissionen hervorruft, die die Gesundheit schädigen oder schwer und unerträglich in das Eigentum eingreifen.

  2. 2.

    Es ist nicht erheblich, ob Geräusche durch Einsatz einer elektroakustischen Verstärkeranlage erzeugt werden, sondern ob diese Geräuschimmissionen nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen.

  3. 3.

    Die Anwendung der TA Lärm schließt als Entscheidungshilfe einen effektiven Schutz der immissionsschutzrechtlichen Nachbarrechte des Klägers nicht aus.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die straßenrechtliche Erlaubnis, die die Beklagte dem Beigeladenen als Veranstalter des Maschseefestes im Sommer 2009 erteilt hatte, in Teilen rechtswidrig gewesen ist.

2

Der Kläger bewohnt als Mieter eine Dachgeschosswohnung in dem Gebäude {E.} {F.} im Gebiet der Beklagten. Die Entfernung zwischen diesem Gebäude und der am Südufer des Maschsees für Live- Musik-Darbietungen während des Maschseefestes 2009 errichteten Bühne "Irisches Dorf/Temple- Bar" - eine von insgesamt 5 Bühnen, die während dieses Festes bespielt worden sind -, betrug ca. 300 m Luftlinie. Das Grundstück {E.} {F.} liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 606, der den gesamten Planbereich als allgemeines Wohngebiet festsetzt.

3

Mit Bescheid vom 14. Juli 2009 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen die Erlaubnis nach § 29 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und aufgrund ihrer "Satzung über die Sondernutzung an Ortsstraßen und Ortsdurchfahrten", vom 29. Juli bis zum 16. August 2009 die Veranstaltung "Maschseefest 2009" durchzuführen. Hierzu wurden Aufbauten für Musik-, Tanz- und Theaterdarbietungen im Uferbereich bzw. auf den Gehwegen am Maschsee genehmigt. Nach Ziffer 4. "Lärmschutzauflagen" war der Einsatz und Betrieb elektroakustischer Verstärkeranlagen (u.a.) an der Spielstätte für Live-Musik "Irisches Dorf/Temple-Bar" am Südufer zugelassen.

4

Unter 4.3 hieß es: "Da das Maschseefest mit rund 2,5 Millionen Besuchern eines der größten Volksfeste im norddeutschen Raum und damit ein Ereignis von erheblichem überregionalen und gesamtstädtischen Interesse ist, kann der Veranstalter hinsichtlich der einzuhaltenden Immissionsrichtwerte an folgenden Tagen gemäß Nds. Freizeitlärmrichtlinie i.V.m. TA Lärm von einer von 22 Uhr auf 23 Uhr hinausgeschobenen Nachtzeit Gebrauch machen: Mittwoch 29. Juli, Freitag 31. Juli, Sonnabend 01. August, Sonntag 02. August, Mittwoch 05. August, Freitag 07. August, Sonnabend 08. August, Sonntag 09. August, Mittwoch 12. August, Freitag 14. August, Sonnabend 15. August und Sonntag 16. August. Ausnahme: An den Tagen 02. August, 09. August und 16. August ist die Bühne "Irisches Dorf/Temple-Bar" davon ausgenommen, an diesen Tagen endet der Betrieb mit Livemusik um 22 Uhr. Die Dauer der Nachtruhe von acht Stunden bleibt unberührt. Eine herausgezogene Nachtruhe ist montags, dienstags und donnerstags nicht möglich." Ziffer 4.4 lautete: "An den Tagen mit herausgezogener Nachtruhe sind elektroakustische Musikdarbietungen und Ansprachen von 10 Uhr bis max. 23 Uhr möglich, sonntags jedoch erst ab 11 Uhr bis max. 23 Uhr. An allen anderen Tagen sind elektroakustische Musikdarbietungen und Ansprachen bis max. 22 Uhr zulässig. Bei allen Musikdarbietungen sind stets angemessene Pausen einzulegen."

5

Weiter war geregelt, dass sich die Beigeladene verpflichte, eine nach §§ 26, 28 des Bundes- Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) zugelassene Messstelle zu beauftragen; durch begleitende Messungen sei sicherzustellen, dass die Immissionsrichtwerte in den angrenzenden Wohngebieten nicht überschritten würden. Von allen Messungen seien Protokolle anzufertigen, die der Beklagten jederzeit nach Aufforderung vorzulegen seien. Als Immissionspunkt sei u.a. die {E.} auf Höhe des Hauses Nr. {G.} zu berücksichtigen. Auf mögliche Beschwerden sei mit weiteren Messungen an den jeweiligen Immissionspunkten zu reagieren. Sollten Immissionswerte auch unter Ausnutzung technischer Möglichkeiten nicht eingehalten werden können, seien die Veranstaltung bzw. die Darbietung abzubrechen. An der Bühne "Irisches Dorf" werde die Beschallungslautstärke auf LAFTeq = 93 dB(A) (Taktmaximalpegel) in einer Entfernung von 20 m vor der Bühne begrenzt; das Bühnenhaus (mit Lautsprechertürmen) solle rückseitig mit einer schweren Folie abgehängt werden. Vor Veranstaltungsbeginn seien die Verstärkeranlagen der Spielstätten entsprechend einzupegeln. Ein Protokoll dieser Arbeiten sei ohne Aufforderung der Beklagten vorzulegen. Stelle sich während der Veranstaltung heraus, dass diese Pegel zur Einhaltung der TA Lärm an möglichen Immissionspunkten nicht ausreichend seien, behalte sich die Beklagte eine Neubewertung der jeweiligen Anlagen vor.

6

Die Beklagte hatte zuvor von der {H.} ein "Schalltechnisches Gutachten zur Bestimmung von Geräuschimmissionen durch Freizeitanlagen im Bereich Maschsee und Herrenhausen" eingeholt. Dieses Gutachten vom 23. Februar 2009 basierte auf einem numerischen Computer- Simulationsmodell. Soweit Ergebnisse von schalltechnischen Messungen vorgelegen hatten - wie z.B. für das Maschseefest aus dem Jahr 2008 - waren diese zur Beurteilung herangezogen worden. Die schalltechnische Beurteilung von Feuerwerken, auch in Zusammenhang mit den untersuchten Veranstaltungen, und von Sportanlagen war nicht Bestandteil der Begutachtung. Im Bereich Maschsee wurden Konzertveranstaltungen in der AWD-Arena und der Gilde-Parkbühne sowie das Maschseefest und das Schützen-, das Frühlings- und das Oktoberfest auf dem Schützenplatz untersucht. Die Berechnung ergab, dass an 4 in der {E.} gelegenen, in den Blick genommenen Gebäuden - von denen sich 3 näher an der streitgegenständlichen Bühne und eines weiter entfernt von dieser als das von dem Kläger (mit-)bewohnte Objekt befinden - der Immissionsrichtwert von 55 dB(A) mit Werten zwischen 52 und 54 dB(A) eingehalten würden.

7

Der Kläger hat am 07. August 2009 bei dem erkennenden Gericht Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen ausführt, nicht die Nds. Freizeitlärm-Richtlinie i.V.m. der TA Lärm sei als Richtschnur für die rechtliche Bewertung der von der Bühne "Temple Bar" auf ihn einwirkenden Geräusche heranzuziehen, sondern die Freizeitlärm-Richtlinie des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI) aus dem Jahre 1995 (LAI-Richtlinie). Danach sei für die Ruhezeiten 20 bis 22 Uhr ein Immissionsrichtwert von 50 dB(A) einzuhalten; dieser werde nach den Beurteilungspegeln, die in dem von der Beklagten vorgelegten schalltechnischen Gutachten festgestellt worden seien, deutlich überschritten. Ein Hinausschieben der Nachtzeit sehe die LAIRichtlinie nicht vor. Daher könnten die Überschreitungen der Immissionsrichtwerte nur durch die Heranziehung der Regelung in der LAI-Richtlinie über die Besonderheiten bei seltenen Störereignissen gerechtfertigt werden. Danach sei bei sog. seltenen Ereignissen eine Überschreitung der Richtwerte zulässig, allerdings an nicht mehr als 10 Tagen oder Nächten eines Kalenderjahres. Diese 10 seltenen Ereignisse seien - jedenfalls - an den ersten 10 Tagen des Maschseefestes 2009 "verbraucht" worden, so dass an den letzten 9 Tagen mit jeweiligem Beginn der Ruhezeit um 20 Uhr die in der LAI-Richtlinie festgelegten Immissionsrichtwerte von 50 dB(A) einzuhalten seien.

8

Auf Antrag des Klägers stellte die erkennende Kammer im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes mit Beschluss vom 12. August 2009 (7 B 3145/09) fest, dass die Klage aufschiebende Wirkung hatte, soweit darin die teilweise Aufhebung der dem Beigeladenen erteilten Erlaubnis für die Tage 12. bis 16. August 2009 begehrt worden war. Die Beklagte ordnete daraufhin die sofortige Vollziehung der streitgegenständlichen Erlaubnis an. Hiergegen ging der Kläger nicht gerichtlich vor.

9

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die dem Beigeladenen von der Beklagten am 14. Juli 2009 erteilte Erlaubnis für das Maschseefest 2009 insoweit rechtswidrig war, als diese Genehmigung im Zeitraum vom 08. bis 16. August 2009 den Einsatz elektroakustischer Verstärkeranlagen an der Bühne "Irisches Dorf/Temple-Bar" nach 20:00 Uhr gestattete,

10

hilfsweise,

  1. 1.

    festzustellen, dass die dem Beigeladenen von der Beklagten am 14. Juli 2009 erteilte Erlaubnis für das Maschseefest 2009 insoweit rechtswidrig war, als diese Genehmigung im Zeitraum vom 08. bis 16. August 2009 den Einsatz elektroakustischer Verstärkeranlagen an der Bühne "Irisches Dorf/Temple-Bar" in Abweichung von den für Allgemeine Wohngebiete maßgebenden Immissionsrichtwerten nach der unter dem 05. Mai 1995 vom Länderausschuss für Immissionsschutz verabschiedeten "Freizeitlärm-Richtlinie" gestattete,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Beklagte unter Aufhebung der dem Beigeladenen am 14. Juli 2009 erteilten Erlaubnis verpflichtet war, in dieser Erlaubnis anzuordnen, dass an der Bühne "Irisches Dorf/Temple-Bar" beim Einsatz elektroakustischer Verstärkeranlagen die für Allgemeine Wohngebiete maßgebenden Immissionsrichtwerte nach der am 05. Mai 1995 vom Länderausschuss für Immissionsschutz verabschiedeten "Freizeitlärm-Richtlinie" zu beachten sind.

11

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Sie führt aus, die von dem Kläger - ursprünglich - erhobene Anfechtungsklage sei unzulässig gewesen, weil die unter Ziffer 4. der streitgegenständlichen Erlaubnis enthaltenen Lärmschutzauflagen zu Gunsten des Klägers gewirkt hätten. Dem Kläger fehle es an der Klagebefugnis, weil er sich nicht auf eine drittschützende Norm berufen könne. Insbesondere§ 22 BImSchG räume ihm kein individuell wahrnehmbares Recht ein. Der Antragsteller habe als Drittbetroffener nicht das Recht, zwischen der vollständigen Anfechtung des zu Gunsten eines Anderen ergangenen Verwaltungsaktes und der Verpflichtungsklage auf Erlass einer Nebenbestimmung zu wählen; vielmehr sei er regelmäßig auf letztgenannte Klageart beschränkt. Die Klage sei auch unbegründet, denn die Immissionsrichtwerte der Nds. Freizeitlärm-Richtlinie i. V.m. der TA Lärm, die zutreffend angewandt worden sei, würden grundsätzlich eingehalten.

13

Die Beklagte hat einen ebenfalls von der {I.} erstellten "Bericht zur Schallimmissionsmessung während des Maschseefestes vom 29.07. bis zum 16.08.2009" vom 18. November 2009 vorgelegt.

14

Danach seien an den Tagen 29.07., 31.07., 01.08., 05.08. und 07.08.2009 auf dem Gehweg vor dem Gebäude {E.} {G.} - das näher als das streitbefangene Gebäude an der Bühne "Temple Bar" liegt - Beurteilungspegel von 56, 54, 54, 55 und 55 dB(A) sowie an den Tagen 08.08, 12.08., 14.08. und 15.08.2009 auf dem Fußweg nördlich des Wohngebäudes {E.} {J.} - das etwas weiter entfernt als streitbefangene Gebäude von der Bühne "Temple Bar" liegt -, wohin der Messpunkt verlegt worden sei, 62, 53, 54 und 59 dB(A) berechnet worden. Beide Messpunkte hätten sich als gleichermaßen repräsentativ für die Wohnbebauung im Bereich der {E.} herausgestellt.

15

Der Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Er tritt den Ausführungen der Beklagten bei.

17

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie der Gerichtsakten zu dem Az. 7 B 3145/09 und der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18

Die Klage ist zulässig (1.), jedoch unbegründet (2.).

19

1.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, denn es besteht eine Wiederholungsgefahr, weil der Beigeladene beabsichtigt, auch im Jahr 2010 ein Maschseefest durchzuführen, die Bühne "Irisches Dorf/Temple-Bar" an gleicher Stelle wie im Jahr 2009 zu errichten und in ähnlicher Weise zu nutzen.

20

Auch im Übrigen ist die Klage zulässig; insbesondere fehlt es nicht an der Klagebefugnis. Für einen Anspruch auf Abwehr von Immissionen einer hoheitlich betriebenen Anlage ist - unabhängig davon, ob §§ 1004, 906 BGB analog oder Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 GG als insoweit maßgebliche Rechtsgrundlage angesehen werden - unbestritten, dass ein derartiger Abwehranspruch besteht, wenn die Einrichtung Immissionen hervorruft, die die Gesundheit schädigen oder schwer und unerträglich in das Eigentum eingreifen (vgl. BVerwG, Urteil v. 29. April 1984 - 7 C 33.87 -, NJW 1988, 2396 [BVerwG 29.04.1988 - BVerwG 7 C 33/87]; BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 - 4 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1003, 1005 f. [BVerwG 21.03.1996 - BVerwG 4 C 9/95]). Nichts anderes kann gelten, wenn eine behördliche Erlaubnis einem Dritten ein Maß an (Lärm-)Immissionen erlaubt, das entsprechende Beeinträchtigungen hervorzurufen geeignet ist. § 3 Abs. 1 BImSchG definiert schädliche Umwelteinwirkungen als Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen - u.a. - für die Nachbarschaft herbeizuführen; gemäß § 3 Abs. 2 BImSchG zählen zu den Immissionen i. S. dieses Gesetzes u.a. auch Geräusche. Nachbarn im Sinne dieser Vorschrift sind unzweifelhaft die Bewohner der im Einwirkungsbereich gelegenen Grundstücke (vgl. nur Jarass, BImSchG, 7. Aufl. 2007, § 3 Rn 35 m.w.N.). Ob durch die im konkreten Fall beanstandeten Geräuschimmissionen tatsächlich bereits (unzumutbare) schädliche Umwelteinwirkungen vorliegen, ist demgegenüber eine Frage der Begründetheit (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.07.2008 - 11 S 56.08 -, [...]).

21

2.

Die Klage bleibt jedoch erfolglos, weil die klägerischen Anträge unbegründet sind.

22

2.1

Der Hauptantrag ist abzuweisen, weil dem Kläger aus Rechtsgründen bereits kein Anspruch zusteht, dass ein Einsatz elektroakustischer Verstärkeranlagen an der Bühne "Irisches Dorf/Temple-Bar" nach 20:00 Uhr vollständig unterbleibt.

23

Maßstab für die Beurteilung, ob die von der streitbefangenen Bühne ausgehenden Lärmimmissionen gegenüber dem Kläger als unzumutbare schädliche Umwelteinwirkungen einzuordnen sind, ist § 22 Abs. 1 BImSchG. Danach sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen, also hier Geräusche, die nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen (vgl. § 3 Abs. 1 BImSchG), verhindert werden, soweit sie nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, und unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Die Frage der Erheblichkeit von Geräuschbelästigungen und damit ihrer Zumutbarkeit wird einerseits entscheidend durch die bebauungsrechtliche Situation bestimmt, in der sich störende und gestörte Nutzungen befinden. Zum anderen sind für die Beurteilungen der belästigenden Wirkung von Geräuschen nicht nur physikalische Eigenschaften wie Schalldruck und Frequenz, sondern auch wertende Elemente wie Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit, der sozialen Adäquanz und einer allgemeinen Akzeptanz in der Bevölkerung zu berücksichtigen. Von daher obliegt es der tatrichterlichen Würdigung, über die Frage der Zumutbarkeit von Geräuschen zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.04.1991 - BVerwG 7 C 12.90 - BVerwGE 88, 143, 145; Nds. OVG Lüneburg, Urt. v. 15.09.1994 - 7 L 5328/92 -, NJW 1995, 900 sowie Urt. v. 18.12.1996 - 7 L 1488/95 -, NVwZ 1999, 88).

24

Danach ist nicht erheblich, ob Geräusche durch Einsatz einer elektroakustischen Verstärkeranlage erzeugt werden, sondern ob diese Geräuschimmissionen nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen. Daher hätte der Kläger darlegen müssen, dass gerade der Einsatz einer elektroakustischen Verstärkeranlage an der streitbefangenen Bühne die Unzumutbarkeit der bei seiner Wohnung im Zeitraum vom 08. bis 16. August 2009 täglich ab 20:00 Uhr zu vernehmenden Geräusche bewirkt hat. Das inhaltliche Vorbringen des Klägers gibt hierzu jedoch nichts her. Vielmehr greift der Kläger den Erlaubnisbescheid inhaltlich (nur) insofern an, als sich dessen dem Lärmschutz dienenden Regelungen an der Nds. Freizeitlärm-Richtlinie (gem. RdErl. MU, MI, ML und MW v. 08.01.2001, Nds. MBl. S. 201) i.V.m. der TA Lärm (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm v. 26.08.1998) und nicht an der LAI-Freizeitlärmrichtlinie orientieren und daher nicht den in letztgenannter Handreichung enthaltenen besonderen Schutz der Zeiten zwischen 20:00 und 22:00 Uhr verwirklichen.

25

Anders gewendet: Wollte man dem Antrag des Klägers folgen, bedeutete dies, dass die Beklagte dem Beigeladenen nicht einmal dann den Einsatz elektroakustischer Verstärkeranlagen an der streitbefangenen Bühne an den vom Kläger genannten Tagen und in den beanstandeten Stunden hätte erlauben dürfen, wenn jenem durch Nebenbestimmung auferlegt worden wäre, die Verstärkeranlage soweit "herunter zu regeln", dass die Musikdarbietungen von dieser Bühne an der Wohnung des Klägers überhaupt nicht vernommen werden konnten. Dies zeigt, dass der Kläger mit seinem Hauptantrag von vornherein die falsche Zielrichtung gewählt hat.

26

2.2

Die Hilfsanträge bleiben ebenfalls erfolglos. Die streitige Erlaubnis war nicht etwa - wie der Kläger meint - deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte bei der Ausgestaltung der dem Lärmschutz dienenden Regelungen die Nds. Freizeitlärm-Richtlinie i.V.m. der TA Lärm (und nicht die LAIFreizeitlärmrichtlinie) herangezogen hat. Die Vorgehensweise der Beklagten steht dem Grunde nach in Einklang mit der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts. Dessen sowohl für Straßen- als auch für Immissionsschutzrecht zuständige 12. Senat hat in seinem Beschluss vom 27. April 2006 (12 LA 116/05, V.n.b.) die Zulassung der Berufung auf das Urteil des VG Göttingen v. 23.02.2005 (1 A 1214/02, [...]) abgelehnt. Das VG Göttingen hatte in seinem Urteil (zusammengefasst) den rechtlichen Maßstab entwickelt, die Nds. Freizeitlärm-Richtlinie (i.V.m. der TA Lärm) könne für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Freizeitlärm als Entscheidungshilfe herangezogen werden, weil keine rechtlich verbindlich vorgegebenen Beurteilungsverfahren und Immissionsrichtwerte bestünden; im Übrigen sei über die Frage der Zumutbarkeit von Geräuschen in tatrichterlicher Würdigung auch unter Einbeziehung wertender Elemente zu entscheiden (vgl. auch VG Hannover, Urt. v. 10.07.2007 - 4 A 6612/06 -, V.n.b.). Das Nds. Oberverwaltungsgericht hat diesen rechtlichen Maßstab in seinem Beschluss bestätigt. Die erkennende Kammer macht ihn sich zu Eigen.

27

Nach Auffassung der Kammer schließt auch die Anwendung der TA Lärm als Entscheidungshilfe einen effektiven Schutz der immissionsschutzrechtlichen Nachbarrechte des Klägers nicht aus. Die besonderen Gegebenheiten des Maschseefestes als Mischung aus Volksfest und täglicher Freiluft- Konzertveranstaltung könnten/würden im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung ihre Bedeutung erlangen.

28

Die Kammer ist durch § 88 VwGO daran gehindert, die Hilfsanträge des Klägers ergänzend dahin auszulegen, dass die Feststellung begehrt wird, Einzelheiten der erteilten Erlaubnis seien auch auf der Grundlage der TA-Lärm rechtswidrig gewesen. Mit einer solchen Auslegung würde die Kammer über die Hilfsanträge des Klägers hinausgehen. Denn dieser will mit seinen Hilfsanträgen ausdrücklich festgestellt wissen, dass die Anwendung der TA Lärm durch die Beklagte rechtswidrig und das Regelwerk der LAI-Freitzeitlärmrichtlinie der Erlaubniserteilung zugrunde zu legen war.

29

Den in der mündlichen Verhandlung (vgl. S. 5 d. Niederschrift) hilfsweise gestellten Beweisanträgen des Klägers war nicht stattzugeben. Denn zum einen beziehen sie sich auf die schalltechnische Untersuchung der {I.} vom 23. Februar 2009, die durch den auf Schallmessungen beruhenden "Bericht zur Schallimmissionsmessung während des Maschseefestes vom 29.07. bis zum 16.08.2009" vom 18. November 2009 hinsichtlich der Ermittlung der Lärmbeeinträchtigungen, denen der Kläger während des Maschseefestes 2009 ausgesetzt war, überholt ist. Zum anderen sind sie als Beweisausforschungsanträge zu qualifizieren, denn die darin aufgestellten Behauptungen, die schalltechnische Untersuchung vom 23. Februar 2009 habe entgegen des darin auf Seite 4 dargestellten Berechnungsmodells den Zuschlag für Ton-, Informations- und Impulshaltigkeit nicht berücksichtigt und bei Berücksichtigung dieses Zuschlags in Höhe von 6 dB (A) wäre festgestellt worden, dass die Lärmwerte in einer Entfernung zur "Temple-Bar" bei freier Schallausbreitung etwa 60 dB(A) betragen hätten, hat der Kläger in keiner Weise - etwa durch Vorlage einer diese Behauptungen stützenden sachverständigen Stellungnahme - substantiiert.

30

3.

Im Hinblick darauf, dass die Beklagte beabsichtigt, dem Beigeladenen auch für den Sommer 2010 eine Erlaubnis zur Veranstaltung eines Maschseefestes zu erteilen, nimmt die Kammer Gelegenheit, auf folgendes hinzuweisen:

31

Die streitgegenständliche Erlaubnis hat möglicherweise dem Vermeidbarkeitsgrundsatz des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht hinreichend Rechnung getragen hat. Insbesondere ist es durch die Lärmschutzauflagen offenbar nicht gelungen, die Einhaltung der Immissionsschutzrichtwerte der TA Lärm von 55 dB (A) für die Tagzeit einzuhalten. Nach dem von der {I.} für die Beklagte erstellten "Bericht zur Schallimmissionsmessung während des Maschseefestes vom 29.07. bis zum 16.08.2009" vom 18. November 2009 sind an den Tagen 29.07., 31.07., 01.08., 05.08. und 07.08.2009 auf dem Gehweg vor dem Gebäude {E.} {G.} Beurteilungspegel von 56, 54, 54, 55 und 55 dB(A) sowie an den Tagen 08.08, 12.08., 14.08. und 15.08.2009 auf dem Fußweg nördlich des Wohngebäudes {E.} {J.} , wohin der Messpunkt verlegt worden war, 62, 53, 54 und 59 dB(A) berechnet worden. Nach Ansicht des Sachverständigen seien beide Messpunkte gleichermaßen repräsentativ für die Wohnbebauung im Bereich der {E.}. Es wurden demnach aufgrund der Immissionsmessungen Beurteilungspegel ermittelt, die sich um den Grenzwert bewegten bzw. an drei Tagen den Immissionsrichtwert der TA Lärm, den die Beklagte selbst als Grenzwert annimmt, mit 56, 59 bzw. 62 dB(A) zum Teil deutlich überschritten. Die Beklagte dürfte daher sorgfältig zu prüfen haben, ob im Rahmen der Erlaubniserteilung für das Jahr 2010 - wenn diese die Nutzung einer Bühne an dem bisherigen Standort "Irisches Dorf/Temple-Bar" wiederum vorsehen sollte - erneut ein Takt-Maximalpegel von 93 dB(A) in 20 m Entfernung von dieser Bühne zugelassen werden kann oder ob dieser Wert - wie dies an anderen Bühnen auch geschieht - so zu verringern sein wird, dass der Immissionsrichtwert von 55 dB(A) tagsüber an dem vom Kläger mitbewohnten Grundstück sicher eingehalten wird.

32

Weiterhin dürfte es immissionsschutzrechtlich problematisch sein, dass die Beklagte in der streitgegenständlichen Erlaubnis unter Anwendung der Nr. 6.4. Satz 2 der TA-Lärm jeweils an dem Mittwoch der drei Festwochen die Tagzeit von 22:00 auf 23:00 Uhr hinausgeschoben hatte. Dies hatte zur Folge, dass an drei Abenden, auf die jeweils ein Werktag folgte, bis 23:00 Uhr an dem vom Kläger mitbewohnten Grundstück (nur) ein Immissionsrichtwert von 55 dB (A) seitens des Beigeladenen einzuhalten war. Es dürfte fraglich sein, ob - insbesondere vor dem Hintergrund, dass die streitbefangene Bühne 19 Tage hintereinander ohnehin mindestens bis 22.00 Uhr genutzt wurde - insoweit auf das berechtigte Interesse des Klägers am Schutz seiner Nachtruhe hinreichend Rücksicht genommen worden war.

33

Der Kläger hat als Unterlegener gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

34

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen für erstattungsfähig zu erklären, weil dieser Klagabweisung beantragt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko im Sinne von § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.

35

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.